Der Erfolg des Wissenstransfer liegt in der Vertrauenskultur
Wie effizient die Zusammenarbeit im Unternehmen ist, hängt mit der Art und Weise des Wissenstransfers zusammen. Herrscht keine gute Kommunikationskultur, wird wichtiges Wissen von nicht relevanten Informationen übertönt oder gar nicht erst weitervermittelt – und schlimmstenfalls sogar absichtlich zurückgehalten. Welche Faktoren beim Wissenstransfer eine Rolle spielen.
Ist die Vertrauensbasis da, wird Wissen gerne weitergereicht. (Bild: iStock)
Um eine deutlichere Vorstellung davon zu bekommen, was eigentlich als Wissen transferiert werden soll, ist eine Abgrenzung gegenüber den Begriffen Daten und Informationen notwendig. Daten sind sozusagen das Rohmaterial (eine Kombination von Zahlen oder Buchstaben), die für sich genommen wertlos sind. Erst dann, wenn sie in einen Problemzusammenhang gestellt und für eine bestimmte Zielerreichung eingesetzt werden, erhalten sie einen informativen Gehalt. Eine Information enthält also immer die Fakten und den Sinnzusammenhang, ohne den die Daten nicht verstanden werden können. So sagt beispielsweise die Umsatzzahl von 50 Millionen an sich gesehen wenig aus. Erst im Vergleich zum Vorjahr, dem gesetzten Umsatzziel oder dem Branchendurchschnitt wird sie zu einer aussagekräftigen Grösse. Um diese Zahl richtig interpretieren und daraus Handlungsoptionen ableiten zu können, braucht es darüber hinaus Erfahrung. Vor dem Erfahrungshintergrund werden die einzelnen Informationen nach ihrer Relevanz für eine bestimmte Fragestellung ausgewählt und bewertet. Das nennt man Wissen.
Es ist genau dieses Wissen, wie die einzelnen Informationen einzuordnen sind und welche Folgeaktivitäten sich daraus ergeben müssen, das Unternehmen funktionstüchtig macht. Dabei möchte ich den Begriff Wissen ganz allgemein halten. Es kann sich um sachlich-technische Fragen genauso wie um kulturell bedingte Vorgehensweisen handeln. Denn auch wer versteht, wie man sich am besten im Kollegenkreis, gegenüber Vorgesetzten, im Kontakt mit anderen Abteilungen oder mit Kunden zu verhalten hat, besitzt unternehmensrelevantes Wissen.
Warum das in der Mitarbeiterschaft vorhandene Wissen nicht immer vorbehaltlos und frei zirkulieren kann, hat verschiedene Ursachen:
- Mangelndes Wissensbewusstsein: Nicht jedem Organisationsmitglied ist gegenwärtig, welches unternehmensrelevante Wissen es besitzt. So wird nur das weitergegeben, was im Alltagsgeschäft gerade notwendig ist.
- Informationsüberflutung: Aus der Fülle an Informationen, welche die einzelnen Organisationsmitglieder täglich erreichen, müssen die wirklich wichtigen herausgefiltert und bearbeitet werden. Das ist nicht nur zeitaufwendig, sondern beansprucht auch das Urteilsvermögen, sowohl beim Weitergeben wie beim Empfangen von Nachrichten.
- Wissen ist Macht: Das Wissen, das sich die Organisationsmitglieder im Laufe ihrer Arbeitstätigkeit erworben haben, ist Teil ihrer persönlichen Machtstellung. Wer auf dieses Mittel verzichtet, muss einen guten Grund dafür haben.
- Abteilungsdenken: Das direkte Umfeld der eigenen Abteilung steht den Mitarbeitenden naturgemäss am nächsten. Wird es in einer Abteilung nicht gerne gesehen, dass Einzelne einen zu offenen Kontakt mit anderen Abteilungen pflegen, werden sie sich entsprechend zurückhalten.
- Desinteresse: Wer in einem Unternehmen nur als Arbeitskraft und Kostenfaktor angesehen wird, hat weniger Interesse, für das gesamte Unternehmen mitzudenken. Er/sie wird daher etwas sorgloser mit Informationen umgehen.
- Mangelhafte Information von oben: Gerade für die Bereitschaft zur Informationsweitergabe ist das Vorgesetztenverhalten richtungsweisend.
