Urs Schaffner, Hewitt Associates
Herr Schaffner, welche Möglichkeiten gibt es, wenn eine Pensionskasse eine Sanierung durchführen muss?
Urs Schaffner: Intuitiv kann ich die Sanierungsmöglichkeiten in drei Schmerzstufen einteilen:
- Der Arbeitgeber ist finanziell stark genug, um eine Unterdeckung ganz oder teilweise auszufinanzieren, oder die erwartete Vermögensrendite reicht aus, um eine Sanierung durchzuführen. In diesen Fällen ist es nicht nötig, einschneidende Sanierungsmassnahmen zu ergreifen.
- Eine buchhalterische Massnahme: Die Minderverzinsung der Altersguthaben im Beitragsprimat. Dies verändert kurzfristig nicht wirklich die Kapitalflüsse, verringert jedoch die künftige Vorsorgeleistung. Diese Lösung wird derzeit häufig gewählt.
- Sanierungsbeiträge: Kapitalflüsse fliessen direkt in die Kasse. Geregelt sind Sanierungsbeiträge in Art. 65d des BVG. Sanierungsbeiträge verringern das Nettogehalt des Arbeitnehmers und schlagen sich in der Erfolgsrechnung des Arbeitgebers nieder.
Das ist natürlich nicht das ganze Spektrum der Sanierungsmöglichkeiten. Die drei Schmerzstufen sind jedoch in den aktuellen Diskussionen von vielen Stiftungsräten in der Praxis relevant.
Wer trägt die Verantwortung für Sanierungsmassnahmen?
Von Gesetzes wegen ist die Vorsorgeeinrichtung alleine für die Behebung der Deckungslücke verantwortlich. Es ist somit keine Entscheidungskonstellation, die der Arbeitgeber alleine verantworten kann oder muss. Letztlich führen die Stiftungsräte, in denen Arbeitgeber und Arbeitnehmer paritätisch vertreten sind, Sanierungsmassnahmen durch.
Ab welchem Deckungsgrad besteht Handlungsbedarf?
Das ist abhängig von der Sanierbarkeit der Kasse. Die hängt in erster Linie von der Mitgliederstruktur der Kasse und von der Struktur der Vorsorgekapitalien ab. Eine reine «Rentnerkasse» ist bereits bei einem Deckungsgrad von knapp unter 100 Prozent zu sanieren, während eine Kasse mit einem sehr jungen Bestand eine Unterdeckung besser aufholen kann. Je mehr Rentner und je höher die Vorsorgekapitalien, desto schwieriger ist eine Kasse sanierbar und desto früher muss man agieren.
Hat die Finanzkrise die Pensionskassen in diese schlechte Situation gebracht oder war das bereits vor Jahren vorhersehbar?
Das finanzielle Gleichgewicht, wie es gemessen und berechnet wird, ist in der Tat seit 25 Jahren ein Thema. Die Berechnung ist heute in Art. 44 BVV 2 gesetzlich vorgegeben, aber der Inhalt der einzelnen Positionen ist im Sinne der versicherungstechnischen Annahmen noch dehnbar.
Aus meiner Sicht ist die aussergewöhnlich schlechte Kapitalmarktsituation zu 95 Prozent die Hauptursache für die Unterdeckungen in diesem Masse. Finanzierungslücken oder Fehlbewertungen auf der Verbindlichkeitsseite sind eher seltene Ursachen. Die meisten Pensionskassen arbeiten nach versicherungstechnisch basierten Plänen. Die Umwandlungssätze werden jedoch politisch festgelegt und sind zurzeit eindeutig zu hoch. Die meisten Pensionskassen sind viel realistischer.
Inwieweit können sich die Pensionskassen in absehbarer Zeit erholen?
Es kommt darauf an, wie gross die Deckungslücke ist. Ich bin positiv überrascht, wie proaktiv die Pensionskassen, die ich betreue, handeln. Sie verfolgen und diskutieren dieses Thema ernsthaft. Die Bereitschaft, zu handeln, ist bei Arbeitgebern und Arbeitnehmern gleichermassen gross. Auf dieser Basis bin ich für viele Pensionskassen zuversichtlich. Es ist jedoch zwingend notwendig, dass die Kapitalmärkte sich einigermassen erholen. Ist das nicht der Fall, werden wir es sehr schwer haben. In sämtlichen Leistungsversprechungen ist natürlich eine positive Kapitalmarktrendite eingebaut.
Wie könnte in Zukunft eine laufende Deckung gewährleistet werden?
