Reorganisation

«Das HRM kann jetzt sehr gut beweisen, welchen Wertbeitrag es liefert»

In Zusammenarbeit mit Hewitt Associates hat HR Today die Personalchefs vier grosser Schweizer Unternehmen an 
einem Tisch versammelt, um zu eruieren, welche Chancen sie derzeit nutzen können. Der Tenor: nicht kurzatmig werden und dranbleiben. Denn jetzt ist die Zeit, in der das HRM wichtige Themen zurück auf die Agenda bringen kann.

Das Gespräch zwischen Harald Stoehr, Head Human Resources bei Credit Suisse, Hans Werner, HR-Leiter bei Schindler Schweiz, Alexander Brochier, Chief Human Resources bei Kuoni, und Günter Pfeiffer, Chief Personnel Officer bei Swisscom wurde von Charles Donkor, Principal beim Beratungsunternehmen Hewitt Associates, moderiert.

Charles Donkor: Wo sehen Sie für sich die grössten Prioritäten der nächsten Monate?

Harald Stoehr: In der gegenwärtigen Situation setzen wir unsere HR-Aktivitäten fort, aber natürlich akzentuierter. Gerade wenn der Kostendruck steigt, muss man einerseits auf Effizienzsteigerung achten und andererseits zusehen, dass man die strategisch wichtigen Dinge beibehält. Dazu gehört zum Beispiel Rekrutierung an den Universitäten. Auch wenn die Marktsituation angespannt ist, können wir uns dort nicht verabschieden.

Günter Pfeiffer: Bei den auf den Arbeitsmarkt gerichteten Aktivitäten, dem Employer Branding, ist es besonders wichtig durchzuhalten, damit kein Strukturbruch entsteht.

Alexander Brochier: Ich erachte es als wichtig, jetzt besonders Gas zu geben, um das, was wir uns im Rahmen unserer Konzerntransformation vorgenommen haben, auch umzusetzen. Es gibt für uns im HR-Management viele Ansatzpunkte, sowohl auf struktureller als auch auf individueller Basis. Und ich glaube, dass es in solchen Zeiten noch wichtiger ist, ein gezieltes HR-Risikomanagement zu betreiben sowie individuell auf die Mitarbeitenden einzugehen.

Hans Werner: Vor allem sollten wir jetzt nicht alle Prinzipien über den Haufen werfen. Wir wären schlechte HR-Experten, wenn wir nicht auch auf magere Zeiten vorbereitet wären. Es gilt zum Beispiel das Training in den strategischen Jobkategorien weiter zu pushen. Dort dürfen wir auf keinen Fall den Anschluss verlieren.

Wie schaffen Sie den Spagat zwischen der Talentgewinnung einerseits und Stellenabbau auf der anderen Seite?

Werner: Ich glaube, das Performance Management spielt hier eine grosse Rolle. Jetzt ist der Leidensdruck ausreichend gross, um Druck zu machen und eine stärkere Performance-Kultur einzuführen. Man kann nicht mehr allen alles geben und muss sich darauf konzentrieren, die Key Player zu halten und gute Leute reinzuholen. Es ist aber auch die Zeit, sich von jenen Leuten zu verabschieden, die jahrlang nur Mitschwimmer waren, das Unternehmen aber nicht mitgestaltet haben.

Stoehr: Für die Hochschulabsolventen verliert der Finanzsektor seit Jahren an Attraktivität – wir sind kein Selbstgänger mehr und müssen deshalb unsere Anstrengungen erhöhen, präsent zu bleiben und unsere Möglichkeiten aufzuzeigen. Auf der anderen Seite können wir jetzt die interne Diskussion über Werte und die so genannten «soft factors» neu beleben und finden dabei auch bei Geschäftsbereichen Gehör, die zu Boomzeiten diesen Themen mit dem Verweis auf ihre guten Zahlen weniger Beachtung schenken. Aber momentan stimmen vielfach die Zahlen nicht. Und der Druck von innen und aussen gibt uns Veranlassung, die Grundwerte verstärkt zum Gegenstand von Zielvereinbarungen zu machen.

Stimmen die Systeme und Prozesse im HRM oder stellen Sie diese in der jetzigen Situation in Frage?