- Misstrauenskultur: Wie in einer Organisation mit Informationen umgegangen wird, lernen neu eintretende Mitglieder sehr schnell. Wer am eigenen Leibe erfahren hat, dass Vorschläge oder Beschwerden, das Zugeben oder Aufdecken von Fehlern negative Effekte haben, hüllt sich in Schweigen.
Wenn Wissen mit Absicht zurückgehalten wird
Aus dieser bei weitem nicht abschliessenden Liste wird ersichtlich, dass der Informationsfluss an vielen Stellen abgeblockt werden kann oder – was wohl in der Regel der Fall sein wird – an mehreren Stellen gleichzeitig. Dementsprechend schwierig gestaltet sich in der Praxis eine Diagnose als Grundlage für gezielte Verbesserungsmassnahmen. Darüber hinaus ist es im konkreten Einzelfall selten eindeutig, ob es sich bei einer fehlenden Informationsweitergabe um ein Versehen oder bereits um Absicht handelt. Hinweise, dass Wissen zurückgehalten wird, liefern bestimmte Verhaltensweisen der Mitarbeitenden:
- Bei starkem Gruppendenken (etwa Abteilung, Bürogemeinschaft, Aussendienst) mit entsprechender Abgrenzung gegenüber anderen Gruppen ist davon auszugehen, dass auch Informationen diese Grenzen nicht ungefiltert passieren können.
- Wird an Meetings vorwiegend über das berichtet, was eh schon alle wissen, ist es wahrscheinlich, dass wirklich wichtige Dinge im kleinen Kreis besprochen werden.
- Die beiläufigen Kommentare der Mitarbeitenden zu einer offiziellen Verlautbarung des Managements geben Anhaltspunkte, wie sie die Informationspolitik des Hauses bewerten und wie sie sich in ihrem Verhalten daran orientieren.
- Wer sich – begründet oder unbegründet – in seiner Position gefährdet sieht und entsprechende Verhaltensvorkehrungen trifft, um nicht an Macht zu verlieren, gibt sein Wissen selektiv weiter. Das kann unter der Mitarbeiterschaft zu Aha-Effekten führen («Ach, du weisst das schon?»).
- Beklagen sich einzelne Mitarbeitende, dass sie für sie wichtige Nachrichten gar nicht oder zu spät erhalten, kann dies ein Indiz für Mobbing sein. Der gezielte Ausschluss von Informationen ist eine sehr beliebte Mobbinghandlung.
- Wenn es eher vermieden wird, über unangenehme Dinge wie Probleme bei der Arbeitstätigkeit, Fehlverhalten oder Auseinandersetzungen mit Kolleginnen oder Kollegen zu berichten, liegt die Vermutung nahe, dass es geheime Spielregeln gibt (etwa «Sage nie nach oben die Wahrheit», «Kommuniziere so, dass du eine weisse Weste behältst» oder »Vermeide offene Konflikte»), an die sich alle halten.
Bei derartigen Anzeichen besteht Handlungsbedarf. Auf einen Nenner gebracht, sind es Merkmale einer Misstrauenskultur. Wie schon bei der Diagnose angedeutet, ist ein stockender Informationsfluss eine komplexe Angelegenheit, die mit inkohärenten Einzelmassnahmen nicht zu kurieren ist. Wenn damit begonnen wird, zunächst einmal die Rahmenbedingungen zu verbessern, neue Leitlinien auszuarbeiten und die Informationstechnologie anzupassen, geht dabei oft der zentrale Faktor verloren. Das ist der Mensch als Wissensträger, der die bestehenden oder neu geschaffenen Möglichkeiten auch nutzen sollte. Er ist also in seinem Verhalten angesprochen. Wie das Verhalten positiv beeinflusst werden kann, soll anhand von vier Ansatzpunkten aus dem Bereich der Kommunikation gezeigt werden.
1. Adressatengerecht informieren. Die Ansicht, dass Mitarbeitende als Störfaktoren des internen Wissenstransfers Informationen einfach nicht weiterleiten, greift zu kurz. Für einen erfolgreichen Wissenstransfer braucht es auch einen aufnahmebereiten Empfänger. Die Aufnahmebereitschaft wird erhöht, wenn die Botschaften auf die Welt des Empfängers Bezug nehmen, seine Bedürfnisse und Interessen berücksichtigen und ihn damit stimulieren, sich mit ihnen zu beschäftigen. Die adressatengerechte Aufbereitung der Informationen leistet also einen bedeutenden Beitrag für den Wissensaustausch.
