Der neue gesunde Wohlstand
Erik Händeler hätte Grosses vor mit dem Gesundheitssystem, wenn es nach ihm ginge. Unter anderem würde er damit einen Wirtschaftsboom provozieren. Denn entgegen der Meinung, ein Gesundheitsmanagement verursache vor allem Kosten, sieht der deutsche Trendforscher darin die einzige Chance für die Zukunft der europäischen Unternehmen.
Mitarbeiter, die im Job gesund alt werden, sind Wachstumstreiber der Wissensgesellschaft. (Illustration: iStockphoto)
Die Dampfmaschine und der Computer haben einiges gemeinsam. Beide haben sie den Menschen enorm viel Arbeit abgenommen. Beide haben sie in ihrer Zeit einen Quantensprung in der Produktivität bedeutet. Und beide haben irgendwann den Zenit erreicht.
Die Dampfmaschine, ja. Sie ist veraltet und hat in der Wirtschaft höchstens noch Nostalgiewert. Aber der Computer? Klar, er ist nicht mehr wegzudenken aus den Büros und dem Alltag der Menschen. Doch die Zeiten, in denen er uns viel effizienter gemacht hat, sind vorbei. Erik Händeler, Zukunftsforscher und Wirtschaftswissenschaftler, beschreibt es sogar noch radikaler: Weil die Produktivitätssteigerung durch den Computer abgeschlossen ist, stecken wir in der Wirtschaftskrise. «Grundlegende Erfindungen wie die Eisenbahn, die Elektrizität oder eben der Computer haben immer zu einem Wirtschaftsaufschwung geführt. Aber nur so lange, bis sie uns nicht mehr effizienter gemacht haben. Dann braucht es eine neue Entdeckung.» Wir brauchen also eine Art neue Dampfmaschine.
Zur Person
Erik Händeler studierte Wirtschaftspolitik und Volkswirtschaft und beschäftigt sich seit 1993 intensiv mit der Theorie der langen Konjunkturwellen (Kondratieff-Zyklen). Er ist Zukunftsforscher, Bestseller-Autor und Journalist und setzt sich für eine kooperative Arbeitskultur und präventive Gesundheitspolitik ein. Händeler ist Mitglied von Speakers Excellence Deutschland.
Sozialer werden für mehr Reichtum
Diese neue Dampfe hat laut Erik Händeler so gar nichts mit Technik zu tun. Im Gegenteil: Der nächste Wirtschaftsaufschwung ist nur mit einem guten, präventiven Gesundheitssystem zu erreichen. Und mit mehr Sozialkompetenz. Händeler glaubt an die Wirkung von realwirtschaftlichen Vorgängen bei Auf- und Abschwüngen der Wirtschaft und nicht an rein monetäre Faktoren. Klassische Wirtschaftswissenschaftler mögen ihn darum nicht besonders, wie er zugibt. Doch das stört ihn nicht. Er reist von Vortrag zu Vortrag und verkündet Unternehmern und Interessierten von langen Wellen und modernen Anforderungen in der Wirtschaftsgeschichte. Er spricht von einer neuen Ära nach dem Computerdurchbruch. Der Ära der Wissensgesellschaft, die von den Menschen anderes fordert und fördert als bisher. Und die uns zwingt, umzudenken – sowohl als Individuum als auch als Unternehmen, Gesellschaft oder Nation. «Mehr Wohlstand erreichen wir nur noch durch bessere Zusammenarbeit», sagt Händeler.
Während uns bisher materielle Arbeit produktiver gemacht hat, zählt in der Wissensgesellschaft stärker das immaterielle Gedankengut. Es sind die Innovationen, das Know-how und die Spezialisierung, die in diesem Zeitalter den Vorsprung bringen. Laut Händeler besteht die Arbeit der Zukunft vor allem aus Planen, Organisieren, Analysieren, Beraten, Verstehen, was der Kunde wirklich will, und der Fähigkeit, in der ganzen Informa-tionsflut das Wissen zu finden, das man gerade braucht. «Unsere Kinder werden wohl in Berufen arbeiten, in denen sie 80 Prozent ihrer Zeit dafür aufwenden, zu lernen, zu lesen und sich auf dem aktuellsten Stand zu halten, und in nur 20 Prozent ihres Pensums ihr bestehendes Wissen anwenden können», blickt Händeler voraus.