Ich bin der Meinung, dass die meisten unabhängigen Schweizer Pensionskassen grundsätzlich auf einem guten Weg sind. Die meisten Stiftungsräte verfolgen und diskutieren die jüngsten Entwicklungen intensiv, aber verlieren die langfristige Perspektive der Pensionskasse nie aus den Augen. Auf diese Weise entstehen in der Regel angemessene Sanierungskonzepte, welche das finanzielle Gleichgewicht der Pensionskasse langfristig mit einer hohen Wahrscheinlichkeit sicherstellen können. Gleichzeitig stehen sämtliche Vorsorgeeinrichtungen vor kritischen Herausforderungen, welche ihre Zukunft massgeblich beeinflussen werden: Wie viel Anlagerendite kann künftig erwirtschaftet werden? Reicht diese aus, um die versprochenen Vorsorgeleistungen zusammen mit den reglementarischen Beitragszahlungen zu finanzieren? Oder: Um wie viel erhöht sich die Lebenserwartung der Rentenbezüger in Zukunft? Haben wir diesen Anstieg angemessen in unseren Rückstellungen berücksichtigt? Und letztendlich natürlich auch: Wie sehen die wirtschaftliche Zukunft und die Ertragslage der angeschlossenen Arbeitgeber aus? Kann das heutige Leistungsniveau aufrechterhalten werden?
Hanspeter Konrad, Schweizerischer Pensionskassenverband
Herr Konrad, wie beurteilen Sie die derzeitige Lage der Pensionskassen?
Hanspeter Konrad: Die Vorsorgeeinrichtungen sind als wichtige Investoren von der Entwicklung an den Finanzmärkten betroffen. Viele Pensionskassen befinden sich in Unterdeckung, die Lage ist für viele Kassen schwierig, aber nicht dramatisch. Grössere Beunruhigung oder gar Panik sind nicht angebracht. Aussagen über die Anzahl Kassen in Unterdeckung sind zurzeit immer Momentaufnahmen. Ob es nun 55 oder 60 Prozent der Kassen in Unterdeckung sind – wichtiger ist, dass in den Pensionskassen selbst eine umfassende Lagebeurteilung vorgenommen wird und die Gründe der Unterdeckung analysiert werden. Man muss sich auf mehrere mögliche Situationen einstellen. Schwierig abzuschätzen ist, ob wir die Talsohle schon durchschritten haben. Offen ist auch, wie sich die Rezession in der Schweiz entwickeln wird.
Welcher Handlungsbedarf ergibt sich für die berufliche Vorsorge?
Aufgrund der gesetzlichen Grundlagen trägt das oberste Organ die Verantwortung für allfällige Sanierungsmassnahmen. Es geht darum, dass die Führungsorgane eigenverantwortlich eine Lagebeurteilung vornehmen und – zusammen mit dem Experten – ein Sanierungskonzept erarbeiten. Den Vorsorgeeinrichtungen steht eine ganze Palette von möglichen Sanierungsmassnahmen zur Verfügung. Gemäss den heutigen Regelungen haben die aktiven Versicherten und die Arbeitgeber die Hauptlast einer Sanierung zu tragen. Für den Fall einer länger andauernden Rezession, die das Vorsorgesystem vor grosse Herausforderungen stellt, sind im Interesse der Gesundheit der Vorsorgeeinrichtungen und der Vorsorgesicherheit auch weitere Massnahmen in Erwägung zu ziehen. Unter Beachtung von sozialpolitischen Rahmenbedingungen wäre beispielsweise in Extremfällen zur Stärkung der Solidargemeinschaft auch ein stärkerer Einbezug der Rentenbezüger denkbar. Ein solcher Schritt bedingt aber entsprechende gesetzliche Anpassungen.
Entscheidend ist, dass die Aufsichtsbehörden Augenmass wahren und die Pensionskassen nicht vorschnell zu Sanierungsmassnahmen gezwungen werden. Es gibt aber durchaus Situationen, bei denen aus heutiger Sicht zwingend Sanierungsmassnahmen zu beschliessen sind. Ein generelles Moratorium, wie politisch gefordert wird, ist nicht zielführend. Im Gegenteil: Ein Aufschieben allfälliger Sanierungsmassnahmen könnte die Situation erheblich verschärfen.
Hat die 2. Säule eine Zukunft?
Die 2. Säule ist sozialpartnerschaftlich aufgebaut und dementsprechend breit abgestützt. Sie stellt nach wie vor ein stabiles und funktionsfähiges System dar, welches allen negativen Botschaften zum Trotz auch dem gegenwärtigen Sturm standhalten wird.
Ein Umbau des schweizerischen Vorsorgesystems ist Ihrer Meinung nach nicht denkbar?
