Der richtige Nachfolger «just on time» dank strategischem Talent Management
Führende Organisationen wissen, dass ein vorausschauendes HR-Management für den Unternehmenserfolg mindestens so entscheidend ist wie die Technologie. Eine zentrale Aufgabe eines strategischen HR betrifft deshalb das Talent Management und somit die Nachfolgeplanung. Dies gelingt allerdings nur, wenn alle Beteiligten am selben Strang ziehen.
Was im Supply Chain Management schon längst gang und gäbe ist, gerät auch im HR zunehmend in den Fokus: die «just-on-time delivery» von qualifizierten Mitarbeitenden. In einem immer schnelleren globalen Umfeld müssen Führungs- und Fachkräfte mit den benötigten Fähigkeiten zur richtigen Zeit und am richtigen Ort bereitgestellt werden. Dies bedingt ein vorausschauendes, strategisch denkendes HR. Und es bedingt ein Topmanagement, welches versteht (und akzeptiert!), dass der Faktor «Talent» – genauso wie Anlagen – auf der Makroebene gesteuert werden kann und muss. Dazu Samuel J. Palmisano, VR-Präsident und CEO von IBM: «Irgendwo im Unternehmen ist immer die richtige Person vorhanden. Diese Person zu finden – das ist die grosse Herausforderung. Deshalb bemühe ich mich ganz bewusst, eine strategische Supply Chain von Topmanagern aufzubauen». (1)
Tatsächlich beschäftigen sich aber viele Führungskräfte und Verwaltungsräte ungern mit dieser Frage, denn sie ist einerseits aus politischen Gründen tabu und andererseits konfrontiert sie die Betroffenen mit ihrer eigenen «Halbwertszeit». Eine kürzlich in den USA von Korn/Ferry durchgeführte Umfrage ergab: 84 Prozent aller Verwaltungsräte sind der Ansicht, dass die Nachfolgeplanung eine dringliche Aufgabe ist. Über einen entsprechenden Plan verfügen jedoch nur gerade mal die Hälfte aller befragten Unternehmen (2). Leider beschränkt sich die CEO-Nachfolge auch im besten Fall oft auf Schadensbegrenzung. Im schlimmsten Fall entsteht ein hektisches Gerangel, welches der Reputation des Unternehmens schadet und den Shareholder Value bröckeln lässt. Unternehmen, welche die Nachfolgeplanung vernachlässigen, öffnen deshalb Spekulationen und internen Machtkämpfen Tür und Tor und verlieren dabei womöglich ihren talentiertesten Nachwuchs.
Strategisch unterschiedliche Meinungen als versteckter Segen
Damit das HR seiner strategischen Rolle gerecht werden kann, muss eine gewisse Planungssicherheit gegeben sein. Vor allem anderen verlangt ein professionelles Talent Management Einigkeit in den Reihen des Topmanagements über die strategische Ausrichtung des Unternehmens und dessen Kultur. Plant das Unternehmen beispielsweise strategische Akquisitionen als Teil seiner Wachstumsstrategie, muss der oder die CEO-Nachfolger/in visionäre und integrative Elemente vereinen. Plant das Unternehmen hingegen, sich auf seine Kernkompetenzen zu besinnen, ist ein CEO mit vertiefter Industriekenntnis und breiter operationeller Erfahrung die bessere Wahl. Erst in einem zweiten Schritt stellt sich die Frage nach den internen und externen Talenten.
Übrigens: Gelangt ein Unternehmen in diesem Zusammenhang relativ früh zur Erkenntnis, dass im Topmanagement tiefgreifende strategische Meinungsverschiedenheiten vorliegen, erweist sich dies meist als versteckter Segen, weil der Weg frei wird für eine strategische Grundsatzdiskussion. Verpasst das HR die Chance, diese Fragen zu Beginn zu klären, sind die Weichen bereits gestellt – mit unter Umständen fatalen Folgen.
