Cultural-Fit-Recruiting

Die richtigen Leute zu gewinnen gleicht einer Gratwanderung. Die Mannschaft soll eine hohe Diversität aufweisen, um innovativ und wettbewerbsfähig zu bleiben, irgendwie muss aber auch alles «unter einen Hut» passen. Deshalb wird Cultural-Fit-Recruiting zunehmend bedeutender.

Wenn es gelingt, die Unternehmenskultur abzubilden und Bewerber auf diese zu matchen, können Kandidaten eingestellt werden, die wirklich zum Unternehmen und der strategischen Marschrichtung passen. So wird die Fähigkeit der Organisation verbessert, komplexe Probleme zu lösen und im Wettbewerb zu bestehen. Es gibt ein Modell, das tiefenpsychologische Wurzeln hat, sich aber auch für die Team- und Organisationsentwicklung eignet: Das Riemann-Thomann-Modell.

Entstehung und Aufbau

Wir alle erlebten in der Corona-Zeit, wie Angst das menschliche Verhalten beeinflusst. Fritz Riemann belegte schon 1961 in seiner Studie und dem gleichnamigen Buch «Grundformen der Angst», dass unser Verhalten von vier grundlegenden Ängsten geprägt wird. In kritischen Situationen prägt unser individuelles Verhältnis zu den beiden Dimensionen Raum und Zeit unsere Werte, Paradigmen und unser Verhalten. Nachdem der Ansatz über 25 Jahre im klinischen Bereich verwendet wurde, überführte ihn Christoph Thomann 1988 in die Beratung und entwickelte das Riemann-Thomann-Modell.

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Aus der Orientierung in Raum und Zeit ergeben sich zwei Achsen mit je zwei Polen. Diese beschreiben vier verschiedene Strebungen, denen Menschen folgen. Wichtig: Wir alle streben zu jedem der vier Pole, allerdings unterschiedlich stark. Je extremer die Ausrichtung zu einem Pol, desto grösser ist zwar das Potenzial in diesem Bereich, aber auch das Konfliktpotenzial mit anderen Bereichen.

Nähe und Distanz

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Ich kann mich mit anderen verbinden und gemeinsam etwas schaffen, oder mich zurückziehen und mein eigenes Ding machen. Nähe-orientierte Menschen suchen Harmonie.  Sie sind selbstlos, verständnisvoll, warmherzig, aber auch konfliktscheu, anhänglich und haben Schwierigkeiten, «Nein» zu sagen. Distanzorientierte Menschen legen Wert auf Unabhängigkeit. Sie sind selbständig, intellektuell, konfliktfähig, aber auch kühl, unpersönlich und nur bedingt teamfähig.

Dauer und Wechsel

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Ich kann Stabilität und Sicherheit anstreben oder mich dem Fluss des Lebens hingeben und einfach das Beste aus der Situation machen. Dauerorientierte Menschen bevorzugen Regeln und klare Strukturen. Sie sind verlässlich und bodenständig, können aber zur Risikoscheu, Prinzipienreiterei und Kontrollsucht neigen. Wechselorientierte Menschen mögen Abwechslung und Neues. Sie sind kreativ und improvisieren gerne, neigen aber zu Unzuverlässigkeit und Oberflächlichkeit.

Drei Schritte zum Cultural-Fit-Recruiting

Um neue Mitarbeiter passend zur bestehenden Kultur zu rekrutieren, muss zunächst die aktuelle Kultur bekannt sein. Dabei fällt der erste Blick auf den Unternehmer. Seine Persönlichkeit, Werte und Vorstellungen prägen das Unternehmen und das Verhalten seiner Mitarbeitenden. Wurde er verortet, folgen die Führungskräfte und das kulturprägende Feld des Unternehmens wird sichtbar. Wichtig: Es geht hier nicht um Gleichmacherei, wäre alles deckungsgleich, fehlten die nötige Diversität und Reibung, aus denen Neues entstehen kann.

Es ist richtig, wenn eine Führungskraft vom Unternehmer abweicht. Die verschiedenen Abteilungen verfolgen unterschiedliche Aufgaben und Ziele. Ist der Unternehmer beispielsweise ein dynamischer, innovativer Wechsel-Typ, dann gleicht ihn der konservative Dauer-Typ aus dem Finanzwesen aus und hilft, den Betrieb zusammenzuhalten, während der kuschelige Dauer-Nähe-Kollege aus dem HR dafür sorgt, dass es nicht zu frostig oder flatterhaft wird. An dieser Stelle wird deutlich, dass jeder Bereich im Unternehmen sein typisches Heimatgebiet im Modell hat. Ist man sich dessen bewusst, fällt es leichter, neue Mitarbeitende passend zu ihrer Aufgabe im Betrieb zu rekrutieren und weniger nach Sympathie und Ähnlichkeit, wie das sonst allzu oft der Fall ist.

Im dritten Schritt werden die Mitarbeitenden der verschiedenen Abteilungen verortet und so die Teamfelder/Subkulturen der Organisation abgebildet. Damit ist die Ebene des täglichen Miteinanders erfasst und neue Bewerber können passend zum Unternehmer, zum Charakter ihrer Abteilung, zum Team-Feld und ihrer direkten Führungskraft ausgewählt werden.

Fazit

Cultural-Fit-Recruiting mit dem Riemann-Thomann-Modell ersetzt nicht das Matching der fachlichen Qualifikation. Es ergänzt dieses und verschafft einen Einblick in die Zwischentöne und die tieferliegende Veranlagung der Bewerber. Ein weiterer Vorteil: Neben dem oben beschriebenen Abgleich, kann es Aspekte der Team- und Organisationsentwicklung integrieren, die bei der Entwicklung über die Zeit auftreten.

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Christian Bernhardt ist Dozent für non-verbale Kommunikation und Kommunikationspsychologie. Er hält Vorträge und Trainings zu den Themen Recruiting und Kommunikation und berät Unternehmen in Deutschland und der Schweiz.

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