Salärsysteme

Den Pensionskassen geht es schlecht: Wackelt die zweite Säule?

Laut einer aktuellen Pensionskassenumfrage von Swisscanto befinden sich 60 Prozent der privatrechtlichen und 93 
Prozent der öffentlich-rechtlichen Pensionskassen in Unterdeckung. Gut die Hälfte der Umfrageteilnehmer signalisiert Handlungsbedarf. HR Today hat sechs Experten um ihre Einschätzung der aktuellen Lage gebeten.

Die zweite Säule ist im Bundesgesetz über die berufliche Vorsorge (BVG) seit dem 1.1.1985 gesetzlich geregelt. Die 2500 Pensionskassen mit insgesamt 3,5 Millionen aktiven Versicherten verzeichnen jährliche Beitragseinnahmen von 44,6 Milliarden Franken. Pro Jahr zahlen laut dem Schweizerischen Pensionskassenverband die Pensionskassen Rentenleistungen von knapp CHF 22 Milliarden aus, davon entfallen 16 Milliarden auf Altersrenten, 3 Milliarden auf Hinterlassenenrenten und 2,4 Milliarden auf Invalidenrenten. Hinzu kommen einmalige Vorsorgeleistungen von jährlich rund CHF 5,7 Milliarden. Die Pensionskassen verwalten ein Vorsorgevermögen von CHF 600 Milliarden.

Swisscanto hat in einer aktuellen Studie(1) die Situation der Pensionskassen untersucht. Daraus ergeben sich Einblicke in die Struktur und das Verhalten der teilnehmenden Vorsorgeeinrichtungen. Das Ergebnis zeige eine beunruhigende Verschlechterung der Deckungsgradsituation, heisst es bei Swisscanto. Der durchschnittliche Deckungsgrad ist im Laufe des Jahres 2008 bei den privatrechtlichen Kassen von 100 Prozent auf 96 Prozent (vermögensgewichtet) gesunken. Der Zieldeckungsgrad der Umfrageteilnehmer beträgt demgegenüber durchschnittlich 115 Prozent. Von den teilnehmenden privatrechtlichen Vorsorgeeinrichtungen weisen Ende 2008 rund 60 Prozent eine Unterdeckung aus; von den öffentlichen-rechtlichen sind 93 Prozent untergedeckt. Eine rasche Besserung der Situation wird laut Studie nicht erwartet.

HR Today hat sechs Experten um ihre Einschätzung der aktuellen Lage sowie der Zukunft der Altersvorsorge gebeten.

Thomas Fink, Swisscanto AG

Herr Fink, Sie sprechen aufgrund der Ergebnisse Ihrer aktuellen Pensionskassenumfrage von einer beunruhigenden Verschlechterung der Deckungsgradsituation. Was heisst das genau, erstens für die Arbeitnehmer und zweitens für die Unternehmen?

Thomas Fink: Der Arbeitnehmer muss damit rechnen, dass die Verzinsung des Sparkapitals in den nächsten Jahren minimal sein wird. Die Vorsorgeeinrichtung wird den erzielten Vermögensertrag im Übrigen für die Wiederherstellung der Reserven und Rückstellungen verwenden. Bei erheblicher Unterdeckung (Deckungsgrad von unter 90 Prozent) muss er, wie das Unternehmen, mit Sanierungsbeiträgen und mit generell höheren Beiträgen rechnen, ohne dass diesen Beiträgen höhere Leistungen gegenüberstehen. Für das Unternehmen zeigt sich daran, dass es nicht ganz unabhängig von seiner Vorsorgeeinrichtung ist. Die Arbeitnehmer koppeln die beiden aneinander.

Eine besondere Situation besteht dann, wenn ein Mitarbeiter das Unternehmen verlässt (Stellenwechsel) und aus der Vorsorgeeinrichtung austritt. Er hat Anspruch auf das volle Sparkapital und lässt die auf sein Sparkapital entfallende Unterdeckung zurück. Dasselbe gilt, wenn ein aktiver Versicherter pensioniert wird. Seine Altersrente wird auf dem vollen Sparkapital berechnet. Bei erheblicher Unterdeckung stellt sich die Frage, ob diese grosszügige Behandlung gerecht ist.

Das Problem liegt in der Fluktuation?

