Der Reorganisationsprozess beginnt immer auf Ebene der Teams
Unternehmensziele hin, Reorganisation her – letztlich besteht ein Unternehmen immer aus Menschen. Und hier liegt die grosse Herausforderung im Change-Prozess. Denn die Mitarbeiter neigen bei Veränderungen zu Widerstand und können nicht einfach auf Befehl einen Schalter umlegen. Führungskräfte müssen darum mit viel Fingerspitzengefühl vorgehen.
M.C. Escher’s «Ascending and Descending» © 2009 The M.C. Escher Company-Holland. All rights reserved. www.mcescher.com
Der renommierte Hirnforscher Gerhard Roth vom Institut für Hirnforschung an der Universität Bremen geht nach seinen aktuellen Erkenntnissen im Zusammenhang mit Veränderungen davon aus, dass der Mensch sich wohl eher nicht ändert, aber er sucht sich ein Umfeld, in das er am besten hineinpasst, in dem er sich selbst wiederfindet. Verändert sich das Umfeld, der Vorgesetzte, das Team, können Mitarbeiter extrem verunsichert werden. «Der Punkt, dass Menschen zu Spitzenleistungen ein passendes Umfeld brauchen, wird immer wieder unterschätzt», sagt Wilfried Heupl, Dozent für Strategic Change am Zentrum für Unternehmensführung ZfU. Gerade bei der Auswahl von Mitarbeitern und der Zusammenstellung von Teams in einem Change-Prozess gewinne dieser Aspekt extrem an Bedeutung. Heupl beschäftigt sich seit 15 Jahren intensiv mit dem Thema Change aus praktischer und wissenschaftlicher Sicht. Für seine Dissertation «Best Practice Change-Modell aus Leadership Perspektive» hat er über 20 erfolgreiche Change-Programme namhafter Unternehmen untersucht.
Mitarbeiter müssen wissen, wohin die Reise geht
Im Herbst erscheint in Wien ein «Sanierungshandbuch», in dem er als Co-Autor das Thema Change Leadership aufgearbeitet hat. Heupl verwendet gerne Roths Aussagen als Anknüpfungspunkt für seine Change-Erkenntnisse. Für Roth sind vor allem zwei Voraussetzungen massgebend dafür, dass Mitarbeiter bereit sind, sich Veränderungen anzupassen. Erstens: stabile und intensive soziale Beziehungen. Wie im privaten Bereich eine starke Partnerschaft können starke soziale Beziehungen in Firmen die Veränderungsbereitschaft von Mitarbeitenden enorm erhöhen. Zweitens: Steter Topfen höhlt den Stein. Eine einmalige Präsentation, und sei sie noch so professionell aufbereitet, reicht absolut nicht aus, damit Menschen beginnen, sich zu verändern.
Führungskräften sei nicht genügend bewusst, so Heupl, wie oft eine Kommunikation stattfinden und wiederholt werden muss, bis sie einsickert. «Mitarbeiter switchen nicht einfach von einem Programm zum nächsten um. Die Fehler, die hier von Top-Managern gemacht werden, sind oft haarsträubend.» Unternehmensziele und Reorganisation sind Chefsache. Umgesetzt werden sie jedoch von den Mitarbeitern, ob einzeln oder im Team. Den Prozess so durchlässig zu gestalten, dass die Mitarbeiter bereit sind, die Veränderung mitzutragen, ist der sensibelste Bereich in einem Veränderungsprozess. Für die Mitarbeiter zählen weniger die Tatsache der Umstrukturierung oder die Definition neuer Unternehmensziel; entscheidend ist für sie eher der Weg dorthin, welchen Platz sie im Zukunftsbild einnehmen und vor allem mit wem sie ihn gehen sollen. «Wenn wir uns an unsere Kindheit erinnern», so Heupl, «stellen wir fest, dass die Frage ‹Wer spielt mit mir?› immer wichtiger war als das Spiel selbst.» Ein Change-Prozess ist keine heile Welt. Ausschlaggebend ist, ob der Prozess bei allen Unsicherheiten ein geführter, geordneter Akt ist, oder ob das Chaos ausbricht. Die Unsicherheit der Mitarbeiter zu führen und sie zum Umdenken zu bewegen, ist die grosse Herausforderung.