Ein Umbau des schweizerischen Vorsorgesystems im Sinne einer Ausweitung des Umlageverfahrens auf Kosten des Kapitaldeckungsverfahrens der zweiten Säule ist weder zielführend noch sinnvoll. Die Vorsorgeeinrichtungen leisten einen – insbesondere auch personalpolitisch – wesentlichen Beitrag zur Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge der Mitarbeitenden in den Unternehmungen. Bei einem Ausbau der AHV zulasten der beruflichen Vorsorge würde ein nach dem Umlageverfahren finanziertes System, welches den demografischen Veränderungen viel stärker ausgesetzt ist als das kapitalgedeckte Vorsorgesystem, gestärkt. Die Tatsache, dass immer weniger aktiv Versicherte immer mehr Rentner tragen müssen, führt bei der umlagefinanzierten AHV unweigerlich in einen Finanzierungsengpass, der besonders die zahlenden, jüngeren Generationen belasten würde.
Wie schätzen Sie die Leistungsfähigkeit der Pensionskassen für die Zukunft ein?
Gewichten die Führungsorgane der Vorsorgeeinrichtungen die Grundsätze Vorsorgesicherheit, Ertrag, Risikoverteilung und Liquidität optimal, leistet die berufliche Vorsorge in der Schweiz auch in Zukunft einen zentralen Beitrag zur Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge. Aufgrund der weiterhin steigenden Lebenserwartung und der Entwicklungen der Kapitalmärkte ist jedoch ein versicherungs- und finanztechnisch korrekt festgelegter Umwandlungssatz für die Zukunft der beruflichen Vorsorge entscheidend. Ein zu hoher Umwandlungssatz führt zu kaum erfüllbaren Leistungsversprechen zulasten der Jungen und zu einer Umverteilung der Erträge, daher braucht es ein klares Ja zu fairen Umwandlungssätzen.
Walter Blum, PensExpert AG
Herr Blum, welche Möglichkeiten der Vorsorge gibt es grundsätzlich für Unternehmen?
Walter Blum: Unternehmen müssen für Ihre Angestellten das gesetzliche Minimum abdecken. Die Realität zeigt, dass die Mehrheit aber wesentlich bessere Leistungen versichert. Dabei können insbesondere für Kadermitarbeiter bzw. das Topmanagement separate und zielgerichtete Zusatzlösungen aufgesetzt werden, bei denen die Unternehmen keine weiteren Risiken (z.B. keine Nachschusspflicht, keine Sanierungsbeiträge) übernehmen müssen. Gerade in wirtschaftlich kritischen Zeiten, wenn viele Unternehmen selber von den Reserven zehren müssen, ist es kontraproduktiv, diese noch mit Nachzahlungen in die Vorsorge zu konfrontieren. Bei Löhnen ab CHF 82080 sinkt der Versicherungsschutz aus 1. und 2. Säule gemessen am AHV-Lohn. Der Anteil der variablen, mehrheitlich nicht versicherten Lohnbestandteile nimmt zu. Es ist daher unerlässlich, ein Vorsorgekonzept für diese Personengruppe umzusetzen. Dabei kann ein massgeschneiderter Versicherungsschutz festgelegt werden, bei dem die versicherten Personen individuell die Anlagestrategie festlegen. Es empfiehlt sich daher für solche Unternehmen, ein gesplittetes Vorsorgekonzept zu wählen und somit auch die Vorsorge zu diversifizieren und bei grossen versicherten Löhnen das Risiko für die Unternehmung zu reduzieren.
Wie müssen die Arbeitgeber mit der beruflichen Vorsorge in Zukunft umgehen?
Arbeitgeber müssen ihr Augenmerk vermehrt auf die Vorsorge richten, gerade in wirtschaftlich kritischen Zeiten. Im Rahmen der Personalpolitik müssen Salärsystem, Belegschaftsstruktur sowie deren Vorsorgebedarf und Vorsorgekonzept in Einklang gebracht werden. Nicht alle Personengruppen in einer Unternehmung müssen immer gleich versichert werden. Unterschiede gibt es beim Alter, beim sozialen Status oder der Gehaltsstufe. Die Ausgangslage und die Bedürfnisse sind verschieden. Entsprechend müssen angepasste und flexible Vorsorgelösungen gewählt werden.
Welche konkreten Massnahmen könnte ein Arbeitgeber bei einer Pensionskasse mit Unterdeckung in die Wege leiten?
Es empfiehlt sich eine umfassende Prüfung der Situation und der möglichen Massnahmen. Ein mögliches Szenario könnte auch die Reduktion des Vorsorgeplans auf ein Minimum bei der bisherigen Vorsorgeeinrichtung sein und ein Neustart mit einer Kaderlösung. Das bereits angesparte Vorsorgekapital verbleibt in der bisherigen Vorsorgelösung in der Unterdeckung. Mit der neuen Zusatzlösung würden aber sämtliche neuen Sparbeiträge und Einlagen nicht auch noch in eine Unterdeckung einbezahlt. Auf diesen Geldern können somit höhere Erträge für die Versicherten erwartet werden.
