Das Web 2.0 bietet im HRM Möglichkeiten jenseits technischer Spielereien
Viele Personalverantwortliche beschäftigen sich derzeit mit Webplattformen für Mitarbeitende. Von den unterschiedlichen Ansätzen werden erfahrungsgemäss nur wenige erfolgreich sein, doch das ist kein Grund, abzuwarten: Es gibt Leitlinien für den sinnvollen Einsatz der technischen Möglichkeiten – und dafür, wie man die Risiken einer Fehlinvestition minimiert.
Das Internet hat sich seit seinem Durchbruch vor fünfzehn Jahren stark verändert. Zu Beginn hat das World Wide Web bestehende Kommunikationswege beschleunigt und verbreitet, ohne sie grundlegend zu verändern. E-Mails ersetzten Briefe und Faxe. Webseiten ergänzten Publikationen und machten sie weltweit verfügbar. Webshops erleichterten das Einkaufen vom Arbeitsplatz oder von zuhause aus.
In den vergangenen Jahren hat das Internet aber eine neue Art der Verwendung erfahren: Benutzer erstellen selbst Inhalte (Wikipedia, Youtube), stellen selbst Angebote online (eBay, Xing, Jobplattformen) oder stellen sogar selbst kleine Anwendungen her (auf Facebook, auf Google Maps). Diese Art der Verwendung war bereits zu Beginn des Internets vorgesehen. Bereits der erste Webbrowser war zugleich auch ein Editor, um Inhalte zu erstellen. Die ersten elektronischen schwarzen Bretter waren von den Benutzern gestaltbare Foren. Aber erst die Vereinfachung der technischen Möglichkeiten und die Verbreitung des Internets überhaupt ermöglichten einer breiten Benutzerschicht, das Internet als Produzenten und nicht nur als Konsumenten zu verwenden (siehe Abbildung 1).
Internetentwicklung als Wegbereiter für moderne Mitarbeiterplattformen
Im HR durchläuft die Verwendung des Mediums Internet eine ähnliche Entwicklung. Zuerst war das E-Mail-System ein schnellerer Weg der schriftlichen Kommunikation. Anschliessend fassten HR-Portale alle relevanten Informationen für Mitarbeitende und Vorgesetzte an einem Ort zusammen – vom Formular für Adressänderungen über Anweisungen für das Mitarbeitergespräch bis hin zu Reglementen und häufig gestellten Fragen. Der nächste Schritt waren «HR Self Services» für Mitarbeitende und Vorgesetzte, um Prozesse der Personaladministration zu beschleunigen und zu vereinheitlichen: Zeiterfassung, Urlaubsanträge, Adressänderungen oder Ausbildungsgenehmigungen. Vergleichbar mit den Entwicklungen des Web 2.0 arbeiten heute zahlreiche Unternehmen an Mitarbeiterplattformen. Auf dieser Stufe besteht die Aufgabe der HR-Abteilung «lediglich» darin, eine elektronische Plattform sowie inhaltliche Strukturen zur Verfügung zu stellen. Nutzer und Gestalter der Plattform sind vorwiegend Linienvorgesetzte, Mitarbeitende, Bewerber oder ehemalige Mitarbeitende.
Die Linie kann Personalaufgaben ohne HR-Unterstützung wahrnehmen
Nicht alle HR-Prozesse sind für Web-2.0-Anwendungen geeignet. Zahlreiche administrative Prozesse können mit klassischen Self-Service-Szenarien besser abgewickelt werden. Einige Prozesse dürfen sogar auf keinen Fall mit den Ansätzen des Web-2.0 umgesetzt werden. Überall dort, wo Geld- oder Zeitkonten involviert sind, benötigt man Experten. Sie wachen über die Ergebnisse der Prozesse, auch wenn die Eingabe dezentral erfolgen sollte. So muss etwa eine Spesenabrechnung kontrolliert werden, bevor sie zur Auszahlung gelangt. In gewissen Fällen kehrt man inzwischen sogar wieder zur zentralen Datenerfassung zurück. Administrative Fachkräfte können in komplexen Datenerfassungen auch gesamthaft effizienter sein als ungeübte Linienmitarbeiter.
