Coworking: Wenn die Grossen teilen lernen
Coworking-Spaces galten lange Zeit als Arbeitsdomizil der Freelance- und Creative-Economy. In letzter Zeit interessieren sich jedoch vermehrt auch Firmen für das Modell. Ein Pilotprojekt von Microsoft und Swisscom in Kooperation mit der Universität St. Gallen hat sich mit diesem Phänomen auseinandergesetzt.
Erfrischend unkonventionell: Im Effinger Coworking Space in Bern wird buchstäblich um die Ecke gedacht. (Bild: Roland Juker www.rolandjuker.ch)
Als Brad Neuberg 2005 in San Francisco den Begriff «Coworking» erfand, war ihm kaum bewusst, dass er damit nicht nur Pate stand für eine neue Arbeitsform, die heute zum Phänomen der Sharing-Economy gezählt wird, sondern dass es um weit mehr als «working alone together»¹ ging. Innert weniger als zehn Jahren ist die Coworking-Bewegung zum Sinnbild einer neuen Wirtschaft geworden, in der sich Arbeit zunehmend von Raum und Zeit entkoppelt. Per Ende 2015 waren von den rund fünf Millionen² Erwerbstätigen in der Schweiz 44 Prozent³ im Bereich der wissensintensiven Dienstleistungen tätig. Die Annahme, dass es sich bei neuen Arbeitsformen wie Coworking um das Privileg einer kleinen Elite handelt, ist daher grundlegend falsch. Die Neuaufteilung der Aufgaben zwischen Mensch und Maschine wird die Frage nach den optimalen Rahmenbedingungen für Wissensarbeiter zudem zusätzlich akzentuieren (siehe Grafik 1).
Mehr als ein Hype
Das Coworking-Fachmagazin Deskmag⁴ zählte per Ende 2016 rund 11 300 Coworking-Spaces weltweit – davon befinden sich ungefähr 80 in der Schweiz, die seit der Gründung des Citizen Space im Zürcher Steinfels-Areal im Jahr 2007 auf der Coworking-Landkarte erscheint. Betrachtet man Coworking nicht nur im engeren Sinne, also als Angebote, die sich an den Werten des Coworking-Manifestos⁵ (siehe Abbildung) orientieren, sondern generell auf Zeit nutzbare Arbeitsplätze, wie sie zum Beispiel auf der Plattform popupoffice.ch zu finden sind, so ist die Anzahl wesentlich höher.
Image «Für Coworking interessieren sich vor allem jene Firmen, die realisieren, dass die alte Bürowelt träge macht.»
Mathias Hasler, Co-Founder und CEO, Popup-Office
Mit ein Grund für das rasante Wachstum ist nicht nur der steigende Anteil an Freelancern und Mikrounternehmen – rund 25 Prozent der Schweizer Erwerbstätigen sind gemäss einer Studie von Deloitte⁶ zumindest im Nebenerwerb selbständig –, sondern auch das zunehmende Interesse von Firmen. Auch wenn bisher nur wenige Firmen ihren Mitarbeitern uneingeschränkt Coworking ermöglichen, so steigt doch der Anteil derer, die mit Coworking-Spaces experimentieren – sei es für Workshops, für bestimmte Projektphasen oder einzelne Teams. Mathias Hasler, Co-Founder und CEO von Popup-Office, präzisiert: «Dafür interessieren sich vor allem jene Firmen, die realisieren, dass die alte Bürowelt träge macht. Es sind auch jene Firmen, die unterschiedliche Geschwindigkeiten und Bedürfnisse ihrer Mitarbeiter zulassen wollen und können.»
Prüfenswertes Alternativmodell
Coworking ist für etablierte Firmen aus drei unterschiedlichen Perspektiven interessant.
- Coworking als alternatives Arbeitsszenario: Firmen ermöglichen ihren Mitarbeitern die Arbeit im Coworking-Space in Ergänzung zu bestehenden Arbeitsorten wie Corporate Office und Homeoffice sowie dem Arbeiten von unterwegs. In der Schweiz tun dies heute beispielsweise Swisscom und Axa Winterthur.