Gibt es Personengruppen, welche bei einer Unterdeckung allenfalls besonders betroffen sind?
Speziell im Auge zu behalten ist die Situation von Arbeitnehmern, welche vor der Pensionierung stehen. Kommt es bei der Pensionskasse mit Unterdeckung zu einer Teilliquidation und verlieren diese Personen die Arbeitsstelle, so reduziert sich ihr Vorsorgevermögen erheblich und sie können keine oder nur noch Altersrenten mit einem tiefen Umwandlungssatz beziehen. Die Renteneinkünfte bleiben somit lebenslänglich auf einem wesentlich tieferen Niveau. Dabei gilt es auch zu beachten, dass auf den Altersrenten (welche rund 20 bis 30 Jahre ausbezahlt werden) mehrheitlich kein Teuerungsausgleich ausgerichtet wird.
Wie schätzen Sie die künftige Entwicklung der Altersvorsorge ein?
Das Dreisäulenkonzept der Altersvorsorge in der Schweiz hat sich bewährt und ist international anerkannt. Probleme treten dort auf, wo politisch Versprechungen gemacht werden, welche nicht finanzierbar sind. Das Pensionierungsalter wird daher künftig noch flexibler gehandhabt. In der beruflichen Vorsorge werden der Umwandlungssatz für die Altersrenten sowie der BVG-Zins für die Verzinsung des obligatorischen Vermögens reduziert.
Welche Massnahmen wären aus Ihrer Sicht nötig?
Eine Möglichkeit ergibt sich bei der anstehenden eidgenössischen Abstimmung bezüglich der Reduktion der Umwandlungssätze in der beruflichen Vorsorge. Diese zwingend erforderliche Anpassung an die demografische Entwicklung wäre ein echter Beitrag an die Entlastung der Pensionskassen.
Gemäss einer repräsentativen Umfrage vertrauen rund 70 Prozent der Schweizer den Pensionskassen. Nur wenige wissen aber, wie die berufliche Vorsorge funktioniert, so der Schweizerische Pensionskassenverband. Eine langfristig angelegte Sensibilisierungs- und Informationskampagne will der ASIP das Wissen der Bevölkerung steigern und die Komplexität reduzieren. Die Kernbotschaft lautet: «Pensionskassen – Mit uns – für uns.»
www.mit-uns-fuer-uns.ch
Hinweise
- (1) An der mittlerweile 9. Swisscanto-Pensionskassenumfrage haben im Frühjahr 2009 272 Vorsorgeeinrichtungen teilgenommen. Sie gliedern sich in 246 Pensionskassen, davon 45 öffentlich-rechtliche sowie 15 offene Gemeinschaftsstiftungen und 11 Sammelstiftungen. Das Gesamtvermögen der Teilnehmer beträgt CHF 342 Mia. Damit werden schätzungsweise 60 Prozent des Vorsorgevermögens und der
- Destinatäre der schweizerischen beruflichen Vorsorge erfasst. Die Umfrage von Swisscanto liefert Fachleuten, Politikern und einer weiteren interessierten Öffentlichkeit detaillierte Daten über die Struktur der Pensionskassen. Erfasst wurden unter anderem die Zusammensetzung der Aktiven und Pensionierten, die Beiträge und Leistungen, die Vermögensanlage und die erzielte Performance. Weiterführende Informationen sowie detaillierte Resultate mit Grafiken und Kommentaren sind ab sofort unter www.swisscanto-pk-studie.ch abrufbar. Im September wird Swisscanto erneut eine ausführliche Studie mit Analysen und Kommentaren von Fachleuten publizieren.
- (2) The Sustainability Forum Zürich begeht in diesem Jahr seinen 10. Geburtstag. Der Verein wurde 1999 mit dem Ziel gegründet, Nachhaltigkeit in der Finanzwirtschaft zu fördern. Zu den Mitgliedern gehören unter anderem Swiss Re und Swiss Life, die Bank Vontobel, der Fondsanbieter SAM, das Pharmaunternehmen Novo Nordisk, PricewaterhouseCoopers, BHP – Brugger und Partner sowie der Kanton und die Universität Zürich. Am 10. und 11. September 2009 findet das 10. International Sustainability Leadership Symposium statt. Das Thema lautet «Vertrauen in die Finanzmärkte wiederherstellen: Es ist an der Zeit, nachhaltig zu denken». Mehr Informationen: www.sustainability-zurich.org
- (3) Urs Schaffner ist Autor folgender Bücher: Führung von Pensionskassen – Ein Ratgeber für Stiftungsräte. Orell Füssli Verlag, September 2005, CHF 49.90 Good Governance von Pensionskassen – Ein Leitfaden für verantwortungsbewusste Stiftungsräte. Orell Füssli Verlag, August 2007, CHF 49.90