Die jährliche Fluktuationsrate der aktiven Versicherten beträgt erfahrungsgemäss 15 Prozent. Wenn das drei, vier Jahre so geht, ist rund die Hälfte der anfangs vorhandenen Personen aus dem Bestand der aktiven Versicherten ausgeschieden. Meistens sind sie durch jüngere Personen ersetzt worden. Diese sagen sich: «Was habe ich mit der Unterdeckung zu tun?» Der Arbeitgeber gerät unter Druck, sich stärker an der Sanierung zu beteiligen. Dies ist besonders dann zu befürchten, wenn nach 5–7 Jahren immer noch eine erhebliche Unterdeckung besteht und die aktiven Versicherten weiterhin spürbar von den Sanierungsmassnahmen betroffen sind. Das Unternehmen hat ein vitales Interesse, dass die Unterdeckung nach wenigen Jahren behoben ist.

Auch weil jetzt in der Krise vermehrt entlassen wird?

Werden mehr als 5 Prozent der Versicherten entlassen, muss die Vorsorgeeinrichtung eine Teilliquidation durchführen. In diesem Fall darf die Unterdeckung mitgegeben werden. Dann tragen die Austretenden die Folgen der Unterdeckung ganz allein. Diese Austretenden verlieren nicht nur die Stelle, sondern auch einen Teil des Sparkapitals. Dies ist unbefriedigend und ruft nach einer Überprüfung der rechtlichen Bestimmungen.

Welche Konsequenzen hat die Unterdeckung der Pensionskasse auf die Rentner? Müssen die Rentner jetzt die Zeche zahlen?

Die Rechtslage erlaubt es nur in seltenen Fällen, die Rentenbezüger an der Sanierung zu beteiligen. Ihnen geht es zurzeit gut. Sie profitieren von der Solidarität zwischen Jung und Alt. Es wird diskutiert, den Rentnern die Anwartschaft auf die Ehegattenrente zu kürzen.

Wie sollten Unternehmen mit den Lücken im Vorsorgesystem umgehen?

Es ist darauf zu achten, dass der Deckungsgrad möglichst rasch die Marke von 95 Prozent erreicht. Damit können alle in der Regel gut leben. Die weitere Behebung der Unterdeckung sowie die Wiederherstellung der Reserven und Rückstellungen sind dann auf sanfte Weise erreichbar. Die Unternehmen können so vermeiden, dass das Prinzip «Den letzten beissen die Hunde» eintritt.

Welche Lösungen schlagen Sie konkret vor?

Ein neuer Ansatz ist, dass diejenigen, die aus dem Bestand der aktiven Versicherten austreten, einen Teil der zukünftigen Sanierungsbeiträge mittragen müssen, in Form eines Abzugs an der Austrittsleistung. So könnte man vermeiden, dass ein austretender Mitarbeiter das volle Sparkapital erhält, obwohl sich die Vorsorgeeinrichtung in Unterdeckung befindet.

Welche Zukunft sagen Sie dem Dreisäulensystem voraus?

Das System hat sich bisher sehr gut bewährt und man wird daran festhalten. Die berufliche Vorsorge muss überprüft werden, insbesondere hinsichtlich einer weiteren Senkung der Kosten in den Bereichen Verwaltung und Vermögensanlage. Der Umwandlungssatz wird in den nächsten Jahren eine sinkende Tendenz aufweisen, weil die Menschen immer länger leben.

André Egli, Balmer-Etienne AG

Herr Egli, welche Art der Pensionskassen gibt es und für wen sind sie geeignet?

André Egli: Unterschieden werden Pensionskassen in Vollversicherungen und autonome Vorsorgeeinrichtungen. Vollversicherungen bieten eine Kapital- und Zinsgarantie. Eine Unterdeckung sowie Teilliquidation sind hier nicht möglich. Bei autonomen Vorsorgeeinrichtungen besteht grundsätzlich die Gefahr von Sanierungsmassnahmen bei erheblicher Unterdeckung zu Lasten des Arbeitgebers und Arbeitnehmers sowie auch der Mitgabe einer Unterdeckung bei einem Teilliquidationstatbestand. Welches Vorsorgeprodukt zu welcher Firma passt, hängt unter anderem von der Mitarbeiteranzahl der Firma, Branchenzugehörigkeit und Risikobereitschaft ab.

Wie sollten Unternehmen die Vorsorge
lösung beurteilen?

