Messbarkeit Coaching

Coaching durch die Führungskraft – eine kritische Betrachtung

Die Führungskraft in der Rolle des Coachs ist wieder in Mode gekommen. Möglicherweise hängt es damit zusammen, dass Kosten für Beratungsdienstleistungen eingespart werden sollten. Dieser Diskussionsbeitrag geht kritisch der Frage nach, worin sich professionelles Coaching vom Coaching durch die Führungskraft unterscheidet.

Im angloamerikanischen Raum steht Coaching für ein Führungsverständnis, in dem die Führungskraft die Mitarbeitenden anleitet, fördert, entwickelt, Probleme mit ihnen bespricht und sie berät. Obgleich selbst in den USA unterdessen Führungskräfte externe professionelle Berater in Anspruch nehmen, scheint der Begriff Coaching immer noch stark mit der Führungsrolle verbunden zu sein. Seit etwa Mitte der achtziger Jahre wurde dieses Verständnis von Coaching auch in Deutschland aufgegriffen. Allerdings ist es im deutschsprachigen Kulturkreis zu Recht umstritten, ob damit der Begriff des Coachings nicht zu unscharf und inflationär gebraucht wird. Selbst unter professionellen Coaches gibt es gegensätzliche Ansichten darüber, ob die Führungskraft coachen kann.

Ich bin der Ansicht, zur professionellen Führungstätigkeit gehört die Fähigkeit, verschiedene Gesprächsanlässe unterscheiden und entsprechend gestalten zu können (etwa Entwicklungs- oder Beratungsgespräch, Kritikgespräch, Problemlösungs- oder Massnahmegespräch, Beurteilungsgespräch, Konflikt- oder Schlechte-Nachrichten-Gespräch).

Eine Führungskraft ist nie neutral

Beratungsgespräche aus der Führungsrolle sind durchaus möglich, können aber nur vom Mitarbeitenden selber initiiert und angefordert werden, ganz im Gegensatz etwa zu Problemlösungs- oder Massnahmegesprächen. Hier werden die Grenzen zur professionellen Beratung deutlich: Die Führungskraft hat immer auch eigene Interessen bzw. diejenigen der Organisation zu vertreten; deshalb kann sie nie neutral sein. Spätestens wenn die Führungskraft Teil des Problems zu sein scheint, geht es nicht mehr um Beratung oder Coaching, sondern eindeutig um Problem- oder gar Konfliktbearbeitung.

Selbst mit noch so guter Ausbildung der Führungskraft in Beratungsverhalten lässt sich das strukturell bedingte Dilemma zwischen Fördern und Fordern nie ganz aufheben. In der Hierarchie kann es keine herrschaftsfreie Kommunikation geben, die für wirkliches Beratungsgeschehen notwendig wäre. Wer sich beraten lässt, gibt viel von sich preis. Und da die Führungskraft die Rolle der Leistungsbewertung nie ganz ablegen kann, werden sich Mitarbeitende auch im Beratungsverlauf kontrolliert oder gar «taktisch» verhalten. Damit aber hat Beratung als kommunikatives Geschehen oft bereits ihren Sinn und Nutzen für den Beratenen verloren.

Die kritischen Unterschiede

Fazit: Beratungsgespräche durch die Führungskraft sind durchaus möglich, sie unterscheiden sich jedoch ganz deutlich von einem professionellen Coaching. Die wichtigsten kritischen Unterschiede seien deshalb hier aufgeführt, um die Bedenken nochmals zu untermauern:

  • Die Führungsrolle ist nie neutral, sie beinhaltet auch eine Kontroll- und Beurteilungsfunktion – daraus ergibt sich die Gefahr von Rollenkonflikten.
  • Die Rollenvorbelastung und das Beziehungsgefälle zu den Mitarbeitenden können nie aufgehoben werden.
  • In einem professionellen Coaching ist die eigene vorgesetzte Person (oder die darüber liegenden Hierarchiestufe) fast immer auch ein Thema («Führung von unten»). Gerade dieser zentrale Aspekt der Rollengestaltung kann nicht in Form einer Beratung im Coaching durch die Führungskraft angegangen werden, schon gar nicht, wenn die Beziehung durch Konflikte belastet ist.
  • Generell besteht der Nachteil der Voreingenommenheit oder der Betriebsblindheit bei Themen, die unmittelbar das eigene System betreffen, da die Führungskraft ja selber ein Teil davon ist.
  • Die Gefahr, dass sich jemand im Beratungsgespräch mit der Führungskraft «taktisch» und bis zu einem gewissen Grad «bedeckt» verhält, ist zu gross, als dass professionelles Coaching möglich wäre.
  • Persönliche und private Anliegen können kaum so frei thematisiert werden wie in einem neutralen Rahmen.
  • Die vorgesetzte Person hat neben der Beratung aus der Führungsrolle auch noch viele andere Aufgaben; eine Spezialisierung auf Coaching ist gar nicht in dem Mass möglich und sinnvoll, wie dies ein professioneller Coach kann.
  • Die Qualifikation von Führungskräften zum professionellen Coach müsste über einen längeren Zeitraum aufgebaut (Zusatzausbildung) und dann auch durch Supervision unterstützt werden. Die strukturell bedingte «Beziehungsfalle» lässt sich aber durch die beste Zusatzqualifikation nicht aufheben.
  • Nur wenige Führungskräfte können die Coach-Rolle adäquat umsetzen. Denn viele zeichnen sich beispielsweise gerade dadurch aus, dass sie entscheidungsfreudig sind – eine Qualität, die dann aber in der Beratung auch hinderlich werden könnte. Oder sie laufen Gefahr, in der Beratung viele Ratschläge zu erteilen und damit die Mitarbeitenden eher noch abhängiger von sich zu machen.
  • Andererseits kann die Aufforderung «Sei selbständig und eigenverantwortlich» zu einer «Sei-spontan-Paradoxie» führen. Im Kontext eines Coachings durch die Führung versetzt diese Art von Aufforderung den Empfänger in eine unhaltbare Situation, da er, um ihr nachzukommen, spontan sein müsste.
  • Eine ähnlich gelagerte Gefahr lauert in der Versuchung für Führungskräfte, ihre Mitarbeitenden unter dem Deckmantel eines Coachings dazu zu bringen, das (von sich aus) zu tun, was die Organisation will, dass sie es tun. Die noch listigere Form davon lautet: «Ich weiss, was gut und richtig ist, aber ich sage es dir nicht, sondern du musst es selber herausfinden!»
  • Ein professioneller Coach lässt sich im Gegensatz zur eigenen Führungskraft wieder leicht «abschütteln», wenn einem die Beratung genügt oder auch im Gegenteil gar nicht zusagt.


Literatur:

  • Lippmann, E. (2008): Gesprächsführung. In: Steiger, T. & Lippmann, E. (Hrsg). Handbuch angewandte Psychologie für Führungskräfte, Bd 1, S. 264-286. Springer
  • Lippmann, E. (2006) (Hrsg): Coaching. Angewandte Psychologie für die Beratungspraxis. Springer
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Prof. Dr. Eric Lippmann ist Psychologe, Soziologe und Publizist. Er leitet am IAP Institut für Angewandte Psychologie der ZHAW Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften das Zentrum Leadership, Coaching & Change Management und ist als Dozent und Berater tätig.
 

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