Spannungsfeld HRM - Linie

«Das HRM ist immer nachgeordnet und eher Befehlsempfänger als Mitentscheider»

Bei der strategischen Planung in Unternehmen wird die Personalabteilung häufig als «Ja-aber-Sager» wahrgenommen. 
Einen wirklich gleichberechtigten Dialog zwischen Linie und dem HRM gibt es nicht, vom Ziel des strategischen HRM sind die Unternehmen noch ein Stück weit entfernt, so Gudela Grote, Professorin für Arbeits- und Organisationspsychologie 
an der ETH. Ihrer Meinung nach stopft das HRM meist nur die Löcher, die die Linie aufgerissen hat.

Frau Grote, in vielen Geschäftsleitungen von Unternehmen sitzt kein Vertreter des HRM. Warum?

Professorin Gudela Grote: Das Human Resource Management wird vielfach in erster Linie als ein Kostenfaktor verstanden und deshalb den Finanzen zugeordnet. Und die Finanzen sind dann natürlich in der Geschäftsleitung vertreten.

Viele Unternehmen sehen in ihren Mitarbeitern die wichtigste Ressource. Sollten dann nicht die Fürsprecher der Mitarbeiter, also das HRM, daran beteiligt sein, die Strategien des Unternehmens zu planen?

Klar. Aus der Sicht von strategischem HRM wäre es natürlich zentral, dass HR-Belange unmittelbar in der Geschäftsleitung vertreten werden.

Aber warum erfolgt das nicht?

Zum einen würde es voraussetzen, dass die HR-Leute das strategische Potenzial ihrer Arbeit sehen und vertreten können. Das ist nicht immer der Fall. Umgekehrt muss ein Unternehmen bei der Strategieplanung extrem viele Faktoren berücksichtigen. Der Faktor Mensch ist der anpassbarste in dem Ganzen, weshalb man sich um ihn zuallerletzt kümmert. Das ist natürlich bedauerlich.

Die Linie erhofft sich vom HRM Beratung bei der Strategieplanung. Aber kann das HRM überhaupt qualifiziert beraten, wenn es nicht in die Strategieplanung involviert ist?

Das hängt davon ab, wie viel Wissen im HRM vorhanden ist, um die Linie beraten zu können. Ich würde es deshalb nicht so einseitig sehen, dass das HRM gern mehr involviert wäre, die Linie das aber nicht will. Ich kenne Beispiele, bei denen es umgekehrt ist. Dort hat die Linie erkannt, dass das HRM wirklich strategisch operieren müsste. Aber die verantwortlichen Personen im HRM haben ein sehr altmodisches Verständnis von Personalbewirtschaftung und entsprechend gar nicht den Wunsch, strategisch mitzuwirken.

Das heisst, die Linie erwartet mehr vom HRM, als dieses leisten kann?

Ja, aber das ist nur die eine Seite. In anderen Fällen wäre das HRM durch sein Wissen und seine Kompetenzen durchaus in der Lage, die Linie zu unterstützen. Aber dahingehende Angebote werden nicht angenommen oder sie werden so wahrgenommen, dass sie die Welt nur noch unnötig verkomplizieren, und deshalb will sich die Linie nicht damit auseinandersetzen. Im täglichen Liniengeschäft sind die Zeitpläne sehr eng und alles, was Personalarbeit betrifft, ist zusätzliche Arbeit. Das fängt schon bei den Mitarbeitergesprächen an. Viele bemerken nicht, dass sie einen Beratungsbedarf in Personalfragen hätten, und überlegen demnach auch nicht, wer diesen Bedarf decken könnte.

Fehlt es also an Bewusstsein in der Linie, was das HRM zu ihrer Arbeit beitragen könnte?

Ja und es mangelt obendrein an der Bereitschaft, die Probleme, die es gibt, überhaupt zu sehen. Zum Beispiel beim Thema Laufbahnberatung: Es kommt darauf an, wie sehr ein Vorgesetzter es als seine Aufgabe wahrnimmt, seine Leute weiterzuentwickeln. Und wenn er das nicht als seine Aufgabe sieht, dann fragt er auch nicht beim HRM nach 
Instrumenten, die ihm helfen, Laufbahngespräche zu führen.

Welche Wünsche hat die Linie an das HRM?

Plakativ ausgedrückt: Dass alle Personalprobleme einfach weg sind und das in möglichst wenig Zeit. Wenn die Vorgesetzten aber einmal wahrgenommen haben, dass sie selbst eine sehr zentrale HR-Funktion haben, dann wünschen sie sich einfach eine unkomplizierte Hilfestellung bei der Wahrnehmung dieser Funktion.

Müsste das HRM im Unternehmen mehr auf sich aufmerksam machen?