Nicht die kostengünstige Prämie sollte bei der Wahl einer Vorsorgeeinrichtung alleine ausschlaggebend sein; vor allem auch die Risikofähigkeit der Vorsorgeeinrichtung (z.B. Deckungsgrad, technischer Zinssatz), die Höhe des Umwandlungssatzes, die Fälligkeit der Prämien, die Qualität der Arbeit der Verwaltung und die Möglichkeit der Verwendung von Überschüssen und freien Mitteln spielen eine entscheidende Rolle. Die Höhe der versicherten Leistungen hängt davon ab, welche Kosten, also Sparbeiträge, Beiträge für Invaliden-/Todesfallleistungen, für die berufliche Vorsorge eingesetzt werden sollen. Dies entscheiden der Arbeitgeber respektive die paritätische Verwaltungskommission.

Wie werden die Risiken in einer Pensionskasse gehandhabt?

Es ist eine zentrale Aufgabe für das oberste Organ einer Vorsorgeeinrichtung, einerseits die spezifischen Risiken ihrer Vorsorgeeinrichtung zu kennen und andererseits diese individuellen Risiken zu managen. Ein Risikomanagement bildet auch integrierenden Bestandteil eines funktionierenden Internen Kontrollsystems IKS.

Welche Risiken gibt es?

Jede Vorsorgeeinrichtung verfügt über folgende wesentliche Risikokategorien: Anlagerisiken, versicherungstechnische Risiken, organisatorische Risiken und die Umfeld
risiken. Wie sie diesen Risiken begegnen soll (z.B. Rückversicherung), ist Sache des Führungsorgans.

Ist Deckungsgrad gleich Deckungsgrad?

Ein Deckungsgrad von 100 Prozent bedeutet, dass alle Verpflichtungen zum heutigen Zeitpunkt zu 100 Prozent gedeckt sind. Dabei ist die Aktiv- wie auch Passivseite zu Marktwerten zu bewerten. Deckungsgrad ist nicht gleich Deckungsgrad – der zugrunde gelegte technische Zinssatz sowie auch die Vorsorge- und Versichertenstruktur sind zu berücksichtigen und miteinander zu vergleichen.

Inwieweit ist eine Unterdeckung zulässig?

Da Pensionskassen im Normalfall einen langfristigen Horizont aufweisen, ist eine temporäre Unterdeckung grundsätzlich möglich und gesetzlich erlaubt. Das Führungsorgan muss allerdings Massnahmen ergreifen, damit die Vorsorgeeinrichtung innert nützlicher Frist (5–10 Jahre) die Unterdeckungs
situation bereinigen kann.

Welche Rendite muss eine Pensionskasse jährlich erwirtschaften, um den Deckungsgrad konstant halten zu können?

Die zu erzielende Rendite ist je nach Vorsorgeeinrichtung unterschiedlich und hängt unter anderem von der Höhe des verwendeten technischen Zinssatzes, von der Risikofähigkeit der Vorsorgeeinrichtung sowie auch von der Höhe der Verwaltungskosten ab. Im Normalfall beträgt die Zielrendite zwischen 
3 und 4,5 Prozent.

Was passiert, wenn eine Vorsorgeeinrichtung in die Insolvenz geht?

Bei einer Insolvenz der Vorsorgeeinrichtung würde der Sicherheitsfonds in die Presche springen. Dieser deckt unter anderem Leistungen bis zu einem Lohn von 123120 Franken ab.

Ernst A. Brugger, Sustainability Forum Zürich

Herr Brugger, inwiefern hat die derzeitige schlechte Lage der Pensionskassen Einfluss auf die Geschäftsbilanz der Unternehmen?

Ernst A. Brugger: Im Grundsatz hat die verschlechterte Lage allein keinen Einfluss auf die Geschäftsbilanz der Unternehmen. Erst im Falle von Sanierungsmassnahmen müssten allfällige Beiträge der Arbeitgeber in der Bilanz ausgewiesen werden. Übrigens war und ist es nicht falsch, dass Pensionskassen einen relativ bedeutsamen Aktienanteil halten. Pensionskassen haben einen langfristigen Zeithorizont und dafür sind Aktien gegenüber allen anderen Anlagekategorien rentabler. Panikverkäufe wären im jetzigen Moment grundfalsch; gezielte Investitionen in Aktien wären heute hingegen angezeigt.