Alle Prozesse, bei denen die HR-Abteilung eine unterstützende, beratende oder vorbereitende Funktion wahrnimmt, sind gute Kandidaten für eine Web 2.0-Plattform. Klassische wertschöpfende Aufgaben wie Bewerbermanagement, Personalentwicklung, Nachfolgeplanung, Zielvereinbarung, Wissensmanagement oder Kontaktpflege zu Ehemaligen können durch das Web 2.0 wieder in die Hände der Führungskräfte und der Mitarbeitenden gegeben werden. Es wird nun möglich, was lange Zeit ein frommer und meist auch ernstgemeinter Wunsch der Personalfachkräfte war: Linienvorgesetzte können Personalaufgaben wieder in grossem Umfang ohne HR-Unterstützung wahrnehmen. Was durch die Bürokratisierung und die Standardisierung in grossen Organisationen zunehmend zur Stabsaufgabe geworden war, geht durch die neuen Möglichkeiten des Internets wieder zurück in die Linie.
Im HR wird das eintreten, was durch das Internet auch im freien Markt geschehen ist: Intermediäre, das sind Vermittler zwischen Kunden und Lieferanten, sind nur noch für Nischenaufgaben notwendig. Für den Grossteil der Prozesse schliessen sich Kunden und Lieferanten direkt zusammen – Kunden werden Lieferanten und umgekehrt. Die HR-Abteilung ist in vielen Stabsaufgaben ein Vermittler zwischen Linienvorgesetzten, Mitarbeitenden und Unternehmensführung. Sie achtet darauf, dass Prozesse eingehalten werden, sammelt Kennzahlen und Informationen für die Geschäftsleitung und bricht Entscheidungen organisatorisch herunter. Sie führt Prozesse durch, informiert und archiviert. Durch Web-2.0-Plattformen können Vorgesetzte und Mitarbeitende selbst viele Aufgaben der Führungszusammenarbeit in Eigenregie vornehmen. Die Unternehmensleitung kann sich viel unmittelbarer über den Stand informieren und Entscheidungen treffen und umsetzen.
Mehr Überblick durch den Einsatz interaktiver Web-2.0-Plattformen
Nehmen wir das Beispiel Nachfolge- und Laufbahnplanung. Nur die Führungskraft weiss, welche Mitarbeitende in welchem Zeitrahmen das Potenzial haben, einen Karriereschritt zu vollziehen. Und nur sie weiss, welche Positionen ein hohes Vakanzrisiko haben. Wenn nun die Führungskraft – anstatt ein Formular auszufüllen – diese Informationen direkt in einer Web-2.0-Plattform hinterlegen kann, so spart sie einerseits administrativen Aufwand und hat andererseits einen direkten Überblick über alle Potenzialträger, Schlüsselstellen und deren aktuellen Status. Sie kann selbst Planungen vornehmen und Massnahmen ergreifen. Mitarbeitende, die sich von ihrem Vorgesetzten übergangen fühlen, können sich selbst für eine Weiterentwicklung verfügbar machen. Sie erhalten auf diese Weise eine erhöhte Sichtbarkeit im Unternehmen, ohne dass sie sich gleich extern umsehen müssen.
Ähnlich verhält es sich beispielsweise mit der Zielvereinbarung und Beurteilung. Gute Führungskräfte verwenden diesen Prozess nicht nur, um am Ende des Jahres einen Bonus möglichst gleichmässig auf alle Mitarbeitenden aufzuteilen. Sie setzen Zwischenziele und möchten einen guten Überblick über die Ziele und Meilensteine aller Mitarbeitender. Eine Web-2.0-Plattform kann den Vorgesetzten und Mitarbeitenden ein gutes Werkzeug an die Hand geben, welches die systematische Arbeit mit Zielen und damit auch die eigentliche Zielerreichung unterstützt – und nicht nur die Beurteilung am Ende des Jahres.