Sobald VR und CEO darin übereinstimmen, welche Unternehmensstrategie / -kultur zukünftig die richtige sein wird, beziehungsweise der aktuelle Kurs bestätigt wird, kann das HR in Aktion treten und die entsprechenden Leitsätze für das Talent Management definieren. Ein weiterer Aspekt sind strategisch wichtige Ernennungen. Unter Corporate-Governance-Gesichtspunkten ist es sicherlich wünschenswert, wenn ein «Nomination Committee» hier die Zügel in die Hand nimmt. Als oberstes Steuerungsgremium bleibt der Verwaltungsrat allerdings so oder so gemäss OR 716a für die Sicherstellung der CEO-Nachfolge verantwortlich (3).
Talent Management bringt höhere «Organizational Effectiveness»
Unternehmen, die im jeweils richtigen Moment auf die richtigen Mitarbeitenden (Talente) mit dem dazu benötigten Skill-Set (Fähigkeiten) zugreifen können, haben gute Chancen, sich einen nachhaltigen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen, was letztlich auch einen höheren Return on Investment (ROI) verspricht. Das Stichwort heisst hier «Organizational Effectiveness». In der Literatur wird dieser Begriff zum Teil sehr unterschiedlich verwendet. Ein integrativer Ansatz definiert Organizational Effectiveness als «das Ausmass, in welchem ein Unternehmen es schafft, die langfristigen Erwartungen seiner Stakeholder zu erfüllen» (4). Wie effektiv ein Unternehmen arbeitet, hängt von zwei Komponenten ab: Leadership und organisatorische Wegbereiter («organizational enabler»).
Im Rahmen des Talent-Management-Prozesses wird das HR folgende Fragen sorgfältig abwägen und beantworten müssen:
- Welche Anforderungen ergeben sich aus der Unternehmensstrategie/-kultur bzw. welche Fähigkeiten muss das Humankapital mitbringen, damit das Unternehmen seine strategischen Ziele erreichen kann?
- Was respektive welche Fähigkeiten kann das bestehende Talentinventar abdecken?
- In welchen Abteilungen/Ländern sind die Anforderungen und die effektiv vorhandenen Ressourcen nicht deckungsgleich?
- Wie bzw. mit welchen Massnahmen können vorhandene Lücken bei den Talenten geschlossen werden? Analog zu möglichen Wachstumsstrategien für das Unternehmen stehen die Varianten «buy» (externes Recruiting, entspricht einer M&A-Strategie) oder «build» (interne Identifikation und Förderung von Talenten, entspricht organischem Wachstum) im Vordergrund – je nachdem, wie zeitkritisch der geortete Bedarf an Nachwuchs ist, entweder alternativ oder in Kombination.
- Wie werden die unter a) definierten Anforderungen im Rahmen des Selektionsprozesses erfasst und ausgewertet? Und wie gut sind Recruiting und Talent Management innerhalb des Unternehmens aufeinander abgestimmt?
- Wie sieht der Backup-Plan aus, wenn es trotz der getroffenen Massnahmen nicht gelingt, die Lücken innerhalb der vorhergesehenen Zeit zu schliessen?
Vorausschauendes HR verbindet Unternehmens- und Personalstrategie
In der Literatur wird wiederholt darauf hingewiesen, dass für einen hohen OE-Wert entscheidend ist, wie gut es dem Topmanagement gelingt, die gewählte Strategie umzusetzen. Ein zentrale Rolle spielt dabei das HR als strategisch denkende Architektin der Talentinfrastruktur («Strategic Talent Management Architect»), welche Unternehmensstrategie und Personalstrategie gekonnt verbindet – und dabei auch kulturelle Aspekte zu integrieren weiss.
Quellen:
1
«Foreign Affairs» (Mai/Juni 2006): «The globally integrated enterprise», Essay von Samuel J. Palmisano.
2
http://www.kornferryinstitute.com/about_us/news_articles/news_entry/177…
3
http://www.admin.ch/ch/d/sr/220/a716a.html
4
The Strategic Talent Management Architect; www.kornferryinstitute.com/files/pdf1/Strategic_talent_mgmt.pdf