In einer solchen Umgebung, in der alles komplexer, differenzierter und spezialisierter ist, sind die Menschen auf das Wissen und die Erfahrung von anderen angewiesen. Es gelten andere Erfolgsmuster, andere Firmenabläufe und eine andere Arbeitskultur. Es muss also ein Strukturwandel hin zur Wissensgesellschaft stattfinden. Denn alles andere als Wissen ist austauschbar geworden. «Sie können heute, wenn es sein muss, in Saudi-Arabien einen Kredit aufnehmen oder in China eine Produktionsmaschine kaufen», sagt Händeler, «entscheidend wird sein, wie gut und produktiv sie in ihrem Team und mit Experten zusammenarbeiten können.»
Die Produktivität hängt in der Wissensgesellschaft laut dem Zukunftsforscher darum von zwei Faktoren ab:
- Dem Sozialverhalten der Menschen
- ihrer seelischen und körperlichen Gesundheit
Händeler erklärt: «Früher am Fliessband war es egal, ob die Menschen miteinander sprachen oder sich stritten. Heute ist im Zuge der Spezialisierung jeder König seines eigenen Wissenskönigreichs. Ein Neurotiker kann ein ganzes Team lahmlegen.»
Mal Häuptling, mal Indianer
Dass die Anpassung an den Strukturwandel nicht überall gut funktioniert, zeigen laut Händeler die Zahlen zu seelischen Erkrankungen, Burnout, innerer Kündigung, Motivationsschwierigkeiten und Fehlzeiten in den Unternehmen. Anscheinend macht die Art, wie die Menschen an der Arbeit miteinander umgehen, krank.
Während Mitarbeiter früher die Karriereleiter umso weiter hochkletterten, je formaler sie gebildet waren, rutschen die Fachkompetenzen nun von oben zurück auf die Ebene der Fach- und Sachbearbeiter: Diese sind zu unverzichtbaren Spezialisten eines Zwischenschrittes geworden und haben damit mehr Verantwortung. Doch bis jetzt entsteht hier ein Dilemma: Die Sach- und Fachbearbeiter sind einerseits noch nicht bereit, so viel Verantwortung zu übernehmen, -andererseits werden die Chefs weiterhin für die Fehler ihrer Mitarbeitenden gebüsst. «Es macht sich Unruhe breit, wegen vielen Auseinandersetzungen auch Müdigkeit», beschreibt Händeler.
Einschüchterungen bewirken eine weitere Abwärtsspirale, denn in der Wissensgesellschaft ist das wichtigste Kapital das Wissen der Mitarbeiter. Und diese behalten ihr Know-how schön für sich, wenn sie sich unter Druck fühlen. Wenn Chefs sich hier als Besserwisser aufspielen, ist das höchst unproduktiv. Händeler spricht von nötigen Gummi-Hierarchien: «Jeder Einzelne bekommt das Gewicht, das den tagesaktuell geforderten Kompetenzen entspricht. Das heisst, man muss damit leben können, einmal Häuptling und einmal halt nur Indianer zu sein. Das führt oft zu Statuskämpfen.»
Alleine keinen Durchblick
In der neuen Komplexität kann niemand ein Projekt, eine Situation oder ein Fachgebiet mehr alleine überblicken. Darum sind Firmen, Abteilungen und Experten gezwungen, zu kommunizieren und Wissen zu teilen. Der Umgang mit Wissen bedeutet immer den Umgang mit Menschen. «Menschen, die wir unterschiedlich gut mögen, die wir nicht alle kennen und bei denen vielleicht sogar Interessenkonflikte bestehen», sagt Händeler. Sozialkompetenz wird in diesem Zusammenhang zu einer Kernkompetenz. Heisst, wer mit Menschen umgehen kann, auf Augen-höhe kommuniziert, Versöhnungsbereitschaft zeigt, kooperationsfähig ist und langfristig denkt, aber auch über eine konstruktive Streitkultur verfügt, wird Erfolg haben.
