Im Gespräch

«Das Verhalten beim Boxen sagt mir mehr über eine Person als Psychologietests»

Donald M. Hess ist VR-Präsident und Gründer der Hess Family Estates – ehemals Hess Group – mit sechs Weingütern 
in der so genannten Neuen Welt. Der leidenschaftliche Kämpfer investiert nur in eigene Geschäfte. Und das mit immenser Sorgfalt und Schlagkraft. Welche Prioritäten Hess setzt und welche Argumente ihn überzeugen, verrät er im Interview.

Herr Hess, Sie bauen Weine in Kalifornien, Argentinien, Südafrika und Australien an. Wie viel Eigenverantwortung tragen Ihre lokalen Chefs?

Donald M. Hess: Jeder Weinhang hat seine eigene Geschichte mit seinen speziellen Reben und Rebmeistern. Ein weltweit einheitliches Branding für Hess-Weine ist allein wegen der unterschiedlichen Charaktere jedes Weinguts nicht möglich. Jeder Marketing-Verantwortliche in den jeweiligen Ländern weiss, wie sein Wein in seinem Markt am besten verkauft wird. Ich wäre ja blöd, wenn ich den Amerikanern vorschreiben würde, wie man Wein in den USA verkauft. Ich checke nur nach, wie er sich verkauft, und frage nach den Strategien.

Heisst das, Sie haben keine Corporate Identity für Hess-Weine?

Ich halte es mit der Grundeinstellung, dass alle der Scholle – also der Hess Family Estates Ltd. mit Sitz in Bern – verbunden sein sollten. Jeder ist aber für seine Hänge eigenverantwortlich. Im Weinbaugebiet von Peter Lehmann Weinen, im Barossa Valley in Südaustralien arbeiten 190 Rebbauern zum Teil in der vierten bis fünften Generation. Für die Familie Lehmann bedeutet die Überzeugungsarbeit, Top-Qualitätsweine anzubauen, seit Jahrzehnten eine offene Konkurrenz zwischen den Rebbauern. Man trifft sich drei bis vier Mal im Jahr zu Picknick und Weindegustation. Vor der Assemblage im Herbst findet ein weiteres Picknick statt, wo die Weinmacher den Jungwein von jedem Weingut in drei Kategorien aufteilen. Für jede Kategorie wird der Traubenpreis nach Güte bekannt gegeben. Von jeder Kategorie können die anwesenden Rebbauern den Wein probieren und entsprechend vergleichen.

Die Weinsorten und deren Qualitäten liegen in der Verantwortung der Weinmacher; der Verwaltungsrat der Hess Family Estates würde lediglich einschreiten, falls die Qualität des Weines schlecht ist.

Die weltweiten Budgets werden jedoch von Bern aus abgesegnet, und das letzte Wort über die Corporate Identity haben auch wir. Die Ideen und die Initiative dazu werden lokal entwickelt.

Was treibt Sie an?

Mich interessiert es überhaupt nicht, ein Portfolio mit Aktien von Unternehmen zu besitzen, die ich gar nicht kenne. Und warum soll ich in Leute investieren, die ich nicht 
kenne? Ich investiere lieber in Selbstgeschaffenes. Meinem Vater musste ich beispiels
weise versprechen, dass ich nie ein Grundstück verkaufe. Es ist Hess-Familientradition, in langfristige und verbindliche Werte zu 
investieren.

Wie kamen Sie als ursprünglicher Bierbraumeister, Hotelbesitzer in Marokko und Gründer einer Mineralwasserquelle zum Weinbau?

Durch Zufall. Ich hielt mich längere Zeit in den USA auf, um dort eine Mineralwasserquelle zu suchen. Ich sah dann aber im Wassergeschäft vor Ort keine Chance. Die Amerikaner stossen sich mehrheitlich weniger 
daran, chlorhaltiges Hahnenwasser zu trinken. Somit sah ich im Angebot von hochpreisigem Qualitätswasser keinen Markt der Zukunft. Dafür sah ich aber den Markt im Weinanbau.

Und dann sind Sie einfach so Weinbauer geworden – ohne Vorkenntnisse?

Ich habe mich mit allen Stufen des Weinbaus befasst. Ich bin in die Reben gegangen und habe tagelang mit den Arbeitern gesprochen und sie mit Fragen bombardiert: Warum schneidet ihr wann welche Beeren ab? Wieso trennt ihr euch von manchen Blättern? Die Antworten brachten mich auf das Wissensniveau eines Arbeiters. Dann ging ich zu den Vorarbeitern und brachte mich auf den Stand von deren Wissen. Danach recherchierte ich weiter bei Rebmeistern und Direktoren. Ich wollte am Ende die wichtigste Frage für meinen Anfang beantwortet wissen: Worauf muss ich schauen, wenn ich Rebland kaufe?

