Stressprophylaxe

Der Weg zurück

Arbeitsausfälle aufgrund psychischer Erkrankungen nehmen zu. Unternehmen sollten zwei Dinge tun: präventiv für eine gesunde, wertschätzende Arbeitsumgebung sorgen und, kommt es 
dennoch zu einem Ausfall, alle involvierten Mitarbeiter angemessen begleiten – also auch das Team der betroffenen Person. 

Tempo und Stress auf allen Ebenen, sogar in der Freizeit: Wir leben und arbeiten nach dem Motto  «Immer schneller, immer weiter». Die Stressstudie 2010 des SECO (siehe Kasten «Weiterführende Links») beschreibt dieses Bild unserer Leistungsgesellschaft. Aus der Sicht von Menschen, die am Stress erkranken, eine Tragödie, verlieren sie doch in den meisten Fällen ihre gewohnte Handlungsfähigkeit. Sie fühlen sich wortwörtlich ausgebrannt und sind physisch und psychisch am Ende ihrer Kräfte.

Psychische Erkrankungen, insbesondere Burnout, haben jedoch nicht nur eine Ursache. Die Erfahrung zeigt, dass es sich meist um eine Kombination von gesellschaftlichen, beruflichen und persönlichen Faktoren handelt – die Gründe sind so individuell wie der Mensch selbst.

Führungskräfte im Clinch

Vorgesetzte und Management, die mit einem Burnout oder anderen psychischen Erkrankungen konfrontiert sind, kommen oft in Konflikt mit ihren verschiedenen Rollen: Sie wollen ein fürsorglicher Arbeitgeber sein, der sozial kompetent handelt, sie haben die Ambition, gut zu führen und sie haben ihren wirtschaftlich formulierten Auftrag, eine Leistung gewinnbringend zu gewährleisten. Was also tun mit Menschen, die unter einer psychischen Erkrankung leiden?

Es nicht erst so weit kommen lassen

Um die Arbeitsfähigkeit zu fördern, kann der Arbeitgeber präventiv schon eine Menge bewirken. Etwa durch ein ganzheitliches betriebliches Gesundheitsmanagement. Dieses beinhaltet nebst Faktoren, welche die physische Gesundheit betreffen, auch Massnahmen für die Erhaltung der psychischen Gesundheit am Arbeitsplatz. Hier geht es um betriebskulturelle Faktoren wie gesundheitsförderliche Führung. Eine gute Betriebskultur, geprägt von Wertschätzung, guter Kommunikation und Förderung der Teamarbeit, ist dabei schon die halbe Miete. Dazu kommen arbeitsorganisationelle Faktoren: gute Rahmenbedingungen, Handlungs- und Entscheidungsspielräume sowie ein klar formulierter Auftrag inklusive Zielen und Erfolgskriterien der jeweiligen Aufgabengebiete.

Sind diese Bedingungen im Führungsalltag verankert, so bemerkt der aufmerksame Vorgesetzte in der Regel frühzeitig psychische Veränderungen bei Mitarbeitern und kann reagieren. Er sucht das Gespräch mit der betroffenen Person, bietet seine Unterstützung an und signalisiert sein Interesse nicht nur an der Arbeitskraft, sondern am Menschen.

Zudem involviert der Vorgesetzte das HR, um gemeinsam, unter Einbezug der betroffenen Person, das weitere Vorgehen festzulegen. Das HR kann beim Suchen von Lösungen und in der Unterstützung jedes einzelnen Beteiligten in der Firma eine kraftvolle und kompetente Hilfe sein.

Dos and Don’ts bei Krankheitsfällen

Dos

  • 
Klare und transparente Kommunikation
  • 
Information des Teams nach Rücksprache mit der betroffenen Person
  • 
Rechtzeitig Unterstützung durch Externe veranlassen
  • 
Entstigmatisierung von psychischen Erkrankungen durch präventive Informationsveranstaltungen für Management und Mitarbeitende

Don’ts

  • 
Abwarten, erst spät handeln
  • 
Schönreden
  • 
Vermeidungsverhalten vom Vorgesetzten
  • 
Werten (Bemerkungen wie «Die simuliert ja nur» können nicht nur bei den Betroffenen zum Rückzug führen, sondern auch beim Rest des Teams negative Reaktionen hervorrufen)

Ausfall – was nun?

