Arbeitsfähigkeit

Blick über den Tellerrand: Weiterbildung im alten Job ist nicht genug

Wer fit im Beruf und damit arbeitsfähig bleiben will, muss sich das ganze Leben lang aus- und weiterbilden. Dabei reicht es nicht mehr, nur Neues im alten Job zu lernen. Die moderne Arbeitswelt verlangt besonders von älteren Mitarbeitenden immer öfter auch einen Wechsel in ein neues Berufsbild.

Lebenslanges Lernen, da sind sich Unternehmen und Mitarbeitende einig, trägt viel dazu bei, wie arbeitsfähig eine erwerbstätige Person ist und bleibt. «Aus- und Weiterbildung haben einen entscheidenden Einfluss auf die Arbeitsfähigkeit von Mitarbeitenden», betont auch Peter Petrin, Direktor des Schweizerischen Instituts für Betriebsökonomie SIB.

Wie gelingt es Mitarbeitenden und Ausbildungsverantwortlichen in den Unternehmen, die optimalen Angebote für den Erhalt der Arbeitsfähigkeit zu finden? Bildungsexperte Petrin rät davon ab, Weiterbildung um der Weiterbildung willen zu betreiben. «Entscheidend ist es, die Bildungsbiografie im Auge zu behalten und wirklich nur Kurse in Angriff zu nehmen oder anzubieten, die dazu verhelfen, an der aktuellen oder an der anvisierten Stelle neue Herausforderungen meistern zu können.»

Mit der Globalisierung, den ständigen neuen technologischen Entwicklungen und Reorganisationen kommen zwei weitere wichtige Kriterien für eine optimale Weiter
bildung hinzu: Diversität und Mobilität. 
Lebensstellen gibt es für Mitarbeitende schon lange nicht mehr und für die Unternehmen sind ewig währende Produkte, Dienstleistungen und Prozesse ebenfalls Vergangenheit.

«Unsere Jobprofile sind trotz Spezialisierungen sehr durchlässig. Für das Talent
Management nutzen wir vor allem den internen Arbeitsmarkt und versuchen beispielsweise unsere Mitarbeitenden dazu zu ermuntern, sich nicht nur in ihrem angestammten Bereich weiterzubilden, sondern sich auch in anderen Gebieten des Unternehmens weiterzuentwickeln», erklärt Beatrice Kutter, Ausbildungsberaterin bei der Grossbank UBS. So können sich Mitarbeitende, die noch nie im Kundeninterface gearbeitet haben, zum Beispiel zu Kundenberatern ausbilden lassen. «Mit diesem Angebot sprechen wir nicht zuletzt auch erfahrene Mitarbeiter an.» Diese suchten einerseits nach neuen Perspektiven, andererseits gebe es auf Kundenseite auch Leute, die sich gerne mit erfahrenen und dadurch auch älteren Ansprechpersonen austauschen möchten. Kutter betont aber, dass die UBS bei der Aus- und Weiterbildung keine Alterssegmentierung betreibe. «Dies, weil die Ausbildungsbedürfnisse bei uns aus den Entwicklungsgesprächen heraus entstehen. Und diese finden mit allen Mitarbeitenden statt.»

Getrennte Kurse für Jung und Alt

Juhani Illmarinen, Professor am Finnish 
Institute of Occupational Health in Helsinki und «Vater» des Work Ability Index, fordert dagegen spezifische Aus- und Weiterbildungskonzepte für ältere Mitarbeitende. «Firmen investieren heute primär in Weiterbildungen, die den Lernprozessen der unterschiedlichen Generationen kaum angepasst sind. Sie bieten Weiterbildung für alle, das heisst vor allem für die jüngere Generation.» Für Illmarinen ein schwerer didaktischer Fehler. Denn während für jüngere Mitarbeitende alles Neue positiv ist, baut die Lernmotivation bei Älteren auf der Begründung von Dingen. «Ältere Menschen möchten die Dinge zuerst 
verstehen, bevor sie sich damit auseinandersetzen, learning by doing ist für sie effizienter und wenn sie etwas theoretisch erlernen, dann brauchen sie mehr Wiederholungen als ihre jüngeren Kollegen.» Den Grund, warum viele Unternehmen diese Tatsache noch immer ignorieren, ortet Illmarinen im mangelnden Wissen um die unterschiedlichen Lernprozesse.

Die Swisscom hat sich mit diesen Lernprozessen auseinandergesetzt und bietet nun getrennte Kurse für Jung und Alt an. «Es ist einfach ein Fakt, dass man im Alter weniger schnell lernt», konstatiert Personalchef Günther Pfeiffer. Vor allem im Bereich von neuen Technologien habe die Swisscom daher spezielle Schulungsprogramme für Kunden und Mitarbeitende über 50 lanciert. «Für uns ist es erfolgsrelevant, auch ältere Mitarbeitende weiterhin auszubilden und arbeitsfähig zu halten.» Der Grund: Auch das Telekommunikationsunternehmen spürt die sich immer weiter öffnende demografische Schere. Hinzu kommt, dass es sich in einem hoch kompetitiven Markt bewegt. «Da die Veränderungen in unserer Branche rasant zugenommen 
haben, sind wir darauf angewiesen, dass alle unsere Mitarbeitenden bereit sind, sich selber immer wieder zu verändern.» Daher, so Pfeiffer, sei die Swisscom daran, die Bildungskultur von Grund auf zu verändern.

Damit die Mitarbeitenden die Veränderungen als Chance wahrnehmen und nicht als Bedrohung, unterstützt ihr Arbeitgeber sie gezielt mit Aus- und Weiterbildungen und bietet, ähnlich wie bei der UBS, auch Hilfe beim Berufswechsel. «Diese erhalten die Leute nicht nur arbeitsfähig, sondern auch arbeitsmarktfähig, was für uns natürlich ein gewisses Risiko darstellt, da sie uns unter Umständen leichter verlassen können», erklärt Pfeiffer. Dieses Risiko gingen sie aber gerne ein, denn grundsätzlich seien Aus- und Weiterbildungen sowie die Chance, dem Berufsweg eine völlig neue Wendung zu geben, auch gute Retentionsmassnahmen. «Und sie sorgen dafür, dass es den Leuten wieder Spass macht, für uns zu arbeiten.»

Motivation ist keine Frage des Alters

SIB-Direktor Peter Petrin hingegen hält gar nichts von einer Trennung der Generationen. «Gettoisierung ist gerade in der Weiterbildung ein Schritt in die falsche Richtung», ist er überzeugt. Firmen, die ihren Mitarbeitenden bei Ausbildungsfragen mit Rat und Tat zur Seite stünden und sie bedürfnisgerecht bei der Auswahl zwischen den vielen Möglichkeiten unterstützen, erreichten alle Zielgruppen. «Bildungspessimismus ist nicht in erster Linie eine Frage des Alters», konstatiert Petrin, «sondern der Einstellung und bis zu einem gewissen Grad auch der Firmenkultur.» Um die Bedürfnisse der Mitarbeitenden und des Unternehmens unter einen Hut zu bringen, empfiehlt er, Aus- und Weiterbildungen explizit an die Unternehmensstrategie zu knüpfen und ein striktes Bildungscontrolling zu betreiben.

Das Schweizerische Institut für Betriebsökonomie SIB bietet unter www.sib.ch einen Weiterbildungscheck an. In diesem sind die wichtigsten Fragen rund um eine Weiterbildung enthalten.

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Sandra Escher Clauss ist freie Journalistin.

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