Fest stehe, so Heupl, dass Change-Prozesse erfolgreicher in den Unternehmen ablaufen, in denen gewisse Grundwerte wie Vertrauen bereits vorher in der Unternehmenskultur wirklich verankert waren. «Auf eine kaputte Basis kann man nicht bauen.» Damit die Mitarbeiter mitziehen, müssen Vision und strategische Ziele ganz klar definiert werden. Die Mitarbeitenden müssen wissen, wohin die Reise geht. Das Zukunftsbild sei entscheidend, so Heupl, nicht die Probleme von heute. Wichtig sei, nicht nur zu vermitteln, dass das alte Bild nicht mehr bestehen wird, sondern das neue Bild möglichst gut zu zeichnen und zu benennen und die Menschen dafür zu begeistern (siehe auch Seite 56).
Kreative Teamleistungen kann man nicht erzwingen
Da Teams mehr sein sollten als nur die Summe von Mitarbeitenden, müssen sie in Zeiten der Umstrukturierung bereit sein, Neues zu lernen und Kompetenzen erwerben, die sie in die Lage versetzen, mit der Veränderung umzugehen. Die Teamleistung muss ganz neu aufgebaut werden. Zwar gibt es eine Reihe Untersuchungen, die belegen, was Personen mitbringen müssen, damit sie in einem Team vernünftig arbeiten können. «Aber wir haben zwei Ebenen, wo das nicht so klar ist», meint Helmut Willke, Professor für Global Governance an der Zeppelin University in Friedrichshafen. Er forscht unter anderem auf den Gebieten der Systemtheorie, der Systementwicklung sowie der Organisationsentwicklung. 1994 erhielt er den Leibnitz-Preis der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Neben der zentralen Frage, was ein Team eigentlich zu einem Team macht, beschäftigt Willke im Hinblick auf die Wandlungsfähigkeit von Gruppen die Frage: Was fangen Organisationen mit Teams eigentlich an?
Ein Projektteam ist darauf ausgerichtet, die formale Linienstruktur zu durchbrechen und über die Linienstruktur hinweg Ergebnisse zu erzielen. «Diese informelle Struktur kompensiert die Schwächen der formalen Struktur und bringt die Stärken einer informell koordinierten Zusammenarbeit, einer kollektiven Intelligenz ins Spiel, die über das Leistungsvermögen der einzelnen Personen hinausgehen», erklärt Willke. Das Beispiel der Ruderer, die untergehen, wenn sie nicht einigermassen koordiniert arbeiten, hat mit Teams im heutigen Sinn nichts zu tun. Teams werden heute stärker darauf angesetzt, Innovationen zu erzeugen. «Es müssen im Team Leistungen mit Kreativität und Fantasie erbracht werden, die man nicht mehr erzwingen kann», so Willke. Diese Leistungen brauchen einen Anreiz. Es gelte also nicht, von oben zu diktieren, was beschlossen ist, sondern das Beschlossene in den Teams abzubilden und zu spiegeln. Für Agenten der Organisation geht es vorwiegend darum, wie ein Team ausgerichtet werden muss, damit es den Change-Prozess nicht behindert.
Der Reorganisationsprozess beginnt im Grunde auf der Ebene der Teams genauso früh und fundamental wie in der Gesamtorganisation. Denn aufgrund der neuen Ausrichtung, neuer Produkte, Geschäftsprozesse und neuer Prioritäten können die Teams nicht einfach so bestehen bleiben wie bisher. Sie würden sonst den Reorganisationsprozess nicht nur nicht unterstützen, sondern behindern. «Das macht das Ganze so aufwändig», sagt Willke. Die bisherigen Teams haben ja schliesslich Gründe, warum sie zusammenarbeiten, haben sich aneinander gewöhnt, es existiert Vertrauen. – Und nun werden sie bedroht in ihrer Existenz, ihrer Identität und ihrer Leistungsfähigkeit. Um Teams erfolgreich auseinandernehmen und neu zusammensetzen zu können, steht daher vor allem eins im Vordergrund: Eine gezielte Kommunikation, die die Entscheidung plausibel macht und den Mitarbeitern die Möglichkeit gibt, diese zu verstehen und einzelne Schritte nachzuvollziehen (siehe auch Seite 34).
