Motivation

In China muss der Chef fürsorglich sein: Motivation aus asiatischer Sicht

Was für eine Schweizerin motivierend ist, kann bei einem Japaner das pure Gegenteil bewirken. Spass, Unabhängigkeit und Lob haben für einen Chinesen bei der Arbeit kaum eine Bedeutung. Dafür sind moralische Erfüllung und Anerkennung über den Status umso zentraler. Bei all den kulturellen Differenzen findet sich aber auch manche Gemeinsamkeit.

Mit «Mythos Motivation» provozierte der Berater Reinhard Sprenger die Managementwelt mit der Frage, ob nicht jede Art der Motivation Demotivation sei. Er kritisierte die weit verbreiteten Anreizsysteme und «Antreibertechniken», analysierte deren Schattenseiten. Beispielsweise die Tatsache, dass Belohnung zwar kurzfristig die gewünschte Wirkung zeige, aber gleichzeitig bei den Mitarbeitenden das Gefühl hervorrufe, mehr leisten zu müssen. So würden Mitarbeiter unzufrieden und empfänden die Belohnung als Bestechung. Sprengers Alternativen lauteten und lauten immer noch: fordern statt verführen, lassen statt machen, Rahmenbedingungen für den individuellen Spielraum schaffen sowie klare Vereinbarungen und Verbindlichkeit. Sind dies westliche Ansätze, oder gilt das Gleiche auch in anderen Kulturen?

Amerikaner wollen gelobt werden,
und Japaner suchen die Kritik

Der Psychologe Eugene Yujin Ide (1) zeigt in seinem Artikel die kulturellen Unterschiede in der Motivation von Nordamerikanern und Japanern auf und unterlegt dies mit einigen interessanten Überlegungen. In der westlichen Welt wird Motivation psychologisch gesehen meist mit Selbstachtung oder dem Selbstwertgefühl in Verbindung gebracht. Westliche Menschen sind motiviert, wenn etwas ihr Selbstwertgefühl erhöht oder zumindest bewahrt. Mit anderen Worten: Motivation wird um das Konzept der Unabhängigkeit aufgebaut. Neuere Studien zeigen im Kontrast, dass sich Motivation in nichtwestlichen Kulturen nicht unbedingt um das Selbstwertgefühl dreht. In den kollektiven, speziell ostasiatischen Ländern und Kulturen steht die Beziehung, das Zwischenmenschliche, viel mehr im Zentrum. Damit steht auch der Schutz des Selbstwertgefühls nicht an erster Stelle und fällt somit als der grosse Motivator aus westlicher Sicht weg.

Ein interessantes und aufschlussreiches Beispiel untermauert diese Annahme: In Japan bestrafen Eltern typischerweise Kinder mit der Drohung, dass sie aus dem Haus ausgeschlossen werden, wenn sie sich nicht entsprechend verhalten. So soll die hohe Bedeutung der Familie verstärkt und das Kind motiviert werden, einen Sinn dafür zu entwickeln, sich einzufügen, da dies Sicherheit und Zugehörigkeit bedeutet. Ganz anders fällt eine solche Drohung in der westlichen Kultur aus: Die Strafe besteht hier darin, dass ein Kind nicht mehr aus dem Haus darf, also Stubenarrest erhält: eine Einschränkung der Freiheit also und ein Hinweis auf die Bedeutung von Autonomie. Dieses kleine Beispiel macht deutlich, dass Motivatoren durchaus kulturell geprägt sein können und in einen kulturellen Kontext setzbar sind.

In der eingangs erwähnten Studie konnten folgende Unterschiede nachgewiesen werden: Bei positivem Feedback wurde die Wichtigkeit einer Aufgabe von Nordamerikanern höher eingeschätzt und ein gesteigertes Selbstbewusstsein beobachtet – mit anderen Worten: Eine solche Aufgabe motivierte sie mehr. Japaner hingegen fokussierten sich auf jene Aufgaben, für die sie negatives Feedback erhielten. Denn solches motivierte sie dazu, sich zu verbessern und somit zu einem kollektiv besseren Ergebnis beizutragen.

So weit ein kurzer Ausflug in die Motivationsforschung und beobachtbare Unterschiede zwischen der westlichen und östlichen Kultur. An dieser Stelle sei auch erwähnt, dass es sich bei den folgenden Ausführungen um Erfahrungen aus einem multinationalen, nichtchinesischen Unternehmen handelt.