Müssen die Arbeitgeber umdenken?

Die Unterdeckung der meisten Pensionskassen zwingt die Unternehmen zweifelsohne dazu, die grosse Bedeutung der Altersvorsorge wieder besser zu erkennen. Dazu gehört auch das Schaffen einer grösseren Transparenz gegenüber den Mitarbeitern und professionelleres Engagement in den Organen des Vorsorgewerks. Arbeitgeber sollen mit ihrer paritätischen Beteiligung in diese Richtung Einfluss nehmen und ausserdem darauf hinwirken, dass die Anlagestrategie im Sinne der Nachhaltigkeitsprinzipien überdacht wird.

Worüber muss oder sollte der Arbeitgeber die Versicherten informieren?

Die Arbeitgeber sollten in der Regel jährlich die Verantwortlichen der Pensionskassen zu verständlicher und offener Information einladen und den Arbeitnehmern ebenfalls Gelegenheit für Fragen und Anregungen bieten.

Wie kann das Vertrauen in die Pensionskassen wiederhergestellt werden?

Transparente Kommunikation ist der Schlüssel für die (Wieder-)Herstellung von Vertrauen. Die drei wichtigsten inhaltlichen Reformen sind:

  1. 
Leistungsfähigkeit der Pensionskasse (Chancen + Risiken) so darstellen, dass bei Arbeitnehmern und Arbeitgebern keine falschen Erwartungen entstehen.
  2. 
Erhöhung der Schwankungsreserve und Klärung der damit verbundenen Ansprüche.
  3. 
Markante Vereinfachung des BVG insgesamt mit konsequent marktwirtschaftlich  ausgerichteten Prinzipien; auf dieser Basis müsste kommuniziert werden, welche Erwartungen tatsächlich realistisch sind.

Ein nachhaltiges Vorsorgesystem – wie könnte das Ihrer Meinung nach aussehen?

Zu den wichtigsten Prinzipien der Nachhaltigkeit gehören: Sicherung des Kapitalstocks durch entsprechende Anlagepolitik inklusive höherer Schwankungsreserven, Konsistenz der Erwartungen der Mitglieder im Vergleich zur Leistungsfähigkeit der Pensionskassen, Angebotsflexibilisierung, um der unterschiedlichen Risikobereitschaft im Lebenszyklus der Mitglieder entsprechen zu können, wachsendes Benchmarking von attraktiven Nachhaltigkeitsthemen in der Anlagepolitik und neue Governance sowie professionelle Organisation inklusive markant besserer Kommunikation.

Urs Schaffner, Hewitt Associates

Herr Schaffner, welche Möglichkeiten gibt es, wenn eine Pensionskasse eine Sanierung durchführen muss?

Urs Schaffner: Intuitiv kann ich die Sanierungsmöglichkeiten in drei Schmerzstufen einteilen:

  1. Der Arbeitgeber ist finanziell stark genug, um eine Unterdeckung ganz oder teilweise auszufinanzieren, oder die erwartete Vermögensrendite reicht aus, um eine Sanierung durchzuführen. In diesen Fällen ist es nicht nötig, einschneidende Sanierungsmassnahmen zu ergreifen.
  2. 
Eine buchhalterische Massnahme: Die Minderverzinsung der Altersguthaben im Beitragsprimat. Dies verändert kurzfristig nicht wirklich die Kapitalflüsse, verringert jedoch die künftige Vorsorgeleistung. Diese Lösung wird derzeit häufig gewählt.
  3. 
Sanierungsbeiträge: Kapitalflüsse fliessen direkt in die Kasse. Geregelt sind Sanierungsbeiträge in Art. 65d des BVG. Sanierungsbeiträge verringern das Nettogehalt des Arbeitnehmers und schlagen sich in der Erfolgsrechnung des Arbeitgebers nieder.

Das ist natürlich nicht das ganze Spektrum der Sanierungsmöglichkeiten. Die drei Schmerzstufen sind jedoch in den aktuellen Diskussionen von vielen Stiftungsräten in der Praxis relevant.

Wer trägt die Verantwortung für Sanierungsmassnahmen?

Von Gesetzes wegen ist die Vorsorgeeinrichtung alleine für die Behebung der 
Deckungslücke verantwortlich. Es ist somit keine Entscheidungskonstellation, die der Arbeitgeber alleine verantworten kann oder muss. Letztlich führen die Stiftungsräte, in denen Arbeitgeber und Arbeitnehmer paritätisch vertreten sind, Sanierungsmassnahmen durch.