Individuelle Arbeitspläne für jeden einzelnen Mitarbeitenden
Die Zusammensetzung von Teams ist einer der ersten Schritte im Change-Prozess. Mit einer neuen Zielrichtung verändern sich die Aufgaben der Gruppen und unter Umständen auch die Wertevollstellungen im Unternehmen. Je klarer neue Organisationsregeln kommuniziert würden, desto besser liessen sich Personen in neue Geschäftsordnungen und Prozesse einbinden, so Willke. Sein Grundsatz: Systeme bestehen nicht aus Menschen sondern aus Kommunikation. Er geht sogar noch weiter: «Die einzelne Person wird allzu oft überschätzt.» Aus seiner langen Erfahrung mit Reorganisation und Strukturveränderungen habe er die Erkenntnis gewonnen: «Menschen lassen sich verhältnismässig leicht in eine neue Ordnung einpassen.» Eine neue Ordnung besteht im Grunde aus Strukturen, Geschäftsprozessen und Regelsystemen. «Und diese sind nichts anderes als verdichtete Kommunikation.»
Wirklich von Bedeutung in einer Organisation seien die Kommunikationsmuster. Damit entstünden Korridore, in denen der Mensch handeln kann. «Da braucht es keine Veränderung der Personen», betont Willke. Hängen Mitarbeitende oder ganze Teams im luftleeren Raum, weil die Kommunikation fehlt, ist die Gefahr gross, dass sie auf dem beharren, was sie bisher gemacht haben und keinen Grund sehen, warum sie umschalten sollen. Eine wichtige innere Ressource von Teams ist das Vertrauen. «Das Geheimnis wandlungsfähiger Gruppen ist nicht die Schaffung von Ordnung, sondern Kompetenz im Umgang mit Ungleichgewichten und Ungewissheiten», sagt Willke. Es gebe klare Aufgaben, die innere Arbeitsweise von Teams zu verbessern und daraus ein klares Führungsziel zu machen. Dazu gehört die Kommunikation klarer Organisations- und Karriereregeln.
«Auch die impliziten Regeln sind für einen Prozess von grosser Bedeutung», so Willke. Professor Roth geht davon aus, dass für die Motivation herausfordernde, aber realistische Ziele einen entscheidenden Faktor darstellen. Grosse Brocken müssen in verdaubare Einheiten zerlegt werden, da das Gehirn bei komplexen Aufgabenstellungen eine Untergliederung der Wegstrecke sucht. Für Heupl bedeutet das in der praktischen Umsetzung, dass die Entwicklung von individuellen Arbeitsplänen für jeden Mitarbeitenden von grosser Bedeutung ist. Diese müssen klar die Verbindung zu den strategischen Teilzielen und schliesslich zur Strategie und Vision des Unternehmens aufzeigen. Jedem einzelnen muss nicht nur das gesamte Zukunftsbild immer wieder gezeichnet, sondern auch der eigene Beitrag zur Erreichung des Gesamtzieles immer wieder vor Augen geführt werden.
Sind Mitarbeitende störrisch oder zeigen sie Abwehrhaltung, wird das ihnen meist selbst zugeschrieben. «Das ist schon mal der erste Fehler», meint Willke. Letztlich müsse man sich doch fragen, nach welchen Regeln sich der Mitarbeitende verhält und wo die Organisation ihn in einen scheinbar unlösbaren Konflikt bringt. Widerborstigkeit mit den Personen in Zusammenhang zu bringen, sei falsch. «Es wurde immer wieder empirisch festgestellt, dass Personen, die als schwierig gelten, einen inneren Rückzug gemacht haben oder nicht motiviert sind, hervorragend arbeiten können, sobald sie in eine andere Situation mit einer anderen Führungskraft gebracht werden.»