Anders als in der westlichen Kultur ist 
Motivation in China meist eng mit Retention verbunden. Das Arbeitsmarktumfeld bietet qualifizierten Arbeitnehmern schon allein aufgrund des Wirtschaftswachstums eine immense Vielfalt an Optionen. Oft spielt zudem eine Rolle, dass per definitionem Personalentwicklung länger dauert und somit langsamer ist als Beförderung (und mehr Lohn) auf Grund eines Arbeitsplatzwechsels. In einem (ökonomisch) schnellen Umfeld wie China steht diese «Langsamkeit» von persönlicher Entwicklung im Spannungsfeld zwischen Erwartungen und den Möglichkeiten durch die erworbene Kompetenz. Arbeitgeber sind daher konstant auf der Suche nach Antworten, wie sie Mitarbeitende länger am Arbeitsplatz halten können.

Man kann nun sofort Einspruch erheben und nachweisen, dass das in Europa ebenso der Fall ist. Hierzu allerdings eine Klammerbemerkung: Um das Thema Motivation in China zu verstehen, darf nicht ausser Acht gelassen werden, dass der Arbeitsmarkt vor allem für Leute mit Berufserfahrung – und sei es nur minimale – sehr angeheizt ist. Der Vorteil ist, dass Leute sehr schnell möglichst viel lernen (und leisten) wollen und dazu sehr motiviert sind. Der Nachteil für die Unternehmen ist, dass damit gleichzeitig auch die Chancen ihrer Mitarbeiter auf dem Arbeitsmarkt steigen. Geschwindigkeit ist somit ein kritischer Faktor im Erfolg von Motivationsmassnahmen.

Freiheit und Autonomie in der Arbeit zählen in China wenig als Motivator

Vor allem das mittlere Management beschäftigt sich oft mit der Motivationsfrage, weiss aber häufig nicht, wie es in der Praxis damit umgehen soll. Im Rahmen von Management-Weiterbildung, speziell in den Action-Learning-orientierten Projektgruppen, wird das Thema immer wieder aufgegriffen.

Aus dem Pool dieser praxisorientierten Arbeiten bei ABB ergeben sich ein paar Erkenntnisse: Unterschiedliche Mitarbeitergruppen verlangen nach differenzierten Massnahmen. Während die jüngeren Mitarbeitenden durch Sprachkurse und Aufstiegsmöglichkeiten motiviert werden können, wechselt mit einer längeren Anstellungsdauer die Präferenz der Anreize. Beispielsweise hin zu einem Kinderstipendienfonds, zu Jubiläumsprämien oder in Richtung eines unbefristeten Arbeitsvertrags. Für High Potentials steht der Wunsch nach einer eigenen, natürlich höheren Salärklasse an erster Stelle, aber auch kurze Auslandsaufenthalte sind attraktiv. Ebenso zentral ist die fortwährende Kommunikation über berufliche Möglichkeiten, bei der es eigentlich eher um die Beziehungspflege oder die gezeigte Fürsorge des Vorgesetzten gegenüber seinem Mitarbeitenden geht.

Eine Projektgruppe mittlerer Manager stellte nach einer Umfrage Interessantes fest. Neben den bekannten Motivatoren wie Training, Jobrotation, Auslandsaufenthalten, positiven Beurteilungsgesprächen, Anerkennungs- und Leistungsprämien, attraktiver Arbeitsumgebung, dem Unternehmensbrand sowie einer attraktiven Entlöhnung ergaben sich auch noch weitere Motivatoren. Neben der meist genannten «Anerkennung der persönlichen Integrität», werden auch «Respektiert werden von anderen» oder «intellektuelle Stimulierung» genannt. Gleich danach 
folgen «fast pace = schnelllebiges Geschäftsumfeld», «moralische Erfüllung», aber auch «beteiligt und respektiert sein». Was im Gegensatz zu unserer Kultur kaum genannt wird, sind Freiheit und Unabhängigkeit, Autonomie in der Arbeit oder mehr Freizeit, Spass oder Excitement (Aufregung) gegenüber einer Aufgabe.