Grundsätzlich ist die Personalabteilung vor allem in der Phase von Selektion und 
Recruiting präsent. Sind die Mitarbeitenden einmal im Unternehmen, tritt das HRM in den Hintergrund. Und dann stellt sich die Frage, inwieweit es zeigen kann, dass alles, was es täglich für die Mitarbeitenden tut, auch Unterstützung von Führungsaufgaben ist oder sein kann und auch sein sollte. Stattdessen wird das HRM als «die mit den Formularen für das Mitarbeitergespräch» wahrgenommen. Im Kern geht es darum, wie man die oft administrativ anmutenden Instrumente des HRM so umsetzt oder so bewirbt, dass die Unterstützung für die tägliche Arbeit sichtbar wird.

Warum erfährt das HRM manchmal eine so geringe Wertschätzung?

Ich glaube, alle Stabsstellen haben diese Schwierigkeit, weil sie nicht so oft im Alltagsgeschäft auftauchen. Auf Finanzen trifft das sicher ebenso zu. Es handelt sich also um ein grundsätzliches Stab-Linie-Problem.

Gibt es einen Bereich, der besonders anfällig ist für Spannungen zwischen HRM und Linie?

Immer dort, wo Leute alle möglichen Ideen haben und einer «ja, aber» sagt. Genauso wird das HRM manchmal wahrgenommen. Denn plötzlich müssen  Strategieplaner einen ganzen Bereich berücksichtigen, den sie vorher vernachlässigten. Auch Themen wie Personalaufbau, -abbau, -umbau müssten von vornherein in engster Zusammenarbeit mit dem HRM diskutiert werden. Tatsächlich passiert das aber nicht, und das HRM ist am Ende einer Umstrukturierung die Stelle, die Pflästerchen aufklebt und die Probleme behebt.

HRM stopft also die Löcher, die von der Geschäftsleitung aufgerissen werden.

Ja.

Hat das HRM zu wenig Verständnis für die Wünsche und Vorstellungen der Linie?

Das hängt von der Grösse eines Unternehmens ab, davon, wie das HRM organisiert ist und wie viel Kontakt zu den Linienfunktionen besteht. Bei grösseren Unternehmen mit zentralisiertem HRM ist die Wahrscheinlichkeit gross, dass die HR-Abteilung nicht weiss, was die Linie tagtäglich tut.

Sind die Ausbildungen der HR-Leute so angelegt, dass sie strategisch mitwirken könnten?

Viele HR-Leute haben eher eine Grundausbildung im administrativen Bereich. Dazu gibt es erstaunlich viele Quereinsteiger im HRM, die weder aus der psychologischen noch aus der betriebswirtschaftlichen Personal
arbeit kommen, sondern in diese Funktionen hineinwachsen. Das kann ein Vorteil sein, wenn sie zum Beispiel aus der Linie heraus kommen. Dann kennen sie Linienanliegen und können Brücken bauen. Aber dazu müssen sie sich die Kompetenzen des HRM aneignen und aus der Sicht des HRM agieren. Und das ist nicht immer der Fall.

Ist es sinnvoll, die Routinearbeit des HRM outzusourcen?

Sicher könnte man die Lohnabrechnungen outsourcen. Aber man sollte sich darüber im Klaren sein, dass sich die Angestellten in einem Betrieb für viele praktische Probleme einen Ansprechpartner wünschen. Und vermutlich kann das HRM keine gute Beratung mehr leisten, wenn das Wissen über die Routineabläufe nicht mehr im Unternehmen ist.

Gibt es denn in den Unternehmen die Bestrebung, das HRM mehr strategisch zu integrieren? Sind dort Fortschritte zu verzeichnen?

Ja. Wenn man bedenkt, dass das HRM früher ausschliesslich für die Lohnadministration verantwortlich war. Heute ist den Unternehmen immerhin klar, dass Mitarbeitende mehr sind also nur Lohnempfänger und dass es sich lohnt, in ihre Weiterbildung und Laufbahnplanung zu investieren. In diesen Bereichen stellt das HRM die Instrumente bereit und leistet Beratung. Es gibt also Fortschritte, aber von dem hehren Ziel, wirklich strategisches HRM zu betreiben, sind wir noch ein Stück weit entfernt.

Gibt es Unternehmen, in denen das HRM strategisch voll integriert ist?

Nach meinem Verständnis ist es in keinem namhaften Unternehmen in der Schweiz wirklich strategisch integriert. Im besten Fall ist das HRM in der Geschäftsleitung vertreten und deshalb frühzeitig in Diskussionen zu strategischen Fragen und den Konsequenzen für die Menschen im Unternehmen einbezogen. Aber einen wirklich gleichberechtigten Dialog, in dem die Initiative für strategische Entscheide fallweise auch vom HRM ausgeht, gibt es nicht. Das HRM ist immer ein Stück nachgeordnet und damit letztlich doch eher Befehlsempfänger als Mitentscheider.

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