Als ich dann eine alte stillgelegte Weinkellerei kaufte und diese von Betontanks und riesigen Holzfässern befreite, merkte ich, dass ich viel zu viel Platz für Verfügung hatte. Ich wollte zuerst nur maximal 30000 Kisten produzieren. Und da ich mich schon immer für Kunst interessierte, habe ich den freien Raum mit Kunst gefüllt. Bis heute betreiben wir drei zeitgenössische Kunstmuseen auf unseren Weingütern, in welchen wir Werke der Hess Art Collection ausstellen.

Was ist der Motor Ihres Lebens?

Ich liebe es, aus nichts eine Marke zu machen, eine grüne Wiese vorzufinden, die ich bebauen und auf der ich Dinge wachsen sehen kann. Bei wichtigen Entscheidungen für oder gegen ein Projekt traue ich meiner emotionalen Hirnhälfte mehr als meiner rationalen. Ich mache dann lange Spaziergänge und führe einen Dialog mit mir selber. Ich bin sehr naturverbunden. Natur gibt mir Klarheit. Über die Jahre habe ich gelernt, nicht alle Dinge des Lebens selbst entscheiden zu können. Eine gewisse Demut wurde mir erst als wichtige Eigenschaft bewusst, als ich um die 42 Jahre alt war. Vorher dachte ich, alles beeinflussen zu können. Ich konnte es beispielsweise in meinen ersten Jahren im Weinbusiness nicht akzeptieren oder fassen, wenn Hagel einen ganzen Jahrgang zerstörte. Ich stand in einer Nacht weinend im Pyjama vor dem verhagelten Feld und wollte es nicht glauben. Mit der Demut vor der Natur lernte ich, Wut abzubauen.

Was taten Sie vorher, wenn Sie wütend 
waren?

Ich stand früher viel im Boxring, war aktiver Boxer. Wenn ich mich über etwas ärgerte, habe ich mir den Boxsack vorgenommen. In der Zeit habe ich auch meinen Managern Boxstunden gezahlt und bin gegen sie im Ring angetreten. Damit konnte ich die verschiedenen Managertypen sehr klar erkennen. Da gab es die Jähzornigen, die bei jeder kleinen Provokation blind drauflosschlugen; andere gingen aus dem Ring und liessen sich gar nicht drauf ein; und die dritte Gruppe ging auf Distanz und schaute sich den Gegner erst mal genau an, um eine eigene Abwehr- und Angriffsstrategie zu entwickeln. Vergessen Sie den Rorschach-Test und all diese Psychologietests – das Verhalten beim Boxkampf sagt für mich persönlich viel mehr über eine Person aus.

Wie beschreiben Sie Ihren Führungsstil?

Ich habe eine bestimmte und eine leidenschaftliche Seite. Wenn ich in eine Sitzung gehe, weiss ich vorher ziemlich genau, was ich will.

Wie handeln Sie in Konfliktsituationen?

Ich versuche in schwierigen Situationen mein Ziel vor Augen zu halten, aber mich auch in die Rolle des anderen hineinzuversetzen. Das gelingt meistens, aber nicht immer. Wenn dann jemand eine ganz andere Einstellung hat als ich, dann sollte man die Verhandlungen beenden. Verhandlungen sind wie der Boxsport: Man muss beweglich sein; sich bei eingesteckten Treffern fragen, welcher Fehler einem selber unterlaufen ist; fair sein; sich decken und das Risiko gut abschätzen. Ich 
liebe den fairen Kampf.

Wie übt man auf Sie Einfluss aus?

Mit Taten, die die Authentizität eines Menschen beweisen. Der Künstler Rolf Iseli hat mich vor 40 Jahren schwer beeindruckt, als er mir sagte, dass er seine Kunst nicht an Industrielle verkaufen wolle. Er gab mir als Grund an, dass wir nicht umweltbewusst handeln würden. Ich wusste sehr genau, dass Iseli zu der Zeit sehr wenig Geld hatte und eine Familie zu ernähren hatte. Das bewegte mich, da der Mann zu seinen Prinzipien stand. Ich befasste mich daraufhin intensiv mit ökologischen Themen. Er überzeugte mich nach diversen Abendessen von der Notwendigkeit umweltbewussten Handelns. Als Konsequenz daraus gründeten wir 1968 die erste «grüne» Holding in der Schweiz.

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Connie Voigt ist 
Executive Coach bei der Firma «Inside Out» sowie Gründerin der Netzwerkorganisation «Interculturalcenter.com GmbH». Zudem ist sie Dozentin für Organizational Behavior an der Edinburgh Business School, FHNW Basel und FU Berlin.

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