Übergewicht

Dick im Geschäft

Übergewichtige sind faul und willensschwach und deshalb nicht geeignet für prestigeträchtige Positionen, denken viele: Wer mit seinen Pfunden ringt, hat oft auch mit Vorurteilen zu kämpfen. Stereotype hin oder her: Fettleibigkeit ist ein Problem.

Übergewicht am Arbeitsplatz ist ein Thema, über das nicht gerne gesprochen wird. Dabei sind laut Weight Watchers 42 Prozent der Schweizer Bevölkerung übergewichtig und acht Prozent fettleibig. Das hat Auswirkungen, auch auf die Arbeitswelt. Denn wer zu viele Pfunde auf die Waage bringt, ist mit vielen Vorurteilen konfrontiert: So gelten Übergewichtige als faul und willensschwach, sie haben angeblich keine Kontrolle über sich und keine Disziplin.

Frauen stärker diskriminiert als Männer

Auch Personalfachleute diskriminieren Fettleibige: In einer Studie der deutschen Universität Tübingen mussten 127 erfahrene Personalentscheider aufgrund von Bildern von Angestellten entscheiden, welchen Beruf und welche Position die abgebildete Person innehat. Den stark Übergewichtigen trauten die HR-Leute die prestigeträchtigen Berufe und Führungspositionen viel seltener zu als den schlanken Angestellten, wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung schreibt.

Eine andere Studie zeigte ähnliche Resultate: Bewarb sich eine Frau mit einem BMI von über 30 (vgl. Kasten) auf eine bestimmte Stelle, erhielt nicht sie den Zuschlag, sondern ihre schlankere Konkurrentin – obwohl beide gleich gut qualifiziert waren. «Auch junge Leute mit ein paar Pfunden zu viel haben mehr Mühe, eine Lehrstelle zu finden», sagt Ernährungsberaterin Corinne Spahr.

Unterschied zwischen Übergewicht und Fettleibigkeit

Normalgewichtig ist, wer einen Body-Mass-Index (BMI) zwischen 19 und 25 hat. Von Übergewicht spricht man bei einem BMI zwischen 25 und 30 und fettleibig oder adipös sind Menschen mit einem BMI über 30. Der BMI wird berechnet, indem man das Gewicht durch das Quadrat der Grösse (in Meter) teilt.

Fettleibige werden weniger befördert

Statistisch gesehen werden Übergewichtige ähnlich diskriminiert wie Farbige. «Oft werden Personen aufgrund ihres Aussehens angestellt», erläutert Ellen Kocher. Sie arbeitet bei der Weltgesundheitsorganisation WHO in Genf und ist zusätzlich verantwortlich für das Programm «Weight Watchers At Work» in der Schweiz. Vor allem Fettleibige werden weniger befördert und wirken weniger kompetent, sagt sie.

Nicht alle Übergewichtigen werden aber gleich diskriminiert: «Männer in hohen Positionen, die ein Bäuchlein haben, werden weniger diskriminiert als Frauen, die nicht dem Idealbild entsprechen», sagt Ernährungsberaterin Corinne Spahr.

Menschen mit Gewichtsproblemen diskriminieren sich auch selbst, wie Ellen Kocher erläutert. Wer zu viel wiege, habe oft ein tieferes Selbstwertgefühl, sei weniger selbstbewusst und unsicherer als normalgewichtige Menschen.

Die Expertinnen widersprechen den Vorurteilen: «Übergewichtige bringen die gleiche Leistung wie Normalgewichtige», sagt Corinne Spahr. Häufig würden diese Menschen im Beruf alles geben. Am Abend zu Hause fühlen sie dann eine Leere oder Spannung in sich, und um diese abzubauen, würden sie zu Essen greifen. «Übergewichtige können im Beruf oft nicht Nein sagen, darum wollen sie sich dann zu Hause etwas Gutes tun, und das gelingt ihnen mit Essen», sagt Corinne Spahr.

Häufiger krank

Neben Vorurteilen sprechen aber auch harte Fakten gegen die Einstellung von fettleibigen Menschen: Statistisch gesehen fehlen sie häufiger im Büro als Normalgewichtige. Denn Übergewicht führt zu vielen Folgeproblemen und Krankheiten, etwa Rückenbeschwerden, Diabetes, bestimmten Formen von Krebs, Gelenkproblemen, Cholesterin und Herzkreislaufproblemen. «Die Leute fehlen am Arbeitsplatz nicht wegen ihres Übergewichts, sondern wegen Krankheiten, die durch ihr Übergewicht ausgelöst wurden», sagt Ellen Kocher. Zudem kann Übergewicht einen starken Einfluss auf die Leistung des Arbeitnehmers haben, vor allem bei physischer Arbeit.

Für ein stabiles, normales Gewicht sind Entspannung und guter Schlaf zentral. Die Crux: Starkes Übergewicht führt zu Schlafproblemen. Wer zu wenig schläft, ist dann im Büro weniger aufmerksam und müde.

Das Gewicht beeinflusst auch die Lebenserwartung: Übergewichtige, die 10 Prozent ihres Startgewichts verlieren, verbessern ihre Lebenserwartung um 30 Prozent über zehn Jahre gesehen. «Weil diese Leute ihre allgemeine Gesundheit so stark verbessern», erklärt Ellen Kocher. Wer einen BMI zwischen 25 und 27 hat, gilt nur als leicht übergewichtig. «Wenn Leute dieser Gruppe sich sportlich betätigen, leben sie länger als unsportliche Normalgewichtige», sagt Corinne Spahr. Da Muskelmasse mehr wiegt als Fett, können sportliche Menschen schnell einen höheren BMI haben.

Um Übergewicht zu verhindern, setzt Ellen Kocher auf anschauliche und praxisnahe Bildung. «Diäten bringen nichts. Wichtig sind gesundes Essen und Bewegung», erklärt die Expertin. Deshalb hat Weight Watchers das Programm «Weight Watchers At Work» eingeführt. Denn Ellen Kocher ist überzeugt: «Die Zukunft liegt in der Gesundheit der Mitarbeiter.»

Achtsam und bewusst essen

Corinne Spahr ist gegen Diäten, «diese wirken nur kurzfristig». Längerfristigen Erfolg erziele nur eine Verhaltensänderung. Es mache keinen Sinn, wenn Menschen auf etwas verzichten müssten – grundsätzlich könne man alles essen, wichtig sei die Menge: «Regelmässig und mässig essen», empfiehlt die Ernährungsexpertin. Und vor allem: achtsam und bewusst essen, sich nur auf das Gericht konzentrieren und nicht durch Fernseher, Bildschirm oder Bücher ablenken lassen.

«Menschen mit Gewichtsproblemen müssen lernen, auch den Nussgipfel genussvoll zu essen.» Es gelte zu lernen, eine Balance zu finden. Sie empfiehlt, genussvoll ein Schoggistängeli zu geniessen und die anschliessende Mahlzeit ausgewogen zu gestalten mit ausreichend Gemüse oder Salat, einer Eiweissbeilage (Fleisch, Fisch, Eier, Quark, Käse, Tofu, Hülsenfrüchte) und einer angemessenen Menge an Stärkelieferanten (Reis, Kartoffeln, Teigwaren, Brot).

 

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