«Culture eats Strategy for Breakfast»
Das Thema Kultur wurde an VR-Sitzungen häufig vernachlässigt und wie andere «HR-Themen» an das Management delegiert. Aufgrund aktueller Wirtschaftsskandale haben die Aufsichtsbehörden dieses Thema als Pflichttraktandum auf die VR-Agenda gesetzt, weshalb der VR dringend Kulturkompetenzen benötigt.
Es braucht dringend mehr Kulturkompetenzen. (Bild: iStock)
Das vergangene Jahr begann mit einem wirtschaftlichen Paukenschlag: Professor Bruno Gehrig, der von der Raiffeisen Bank eingesetzte unabhängige Lead Investigator, veröffentlichte einen Untersuchungsbericht zur Diversifikationsstrategie der Raiffeisen Schweiz. Als eine der zentralen Schwachpunkte der Bank bezeichnete er die damals vorherrschende «Kultur des vorauseilenden Gehorsams». Damit wurde klar: Erstens gilt auch hierzulande die Kultur als wichtiger Ansatzpunkt in der Unternehmensführung und zweitens kommt Verwaltungsräten dabei eine wichtige Rolle zu.
Unternehmenskultur – eine Annäherung
Die Kultur eines Unternehmens zeigt sich im vorherrschenden, oft unausgesprochenen und ungeschriebenen, Verhalten der Führungskräfte und Mitarbeitenden. Sie ist geprägt von Werten, Überzeugungen, Annahmen und Haltungen, die sich über Jahre, oft Jahrzehnte eingebürgert haben.
Als Teil der normativen Managementebene¹, lässt sich die Unternehmenskultur im Gegensatz zum strategischen, beziehungsweise operativen Management nur schwer umreissen. Gleichwohl bildet sie das kontextuelle Fundament für eine erfolgreiche Unternehmensführung. Verschiedene «harte» (sachlogische) und «weiche» (psychologische) Stellhebel helfen, die Unternehmenskultur zu beeinflussen. Diese müssen aufeinander abgestimmt angewendet werden, wenn die Kultur in eine gewünschte Richtung entwickelt werden soll.
In der Vergangenheit gab es für Organisationen drei Auslöser, ihre Kultur zu verändern: neue Unternehmensstrategien, Unternehmenstransaktionen (Zu- und Verkauf von Unternehmen) und sich verändernde Mitarbeiterbedürfnisse (Stichwort «Millennials»). So dominant diese Auslöser sein mochten, es lag letztlich immer im Ermessen des Managements, aufgrund dieser Faktoren die Kultur anzupassen oder nicht. Heute kommt ein neuer entscheidender Auslöser hinzu: Auflagen von Aufsichtsbehörden und privatwirtschaftlichen Governance-Gremien. Damit wird die Unternehmenskultur schlagartig zum Pflichtthema des VR.
Kultur unter «Varia» in VR-Sitzung
Der Regulator, insbesondere die Finma², hat in den «toxischen» Unternehmenskulturen einen der Hauptgründe für die Finanz- und Firmenskandale der letzten Jahre ausgemacht. Diesen müsse ein Riegel vorgeschoben werden, so die Aufsichtsbehörde, und der VR als oberstes Führungsgremium sei diesbezüglich in die Pflicht zu nehmen. Eine aktuelle Studie bestätigt diese Ansicht: So gaben in einer aktuellen PwC-Studie 29 Prozent der befragten Verwaltungsräte in den USA an, dass der Mangel an Kontrolle seitens des VR zu Problemen bei der Unternehmenskultur geführt habe.³
In der Vergangenheit haben sich Verwaltungsräte mit dem Thema Kultur aus folgenden Gründen schwergetan:
- Der grösste Hebel für die Kulturentwicklung liegt beim CEO und dem Management. Sie definieren grösstenteils, wie die Kultur umgesetzt wird. Bestenfalls leben sie diese täglich vor. Weil das Management als Haupttreiber der Kultur angesehen wird, nimmt der VR diesbezüglich tendenziell eine eher reaktive Rolle ein.