- Coworking als Ersatz für das Corporate Office: Firmen mieten sich in Coworking-Spaces ein und verzichten ganz oder teilweise (zum Beispiel in einer bestimmten Region) auf eigene Büroräumlichkeiten, wie dies beispielsweise Microsoft Schweiz mit dem Nomadspace in Genf macht.
- Coworking als Teil des eigenen Angebots: Unternehmen treten selber als Coworking-Anbieter im Markt auf, indem sie ihre Büros öffnen beziehungsweise Angebote ausserhalb der eigenen Räume schaffen. Vorreiter dieses Szenarios sind beispielsweise das Büro Züri der Zürcher Kantonalbank, das Coworking in Zürich an bester Lage kostenlos anbietet, die Migros mit der Welle 7 in Bern oder Witzig The Office Company mit dem Business-Point in Bern. Auch wenn diese Angebote vermeintlich ähnlich sind, so ist die zentrale Frage, ob eine Durchmischung zwischen den eigenen Angestellten und den Coworking-Gästen stattfindet – denn nur, wenn dies der Fall ist, hat Coworking auch einen Einfluss auf die Unternehmenskultur.
Microsoft Schweiz experimentiert aktuell mit allen drei Szenarien, wie Caroline Rogge, Personalleiterin, ausführt: «Für uns ist Coworking nicht nur spannend als neue Arbeitsform – uns interessieren auch neue Möglichkeiten der Interaktion mit Kunden, Partnern und Entwicklern. Wenn man heute den Hauptsitz von Microsoft Schweiz betritt, sind von den sechs Stockwerken drei komplett offen. Unser Büro ist längst nicht mehr nur unser Büro, sondern quasi ein offenes Ökosystem. Mit dem im November 2016 eröffneten Coworking-Space in unserem Büro konkurrieren wir aber nicht mit bestehenden Coworking-Angeboten – wir sehen es mehr als Zeichen der Öffnung und als Experimentierfeld.»
Image «Unser Büro ist längst nicht mehr nur unser Büro, sondern quasi ein offenes Ökosystem.»
Caroline Rogge, Personalleiterin, Microsoft Schweiz
L’Expédition Co-Création
Apropos Experimentierfeld: Die Idee für das Pilotprojekt «L’Expédition Co-Création» entstand aus der Not heraus: Microsoft Schweiz musste beim Umzug in neue Räumlichkeiten in Genf aufgrund einer Bauverzögerung plötzlich vier Monate ohne Bürogebäude überbrücken. So kam die Idee auf, diese Situation für ein Experiment zu nutzen. Um Erkenntnisgewinn und Lerneffekt zu vergrössern, suchte sich Microsoft einen Reisegefährten und rannte bei Swisscom, die mit BrainGym und Pirates Hub bereits mehr Erfahrung hatte mit Coworking, offene Türen ein. Die Zusammenarbeit mit Popup-Office stellte eine einfache Abwicklung zur Auswahl, Buchung und Abrechnung der Spaces sicher.
Die wichtigste Erkenntnis vorneweg: Mit durchschnittlich 2,9 Coworking-Space-Besuchen pro Person innerhalb der vier Monate und einer Verweildauer von jeweils rund 3,6 Stunden lag die Nutzung durch die Pilotteilnehmer auf einem äusserst tiefen Niveau – und dies, obwohl sämtliche Teilnehmer freiwillig, also mehrheitlich aus persönlichem Interesse, am Pilotprojekt teilnahmen (siehe Grafik 2). In Anbetracht der sehr geringen Nutzung durch die Pilotteilnehmer und der damit verbundenen tiefen Kosten könnte man auch folgern, dass Coworking ein sehr preiswertes Signal für Veränderungen (nach innen) beziehungsweise ein verhältnismässig günstiges Employer-Branding-Symbol (nach aussen) darstellt.
