«Das HR-Bashing geht mir auf den Sack»
Nach 30 Berufsjahren im öffentlichen Verkehr – zunächst bei den SBB und später bei den Verkehrsbetrieben der Stadt Zürich (VBZ) – hat sich Personalmarketing-Rebell Jörg Buckmann selbständig gemacht. Ein Gespräch über den Seitenwechsel, Muhammad Ali und die Zukunft der HR-Disziplin.
Jörg Buckmann hat soeben ein neues Buch herausgebracht: «Personalmarketing to go». (Bild: zVg)
Herr Buckmann, Sie haben sich per 1. November 2015 selbständig gemacht. Vermissen Sie die VBZ und die Sicherheit eines halbstaatlichen Beamtenjobs?
Jörg Buckmann: Ja und nein. Ich habe acht Jahre bei den VBZ gearbeitet. Und zuvor mein ganzes Arbeitsleben bei den SBB verbracht. Ich verlasse also nach insgesamt 30 Jahren die Welt des öffentlichen Verkehrs. Das ist schon eine Umstellung. Ich habe mich aber schnell an meine neue Funktion als selbständiger Berater gewöhnt. Die Selbstausbeutung hat schlagartig zugenommen. Ich arbeite oft von Montag bis Sonntag, kann mir dafür aber auch mal ohne schlechtes Gewissen spontan einen freien Tag mit meiner Frau gönnen. Die grösste Änderung ist sicher die finanzielle Sicherheit, die wegfällt. Eines jedoch bleibt unverändert: Ich war vorher Praktiker und verstehe mich auch heute noch als Praktiker, auch wenn ich die Seite gewechselt habe.
Warum haben Sie sich in die Selbständigkeit gewagt?
Ich fühlte mich ganz einfach reif für diesen Schritt. In letzter Zeit kamen immer mehr Anfragen für Vorträge, Workshops und auch für Beratungsdienstleistungen. Das machte mir riesigen Spass, liess sich aber immer weniger gut in meiner Freizeit unterbringen. Dann entschlossen sich die VBZ, HR dem Finanzbereich zu unterstellen. Ich respektiere diesen Entscheid, wollte ihn aber nicht mittragen, ich finde ihn grundfalsch. Jetzt musste ich also in meiner eigenen, ganz persönlichen Angelegenheit Frechmut beweisen. Kurze Zeit glaubte ich, zu alt für das Abenteuer Selbstständigkeit zu sein. Meine 100-Tage-Bilanz zeigt mir nun das Gegenteil: Die grosse Berufserfahrung ist mein Asset, mein Auftragsbuch ist gut gefüllt.
Zur Person
Jörg Buckmann (46) wird 1969 als viertes Kind in eine «Büezerfamilie» hineingeboren und wächst behütet als Nachzügler in Uzwil auf. Sein Vater arbeitet im gleichen Dorf in der Maschinenfabrik Bühler, seine Mutter ist Hausfrau.
1985 tritt Buckmann bei der SBB eine Bahnbetriebsdisponenten-Lehre an. In der Allrounder-Ausbildung kommt er auch mit Marketing und Verkaufsförderung in Berührung und lernt früh, Verantwortung zu übernehmen. Im dritten Lehrjahr ist er am Bahnhof Egnach für den Früh- und Spätdienst zuständig. 27-jährig wechselt er – inzwischen Vater geworden – «vom Gleis ins Büro» und tritt in Zürich als «kleiner Sachbearbeiter» in den Personaldienst der SBB ein. Er bildet sich weiter zum HR-Fachmann und Personalleiter, macht ein Nachdiplomstudium FH. Nach diversen HR-Funktionen wird Buckmann 2004 Leiter Personalpolitik von SBB Personenverkehr.
2007 wechselt er als Leiter Personalmanagement zu den Verkehrsbetrieben Zürich (VBZ), wo er während acht Jahren wirkt und neben legendären Personalmarketing-Kampagnen sich auch als Dozent und Vortragsreisender einen Namen macht. Im November 2015 wagt er mit seiner Firma «Buckmann Gewinnt» den Schritt in die Berater-Selbständigkeit. Nebenbei ist er ein engagierter Blogger – auch für HR Today – und Co-Organisator des ersten HR Barcamps in Zürich. Jörg Buckmann ist Vater zweier erwachsener Töchter und 2015 erstmals Grossvater geworden.
Wie fühlt es sich an, selbständig zu sein?