- VR-Mitglieder verlassen sich oft auf das Management, wenn es um Informationen zur Unternehmenskultur geht. Sie erachten sich als VR vom Tagesgeschäft zu weit entfernt, um eine gute Perspektive der Unternehmenskultur zu bekommen. Der Kontakt zu Mitarbeitenden ist rar und das Thema Kultur wird selten angesprochen.
- Es mangelt im VR oft an Kulturkompetenz. Die VR-Mitglieder haben dieses Thema während ihrer exekutiven Karriere zum Teil selbst vernachlässigt oder stammen aus einem Fachexperten-Umfeld (Compliance, Finanz- & Rechnungswesen), in dem die Kultur eine weniger tragende Rolle gespielt hat.
Handlungsoptionen des VR
Der Verwaltungsrat kann eine Unternehmenskultur auf unterschiedliche Weise beeinflussen. Dabei ist er auf die Mitwirkung des HR angewiesen, denn die HR Kompetenz im VR ist nach wir vor tief.⁴
- Unternehmerische Erfahrung in einem kulturgeprägten Unternehmen: Das beste Mittel, um herauszufinden, ob sich jemand intensiv mit dem Thema Kultur auseinandergesetzt hat, ist eine möglichst grosse Exekutiv-Arbeitserfahrung in einem Umfeld, das von einer starken positiven Kultur geprägt ist. Diese Sozialisierung und Affinität können gut in ein neues Umfeld übertragen werden. Ein solcher VR-Kandidat weiss, wie Kulturen entwickelt werden und wo Stolpersteine liegen und ist somit ein geeigneter Sparringpartner für das Management.
- «Tone at the top» beginnt beim VR: Das zeigt eine kürzliche Studie von swissVR, bei der fast 70 Prozent der 204 befragten VR-Mitglieder sagten, dass das Vorleben der Kultur und der Unternehmenswerte der obersten Führungsgremien (inklusive VR) die beste Möglichkeit sei, um die Unternehmenskultur zu beeinflussen.⁵ Der VR solle die gewünschte Kultur nicht nur kennen, sondern aktiv kommunizieren und mit dem Management in seinem Handeln gegenüber den Mitarbeitenden konsistent vorleben.
- Erfahrung mit Kultur-Assessments: Auch wenn VR-Mitglieder nur «Teilzeit» im Unternehmen sind, sollten sie jeden Besuch im Unternehmen nutzen, um sich ein Bild der Organisation und deren Kultur zu machen. Kulturbeurteilungen können unterschiedlich durchgeführt werden. Die einfachste Form ist ein sogenannter Culture oder Ethno Walk.
Durch Beobachtungen und Gespräche mit Führungskräften und Mitarbeitern können VR-Mitglieder eigene Eindrücke sammeln. Etwa über Artefakte (Wie unterstützen Büroräumlichkeiten die gewünschte kollaborative Kultur?), Verhalten (Wie geht man mit Kunden um?) und Haltungen (Welche Meinungen über andere Abteilungen sind vorherrschend?). Des Weiteren können Workshops zum Thema Unternehmenskultur, an denen VR-Mitglieder teilnehmen, oder auf Fragebogen basierende Kultur-Assessments durchgeführt werden.
Das HR kann den VR dabei aktiv unterstützen. Deshalb gehören Kultur-Assessments auch zur Pflichtkompetenz von HR-Leitern der jungen Generation. Im Vordergrund steht dabei nicht die projekttechnische Abwicklung. Vielmehr braucht der VR Unterstützung bei der inhaltlichen Durchdringung, bei der Offenlegung von Zusammenhängen und Abhängigkeiten sowie bei der Erarbeitung möglicher Lösungsansätze.