Image «Unser Coworking-Space Pirates Hub erlaubt es uns, aus Gewohnheiten und Mustern auszubrechen.»
Ruggero Crameri, Work Smart Coach, Swisscom
Nebst Chancenfeldern identifizierte die Studie auch Herausforderungen und Negativfaktoren. Die meisten bezogen sich auf die fehlenden Rückzugsmöglichkeiten und die damit verbundenen Bedenken punkto Datenschutz und Vertraulichkeit. Auch das Thema Konzentration und Lärmemissionen waren wichtige Aspekte. Zwar fühlten sich die Pilotteilnehmer kaum durch die anderen Coworker gestört – im Vergleich zum Büro ist man auch selten direkt angesprochen oder betroffen –, die meisten fühlten sich jedoch unwohl dabei, wenn sie Telefongespräche und virtuelle Meetings in der offenen Fläche abhielten. Letzteres ist ein Arbeitsszenario, auf das die meisten Coworking-Spaces nur ungenügend vorbereitet sind, da die Vernetzung und Kommunikation und nicht die Abschottung im Vordergrund stehen.
In der Literaturrecherche zu Coworking sowie den Gesprächen mit den 25 Pilotteilnehmern kristallisierten sich die vier folgenden Chancenfelder heraus:
Vernetzung: Im Zusammenhang mit Coworking fällt immer wieder der Begriff «assisted serendipity», der für «geförderte zufällige Entdeckungen» steht und daher aus Sicht des betrieblichen Innovationsmanagements von grossem Interesse ist. Die Vernetzung von Unternehmen mit Coworking Communities ist nicht nur hinsichtlich der Innovationsfähigkeit relevant, sondern auch, was die Weiterentwicklung der Unternehmenskultur betrifft.
Boundary Management: Coworking ist besonders interessant für Mitarbeitende, die gerne flexibel arbeiten möchten, aber das Bedürfnis haben, Arbeit und Privatleben zu trennen. Diesen sogenannten «Separierern» bietet Coworking die Möglichkeit, zeitliche und räumliche Arbeitsflexibilität auszuüben, ohne dass dies automatisch zu einer Vermischung von Arbeits- und Privatleben führt.
Flexibilität und Effizienz: Coworking bietet neue Möglichkeiten für die Optimierung der Raumnutzung. So ist beispielsweise denkbar, dass das Corporate Office nur auf eine durchschnittliche Belegung ausgerichtet ist und in Spitzenzeiten oder für die Abwicklung von Spezialprojekten auf Coworking Spaces ausgewichen wird, wo nur die tatsächlich genutzte Fläche respektive Zeit in Rechnung gestellt wird. Eine weitere interessante Nutzung von Coworking-Spaces ist, sie als Provisorien, etwa während des Um- oder Ausbaus des Corporate Office, heranzuziehen.
Signalwirkung: Firmen, die ihren Mitarbeitenden Coworking ermöglichen, senden damit auch starke Signale aus, dass Arbeits- und Führungskultur im Umbruch sind. Wurde das Arbeiten ausserhalb des Corporate Office bis vor kurzem noch von vielen Unternehmen lediglich toleriert, setzt die Option des Coworking ein klares Zeichen Richtung Output-Orientierung – dies im Gegensatz zu einer präsenzorientierten Führungskultur.
Denker trifft auf Netzwerker
In den Gesprächen mit den Pilotteilnehmern überraschten die Studienautorinnen die äusserst unterschiedlichen Verhaltensmuster und Erwartungen. Suchten die einen im Coworking primär den Rückzug und versuchten, eine ambitionierte Taskliste abzuarbeiten, gingen andere in die Coworking-Spaces, um sich von der andersartigen Umgebung und neuen Menschen vor Ort inspirieren zu lassen. Dieses Spannungsfeld – Inspiration versus Abschottung – wurde mit dem Untertitel der Studie «Serendipity-Biotop oder Fluchtort» festgehalten oder, wie es ein Teilnehmer auf den Punkt brachte: «Coworking ist toll – da habe ich Ruhe vor dem Chef und der Familie.» Stehen beim Szenario Rückzug eher die Themen Boundary Management, Produktivität und Stressbewältigung im Vordergrund, geht es bei der Vernetzung eher darum, ausserhalb der Firmengrenzen auf neue Ideen und Menschen zu treffen.