Brochier: Es kommt weniger auf die Situation als auf die Menschen an. Die brauchen die Fähigkeiten, die Tools, die es gibt, richtig anzuwenden. Das ist fast noch die grösste Problematik.

Stoehr: Die Diskussion, was wir unseren Führungskräften zumuten, führen wir immer wieder. Es gibt sehr viele Instrumente, aber am Ende kann eine Führungskraft nur eine begrenzte Anzahl wirklich effektiv umsetzen. Die Kritik ist nicht ganz unbegründet, dass wir die Instrumente in der Vergangenheit zu kompliziert gestaltet und die Führungskräfte überfordert haben.

Werner: Ich merke immer, wenn ich die Instrumente selbst einsetze, was wir den Führungskräften zumuten...

Sehen Sie die Krise auch als Chance für das HRM?

Brochier: Ich glaube das HRM kann jetzt sehr gut beweisen, welchen Wertbeitrag es liefert. Wir haben da zwei Ansatzpunkte: Wir fragen, was die strategischen Prioritäten einer Geschäftseinheit sind und erarbeiten mit dem Senior Management, welche Kompetenzen und welches Verhalten wir brauchen. Das Zweite ist, dass wir jetzt viel konkreter über das Managementpotenzial sprechen können. Dabei geht es nicht nur um Performance, sondern auch um die strategischen Kompetenzen, das Engagement und die Kommunikationsfähigkeit.

Werner: Wobei im Begriff Performance noch viel mehr drinsteckt als die numerische Performance. Für uns zählt dazu auch das Verhalten. Ist beides gut oder beides schlecht, ist die Sachlage klar. Bei gutem Verhalten und schlechter numerischer Performance kann man sich überlegen, ob der Mitarbeiter gefördert werden kann. Die wirklich kritischen Fälle sind die, wo die numerische Situation stimmt, aber das Verhalten nicht.

Brochier: Wie beurteilen Sie das Verhalten?

Werner: Durch die Fluktuation im Team beispielsweise oder unter Peers, wo jemand vielleicht auffällt, der nicht teamorientiert ist. In diesen Fällen sind wir rigoros: Gute numerische Performance reicht uns nicht. Wenn sich das Verhalten nicht verändert, trennen wir uns von der Person. Und es gibt keinen besseren Zeitpunkt als jetzt, das Gewicht verstärkt auf die Wertehaltung und das Verhalten zu legen. Damit legen wir einen zentralen Grundstein für den nächsten Aufschwung.

Pfeiffer: Für uns steht nicht die Leistung, sondern die Kundenzufriedenheit im Vordergrund, denn sie ist der Indikator, ob sich das Engagement der Mitarbeitenden am Markt auszahlt. Die Stärkung der Kundenverbundenheit ist ein wichtiges Ziel; aus diesem Grund beteiligen wir die Mitarbeitenden im variablen Anteil an der Zielerreichung. Zudem legen wir unseren Fokus auf Flexibilität, denn gerade in der aktuellen Situation ist es wichtig, flexibler zu handeln und Spielräume zu schaffen. Dort kann das HRM die Führung dabei unterstützen, mit Unsicherheit umzugehen und die Agilität zu erhöhen.

Was unternehmen Sie, um bei den Top-Talenten das Engagement aufrechtzuerhalten oder zu fördern?

Stoehr: Ein wichtiger Baustein ist unser jährlicher Employee Survey, der uns wichtige Hinweise darüber gibt, wie Bereiche geführt werden. Denn der Führung kommt eine immer grössere Bedeutung zu, das zeigen die letzten Jahre immer deutlicher. Deshalb messen wir diese regelmässig und reagieren natürlich auch auf die Ergebnisse. Bearbeitet man solche Umfragen nicht nach, verlieren die Leute das Interesse.

Brochier: Wichtig ist auf jeden Fall, dass die Mitarbeitenden spüren, dass wir ein bewusstes Risikomanagement betreiben und das Unternehmen gut geführt ist. Denn es macht mehr Spass, in einem erfolgreichen Unternehmen zu arbeiten. Und wir versuchen kontinuierlich, die Besten reinzuholen – da tun wir uns jetzt übrigens leichter, nachdem die Banken und die Finanzbranche mit ihren teilweise überhöhten Gehältern in einer schwierigen Situation stecken.