Ab welchem Deckungsgrad besteht Handlungsbedarf?

Das ist abhängig von der Sanierbarkeit der Kasse. Die hängt in erster Linie von der Mitgliederstruktur der Kasse und von der Struktur der Vorsorgekapitalien ab. Eine reine «Rentnerkasse» ist bereits bei einem Deckungsgrad von knapp unter 100 Prozent zu sanieren, während eine Kasse mit einem sehr jungen Bestand eine Unterdeckung besser aufholen kann. Je mehr Rentner und je höher die Vorsorgekapitalien, desto schwieriger ist eine Kasse sanierbar und desto früher muss man agieren.

Hat die Finanzkrise die Pensionskassen in diese schlechte Situation gebracht oder war das bereits vor Jahren vorhersehbar?

Das finanzielle Gleichgewicht, wie es gemessen und berechnet wird, ist in der Tat seit 25 Jahren ein Thema. Die Berechnung ist heute in Art. 44 BVV 2 gesetzlich vorgegeben, aber der Inhalt der einzelnen Positionen ist im Sinne der versicherungstechnischen Annahmen noch dehnbar.

Aus meiner Sicht ist die aussergewöhnlich schlechte Kapitalmarktsituation zu 95 Prozent die Hauptursache für die Unterdeckungen in diesem Masse. Finanzierungslücken oder Fehlbewertungen auf der Verbindlichkeitsseite sind eher seltene Ursachen. Die meisten Pensionskassen arbeiten nach versicherungstechnisch basierten Plänen. Die Umwandlungssätze werden jedoch politisch festgelegt und sind zurzeit eindeutig zu hoch. Die meisten Pensionskassen sind viel realistischer.

Inwieweit können sich die Pensionskassen in absehbarer Zeit erholen?

Es kommt darauf an, wie gross die Deckungslücke ist. Ich bin positiv überrascht, wie proaktiv die Pensionskassen, die ich betreue, handeln. Sie verfolgen und diskutieren dieses Thema ernsthaft. Die Bereitschaft, zu handeln, ist bei Arbeitgebern und Arbeitnehmern gleichermassen gross. Auf dieser Basis bin ich für viele Pensionskassen zuversichtlich. Es ist jedoch zwingend notwendig, dass die Kapitalmärkte sich einigermassen erholen. Ist das nicht der Fall, werden wir es sehr schwer haben. In sämtlichen Leistungsversprechungen ist natürlich eine positive Kapitalmarktrendite eingebaut.

Wie könnte in Zukunft eine laufende Deckung gewährleistet werden?

Ich bin der Meinung, dass die meisten unabhängigen Schweizer Pensionskassen grundsätzlich auf einem guten Weg sind. Die meisten Stiftungsräte verfolgen und diskutieren die jüngsten Entwicklungen intensiv, aber verlieren die langfristige Perspektive der Pensionskasse nie aus den Augen. Auf diese Weise entstehen in der Regel angemessene Sanierungskonzepte, welche das finanzielle Gleichgewicht der Pensionskasse langfristig mit einer hohen Wahrscheinlichkeit sicherstellen können. Gleichzeitig stehen sämtliche Vorsorgeeinrichtungen vor kritischen Herausforderungen, welche ihre Zukunft massgeblich beeinflussen werden: Wie viel Anlagerendite kann künftig erwirtschaftet werden? Reicht diese aus, um die versprochenen Vorsorgeleistungen zusammen mit den reglementarischen Beitragszahlungen zu finanzieren? Oder: Um wie viel erhöht sich die Lebenserwartung der Rentenbezüger in Zukunft? Haben wir diesen Anstieg angemessen in unseren Rückstellungen berücksichtigt? Und letztendlich natürlich auch: Wie sehen die wirtschaftliche Zukunft und die Ertragslage der angeschlossenen Arbeitgeber aus? Kann das heutige Leistungsniveau aufrechterhalten werden?

Hanspeter Konrad, Schweizerischer Pensionskassenverband

Herr Konrad, wie beurteilen Sie die derzeitige Lage der Pensionskassen?