Beide Szenarien stellen für Firmen unbestritten einen Mehrwert dar. Um jedoch einen möglichst grossen Nutzen zu erzielen, ist es wichtig, dass Firmen sich im Klaren sind, was sie suchen. Die Studie identifizierte vier unterschiedliche Typen basierend auf den Achsen «Rückzug versus Vernetzung» sowie «Inspiration versus Effizienz» und leitete daraus Handlungsempfehlungen ab, etwa für das Community Management im Coworking-Space oder die räumliche Ausstattung (siehe Grafik 3).
Veränderungen brauchen Zeit
Damit sich die aus Unternehmenssicht gewünschten Nutzeffekte einstellen, ist die Einführung von Coworking sowohl durch die Unternehmen selber als auch durch die Coworking-Spaces gut zu begleiten, insbesondere was den Aspekt der Vernetzung mit der Community und damit indirekt die Förderung von zufälligen Entdeckungen betrifft.
Dass es aus Unternehmenssicht bei Coworking nicht um neue Räume, sondern vielmehr um den eigenen Wandlungsprozess geht, unterstreicht auch Ruggero Crameri, Work Smart Coach bei Swisscom: «Mit unserem Pirates Hub unterstützen wir die besten Start-ups Europas dabei, ihre Geschäftsideen und Visionen soweit zu schärfen, dass wir sie in neue Angebote für unsere Kunden integrieren können. Dies erlaubt es uns, aus Gewohnheiten und Mustern auszubrechen. Somit können wir ganz neue Ansätze in einem höchst komplexen Markt etablieren und auch unseren eigenen digitalen Wandel weiter vorantreiben.»
Image «Das Büro ist Ort der Identifikation mit dem Unternehmen – eine Art gemeinsamer Hafen.»
Danny Schweingruber, Leiter Akademie, Witzig The Office Company
In einem waren sich sämtliche Pilotteilnehmer einig: Coworking soll eine Ergänzung und nicht Ersatz für das Corporate Office sein. Gerade aufgrund der zunehmenden Flexibilisierung der Arbeit gewinnt das Büro als Gravitationszentrum an Bedeutung. So bringt es etwa Danny Schweingruber, Leiter Akademie bei Witzig The Office Company, auf den Punkt: «Das Büro ist mehr als ein Arbeitsort. Es ist der Ort der Identifikation mit dem Unternehmen – die Unternehmenskultur wird erleb- und sichtbar. Wir sehen das Büro als eine Art gemeinsamen Hafen.»
Coworking-Studie
Die vollständige Studie, die am Lehrstuhl von Prof. Dr. Andrea Back, Institut für Wirtschaftsinformatik der Universität St. Gallen, im Auftrag von Microsoft Schweiz, Swisscom und Witzig The Office Company gemeinsam mit den Partnern Popup-Office, Swico und Coworking Switzerland durchgeführt wurde, kann unter folgendem Link heruntergeladen werden: aback.iwi.unisg.ch/kompetenz/coworking-studie/
Quellen:
¹ Siehe Titelartikel Clay Spinuzzi: «Working Alone Together: Coworking as Emergent Collaborative Activity»
² Bundesamt für Statistik Schweiz
³ http://appsso.eurostat.ec.europa.eu/nui/show.do?dataset=htec_kia_emp2&lang=de
⁴ http://www.deskmag.com/de/coworking-prognose-statistik-mehr-als-1-million-menschen-arbeiten-2017-in-coworking-spaces
⁵ http://coworkingmanifesto.com/
⁶ https://www2.deloitte.com/ch/de/pages/consumer-business/articles/workplace-of-the-future.html