Arbeit und Recht

Das Selbstverschulden eines Unfalls gefährdet die Lohnfortzahlung

Die meisten Arbeitnehmenden sind gegen Nichtberufsunfälle versichert. Die obligatorische Unfallversicherung trägt die Heilungskosten und 80 Prozent des versicherten Verdienstes. Doch während der ersten zwei Abwesen-heitstage übernimmt in der Regel der Arbeitgeber die Lohnkosten. Nur in wenigen Ausnahmen entfällt die Lohnfortzahlungspflicht.

Die Unfallversicherung unterscheidet zwischen Berufs- und Nichtberufsunfällen. Gemäss Unfall-versicherungsgesetz sind alle in der Schweiz beschäftigten Arbeitnehmer, welche mehr als acht Stunden pro Woche erwerbstätig sind, obligatorisch gegen Nichtberufsunfälle versichert. Bei Arbeitnehmern, welche diese acht Stunden nicht erreichen, gelten Unfälle auf dem Weg zur Arbeit als Berufsunfälle, wohingegen ein solcher Unfall ansonsten als Nichtberufsunfall gilt. Der Arbeitgeber kann dem Arbeitnehmer die Prämien für die obligatorische Versicherung der Nichtberufsunfälle vom Lohn abziehen.

Die obligatorische Unfallversicherung übernimmt die Heilbehandlungskosten, ab dem dritten Tag nach dem Unfalltag 80 Prozent des versicherten Verdienstes sowie eine allfällige Invalidenrente. Als versicherter Verdienst für die Bemessung von Taggeldern und Renten gilt der für die AHV massgebende Höchstbetrag von 126 000 Franken.

Lohnfortzahlungspflicht des 
Arbeitgebers

Soweit der Lohnausfall nicht bereits durch die Unfallversicherung gedeckt ist, hat der Arbeitgeber für eine beschränkte Zeit den Lohnausfall zu übernehmen. Voraussetzung ist, dass das Arbeitsverhältnis mehr als drei Monate gedauert hat oder für mehr als drei Monate eingegangen wurde. Da der Anspruch auf ein Unfalltaggeld der Versicherung erst ab dem dritten Tag nach dem Unfalltag besteht, trägt der Arbeitgeber im Regelfall nur die Lohnkosten für die ersten zwei Tage. Erzielt ein Arbeitnehmer ein Einkommen von mehr als 126 000 Franken im Jahr, trägt der Arbeitgeber zusätzlich 80 Prozent der Differenz zum tatsächlichen Lohn.

Bei Teilzeitarbeitenden mit einem Pensum von weniger als 8 Stunden pro Woche trägt der Arbeitgeber den gesamten Lohnausfall während einer bestimmten Zeit, abhängig von der Dauer des Arbeits-verhältnisses. Im Rahmen eines Einzelvertrages kann sich der Arbeitgeber für eine gewisse Zeit zur Auszahlung des Lohnes zu 100 Prozent verpflichten. Entsprechend erhöht sich dadurch für den Arbeitgeber die finanzielle Belastung durch einen Unfall des Arbeitnehmers.

Verschuldensbegriff wird sehr 
restriktiv ausgelegt

Wenn ein Nichtberufsunfall infolge der Ausübung einer Risikosportart oder eines gefährlichen Hobbys des Arbeitnehmers geschieht, wird sich der eine oder andere Arbeitgeber die Frage stellen, ob er dennoch zur Lohnfortzahlung verpflichtet ist. Seine Lohnfortzahlungspflicht setzt voraus, dass der Unfall nicht selbstverschuldet ist. Sport- und Frei-zeitunfälle, die eine Arbeitsunfähigkeit nach sich ziehen, gelten grundsätzlich als unverschuldet. Liegt ausnahmsweise aber ein Selbstverschulden des Arbeitnehmers vor, kann die Lohnfortzahlungspflicht teilweise oder ganz entfallen, je nach Schweregrad des Selbstverschuldens.

Damit ein Selbstverschulden bejaht werden kann, muss sich ein Arbeitnehmer entweder extrem leichtsinnig verhalten oder seine sportlichen Fähigkeiten massgeblich überschätzen. Der Verschuldensbegriff wird in diesem Zusammenhang sehr restriktiv ausgelegt. Nur grob fahrlässiges, eventualvorsätzliches oder gar absichtliches Fehlverhalten gilt als selbstverschuldet. Es genügt also bei weitem nicht, wenn der ungeübte Skifahrer mit zu schnellen Ski unterwegs ist. Wohingegen der Skianfänger, der am ersten Tag die schwarze Piste hinunterfährt, oder der Schwimmanfänger, der sich zum Baden in den Wildbach begibt, gegen elementare Vorsichtsmassnahmen verstösst.

Denkbar ist, dass die Ausübung einer Sportart oder eines Hobbies an und für sich derart risikobehaftet ist, dass unabhängig von den Gegebenheiten im Einzelfall von einem Selbstverschulden ausgegangen werden muss. Ein Sport muss dann als besonders gefährlich qualifiziert werden, wenn auch ein gut ausgebildeter Sportler objektiv gesehen einem Verletzungsrisiko ausgesetzt ist, das er nicht oder nur ungenügend beherrschen kann. Im diesem Fall handelt schuldhaft, wer eine derartige Sportart ausübt. Die Gerichtspraxis ist sehr restriktiv in der Annahme, dass eine Arbeitsverhinderung die Folge von grober Fahrlässigkeit oder Vorsatz ist. Deshalb gibt es keinen Katalog von abstrakt gefährlichen Sportarten und Freizeitaktivitäten, bei denen ohne weiteres von einem selbstverschuldeten Unfall ausgegangen werden könnte. In früheren Fällen wurde bei Unfällen im Rahmen von Auto- oder Motorradrennen ein Selbstverschulden angenommen.

Der Arbeitgeber trägt 
die Beweislast

Nach den Regeln von Art. 8 ZGB trägt der Arbeitgeber, der dem Arbeitnehmer die Lohnfortzahlung verweigern will, die Beweislast für das Selbstverschulden des Arbeitnehmers. Nach einer Mindermeinung soll der Arbeitnehmer den Beweis des fehlenden Selbstverschuldens erbringen.

Der Beweis, dass ein Selbstverschulden vorliegt, wird in der Praxis schwierig zu erbringen sein, wenn wie dargelegt die Ausübung einer Sportart oder eines Hobbys nicht a priori bereits ein Selbstverschulden indiziert, sondern dieses aufgrund der tatsächlichen Gegebenheiten des Einzelfalles nachgewiesen werden muss.

Denkbar ist, dass sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer im Rahmen eines Einzelvertrages darauf einigen, dass die Ausübung gewisser gefährlicher Sportarten und Hobbys untersagt ist. Es gilt allerdings zu beachten, dass ein derartiges Verbot ein schwerer Eingriff in die Privatsphäre des Arbeitnehmers und sein Persönlichkeitsrecht darstellt und vor Gericht wohl nur in Ausnahmefällen als zulässig betrachtet wird. Eine solche Vertragsklausel wäre demnach in der Praxis schwierig durchsetzbar und würde aller Voraussicht nach auf eine moralische Wirkung beschränkt sein.

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Yvonne Dharshing-Elser arbeitet als Anwältin in der Steuer- und Rechtsabteilung der OBT AG in Zürich. Sie berät vorwiegend KMU in Fragen des Arbeits-, Vertrags- und Gesellschaftsrechts.

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