Hanspeter Konrad: Die Vorsorgeeinrichtungen sind als wichtige Investoren von der Entwicklung an den Finanzmärkten betroffen. Viele Pensionskassen befinden sich in Unterdeckung, die Lage ist für viele Kassen schwierig, aber nicht dramatisch. Grössere Beunruhigung oder gar Panik sind nicht angebracht. Aussagen über die Anzahl Kassen in Unterdeckung sind zurzeit immer Momentaufnahmen. Ob es nun 55 oder 60 Prozent der Kassen in Unterdeckung sind – wichtiger ist, dass in den Pensionskassen selbst eine umfassende Lagebeurteilung vorgenommen wird und die Gründe der Unterdeckung analysiert werden. Man muss sich auf mehrere mögliche Situationen einstellen. Schwierig abzuschätzen ist, ob wir die Talsohle schon durchschritten haben. Offen ist auch, wie sich die Rezession in der Schweiz entwickeln wird.

Welcher Handlungsbedarf ergibt sich für die berufliche Vorsorge?

Aufgrund der gesetzlichen Grundlagen trägt das oberste Organ die Verantwortung für allfällige Sanierungsmassnahmen. Es geht darum, dass die Führungsorgane eigenverantwortlich eine Lagebeurteilung vornehmen und – zusammen mit dem Experten – ein Sanierungskonzept erarbeiten. Den Vorsorgeeinrichtungen steht eine ganze Palette von möglichen Sanierungsmassnahmen zur Verfügung. Gemäss den heutigen Regelungen haben die aktiven Versicherten und die Arbeitgeber die Hauptlast einer Sanierung zu tragen. Für den Fall einer länger andauernden Rezession, die das Vorsorgesystem vor grosse Herausforderungen stellt, sind im Interesse der Gesundheit der Vorsorgeeinrichtungen und der Vorsorgesicherheit auch weitere Massnahmen in Erwägung zu ziehen. Unter Beachtung von sozialpolitischen Rahmenbedingungen wäre beispielsweise in Extremfällen zur Stärkung der Solidargemeinschaft auch ein stärkerer Einbezug der Rentenbezüger denkbar. Ein solcher Schritt bedingt aber entsprechende gesetzliche Anpassungen.

Entscheidend ist, dass die Aufsichtsbehörden Augenmass wahren und die Pensionskassen nicht vorschnell zu Sanierungsmassnahmen gezwungen werden. Es gibt aber durchaus Situationen, bei denen aus heutiger Sicht zwingend Sanierungsmassnahmen zu beschliessen sind. Ein generelles Moratorium, wie politisch gefordert wird, ist nicht zielführend. Im Gegenteil: Ein Aufschieben allfälliger Sanierungsmassnahmen könnte die Situation erheblich verschärfen.

Hat die 2. Säule eine Zukunft?

Die 2. Säule ist sozialpartnerschaftlich aufgebaut und dementsprechend breit abgestützt. Sie stellt nach wie vor ein stabiles und funktionsfähiges System dar, welches allen negativen Botschaften zum Trotz auch dem gegenwärtigen Sturm standhalten wird.

Ein Umbau des schweizerischen Vorsorgesystems ist Ihrer Meinung nach nicht denkbar?

Ein Umbau des schweizerischen Vorsorgesystems im Sinne einer Ausweitung des Umlageverfahrens auf Kosten des Kapitaldeckungsverfahrens der zweiten Säule ist weder 
zielführend noch sinnvoll. Die Vorsorgeeinrichtungen leisten einen – insbesondere auch personalpolitisch – wesentlichen Beitrag zur Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge der Mitarbeitenden in den Unternehmungen. Bei einem Ausbau der AHV zulasten der beruflichen Vorsorge würde ein nach dem Umlageverfahren finanziertes System, welches den demografischen Veränderungen viel stärker ausgesetzt ist als das kapitalgedeckte Vorsorgesystem, gestärkt. Die Tatsache, dass immer weniger aktiv Versicherte immer mehr Rentner tragen müssen, führt bei der umlagefinanzierten AHV unweigerlich in einen Finanzierungsengpass, der besonders die zahlenden, jüngeren Generationen belasten würde.

Wie schätzen Sie die Leistungsfähigkeit der Pensionskassen für die Zukunft ein?