Genauso ist es im Bewerbermanagement. Angesichts zunehmender Spezialisierung benötigen die Unternehmen vor allem eine Abwicklungsplattform für die Experten auf beiden Seiten, die Bewerber und die Linienvorgesetzten. In Bereichen, in denen keine grosse Spezialisierung vorherrscht, haben sich solche Abwicklungsplattformen von Zeitarbeitsunternehmen bereits etabliert. Die Abnehmer (Linie) schliessen sich mit dem Anbieter (Zeitarbeitsunternehmen bzw. deren Kandidaten) direkt zusammen.
Wenige Personalabteilungen sind auf die neuen Aufgaben vorbereitet
Das Web 2.0 verändert die Prozesse in Organisationen auf grundlegende Weise und damit auch die Herausforderungen für die Personalabteilung. Personalabteilungen werden bei den wertschöpfenden Prozessen zu Plattformanbietern à la Wikipedia, eBay oder Facebook. Sie setzen Plattformen ein und sorgen für deren reibungslosen Betrieb. Sie intervenieren bei Fehlgebrauch und Missbrauch. Sie betreuen Benutzer bei besonderen Herausforderungen. Sie sind Dienstleister für die Linie und unterstützen mit effizienten Werkzeugen den Erfolg der einzelnen Führungskraft, des einzelnen Mitarbeitenden (siehe Abbildung 2). Diese Aufgabe ist eine grundsätzlich neue und wenige Personalabteilungen sind darauf vorbereitet. Sie haben wenig Wissen und Erfahrung, worauf sie beim Aufbau von Web-2.0-Angeboten achten müssen.
Aufgrund der Ähnlichkeit mit den Entwicklungen im Internet ist es sinnvoll und hilfreich, die Erfolge und Misserfolge verschiedener Web-2.0-Plattformen sehr genau zu studieren. Das HR kann daraus Lehren für die eigenen Werkzeuge ziehen. Es kann gute Ideen übernehmen, ohne das Rad neu zu erfinden, und Fehler vermeiden, ohne sie selbst zu begehen.
Wodurch zeichnen sich erfolgreiche Web-2.0-Angebote aus?
In erster Linie sind sie einfach. Der Nutzer hat gar nicht das Gefühl, mit einer Software zu arbeiten. Erfolgreiche Angebote fokussieren anfangs auf einen einzelnen Zweck und auf möglichst wenig Funktionalitäten. Häufig sehen sie auf den ersten Blick sogar «primitiv» aus. Erst mit der Zeit und steigender Bekanntheit erweitern sie das Angebot in Breite und Tiefe. Sie sind schnell und unmittelbar in der Benutzung. Es gibt keine redaktionelle Vorkontrolle oder viele Regeln, sondern «nur» ein Eingreifen bei Missbrauch, der ebenfalls hauptsächlich von Benutzern gemeldet wird.
Woran scheitern Web-2.0-Angebote?
In erster Linie verhindert Technikverliebtheit den Erfolg. Je mehr Spielzeuge («Gadgets») anfangs angeboten werden, desto wahrscheinlicher ist der Misserfolg. Je mehr Aufmerksamkeit auf ein schickes («fancy») Äusseres gelegt wird, desto grösser ist die Gefahr, den Benutzer abzulenken und zu verwirren. Wer das Aussehen über Einfachheit, Klarheit und Schnelligkeit stellt, gewinnt keine Benutzer. Schliesslich scheitern Angebote beim Versuch, den Benutzer zu bevormunden, zu erziehen oder zu einem bestimmten Verhalten zu zwingen. Es funktioniert nur das, was wirklich im Interesse des Benutzers liegt.
Die Personalabteilungen wurden zu recht über Jahrzehnte hinweg darauf getrimmt, «100-Prozent-Lösungen» zu entwickeln. Es durften keine Fehler passieren, alles musste exakt stimmen. Dies gilt in administrativen Prozessen weiterhin. In wertschöpfenden Prozessen hingegen, in denen Web-2.0-Anwendungen sinnvoll sind, sind genau diese Handlungsgrundsätze zum Misserfolg verdammt. Lösungen müssen einfach sein und einfach «nur» funktionieren. Deshalb benötigen Personalverantwortliche vor allem den Mut zur Einfachheit.