Werner: Das entscheidende Instrument ist Leadership – denn die Führungskraft hat eine unheimliche Hebelwirkung. Ich schätze aber, dass über den Daumen gepeilt 40 bis 50 Prozent der Führungskräfte die Anforderungen an eine Führungskraft zumindest teilweise oder gar insgesamt nicht erfüllen. Besonders wenn es darum geht, die Mitarbeitenden so zu führen, dass sie Spass an der Arbeit haben. Und ein schlechter Vorgesetzter bedeutet für das ganze Unternehmen einen Riesenschaden. Denn die meisten Mitarbeitenden verlassen das Unternehmen, weil sie mit ihrem Vorgesetzten unzufrieden sind. Ein guter Vorgesetzter kann das drehen, ein schlechter lässt die Mitarbeitenden gehen.

Hat man in den letzten Jahren, als wirtschaftlich die Sonne schien, die falschen Führungskräfte rekrutiert?

Werner: Es gibt eine einfache Antwort, die uns alle von der Verantwortung befreit: Ja, die Zeiten waren so intensiv, so viele Führungskräfte, wie wir gebraucht haben, gab es gar nicht. Man musste in so einer Situation auch Kompromisse eingehen, die man zu anderen Zeiten nicht eingegangen wäre. Aber man muss selbstkritisch sagen, dass wir in der Euphorie der guten Zahlen vielleicht nicht so genau hingeschaut haben, ob die Fähigkeiten vorhanden sind, die es braucht, um Leute zu motivieren.
Pfeiffer: Im Moment befinden sich alle in einer Vertrauenskrise: Gesellschaft, Wirtschaft und jeder Einzelne. Die Führungskompetenz besteht jetzt daher vor allem darin, Vertrauen auszustrahlen, aufzubauen und zurückzugewinnen. Das hat sehr viel mit Authentizität zu tun – und die ist altersunabhängig.

Brochier: Man muss aber auch betonen, dass Führungskompetenz nie ideal sein wird, man kann sie immer weiter verbessern. Deshalb ist es müssig zu fragen, was wir in der Vergangenheit falsch gemacht haben – wir sollten uns stattdessen überlegen, wie wir mit einem effizienten HRM die Führungskräfte in der jeweiligen Marktsituation besser unterstützen können. Besonders bei Reorganisationen, wo meist nur über Inhalte gesprochen wird, können wir auf der emotionalen und prozessbezogenen Ebene einen grossen Mehrwert liefern. Das «phasing out» ist unser Prozess und hier sollten wir Verantwortung übernehmen und unsere Manager auf die Entlassungssituationen vorbereiten, denn sie sind damit oft überfordert. Gleichzeitig müssen wir überlegen, wie wir die Schlüsselleute binden und halten. Und die Frage, wie mit Kündigungen umgegangen wird, ist dabei entscheidend. Wenn dieser Prozess unfair abläuft, 
demotiviert das die verbleibenden Mitarbeitenden. Und hier müssen wir etwas Negatives möglichst in etwas Positives umwandeln. Und das geht, wenn man sich gemeinsam Gedanken macht – doch leider wird das oft vergessen.

Werner: Ich möchte ergänzen, dass ich mir vom HRM wünsche, dass es auch mal die Hand hebt und sagt: «Nein, den könnt ihr nicht einstellen.» Wenn wir dort stark sind und unsere Meinung gehört wird, können wir Einfluss nehmen. Und das ist die schwierige Aufgabe eines HR-Business-Partners – das muss eine starke Persönlichkeit sein, dieser muss vom Business etwas verstehen, von Menschen und von HRM. Und er muss es dann noch schaffen, seinen Businesskollegen zu widersprechen – auch wenn er hierarchisch eine Stufe unter ihnen steht. Solche Leute findet man nicht so oft.

Brochier: Das stimmt. Wir sollten das Selbstbewusstsein haben, zu sagen: «In Bezug auf HR-Themen sind wir die Experten – vertraut uns.»

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