HR Today Nr. 10/2020: Praxis – HR in der Rezession I

Den Turnaround mit vereinten Kräften schaffen

In Zeiten von Covid-19 ist ein solides Krisenmanagement im Unternehmen gefragt. Doch was ist zu tun? Erfahrungen eines Turnaround-Managers.

Seit Ausbruch von Covid-19 im Februar 2020 befindet sich die Wirtschaft im Krisenmodus. Der Staat hat zwar zugunsten fast aller Branchen mit finanziellen Direkthilfen wie Kurzarbeit, Bürgschaften und Überbrückungsdarlehen ein grosses Hilfspaket geschnürt. Mit Geld und Krediten werden jedoch keine Probleme gelöst, sondern höchstens hinausgeschoben. So ­offenbart die Pandemiebekämpfung schon lange bestehende Probleme, die bisher verdrängt wurden. Beispielsweise die ­Arbeitsproduktivitätsschwäche vieler Branchen im Inland und die ineffizienten und zu hohen Strukturkosten in der Schweiz. Branchen wie Tourismus, Banking, Maschinen- und Anlagenbau sind gezwungen, ihre Strukturkosten dem reduzierten internationalen Preisniveau anzupassen.

Auch die ­Exportindustrie ist in ihren Hauptmärkten stark getroffen (EU, DE, US). Die zunehmende Digitalisierung und die Globalisierung ermöglichen zudem einen grenzenlosen Vergleich von Leistungen aller Art und bringen damit mehr Konkurrenz sowie tiefere Umsätze und Margen. Das gilt für Schweizer Unternehmen wie für den gesamten Arbeitsmarkt. Es ist ein Irrglaube vieler Kader und Mitarbeitender, dass nur Unternehmen von dieser Transformation betroffen sind. Das «neue Normal» wird nach der Pandemie anders sein als vor der Krise. Die Schweiz als Dienstleistungsland sowie die Unternehmen im Inland und im Export müssen bedeutend produktiver werden als bisher, um eine gesicherte Zukunft zu haben.

Etwas mehr vom Gleichen?

Zum Überleben braucht eine Unternehmung die richtige Strategie mit der dafür notwendigen Unternehmenskultur und -struktur sowie ein starkes, fähiges Führungsteam. Mittelmass und «Alles ein bisschen tun» reichen nicht mehr. Das richtige Personal mit dem richtigen Know-how besteht aus Menschen und Persönlichkeiten, mit dem Mut und Willen, die notwendigen Veränderungen mitzutragen. Für die meisten Unternehmen gelten folgende vier Grundregeln:

  1. Preise und Margen sinken fast immer: Die Struktur­kosten müssen deshalb auch sinken.
  2. Die Wettbewerbsposition bestimmt die Handlungsmöglichkeiten: Es braucht eine klare Marktpositionierung.
  3. Kundenbedürfnisse und Gewinnpotenziale verändern sich: Der Wandel zu Onlinevertrieb beschleunigt sich.
  4. Weniger Komplexität bringt bessere Ergebnisse: Prozesse und Strukturen müssen vereinfacht werden.

Unternehmen, die diese Hausaufgaben bisher nicht gemacht haben, werden schlechte Karten haben und kaum sanierungswürdig beziehungsweise -fähig sein.

Anforderungen der neuen Arbeitswelt an Kader und Mitarbeitende

Um in der «Arbeitswelt 4.0» attraktiv zu sein oder «Employability» zu erreichen, müssen sich Kader und Mitarbeitende ähnlich wie Firmen klar positionieren. Dazu benötigen sie:

  1. Passion: Enthusiasmus, Engagement, Freude an der ­Arbeit, Leidenschaft und Überzeugung
  2. Resilienz: Beharrlichkeit, Standfestigkeit, positive ­Lebenseinstellung und Demut
  3. Persönlichkeit: Charakter, Werteorientierung, ­Leistungswille, Andersartigkeit und Win-win-Denken
  4. Ergebnisse: Teambildungsfähigkeit, Umsetzungsstärke, Mut und Risikobereitschaft

Wandel bedeutet, sich mit der eigenen Person und der Aussenwelt zu beschäftigen und bei Bedarf Anpassungen vorzunehmen. Dafür müssen drei Voraussetzungen erfüllt sein:

