Coaching ist kein Allheilmittel

Für jedes erdenkliche Problem gibt es zahlreiche Beraterinnen und Berater, die Führungskräften mit Rat und Tat zur Stelle stehen. Doch Coaching ist kein Ersatz für fehlende Führungskompetenz.

Neben dem An-sich-Arbeiten, das heute wie selbstverständlich zu einer Führungskraft gehört, hilft individuelles Coaching bei der Bewältigung persönlicher Herausforderungen wie Stressbewältigung, Umgang mit widersprüchlichen Anforderungen in verschiedenen Rollen und im Umgang mit Konfliktsituationen. Coaching dient also zur Bewältigung der Arbeitslast und bei der Beurteilung des eigenen Verhaltens und komplexer Situationen.

Heikel wird der inflationäre Einsatz von Coaching, wenn dies «zum guten Ton» gehört und jeder, der etwas auf sich hält, seinen persönlichen Coach hat. Für Coaching sollte es einen Bedarf mit der Intention der persönlichen Weiterentwicklung geben, und diese Entwicklung sollte sich auch im Verhalten und in der Kommunikations- und Entscheidungskompetenz der Führungskraft zeigen. Coaching darf also nicht zum Statussymbol werden.

Abzuraten ist von Coaching als Entwicklungsmassnahme auch dann, wenn Coaching Führung ersetzen soll. Gemeint ist hier der Einsatz eines Coachs, wenn es nur noch um die Klärung und Bestätigung von fehlender Kompetenz einer Führungskraft geht oder wenn konfliktscheue Manager einer unangenehmen Konfrontation aus dem Wege gehen wollen.

Vor dem Coaching muss das Ziel genau geklärt werden

Die Herausforderung für das HR liegt darin, die Anlässe und Kontexte für Coachingaufträge genau zu klären. Was ist das wirkliche Anliegen der Führungskraft, die 
gecoacht werden soll beziehungsweise möchte, oder der Führungskraft, die ihre unterstellte Führungskraft in ein Coaching schickt? Dies gelingt über die Klärung der Zielsetzung mit der jeweiligen Partei: Was ist das gewünschte Ergebnis? Was soll nachher anders sein? Hier ist besonders das Augenmerk darauf zu richten, ob es um die persönliche Entwicklung, das Führungsverhalten, den Ressourceneinsatz oder die Rollenklärung der zu coachenden Führungskraft geht.

Die wichtige Frage ist, ob wirklich ein ernsthaftes Interesse vorliegt, die weitere Zusammenarbeit konstruktiv zu gestalten. oder ob das Coaching eher eine Alibifunktion haben soll mit dem Ziel, die nicht vorhandenen Kompetenzen zu entlarven.

Vielversprechender Dialog ist trotz verschiedener Interessen möglich

Coaching aus HR-Perspektive oder delegiertes Coaching wird häufig eingesetzt, wenn die Vorgesetzten einen Handlungsbedarf erkennen, der mit den üblichen Führungsmitteln nicht erreicht werden kann. In der Regel suchen die internen Berater und Beraterinnen immer dann eine externe Unterstützung, wenn grundlegende soziale Kompetenzen, die Auseinandersetzung mit der beruflichen Rolle oder eindeutige Arbeitsprofile noch nicht in der gewünschten Weise am Arbeitsplatz umgesetzt werden können.

Nicht selten wird Coaching als persönliche Trainingsmassnahme zur Verbesserung der Arbeitsleistung beziehungsweise der Leistungseinstellung angefordert. So begegnen sich sehr unterschiedliche Erwartungen und Vorstellungen, wenn  im gemeinsamen Vorgespräch der Coach, der potenzielle Coachee, der Vorgesetzte und die HR-Vertretung aufeinandertreffen. In einer solchen Konstellation muss der Coach zum einen prüfen, ob er die an ihn gestellten Forderungen erfüllen kann. Zum anderen muss er klären, ob der Coachee bereit ist, auf ein Coaching einzusteigen. Betrachtet sich der Coachee als Konsument oder als «Besucher» und nicht als aktiv Beteiligter, kann das Coaching keinen Erfolg haben.

