Fachlaufbahnen

«In der Berichterstattung werden die CEO häufig wie Götter präsentiert»

James Pflüger und Alex Jeschek sind die Initiatoren des Swiss Leadership Forum, das alljährlich in Zürich stattfindet. 
HR Today wollte von den beiden wissen, ob die westliche Gesellschaft Führungskarrieren tendenziell höher gewichtet 
als Fachkarrieren und aus welchen Gründen.

Wie definieren Sie eine gelungene Fachlaufbahn auf Topniveau?

Alex Jeschek: Man muss sich zunächst einmal fragen, welcher Typ Mensch Fachkarrieren anstrebt. Spontan fallen mir da Berater ein, die davon leben, ihre Expertise auszuspielen, ohne dabei vordergründig andere zu führen. Um aber als Berater wirklich erfolgreich zu sein, müssen sie auf vier Ebenen gleich stark sein: auf der methodischen, der persönlichen, der fachlichen und auch auf der Führungsebene, um in den Themenbereichen anzuführen, in denen sie sich beratend positionieren.

Beschränkt sich diese Palette von Fähigkeiten auf Berater?

Jeschek: Professoren sind ein weiteres Beispiel. Sie werden nach aussen selten primär als Führungspersonen wahrgenommen, weil sie sich durch ihr Fachwissen profilieren. Sie erscheinen wie Experten und führen auch wie Experten.

Wie führt ein Experte?

Jeschek: Ich kenne einen Psychologen und Therapeuten, der auch einen Lehrstuhl auf seine ganz eigene Art leitet. Als ich ihn als Student kennenlernte, nahm ich ihn als Experten wahr. Später als Geschäftspartner fiel mir bei ihm vor allem der kooperative team- und lösungsorientierte Führungsstil in seinem Institut auf. Heisst, es kommt ganz darauf an, in welchen Rollen wir Leute wahrnehmen, und auch, wie ein leitender Experte seine Rollen einnimmt. Er speziell hat sich sehr bewusst mit beiden Rollen auseinandergesetzt. Ich vermute aber, dass sich nicht viele Fachleute, die gleichzeitig führen, ihrer jeweiligen Rolle bewusst sind.

Ganz hypothetisch gefragt: Welche Qualitäten einer Persönlichkeit sind es, die eine Führungskraft als höherwertig einstufen?

James Pflüger: Eine Führungsperson erscheint mehr in der Öffentlichkeit als eine Fachperson. Zusätzlich ist ein Leader auch innerhalb des Unternehmens seinen Mitarbeitenden gegenüber sehr viel exponierter als eine Fachkraft. Er ist die Gallionsfigur des Unternehmens und somit immer sichtbar. Manche Führungskräfte missbrauchen insofern diese Machtposition, als dass sie mit dem Know-how ihrer Fachspezialisten prahlen, 
diese aber nicht anerkennend beim Namen nennen. Sie präsentieren sich also mit dem Wissen anderer, auch wenn sie ihre Experten gut entlohnen sollten. Aber mit diesem Verhalten nach aussen erzeugen sie vielleicht bei ihren Fachkräften ein Gefühl der Minderwertigkeit.

Jeschek: Allein die Tatsache, dass Sie 
diese hypothetische Frage stellen, sagt einiges über einen unterschiedlich wahrgenommenen Stellenwert aus. Meiner Ansicht nach sind aber Fach- und Führungskarrieren absolut gleichwertig. Diese Gleichwertigkeit ist nur in der Wahrnehmung vieler Menschen weniger offensichtlich, weil manche Leader ihre Position mit Ruhm und Ehre auffüllen anstatt mit Tiefe und Wissen. Ich kenne Menschen, die als Experten vertieftes Know-how vorziehen und sogar Angst vor dem Führen und weniger Interesse an anderen Menschen haben. Allerdings stellt sich für mich die Frage, ob wir diese unterschiedlichen Interessenslagen als höherwertig einstufen können oder sollten.

Pflüger: Tendenziell führen Experten über das Fachwissen, über das sie verfügen. Oftmals haben sie dann aber nicht die Fähigkeit, andere zu begeistern, es sei denn, das Team braucht nur das Fachwissen, um sich mitreissen zu lassen. Das trifft sicher eher auf die akademische Welt zu, beispielsweise im Team eines Nobelpreisträgers, ist aber im «normalen» Berufsalltag eher die Ausnahme. Begeistern tun charismatische Leader mit dem visionären, zielgerichteten Überblick; Fachwissen ist bei diesem Leadertyp eher sekundär.

Wie weit muss sich eine Führungskraft in die Tiefe des Fachwissens einarbeiten, um gut zu führen?