Kommt es dennoch zu einer längeren psychischen Erkrankung mit Fehlzeiten, sind folgende Leitplanken wichtig:

  • 
Klärung der Ausgangslage, der speziellen Situation
  • 
Beantwortung der Frage, ob eine Wiedereingliederung im Sinne einer Weiterbeschäftigung für alle Beteiligten erwünscht und/oder sinnvoll ist
  • 
Entlastungsmöglichkeiten für die betroffene Person (temporäre Reduktion des Arbeitspensums, eventuell Wechsel des Arbeitsplatzes)
  • 
Time-out (zum Beispiel zur Standortbestimmung)
  • 
Einbezug von externen Spezialisten wie zum Beispiel Jobcoaching oder Case Management

Unerlässlich ist dabei auch die unvoreingenommene und neutrale Kommunikation gegenüber dem Team der betroffenen Person. Dabei geht es darum, dass alle an einem Strick ziehen und eine Überforderung des Teams vermieden wird (siehe dazu das Kurzinterview).

Auslagerung der Betreuung

Bei der beruflichen Wiedereingliederung von psychisch Erkrankten erweisen sich Jobcoaching oder Case Management erfahrungsgemäss als sehr gute Instrumente: Jobcoaching ist die professionelle Unterstützung zur Rückkehr in den 1. Arbeitsmarkt bei Menschen mit Leistungseinschränkungen. Case Management ist die Koordination des Wiedereingliederungsprozesses bei erkrankten oder verunfallten Menschen mit komplexen Mehrfachproblematiken (zum Beispiel medizinisch, persönlich-sozial, beruflich, finanziell).

Eine interne Betreuung ist oftmals zu wenig neutral oder wird zumindest von der betroffenen Person als nicht neutral empfunden. Eine Auslagerung der Betreuung gewährleistet eine professionelle Koordination des Wiedereingliederungsprozesses sowie eine umfassende Beratung für alle Beteiligten. Das Ziehen an einem Strick wird somit leichter und die Rückkehr an den Arbeitsplatz kann gelingen, was für die Betroffenen als auch gesamtgesellschaftlich einen grossen Gewinn bedeutet.

Mit Unterstützung der IV

Eine Unterstützungsmöglichkeit sind auch die Instrumente der Invalidenversicherung im Rahmen der 5. IVG-Revision. Mittels Früherfassung und nachfolgender Eingliederungsberatung können optimale Rahmenbedingungen für einen Wiedereinstieg geplant werden.

«Entlastung für alle»

Herr Burger, wenn Mitarbeiter nach einer psychischen Krankheit zurückkehren, wissen Vorgesetzte und Teamkollegen oft nicht, wie reagieren. Wie findet das Team wieder zusammen?

Nicolas Burger*: Je offener kommuniziert wird, desto besser – am besten bereits während der Abwesenheit. Sinnvoll ist, wenn der Vorgesetzte zusammen mit dem Betroffenen oder mit dessen Einverständnis das Team über den Abwesenheitsgrund informiert. Wird dieser nämlich verschwiegen, übertreffen die Fantasien aus der Gerüchteküche die Realität oft bei Weitem. Wissen die Teamkollegen, um was es geht, trauen sie sich auch eher, die Person während der Krankheit einmal anzurufen – und so bleibt man in Kontakt.

Was ist zu tun, damit das Team arbeitsmässig nicht überfordert wird?

Vorgesetzte konzentrieren sich oft auf die betroffene Person und vergessen dabei den Rest des Teams. Dieses braucht explizite Wertschätzung für die Mehrarbeit, die es leistet. Zudem haben alle im Team Anrecht auf eine «gesunde» Arbeitsmenge, nicht nur die betroffene Person. Vorgesetzte suchen also im Rahmen einer erneuten Ressourcenverteilung Entlastung für alle – es kann nicht sein, dass jemand wegen Überlastung ausfällt, bloss weil jemand anders entlastet werden soll.  

  • *Nicolas Burger, 
Arbeits- und Organisationspsychologe, geschäftsführender Partner der auf 
BGM spezialisierten 
Conaptis GmbH. www.conaptis.ch
  • Interview: fm

Weiterführende Links

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Heike Diermann ist Leiterin Risk+Health Services bei der B+B Vorsorge AG.
www.bb-vorsorge.ch

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