  • Erkannter Bedarf, sich als Unternehmen und Person ­anzupassen (Wandlungsbedarf)
  • Vorhandene innere Einstellung, einsichtiges Verhalten und Umsetzungswille (Wandlungsbereitschaft)
  • Fähigkeit, den unternehmerischen und personellen Wandlungsprozess zu gehen (Wandlungsfähigkeit)

Krisen sind für Unternehmen ein Wendepunkt, eine Entscheidungssituation zur eigenen Zukunft und ein Reinigungsprozess. Die Erfolgswahrscheinlichkeit einer Sanierung hängt vom Fortschrittsgrad der strategischen und operativen Fehlentwicklungen der letzten Jahre ab. Eine Sanierung kostet Zeit, Geld und qualifiziertes Management. Verlorene Zeit kann jedoch nie aufgeholt werden. Der Mitteleinsatz in die Zukunft muss sich lohnen und betriebswirtschaftlich sinnvoller sein als eine geordnete Liquidation oder Geschäftsaufgabe.

Ein Turnaround umfasst folgende Hauptphasen:

  1. Analyse und Prognose zur Beurteilung der Sanierungsfähigkeit und -würdigkeit mit entsprechendem Finanzierungsbedarf des Turnarounds und der mittelfristigen ­Zukunftsentwicklung
  2. Bereitstellung der Finanzierung für die ­Sanierung
  3. Umsetzung des Turnarounds in mehreren Teilphasen mittels eines Turnaround-­Programms
  4. Abschluss des Turnarounds durch ­Sicherungsmassnahmen und weitere ­Begleitungen (Coach/VR)

Eine erfolgreiche Wende setzt eine gute und einfache Planung mit Reserven voraus, muss fokussiert, konsequent geführt und finanziert sein, eine gute, einfache und belastbare Strategie haben und die Organisation ertüchtigen, künftige Krisen früher zu erkennen und besser zu meis­tern.

Das Turnaround-Team umfasst neben dem Turnaround-Manager (CRO) Partner wie die Eigentümer, Geschäftsleitung, Banken, Verwaltungsrat, Kader und Belegschaft, Kunden, Lieferanten und die Öffentlichkeit, aber auch das HR. Soll das HR in der Krise eine starke Rolle im Unternehmen einnehmen, muss es im Strategieprozess vor der Krise eingebunden sein, um die Kader und die Mitarbeitenden zu rekrutieren, die für die Unternehmensstrategie gebraucht werden. Eine wertschöpfende Rolle kann das HR (Kader-, Personal-, Know-how- oder Kultur-Entwicklung) hauptsächlich vor der Krise spielen. Das setzt aber voraus, dass HR und IT viel intensiver in den Strategie- und Organisationsentwicklungs-Prozess eingebunden werden. Leider haben nur die wenigsten Unternehmen eine formulierte Strategie als Vorgabe für die operative Geschäftstätigkeit. Aus einer solchen würde der Bedarf an aufzubauenden Qualifikationen, Fähigkeiten, Know-how, Prozessen und Strukturen abgeleitet. Ohne Einbezug des HR und der IT bei der Strategiegestaltung besteht zwar eine Vorstellung der Zukunft, die jedoch kaum umgesetzt wird, weil die dafür benötigten Persönlichkeiten und Fähigkeiten nicht vorhanden sind. In der Krise kann das HR meist nur noch reagieren und die rechtlichen und administrativen Arbeiten erledigen. Ob eine Unternehmung eine Strategie umsetzt, erkennt man daran, nach welchen Kriterien Kader und Mitarbeitende rekrutiert werden und welche Funktionen zu welchen Strukturen und IT-Prozessen passen.

Aus Erfahrung ist es für einen HR-Leitenden entscheidend, Schlüsselpersonen der Unternehmung auf unterschiedlichen Hierarchieebenen abzuholen und diese in den Transformationsprozess sowie die Entscheidungen einzubinden. Das gelingt nur durch einen einseitigen Vertrauensvorschuss sowie Ehrlichkeit, Transparenz und Offenheit im Gespräch. Wer mitgestalten kann und sich verstanden fühlt, ist motiviert und unterstützt den Wandel.

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Arnold Bär ist Inhaber und Organisational Change Management (Neupositionierung, Change, Turnaround) der Ventura AG.

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