Beruf und Familie

Der CEO kennt die Namen aller Kinder in der Firmenkrippe

Wer seinen Job liebt, aber trotzdem auf ein Familienglück nicht verzichten möchte, kann froh sein, einen Arbeitgeber im Rücken zu haben, der die Vereinbarkeit von Beruf und Familie unterstützt. Was aber zeichnet ein familienfreundliches Unternehmen aus? Der ABC-Kartenverlag macht es vor.

Oftmals werden in Zeitschriften Rankings 
abgedruckt. Darin ist zu lesen, in welchen 
Firmen familienergänzende Kinderbetreuung unterstützt wird, Teilzeitjobs angeboten werden, Jobsharing bekannt ist, Frauen auch in Führungsetagen anzutreffen sind, grosszügige Mutter- und Vaterschaftsurlaubs-Regelungen existieren etc. Solche Rankings sind mit gutem Grund kritisch zu lesen. Denn selbst wenn jemand alle obig genannten Beispiele vorweist, bedeutet das noch lange nicht, ein familienbewusster Arbeitgeber zu sein.

Oft ist es in der Praxis so, dass viele Möglichkeiten auf dem Papier vorhanden sind, doch wenn sie dann im Alltag zum Tragen kommen sollten, dann sind sie – aus welchen Gründen auch immer – doch nicht umsetzbar. Die Krippe sei schon voll, Teilzeit könne auf dieser Stufe eben nicht umgesetzt werden, mit Jobsharing habe man negative Erfahrungen gemacht, der Vaterschaftsurlaub müsse momentan noch etwas nach hinten geschoben werden, weil das Projekt halt gerade in einer heiklen Phase sei etc.

Die Mitarbeitenden geben ihrer 
Firma Bestnoten

Sich gegen aussen als familienfreundlich zu geben und Familienbewusstsein als Unternehmen wirklich zu leben, sind zwei verschiedene Paar Schuhe. Das eine sind harte Faktoren, die ausmachen, ob die Voraussetzungen vorhanden sind in einem Unternehmen. Mindestens ebenso wichtig sind allerdings die weichen Faktoren. Sie machen aus, ob die harten Faktoren gelebt werden dürfen, ob Bedürfnisse und Stolpersteine im Alltag auch angesprochen werden. Ohne Förderung der weichen Faktoren sind alle Investitionen in die Vereinbarkeit reine Lippenbekenntnisse oder Papiertiger, die nur dazu dienen, gegen aussen gut dazustehen.

Doch wie lässt sich dennoch herausfinden, ob es ein Unternehmen mit der Vereinbarkeit ernst meint? Die Familienmanagement GmbH hat hierfür einen einfachen Check entwickelt und wurde dafür mit dem Creativity Award 2009 der Idee-Suisse ausgezeichnet. Der Check misst sowohl die harten als auch die weichen Faktoren und stellt deren Wechselwirkung dar. Denn erst dadurch 
wird eine Interpretation des komplexen 
Themas von Vereinbarkeit von Beruf und 
Familie in einem Unternehmen überhaupt erst möglich.

Wie es in einem Unternehmen aussehen kann, das sowohl bei den harten als auch bei den weichen Faktoren jeweils die maximale Punktzahl erreicht, zeigt das Beispiel der Firma A. Boss + Co. AG aus Schönbühl, auch bekannt als ABC-Kartenverlag. Das Unternehmen produziert und vertreibt seit über 100 Jahren Glückwunsch-, Trauer- und Kunstkarten. Der Verlag mit den rund 160 Mitarbeitenden wird seit 1985 von CEO Daniel Eicher geführt.

Sowohl Eicher als auch verschiedene Mitarbeiter haben den Vereinbarkeits-Check einzeln ausgefüllt. Interessanterweise ist die Einschätzung von Mitarbeiterseite mit der vom CEO absolut kongruent. Normalerweise zeigen sich deutliche Diskrepanzen zwischen der Beurteilung der Geschäftsleitung und jener der Mitarbeitenden. Die Mitarbeitenden beurteilen die Firma normalerweise kritischer als die Geschäftsleitung. Dass durchs Band alle Mitarbeiter dem Unternehmen Bestnoten verteilen, ist eine grosse Ausnahme!