Es ist ein hammergutes Gefühl. Ich schätze es unglaublich. Ich stehe oft um fünf Uhr morgens auf und arbeite von zu Hause aus, dann gehe ich direkt zum Kunden oder ins Büro: Ich habe einen Arbeitsplatz bei Condor Film im Seefeld mitten in Zürich, wo ein Co-Working-Space mit sehr lebendigem Start-up-Spirit entstanden ist. Es herrscht dort ein unkomplizierter unternehmerischer Geist, der mir sehr entspricht. Zudem reise ich viel. Ich habe keine Meetings mehr, die nichts bringen, keine Protokolle mehr und auch die Bürokratie ist weniger geworden – ausser wenn ich es mit Einkäufern zu tun habe (lacht). Ebenso fallen gewisse Etiketten weg. So kann ich auch mal unrasiert im Büro erscheinen. Und auch die ganzen Tratschereien und Machtspielchen fallen plötzlich weg. Das empfinde ich als grosse Bereicherung. Zudem habe ich in den letzten Jahren meine Lust am Schreiben wiederentdeckt. Damit habe ich eine Nische gefunden, in der ich aufgehen konnte und die ich mit meiner Selbständigkeit weiter vertiefen möchte.
Apropos Schreiben: Im Januar ist im Springer Verlag Ihr neues Buch «Personalmarketing to go» erschienen. Was darf man nach Ihrem Bestsellerdebüt «Personalgewinnung mit Frechmut und Können» mit 2000 verkauften Exemplaren von Ihrem zweiten Werk erwarten?
Das Buch ist eine Herzensangelegenheit. Ich will damit zeigen, dass Employer Branding und Personalmarketing gar nicht so kompliziert sind. Das Buch liefert keine verkopften Ideen, sondern ist bewusst sehr praxisnah gehalten. Mit vielen konkreten erfolgserprobten Beispielen von Firmen von Lidl über die Baloise bis hin zu Schindler oder dem Kinderspital Zürich. Es ist ganz klar als Inspirationsquelle gedacht und verbunden mit der Aufforderung: Macht das doch nach, es ist so einfach! Es war immer mein Traum, ein Fachbuch zu schreiben, worin man zehn Minuten blättern und etwas für seinen Berufsalltag rausziehen kann, ohne dass dafür übergrosse Konzentration nötig ist. Das passt auch zu meiner Geschäftsphilosophie: Ich will konkrete, praxisnahe Tipps geben, die sich leicht umsetzen lassen. Deshalb auch das populäre «to go» im Titel.
Sie ziehen im Vorwort eine Analogie zwischen den Eigenschaften, die es für gutes Personalmarketing braucht und den Talenten von Muhammad Ali. Wie soll man das verstehen?
Boxen fasziniert mich. Das habe ich wohl von meinem Vater geerbt. Er hat frühmorgens die grossen Boxkämpfe live am Fernsehen verfolgt und manche wohl auch auf dem Sofa verschlafen. Ich finde Muhammad Ali eine spannende Persönlichkeit. Er hatte immer seine eigene Haltung, eckte auch immer wieder mal an und wollte nicht bei allen beliebt sein. So verlor er etwa seine Boxlizenz, weil er sich weigerte, als Soldat nach Vietnam zu gehen. Boxen hat ausserdem viel mit Showbusiness zu tun – und insofern auch mit Personalmarketing. Zudem habe ich mit zwei Partnern aus einer Bieridee heraus eine Personalmarketing-Workshop-Box entwickelt, die sich «Buckmann boxt» nennt.
Apropos Anecken und Showbusiness: Mit Ihren zahlreichen Bloggertätigkeiten und Auftritten als Referent an HR-Veranstaltungen sind Sie als scharfzüngiger «Hansdampf in allen Gassen» bekannt. Wie gehen Sie mit dem Vorwurf um, ein notorischer Selbstdarsteller zu sein?
Es ist sicher so, dass mich nicht jeder toll findet und mich manche Leute für arrogant halten. Das lässt mich auch nicht kalt. Jeder möchte geliebt und anerkannt werden. Das gilt auch für mich. Aber wenn man so viel Visibilität in Anspruch nimmt und sich auch mal aus dem Fenster lehnt – so wie ich – dann muss man mit solchen Reaktionen umgehen können. Das ist Teil des Geschäfts und gelingt mir mit zunehmendem Alter auch immer besser.
Sie haben bekanntlich den Begriff «Frechmut» geprägt. Wo verorten Sie den Ursprung Ihres Frechmuts? Waren Sie eigentlich ein freches Kind?
Nein. Ich war sehr angepasst. Ich hatte auch in der Schule keinerlei Probleme gemacht oder gehabt – ausser mit Fräulein Uhlmann, mehr von ihr im neuen Buch. Der Begriff «Frechmut» ist aus dem Ärger entstanden, dass im HR so viel gejammert wird. Gerade in der Personalwerbung wird noch zu oft nach Ausreden gesucht. Angesichts der Herausforderungen, die auf HR zukommen, braucht es aber definitiv mehr Mut. Was mir andererseits ebenfalls auf den Sack geht, ist das ewige HR-Bashing. HR-Verantwortliche haben eine anspruchsvolle Rolle: Sie sind in einer Art «Amboss-Funktion» zwischen Management und Mitarbeitenden, müssen Prozesse kennen und im Arbeitsrecht sattelfest sein, die Lohnabrechnung beherrschen und gleichzeitig kommunikativ und kreativ sein, das ist ein veritabler, ja fast unmöglicher Spagat.