Eine fast grenzenlose Bereitschaft, 
zu lernen und sich weiterzubilden

Ein bedeutender Motivator in China und dem nordasiatischen Raum ist der Status: Darunter sind einige der oben genannten Aspekte wie «respektiert werden», «Anerkennung der persönlichen Integrität», aber auch «moralische Erfüllung» zu verstehen. Ebenso die harmonische, gute Beziehung zum Umfeld. Sowohl zum Vorgesetzten wie auch zu Teamkollegen. Das heisst, die interpersonellen Beziehungen sind zentral. Harmonie ist ein starker kultureller Wohlfühlfaktor, die oben erwähnte, durch einen Vorgesetzten zu zeigende Fürsorglichkeit ist Teil dieser harmonischen Beziehungspflege.

Vielleicht entgegen gängigen Vorstellungen fällt die Salärmotivation genau wie in Europa auf die hinteren Ränge zurück. Wenn man etwas genauer hinschaut, aber mit einer Einschränkung: nämlich erst ab einem bestimmten Einkommen. Die beruflichen Perspektiven sind hingegen einer der wichtigsten Motivatoren im Alltag: Was muss ich lernen, um so schnell und so weit als möglich in meiner Karriere voranzukommen? Die Kombination von Geschwindigkeit und Status (Beförderung oder Titelveränderung) als Motivation zu jonglieren, ist die grosse Herausforderung: Positionsveränderungen alle zwei oder drei Jahre werden als Ausdruck davon verstanden, dass man weiterkommt, etwas gelernt hat und bald wieder etwas lernen kann.

Denn in China sticht vor allem eins ins Auge: die geradezu grenzenlose Bereitschaft, zu lernen, auf allen Altersstufen. In der Schweiz haben wir sicher die besten Schulen, sowohl was die Institutionen als auch die Lerninhalte betrifft. Aber sind wir auch Spitzenreiter in der Bereitschaft, etwas von uns selbst und unserer Zeit einzusetzen, um zu lernen? Haben Sie sich schon einmal vorgestellt, dass ein Managementtraining an einem Sonntagnachmittag beginnt, und das ohne zusätzlichen Anreiz? In Asien ist das normal. Denn nicht nur in Japan, auch in China und Nordasien hat Lernen kulturell einen hohen Stellenwert.

Zudem öffnet es den Zugang zum aktuell stattfindenden ökonomischen Boom. Aber auch, sich mittelfristig dem sich bildenden Mittelstand anzuschliessen. Bildung als Zugang zu Berufs- und Karrierechancen des einzigen Kindes steht im Fokus ganzer Familien. Was unter anderem auch bedeutet, dass die Eltern auf vieles verzichten und sehr hart arbeiten, um Schulen und Universitäten bezahlen zu können. Aufenthalte in ausländischen Schulen nehmen an Bedeutung zu. So ist es nicht erstaunlich, dass Weiterbildung ein hoher Motivator und Retentionsfaktor ist.

Und was heisst dies jetzt für die 
heranwachsenden Generationen?

Der Einkindgeneration wird in China spezielle Aufmerksamkeit gewidmet. In einer Studie von 2008, an der über 9000 chinesische Jugendliche teilnahmen, die nach 1980 geboren worden sind, wurde nach deren Motivatoren gefragt. 55 Prozent der Antwortenden gaben an, dass das Ziel von Arbeit sei, eine ökonomische Basis zu haben und ein glückliches Leben leben zu können. Weitere 36 Prozent sagten, dass Arbeit dazu diene, persönliche Werte zu realisieren sowie die eigenen Fähigkeiten zu beweisen. Und das wiederum klingt gar nicht so weit entfernt von dem, was ihre Altersgenossen in der westlichen Welt wohl geantwortet hätten.

Um auf Reinhard Sprengers Buch zurückzukommen, das auch in China sehr bekannt ist: Respekt gegenüber Menschen ist sicherlich universell ein motivierender Wert – die erfolgreichen Motivationsprogramme mögen sich unterscheiden und gegenseitig bereichern.

Kommentieren 0 Kommentare HR Cosmos

Margrit Reck ist in Bern geboren. Nach dem Abschluss des Sekundarlehramts in Mathematik und Geografie studierte sie Psychologie. Als HR-Leiterin arbeitete sie für ABB in China und Nordasien (Japan, Südkorea und Taiwan). Aktuell ist sie für die Benelux-Länder zuständig.

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