Vom Zeit-Gutschein bis zur 
günstigen Wohnung

Im Unternehmen sind als Basis für eine familienfreundliche Kultur folgende harte Faktoren verankert:

  • Alle Mitarbeitenden erhalten jährlich einen Zeit-Gutschein, um auf Arbeitszeit bei den eigenen Kindern, Enkel- oder Patenkindern einen Besuch im Kindergarten oder in der Schule abstatten zu können.
  • 
Im Jahr 1994, als Eicher für seine beiden eigenen Kinder Betreuungsbedarf hatte, baute er eine firmeneigene Kinderkrippe auf. Dabei legte er grossen Wert auf die Qualität, was sich unter anderem im grosszügigen Betreuungsschlüssel zeigt und in der Regel, dass Kinder mindestens an 2,5 Tagen/Woche betreut werden müssen. Dies erleichtert den Kindern die Integration und das Knüpfen von Freundschaften. Die Krippe wird vom Unternehmen stark subventioniert.
  • 
Ältere Kinder, die bereits den Kindergarten besuchen, können vom Mittagstischangebot in der Krippe Gebrauch machen.
  • 
Das Unternehmen bietet eine eigene Heimarbeitsabteilung an. Diese wird vorwiegend von Familienfrauen genutzt, welche nicht vollständig aus dem Berufsleben aussteigen möchten und doch nicht extern arbeiten wollen oder können.
  • 
An Geburtstagen erhalten Mitarbeitende 
einen halben Tag frei.
  • 
Im ehemaligen ABC-Verwaltungsgebäude werden Mitarbeitenden günstige Wohnmöglichkeiten angeboten.
  • 
Das Thema Familienbewusstsein erstreckt sich für Eicher über alle Generationen hinweg. So wurden das ehemalige ABC-Produktionsgebäude und eine weitere Liegenschaft im Dorf unter das Dach einer Stiftung gestellt und dienen nun als Zuhause für 36 demenzkranke Menschen. Die Stiftung wird von Eicher geführt.
  • 
Die Kartenverlagsfirma arbeitet eng mit umliegenden Institutionen und Sozialdiensten zusammen, um psychisch und/oder körperlich beeinträchtigten Menschen eine Arbeitsstelle inmitten von gesunden Menschen anbieten zu können, ihnen somit eine konstante Tagesstruktur zu bieten und dadurch zu Ihrer Gesundheit und Stabilität beizutragen.
  • 
Teilzeitstellen für Männer und Frauen auf allen Hierarchiestufen sind bei der Kartenverlagsfirma selbstverständlich.

Das Engagement wird auch von 
aussen wahrgenommen

Wenn immer möglich macht Eicher frühmorgens einen Rundgang durch den ganzen Betrieb. Er kennt die Namen aller Mitarbeiter und aller Kinder in der Firmenkrippe. «Hier ein Gespräch, da eine Frage. Das hilft mir, den Puls des Betriebs zu fühlen. Es interessiert mich, was die Mitarbeitenden und deren 
Familien machen», sagt er.

Das kommt bei den Mitarbeitenden des ABC-Kartenverlags durchwegs gut an. Mit Höchstpunktzahl bewerteten sie unter anderem folgende Frage im Vereinbarkeits-Check: «Als wie ernsthaft, glaubwürdig und konsequent stufen Sie Ihr Unternehmen ein, Vereinbarkeit wirklich fördern zu wollen – unabhängig von Wirtschaftstrends und -zyklen, Konjunktur und Personalsituation?»

Christoph Stucki, Art Director der Firma, erklärt es so: «Es ist nicht wichtig, zu den Besten zu gehören, wichtiger ist es, das Ganze zu leben!» Trotzdem: Auch die Frage «Wie wichtig ist es Ihrem Unternehmen, zum Thema Vereinbarkeit nicht nur mithalten zu können, sondern zu den besten und vorbildlichsten zu gehören?» bekam Höchstnoten. Das Engagement der Firma zugunnsten der Vereinbarkeit wird auch von aussen wahrgenommen und zeigt sich in häufigen Rückmeldungen aus der Bevölkerung und konkret auch in vielen Spontanbewerbungen.

Der Kanton Bern verlieh der Firma im Jahr 2009 den ersten Berner Gesundheitspreis.  «Man muss als Vorgesetzter mit gutem Beispiel vorangehen. Familienbewusstsein muss von oben her gelebt werden. Die Mitarbeitenden müssen spüren, dass ich es ernst meine. So kommuniziere ich immer auch sehr offen. Alle drei Monate kommt die ganze Belegschaft zusammen und es wird über Neueintritte, Veränderungen und Aktualitäten informiert. Da ist es wichtig, dass es kein Tabuthema gibt und Mitarbeitende spüren, dass sie alles ansprechen dürfen», sagt Eicher. Nur so sei es zu schaffen, die Familienpolitik im Unternehmen einerseits so breit abzustützen und Wege zu gehen, die für andere schlicht undenkbar wären, und andererseits auch auf Glaubwürdigkeit und Motivation bei den Mitarbeitenden zu stossen.