Fordern Sie eine stärkere Spezialisierung auf einzelne HR-Disziplinen?
Das gibt es in vielen Bereichen schon. Allerdings gibt es kaum Personaler mit einem Marketing-Hintergrund. Der typische Personaler ist Psychologe, Jurist oder hat eine HR-Karriere durchlaufen. Die Bedeutung von Personalmarketing nimmt zu, gemessen an der hohen Wichtigkeit sind Leute mit Marketingkompetenz aber noch zu wenig im HR vertreten.
Aufgrund der inzwischen fast schon legendären VBZ-Recruiting-Kampagnen gelten Sie als Pionier und Innovator des Personalmarketings und auch der klassischen Stellenanzeige. Doch wie viel Buckmann steckt in diesen Kampagnen wirklich, die mit der Werbeagentur Ruf Lanz entstanden sind?
Es steckt unterschiedlich viel Buckmann drin. Ich durfte in meinem Job bei den VBZ ein breites Themenfeld beackern. Und ich hatte das grosse Glück, Mitarbeitende gehabt zu haben, die sich verlässlich um HR-Kernprozesse wie etwa die Payroll oder Personalentwicklung gekümmert haben. Das hat mir Zeit freigeschaufelt, mich um den Bereich zu kümmern, der mir am meisten Freude macht – nämlich alles, was im weitesten Sinn mit Werbung zu tun hat. So konnte ich namentlich in der Personalwerbung Akzente setzen und mutige Kampagnen realisieren. Eine solche Kampagne ist immer Teamarbeit: Zuallererst braucht es einen Chef, der unterstützt und fördert – was zum Glück der Fall war. Und eine gute Werbeagentur ist ebenfalls Gold wert. Die berühmte Frauen-Kampagne zum Beispiel geht sicher zu einem schönen Teil auf Ruf Lanz zurück. Die VBZ-Kampagnen sind insofern nicht einfach nur meine Kampagnen, aber es steckt doch schon auch viel Buckmann drin.
Wie sieht denn nun ein gutes Stelleninserat aus?
Die Infos müssen konzis und klar sein. Daran scheitern bereits viele Stellenausschreibungen. Ein gutes Inserat spricht die Zielgruppe an und zeigt auf, was das Unternehmen zu bieten hat, warum sich jemand für diese Stelle bewerben soll. Leider fehlt seitens der Recruiter oft die Lust, sich in die Zielgruppe hineinzuversetzen. Gute Inserate sind liebevoll und mit Schmiss getextet. Oft wäre es hilfreich, die Inserate einem Profi-Texter zu geben. Denn ein Stelleninserat muss genauso wie «normale» Werbung den Bauch und das Herz erreichen. Das lässt sich mit Worten, sehr gut aber auch mit Videos erreichen.
Sie sind ja ein Fan von Videos, neuerdings reichern Sie auch Ihren HR Today-Blog mit Videos an. Was fasziniert Sie an diesem Medium?
Ich habe schon als Bub gerne ferngesehen. Ein gutes Video hat ähnliche Qualitäten wie der persönliche Kontakt. Per Video lassen sich Informationen und Emotionen einfach orts- und zeitunabhängig transportieren. Mittels Videos lassen sich zudem oft kleine Geschichten erzählen. Ausserdem finde ich es faszinierend, wie man mit Smartphones Videos auf ansprechendem Niveau produzieren kann.
Sie sind Blogger, Kolumnist, Buchautor, Vortragsreisender, Berater und Mandatsträger – etwa bei der neuen Jobplattform 100000jobs.ch. Wofür schlägt Ihr Herz eigentlich am stärksten und wo sehen Sie sich in fünf oder zehn Jahren?
Ich fahre einen Porsche und kaufe HR Today (lacht). Nein, im Ernst, ich weiss es schlicht nicht. Ich habe mich aber sicher nicht aus einer sicheren Position heraus selbständig gemacht, um es nur einfach mal auszuprobieren. Es war sehr wohl ein bewusster Entscheid und ich habe in diesen Schritt auch Geld investiert. Ich sehe mich durchaus langfristig in der Beraterrolle, aber auch als Speaker – unter anderem im Rahmen der Seminarserie «HR Today Academy» (vgl. Seite 25), wo ich zum Thema Personalmarketing eine Tagung abhalten werde. Und ich möchte auch gerne weiter Bücher schreiben, vielleicht sogar mal einen Krimi, bei dem ein Personalchef unter mysteriösen Umständen verschwindet. Oder so ähnlich.
Buchtipp
Das neue Werk von Jörg Buckmann ist da: Personalmarketing to go. Frechmutige Inspira tionen für Recruiting und Employer Branding. Springer Gabler 2015. ISBN 978-3-658-11153-3