Gelingt es hier, einen für alle Beteiligten passenden Vertrag zu vereinbaren, ist der schwierigste Teil geschafft. Können alle Parteien ihre sich oft widersprechenden Teilinteressen offenlegen, die sich aus ihren Rollen ergeben, so entwickelt sich modellhaft ein vielversprechender Dialog, der, über das Coaching hinaus, in den Organisationen einen Anstoss zur gemeinsamen Feedbackultur geben kann.

Besonders wichtig ist im Rahmen von 
delegiertem Coaching, dass der Coach 
kritisch die Motive für das anvisierte Coaching hinterfragt. Ungenügende Führung, fehlende Wertschätzung und Förderung der Mitarbeitenden können nicht mit einem externen Coaching wettgemacht werden. Ab und an sind auch Spannungen und kalte Konfliktmuster zwischen Führung und Mitarbeitenden Anlass für das Coaching. Auch hier ist es sinnvoll, den Kontrakt entsprechend zu erweitern, um keine Alibiübung unter dem Deckmantel Coaching zu veranstalten.

Tritt zunehmend in Erscheinung: die Komplementärberatung

Vor allem systemische Methoden ermöglichen es dem Coachee, sich über seine persönlichen Ressourcen, seine Rolle, Funktion, seine Anliegen und die Entwicklungsziele im Coaching bewusst zu werden und diese mit dem organisationalen Kontext zu verbinden. Im Unterschied zum delegierten Coaching nehmen Führungskräfte häufig aus eigenem Antrieb Coaching in Anspruch, um ihr Führungsprofil zu hinterfragen.

Coaching hat sich auf dem Markt als eine attraktive Form professioneller und persönlicher Weiterbildung etabliert. Die Möglichkeit, Sichtweisen zu hinterfragen und in einem geschützten Raum das persönliche Verhaltensrepertoire zu verbessern, wird sehr geschätzt. Vor allem dann, wenn im direkten beruflichen Umfeld, in der Hektik des Tagesgeschäfts, wenig Platz für eine differenzierte Analyse bleibt.

Als eine weitere attraktive Form der Unterstützung ist in den letzten Jahren die Komplementärberatung als Mischform von Fach- und Prozessberatung zunehmend in Erscheinung getreten. Fachberatung bedeutet, mit einer Fragestellung zu einem Spezialisten zu gehen, in der Hoffnung, die richtigen Antworten zu erhalten. Dies setzt voraus, dass die Kundin oder der Kunde die Anzeichen und Signale richtig erkannt hat beziehungsweise in der Fachberatung die passenden Fragen gestellt werden, um eine Lösung zum Anliegen geliefert zu bekommen. Anders als in der reinen Prozessberatung steuert der Coach nicht nur den  Beratungsprozess, er liefert darüber hinaus auch Lösungsansätze für spezifische Fragen. Der Transfer in den beruflichen Kontext muss aber nach wie vor allein vom Kunden geleistet werden.

Standardphasen im 
professionellen Coaching

  1. Beschreibung des Anliegens: Aus Sicht der/des Beteiligten 
(HR, Coachee)
  2. 
Zielformulierung: Aus Sicht der/des Beteiligten (HR, Coachee), von der Ist-Situation zur Soll-Situation
  3. 
Datensammlung: Über den Kontext und die vorhandenen Ressourcen des Coachee
  4. 
Hypothesenbildung («Was hängt wie zusammen?»): Vermutete Zusammenhänge werden dem Coachee zur 
Prüfung präsentiert.
  5. 
Erarbeitung von Lösungsansätzen: VOM Coachee hinsichtlich der 
Anwendbarkeit und Umsetzung 
geprüft.
  6. 
Abschluss: Wertschätzung und 
Würdigung der geleisteten Arbeit.
  7. 
Transfer und Controlling: Besonders dem Transfer soll 
Aufmerksamkeit geschenkt werden, da  erst durch die erfolgreiche 
Implementierung zufriedene Kunden und Auftraggeber resultieren.

 

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Prof. Hansjörg Künzli ist Psychologe und forscht in der Bereichen Coaching, Berufslaufbahnberatung, Kommunikationsberatung und Training.

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