Auf einem Rundgang durchs Unternehmen fällt auf: Man kann stehen bleiben, wo man möchte, und ansprechen, wen man möchte, bei jedem Mitarbeitenden flackert ein positives Selbstbewusstsein in den Augen auf, wenn man die Frage stellt, wie lange sie bereits bei der Firma ABC arbeiten. Alle können, ohne gross nachzudenken, antworten, wobei aus der Antwort deutlich das Zugehörigkeitsgefühl und der Stolz darauf, Mitarbeiter dieser Unternehmung zu sein, herauszuhören sind. Dies steckt an, und am liebsten würde man seine Bewerbung direkt einreichen, wenn man das so erlebt. Die Firmenkultur 
des ABC-Verlags beeinflusst die Arbeitsbedingungen und die Work-Life-Balance jedes einzelnen Mitarbeiters. Aber auch das Unternehmen profitiert, wenn Mitarbeitende ausgeglichen und dadurch gesünder, motivierter und belastbarer sind.

Verein Work & Life Zug: 
Kinderbetreuung auch in Notfällen

Vor knapp zehn Jahren haben sich ein Dutzend Unternehmen in Zug zusammengetan und gründeten einen Verein, um Kinderbetreuungsplätze für ihre Mitarbeiter zu schaffen. «Unser Verein ist ein gutes Beispiel dafür, dass Unternehmen sich engagieren und auch etwas erreichen können», sagt Regula Basler-Burkhardt, die seit Beginn als Geschäftsführerin des Vereins Work & Life Zug dabei ist. Heute werden an drei Standorten über 200 Kinder im Alter von 0 bis 12 Jahren in der Zeit von 7.00 Uhr bis 19.00 Uhr rundum betreut und gefördert. Zum Angebot gehören auch zweisprachige Kindergärten, in denen deutsch und englisch gesprochen wird. «Damals waren wir ganz klar Vorreiter mit unserem Förderprogramm», sagt Basler-Burkhardt. Daran sehe man aber auch, dass das Thema nicht neu sei und es bereits vor zehn Jahren einen Mangel an Betreuungsplätzen gegeben habe. Von sechs Angestellten zu Beginn hat sich der Betrieb auf heute 60 Vollzeitstellen verzehnfacht.

Zusätzliche Dienstleistungen des Vereins sind nachschulische Betreuung für die Grossen, eine Nanny-Vermittlung sowie Ferien- und neu eine Notfall- und Kurzzeitbetreuung. «Wenn die Tagesmutter krank wird oder sonst etwas Unvorhersehbares passiert, können Eltern ihre Kinder stundenweise bringen», erklärt Basler-Burkhardt. Und so funktioniert es: Die verschiedenen Betreuungsangebote laufen unter dem Dach des Vereins zusammen. Mitglieder sind derzeit rund 65 Unternehmen, von grossen wie Roche, UBS und Glencore bis hin zu KMU oder Einzelunternehmungen. Mitarbeitende der Mitgliedsfirmen können die Betreuungsangebote in Anspruch nehmen. Die Firmen kaufen sich mit einem ihren Bedürfnissen entsprechenden Platzkontingent ein, die Abwicklung der Verrechnung mit den Eltern läuft dann über den Verein. Ein Betreuungsplatz 
kostet pro Monat 2300 Franken, für fünf volle Tage à je 12 Stunden Betreuung in der Woche. Die Unternehmen zahlen für ihre Mitgliedschaft zwischen 2000 und 9000 Franken pro Jahr, je nach Mitarbeiteranzahl. Der gemeinnützige Verein trägt sich ausschliesslich durch die Mitgliedsbeiträge und operiert als Non-Profit-Organisation. Ein Überschuss wird direkt in den Betrieb zurückgegeben.

Basler-Burkhardt geht davon aus, dass die Nachfrage weiter wachsen wird. «Immer mehr junge und qualifizierte Hochschulabgängerinnen wollen eine Familie und weiter ihren Beruf ausüben. Auch die  Unternehmen sind darauf angewiesen, dass qualifizierte Frauen möglichst schnell nach der Geburt an ihren Arbeitsplatz zurückkehren. Und: Viele Frauen können es sich gar nicht leisten, zuhause zu bleiben.» Daher sieht Basler-Burkhardt den grössten Bedarf bei subventionierten Kinderbetreuungsplätzen. «Einige Mitgliedsunternehmen passen bereits die Betreuungsgebühr an die Gehaltsstufe an, sodass jeder eine Chance auf einen Platz erhält. Das bringt auch eine gute gesellschaftliche Durchmischung, was für die Kinder wiederum sehr positiv ist.» (Sabine Schritt)

Weitere Informationen: www.worklife-zug.ch

 

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Franziska Bischof-Jäggi ist 
Gründerin und Geschäftsführerin der 2001 gegründeten Familienmanagement GmbH.

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