Teams, die so funktionieren, sind produktiver, auch weil sie gesünder sind – seelisch wie körperlich. Das führt zum zweiten Punkt, der laut Händeler neben der Sozialkompetenz Wachstumstreiber der neuen Gesellschaft sein wird: die Gesundheitsprävention. «Das Ziel kann nicht sein, die Wirtschaft anzukurbeln, indem mehr Medikamente und Therapien nötig sind. Es geht nicht um eine monetäre Ankurbelung, sondern um Ressourcen.» Händeler führt das Beispiel der Eisenbahn nochmals an, die nicht zu einem Wirtschaftsaufschwung geführt hat, weil die Menschen Geld für die Tickets ausgegeben haben, sondern weil der Transport zwischen zwei Städten im Gegensatz zum Pferd von drei Wochen auf drei Tage reduziert werden konnte. «Das schuf Ressourcen.»
Übersetzt man dies in unsere Zeit, sieht Händeler vor allem bei älteren Mitarbeitern ein sehr grosses, schlummerndes Potenzial. Sie haben, dank ihrer Erfahrung, Weitblick, eine unbezahlbare Kompetenz in der Wissens-gesellschaft. Diese Mitarbeitenden mit gut 60 in Pension zu schicken oder sie aus Krankheitsgründen frühpensionieren zu lassen, ist eine unglaubliche Verschwendung. Das Ziel muss laut Händeler sein, sie so -einzubinden, dass sich ihnen Perspektiven anbieten, damit sie motiviert bleiben. «Wir müssen Strukturen schaffen, die die Menschen im Job gesund alt werden lassen und sie anspornen.»
Europa hat die Nase vorn
Händeler fordert also einen Wertewandel in der Arbeitskultur, damit die Menschen wettbewerbsfähig bleiben. Firmen die konstruktiv zusammenarbeiten, werden effizienter. Im globalen Vergleich räumt er den Europäern dabei einen Vorteil ein. «Kulturen, die keine Kritik dulden, können nicht produktiv sein. Auch Gesellschaften wie die indische, bei denen ein starkes Kastendenken und damit -Hierarchien verankert sind, geraten unter Veränderungsdruck. Im asiatischen Raum steht den Wirtschaften die Gruppenethik im Weg: Wahrscheinlich wird die laufende Individualisierung dort für soziale Unruhen -sorgen, die Europa schon hinter sich hat. Die USA hingegen ist zu individualistisch geprägt.»
Der Idealfall, so Händeler, sind Gesellschaften, in denen der Einzelne zählt, aber ein echtes Interesse an gleichberechtigtem Wohlergehen aller besteht. Das Christentum und die Traditionen in Europa würden da gewisse Vorteile bieten.
Dass diese Veränderungen eintreten werden, ist für Händeler klar. Die Krankheits-reparaturkosten würden so stark steigen, dass wir gezwungen werden, etwas zu ändern. «Wir werden die Ressourcen in die Prävention stecken müssen.» Dazu kommt der ökonomische Druck in der Wirtschaft, der ein neues Sozialverhalten erfordert für eine hohe Produktivität. Die Welt könnte also eine bessere werden durch den Druck, dem sie ausgesetzt ist. Nur erfordert das laut Händeler Zeit. «Der Wechsel von der Agrar- zur Industriegesellschaft hat zwei Generationen in Anspruch genommen. In der Industriegesellschaft haben wir im Takt der Maschinen funktioniert. Das ist bis heute so, mit unseren 8-bis-17-Uhr Tagen. Nun braucht es Zeit, um mit der ständigen Erreichbarkeit und der Wissensflut umgehen zu lernen.»
Bis dahin wird Händeler weiter Vorträge halten und für ein Umdenken im Gesundheitsmanagement und Sozialverhalten einstehen. In der Politik laufen die Veränderungen langsam, doch in der Wirtschaft spürt Händeler Interesse. Das stimmt ihn positiv. «Die Eisenbahn wurde auch von Unternehmern gebaut – gegen den Widerstand der Gesellschaft.»
Auf der Website www.neuearbeitskultur.de lassen sich umfangreiche Regeln für eine gute Zusammenarbeit finden.
- Erik Händeler: Di., 9. April 2013, Corporate Health Convention, Praxisforum 1, 16.15 Uhr