Gewichten die Führungsorgane der Vorsorgeeinrichtungen die Grundsätze Vorsorgesicherheit, Ertrag, Risikoverteilung und Liquidität optimal, leistet die berufliche Vorsorge in der Schweiz auch in Zukunft einen zentralen Beitrag zur Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge. Aufgrund der weiterhin steigenden Lebenserwartung und der Entwicklungen der Kapitalmärkte ist jedoch ein versicherungs- und finanztechnisch korrekt festgelegter Umwandlungssatz für die Zukunft der beruflichen Vorsorge entscheidend. Ein zu hoher Umwandlungssatz führt zu kaum erfüllbaren Leistungsversprechen zulasten der Jungen und zu einer Umverteilung der Erträge, daher braucht es ein klares Ja zu fairen Umwandlungssätzen.

Walter Blum, PensExpert AG

Herr Blum, welche Möglichkeiten der Vorsorge gibt es grundsätzlich für Unternehmen?

Walter Blum: Unternehmen müssen für Ihre Angestellten das gesetzliche Minimum abdecken. Die Realität zeigt, dass die Mehrheit aber wesentlich bessere Leistungen versichert. Dabei können insbesondere für Kadermitarbeiter bzw. das Topmanagement separate und zielgerichtete Zusatzlösungen aufgesetzt werden, bei denen die Unternehmen keine weiteren Risiken (z.B. keine Nachschusspflicht, keine Sanierungsbeiträge) übernehmen müssen. Gerade in wirtschaftlich kritischen Zeiten, wenn viele Unternehmen selber von den Reserven zehren müssen, ist es kontraproduktiv, diese noch mit Nachzahlungen in die Vorsorge zu konfrontieren. Bei Löhnen ab CHF 82080 sinkt der Versicherungsschutz aus 1. und 2. Säule gemessen am AHV-Lohn. Der Anteil der variablen, mehrheitlich nicht versicherten Lohnbestandteile nimmt zu. Es ist daher unerlässlich, ein Vorsorgekonzept für diese Personengruppe umzusetzen. Dabei kann ein massgeschneiderter Versicherungsschutz festgelegt werden, bei dem die versicherten Personen individuell die Anlagestrategie festlegen. Es empfiehlt sich daher für solche Unternehmen, ein gesplittetes Vorsorgekonzept zu wählen und somit auch die Vorsorge zu diversifizieren und bei grossen versicherten Löhnen das Risiko für die Unternehmung zu reduzieren.

Wie müssen die Arbeitgeber mit der beruflichen Vorsorge in Zukunft umgehen?

Arbeitgeber müssen ihr Augenmerk vermehrt auf die Vorsorge richten, gerade in wirtschaftlich kritischen Zeiten. Im Rahmen der Personalpolitik müssen Salärsystem, Belegschaftsstruktur sowie deren Vorsorgebedarf und Vorsorgekonzept in Einklang gebracht werden. Nicht alle Personengruppen in einer Unternehmung müssen immer gleich versichert werden. Unterschiede gibt es beim Alter, beim sozialen Status oder der Gehaltsstufe. Die Ausgangslage und die Bedürfnisse sind verschieden. Entsprechend müssen angepasste und flexible Vorsorgelösungen gewählt werden.

Welche konkreten Massnahmen könnte ein Arbeitgeber bei einer Pensionskasse mit Unterdeckung in die Wege leiten?

Es empfiehlt sich eine umfassende Prüfung der Situation und der möglichen Massnahmen. Ein mögliches Szenario könnte auch die Reduktion des Vorsorgeplans auf ein Minimum bei der bisherigen Vorsorgeeinrichtung sein und ein Neustart mit einer Kaderlösung. Das bereits angesparte Vorsorgekapital verbleibt in der bisherigen Vorsorgelösung in der Unterdeckung. Mit der neuen Zusatzlösung würden aber sämtliche neuen Sparbeiträge und Einlagen nicht auch noch in eine Unterdeckung einbezahlt. Auf diesen Geldern können somit höhere Erträge für die Versicherten erwartet werden.

Gibt es Personengruppen, welche bei einer Unterdeckung allenfalls besonders betroffen sind?

Speziell im Auge zu behalten ist die Situation von Arbeitnehmern, welche vor der Pensionierung stehen. Kommt es bei der Pensionskasse mit Unterdeckung zu einer Teilliquidation und verlieren diese Personen die Arbeitsstelle, so reduziert sich ihr Vorsorgevermögen erheblich und sie können keine oder nur noch Altersrenten mit einem tiefen Umwandlungssatz beziehen. Die Renteneinkünfte bleiben somit lebenslänglich auf einem wesentlich tieferen Niveau. Dabei gilt es auch zu beachten, dass auf den Altersrenten (welche rund 20 bis 30 Jahre ausbezahlt werden) mehrheitlich kein Teuerungsausgleich ausgerichtet wird.