2. Glaubwürdigkeit. Ob sich der Faktor Mensch überzeugen lässt, dass wirklich eine neue Ära angebrochen ist, hängt stark mit der Glaubwürdigkeit des Managements, der direkten Vorgesetzten und der Kollegenschaft zusammen. Eine Person ist dann glaubwürdig, wenn sie sich der Konsequenzen ihres Tuns bewusst ist und bereit ist, die anstehenden Probleme mit den Betroffenen gemeinsam zu erkennen und anzugehen. Sie bemüht sich ehrlich um die Akzeptanz ihrer Ansprechpartner und besitzt auch die Fähigkeit, die formulierten Bedürfnisse zu erfüllen. Glaubwürdigkeit heisst, sich ernsthaft mit dem Ansprechpartner auseinanderzusetzen und mögliche Konflikte als Voraussetzung für eine tragfähige Lösung anzusehen. Glaubwürdigkeit besitzt also eine Bewusstseinskomponente (die Fähigkeit, über die eigene Nasenspitze hinaus zu denken), eine Kommunikationskomponente (die Fähigkeit, die Bedürfnisse anderer zu verstehen und einzubeziehen) und eine Handlungskomponente (die Fähigkeit und Bereitschaft, die erarbeiteten Lösungen auch umzusetzen). Die Ehrlichkeit der Aussagen alleine genügt nicht. Den Worten müssen Taten folgen.
3. Vertrauen. Der Aufbau einer Vertrauenskultur wird immer wieder gefordert, gerade weil in vertrauensvollen Beziehungen der Informationsfluss ungehindert und vorbehaltlos zirkulieren kann. Damit sich Vertrauen bilden kann, braucht es Zeit, häufige Kontakte (Vertrautheit), einen gefestigten Standpunkt (vertrauenswürdig ist, wer bei dem bleibt, was er einmal gesagt hat) und ein quasi rituelles Vorgehen. Wer Vertrauen schenken möchte, macht dies abhängig davon, ob der Adressat bestimmte Tests besteht (etwa eine vertrauliche Mitteilung, die nicht für andere bestimmt ist). Vertrauen braucht Pflege und Konstanz im Verhalten. Kann dies nicht gewährleistet werden, sollte mit dem Aufbau von Vertrauen vorsichtig umgegangen werden. Ein Vertrauensbruch durch inkonsistentes Verhalten kann schwerwiegende Verstimmungen auslösen, die auch die Arbeitsbeziehungen gefährden. Eine Möglichkeit der vorausschauenden Schadensbegrenzung ist der «Vertrauenskontrakt»: Es wird nur für einen bestimmten Bereich explizit das Vertrauen ausgesprochen. Damit wissen die Beteiligten, woran sie sich hier zu halten haben.
4. Den neuen Zustand herbeireden. Ermahnungen, Belehrungen, gute Vorsätze, sogar Drohungen haben eine begrenzte Wirkung auf das Verhalten. Sobald der Druck nachlässt, besteht die Gefahr, dass sich die gewohnten Verhaltensweisen wieder einschleichen. Wirksamer ist es, Lust auf Neues zu wecken. Die Lust hängt nicht unwesentlich mit dem Vorstellungsvermögen zusammen. Darüber, wie die Zusammenarbeit einmal sein soll, was es dafür braucht und welche Vorteile die Wissensteilung hat, sollte immer wieder unter den Beteiligten diskutiert werden, und zwar so lange, bis aus der vorgestellten eine neue, gemeinsame Wirklichkeit geworden ist. Auf dem Weg dahin können die notwendigen organisatorischen und technischen Anpassungen vorgenommen werden, die zu Beginn vielleicht noch gar nicht sichtbar waren.
Wird die Verbesserung des internen Wissensaustauschs beim Faktor Mensch begonnen, können Rahmenbedingungen geschaffen werden, die den Bedürfnissen der aktuell im Unternehmen Arbeitenden gerecht werden. Damit entfällt der Implementierungsaufwand (und -widerstand), denn die Massnahmen entsprechen dem als notwendig Erkannten. Oder – um im mechanistischen Bild des Produktionsbetriebs zu bleiben – die Werkzeuge, Rohstoffe und Schmiermittel bestimmen mit, wie sie einzusetzen und zu behandeln sind.