Pflüger: Wenn beispielsweise der CEO eines globalen Chemiekonzerns alle Details der Krebsforschung verstehen will, kann er unmöglich nebenbei einen Konzern vollverantwortlich führen. Eine gewisse Themenaffinität ist aber sicherlich auch auf oberster Ebene nötig. Wenn hingegen ein Topbanker mehr von den fachlichen Details der Bankprodukte verstehen würde, könnte die Wahrscheinlichkeit eines Bankrotts geschmälert werden. Es kommt sehr auf die Branche an, ob Fachwissen als Teil der effektiven Führung auch vorauszusetzen ist.

Jeschek: Gerade in der Schweiz sollte man über eine Aufwertung der Fachkarriere nachdenken, wenn man die Innovationskraft des Landes weiterhin überdurchschnittlich hoch halten will. Laut Europäischem Innovationsanzeiger (EIS) lag die Schweiz im europäischen Vergleich 2008 auf Platz eins in den Bereichen technologische Innovation, Forschung und geistiges Eigentum. 

Ist Ihnen ein CEO bekannt, der gleichermassen stark ist im Expertenwissen?

Jeschek: Ich kenne ein Unternehmen, das Farblacke entwickelt und herstellt. Der CEO dort ist ETH-Chemiker. Bezeichnenderweise geniessen in diesem Unternehmen die Laborchefs ein gleichwertiges Ansehen wie der CEO. Die Produktentwickler sind hier die heimlichen bzw. die eigentlichen Chefs.

Pflüger: Die Mehrheit der mir bekannten CEO werten die Leistungen im Verkauf stärker als die anderen Aktivitäten in ihrem Unternehmen. Dementsprechend hoch ist auch die Ressourcenverteilung im Verkauf. Damit wird der Verkauf einem gewissen Expertentum gleichgestellt.

Was ist die Faszination der Menschen, andere führen zu wollen?

Pflüger: Die Faszination liegt im Prestige und in der Macht, die vor allem von den Medien geschürt wird. Die Journalisten der allgemeinen Presse interessieren sich weniger für Fachliches, da sie damit ihre Leserschaft überfordern würden – so glauben sie zumindest. Somit werden Nachrichteninhalte immer simpler, wobei die CEO in der Berichterstattung häufig wie Götter präsentiert werden. Und dadurch wird wiederum die Führung trivialisiert. Umgekehrt nutzen machtorientierte CEO die Medien, um ihr Image nach aussen wie nach innen aufzuwerten oder 
abzusichern.

Kennen Sie Fachexperten, die auch Top-leader darstellen und gleichzeitig ihr Expertentum ausleben?

Pflüger: Primär kommen mir da Chefärzte von Kliniken, Anwälte von grossen Kanzleien und Chefredakteure von Medien in den Sinn. Sie alle sollten fachlich fit sein, aber auch Teams führen können. Und wie gesagt, auch Topbanker sollten nicht nur führen können, sondern auch möglichst viel von ihren Produkten verstehen ...

Jeschek: Die Doppelrolle trifft vor allem auch beim Projektmanagement zu, wo Fach- und Führungswissen in Personalunion gehen. Ich kenne einen Projektleiter, der in dieser Doppelrolle intern so viel Macht entwickelte, dass er in die Geschäftsleitung musste und zum Projektleiter mit weltweiter Verantwortung avancierte. Insgesamt geht es bei der ganzen Fragestellung um die Anerkennung von Fachlaufbahnen versus Führungskarriere tatsächlich um die Frage der Verantwortung. Die Verantwortung als Experte ist genauso wertschöpfend wie die Verantwortung als Führungsperson.

Fühlen sich Führungspersonen ohne Experten-Know-how tendenziell minderwertig?

Pflüger: In der momentanen Situation sind besonders die Führungspersonen im mittleren Management gefährdet, die über weniger grosses Fachwissen verfügen. Die Mitarbeitenden mit solidem Know-how an der Basis und das Topmanagement mit Führungserfahrung haben jetzt einen sicheren Job.

Die Interviewpartner

Dr. James Pflüger und Alex Jeschek nehmen in drei Organisationen wesentliche Rollen wahr und haben deren Entwicklung mitgestaltet. Die Triebfeder und das verbindende Element ihrer Arbeit ist die Überzeugung, dass Menschen Organisationen erfolgsentscheidend prägen.

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Das Swiss Leadership Forum fokussiert auf die verschiedenen Aspekte der Unternehmensführung – mit dem Ziel, die Wettbewerbsfähigkeit der Schweizer Wirtschaft zu fördern. Das Swiss Leadership Forum hat sich in dieser Thematik als wichtigste Plattform für Executives und Leaders etabliert, welche Networking auf GL/VR-Niveau erlaubt, Impulse vermittelt und Benchmarking ermöglicht.
www.swissleader.ch

 

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Connie Voigt ist 
Executive Coach bei der Firma «Inside Out» sowie Gründerin der Netzwerkorganisation «Interculturalcenter.com GmbH». Zudem ist sie Dozentin für Organizational Behavior an der Edinburgh Business School, FHNW Basel und FU Berlin.

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