- Kultur-Dashboard: Unternehmen, die ernsthaft an ihrer Kultur arbeiten, belassen es nicht bei Lippenbekenntnissen. Sie definieren über alle Managementebenen hinweg klare Massnahmen und verfolgen diese mit qualitativen und quantitativen Kennzahlen. Der VR sollte deshalb mit dem Management ein gemeinsam definiertes Kultur-Dashboard pflegen und dieses regelmässig detailliert besprechen. Klargestellt werden sollte, welche Ergebnisse erwartet werden und welchen Beitrag das Management und der VR zu leisten haben. Das HR kann den VR unterstützen, geeignete Messzahlen zu identifizieren. Wichtig ist jedoch, sich nicht nur auf einfach zu messende Kennzahlen zu stützen, sondern auch auf solche, die relevante Aussagen über die tatsächlich gelebte und erlebte Kultur im Unternehmen zulassen.
- Externe Inputs: Hilfreich bei der Kulturbeurteilung sind die ungefilterten Meinungen von Kunden, Zulieferern und Aufsichtsbehörden. Diese sind unbefangen und können ein unabhängiges Kulturbild des Unternehmens abgeben. Sie sind in täglichem Kontakt mit dem Unternehmen und erfahren die gelebte Kultur direkt. Diese externe Sicht ist für die Validierung der internen Informationen nützlich. Eine weitere Quelle sind Social-Media-Plattformen oder anspruchsvollere Risk Sensing Tools, die Informationen darüber liefern, wie das Unternehmen von Mitarbeitenden und anderen Stakeholdern gesehen wird und wie die Reputation des Unternehmens ist.
- Verknüpfung mit Führungsprozessen: Managementvergütung, Nachfolgeplanung, Performance Management und Rekrutierung sind einige der wichtigsten HR-Führungsprozesse, mit denen die Unternehmenskultur zwingend zu verknüpfen ist. Es geht dabei darum, wirkungsvolle Anreize für Mitarbeitende zu schaffen, sich kulturkonform zu verhalten. Dies ist nicht trivial und bedarf einer grossen Erfahrung. Um die Kultur in allen relevanten Prozessen zu verankern und mittels Dashboards deren Fortentwicklung zu messen, kann das HR zusammen mit dem VR eine wichtige Funktion übernehmen.
Beurteilen der Kulturkompetenz
Aufgrund des Drucks der Aufsichtsbehörden aber auch wegen der Überzeugung, dass die Kultur einem Unternehmen wesentliche Wettbewerbsvorteile verschafft, wird die Kulturkompetenz ein immer wichtigeres Selektionskriterium bei der Auswahl von VR-Mitgliedern. VR-Kandidaten müssen bei der Entwicklung von Unternehmenskulturen einschlägige Erfahrungen vorweisen. Es reicht nicht mehr aus, darauf zu hoffen, dass sich die Kulturkompetenz schon einstellen wird, wenn sie (im Krisenfall) gefragt ist.
Mittels erfahrungsbasierter Interviews, die an Simulationsübungen gekoppelt sind, kann ein akkurates Bild entstehen, wie hoch die Kulturkompetenz eines VR-Mitglieds ist. Es ist jedoch nicht zielführend, dem VR-Selektionsprozess ein Kulturmodul anzufügen. Dieser muss als Ganzes neu durchgedacht, konzipiert und professionell unterstützt werden. Kultur ist kein diskretionäres Element der Führung, sondern muss in allen unternehmerischen Interaktionen spür- und erlebbar sein. VR-Gremien tun gut daran, sich intensiv mit diesem Aspekt der Governance auseinanderzusetzen, sich eine entsprechende Erfahrung anzueignen oder geeignete VR-Mitglieder zu rekrutieren. Gouverner, c’est prévoir.
Quellen:
- ¹ St. Galler Management-Modell
- ² FINMA-RS 17/1 «Corporate Governance – Banken»
- ³ PwC: The collegiality conundrum – Finding balance in the boardroom, 2019
- ⁴ J. Yo-Jud Cheng, B. Groysberg: Innovation Should Be a Top Priority for Boards. So Why Isn’t It?, Harvard Business Review, 21. September 2018
- ⁵ swissVR Monitor I/2019: Unternehmenskultur als Wettbewerbsvorteil, Februar 2019