Wie schätzen Sie die künftige Entwicklung der Altersvorsorge ein?

Das Dreisäulenkonzept der Altersvorsorge in der Schweiz hat sich bewährt und ist international anerkannt. Probleme treten dort auf, wo politisch Versprechungen gemacht werden, welche nicht finanzierbar sind. Das Pensionierungsalter wird daher künftig noch flexibler gehandhabt. In der beruflichen Vorsorge werden der Umwandlungssatz für die Altersrenten sowie der BVG-Zins für die Verzinsung des obligatorischen Vermögens reduziert.

Welche Massnahmen wären aus Ihrer Sicht nötig?

Eine Möglichkeit ergibt sich bei der anstehenden eidgenössischen Abstimmung bezüglich der Reduktion der Umwandlungssätze in der beruflichen Vorsorge. Diese zwingend erforderliche Anpassung an die demografische Entwicklung wäre ein echter Beitrag an die Entlastung der Pensionskassen.

Gemäss einer repräsentativen Umfrage vertrauen rund 70 Prozent der Schweizer den Pensionskassen. Nur wenige wissen aber, wie die berufliche Vorsorge funktioniert, so der Schweizerische Pensionskassenverband. Eine langfristig angelegte Sensibilisierungs- und Informationskampagne will der ASIP das Wissen der Bevölkerung steigern und die Komplexität reduzieren. Die Kernbotschaft lautet: «Pensionskassen – Mit uns – für uns.»
www.mit-uns-fuer-uns.ch

Hinweise

  • (1) 
An der mittlerweile 9. Swisscanto-Pensionskassenumfrage haben im Frühjahr 2009 272 Vorsorgeeinrichtungen teilgenommen. Sie gliedern sich in 246 Pensionskassen, davon 45 öffentlich-rechtliche sowie 15 offene Gemeinschaftsstiftungen und 11 Sammelstiftungen. Das Gesamtvermögen der Teilnehmer beträgt CHF 342 Mia. Damit werden schätzungsweise 60  Prozent des Vorsorgevermögens und der
  • Destinatäre der schweizerischen beruflichen Vorsorge erfasst. Die Umfrage von Swisscanto liefert Fachleuten, Politikern und einer weiteren interessierten Öffentlichkeit detaillierte Daten über die Struktur der Pensionskassen. Erfasst wurden unter anderem die Zusammensetzung der Aktiven und Pensionierten, die Beiträge und Leistungen, die Vermögensanlage und die erzielte Performance. Weiterführende Informationen sowie detaillierte Resultate mit Grafiken und Kommentaren sind ab sofort unter www.swisscanto-pk-studie.ch abrufbar. Im September wird Swisscanto erneut eine ausführliche Studie mit Analysen und Kommentaren von Fachleuten publizieren.
  • (2) 
The Sustainability Forum Zürich begeht in diesem Jahr seinen 10. Geburtstag. Der Verein wurde 1999 mit dem Ziel gegründet, Nachhaltigkeit in der Finanzwirtschaft zu fördern. Zu den Mitgliedern gehören unter anderem Swiss Re und Swiss Life, die Bank Vontobel, der Fondsanbieter SAM, das Pharmaunternehmen Novo Nordisk, PricewaterhouseCoopers, BHP – Brugger und Partner sowie der Kanton und die Universität Zürich. Am 10. und 11. September 2009 findet das 10. International Sustainability Leadership Symposium statt. Das Thema lautet «Vertrauen in die Finanzmärkte wiederherstellen: Es ist an der Zeit, nachhaltig zu denken». 
Mehr Informationen: www.sustainability-zurich.org
  • (3) 
Urs Schaffner ist Autor folgender Bücher: 
Führung von Pensionskassen – Ein Ratgeber für Stiftungsräte. Orell Füssli Verlag, September 2005, CHF 49.90
Good Governance von Pensionskassen – Ein Leitfaden für verantwortungsbewusste Stiftungsräte. Orell Füssli Verlag,  August 2007, CHF 49.90
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