Impulse

«Die Arbeitnehmer werden 
mehr eigene Werte durchsetzen»

Zukunftsberater Georges T. Roos ist davon überzeugt, dass die grössten Herausforderungen für die HR-Abteilungen künftig darin liegen, Employer of Choice zu bleiben und den Wissensabfluss zu verhindern. Denn durch die demografische Entwicklung wird die Arbeitswelt von morgen ein Arbeitnehmer-Markt sein.

Herr Roos, Sie sagen voraus, dass die Loyalität der Arbeitnehmer gegenüber den Arbeitgebern in Zukunft rapide abnimmt. Keine erfreulichen Aussichten für HR-Manager.

Georges T. Roos: Die Loyalität der Arbeitnehmer sinkt, so wie dies auch umgekehrt seitens der Arbeitgeber der Fall ist. Grund dafür ist die Beschleunigung des Wandels von Wissen und Märkten und das schnellere Lebenstempo. Die verkürzt tendenziell die Dauer jeglicher Verhältnisse und macht auch die Arbeitnehmer mobiler. Diese Mobilität im übertragenen Sinn ist ein Kennzeichen der Gegenwart und wird in Zukunft noch zunehmen. Eine der Folgen wird sein, dass die Leute in 25 Jahren vermehrt «Portfolio Workers» sind. Sie haben nicht nur einen Arbeitgeber, sondern daneben noch Mandate, die sie als freie Unternehmer abwickeln, oder sie machen parallel eine Weiterbildung.

Sagte die Gilde der Zukunftsberater das nicht schon vor Jahren voraus und passiert ist es so wenig, wie sich die Telearbeit durchgesetzt hat?

Wir fragten letztes Jahr 1000 Schweizer, ob sie davon ausgehen, dass sie 2030 vermehrt Zweit- und Nebenjobs haben werden oder müssen. 71 Prozent bejahten. Manchmal sind die Entwicklungen nicht so rasch wie erwartet. Es ist leichter zu sagen, welches die Trends und Megatrends sind, die eine Entwicklung steuern, als wann sie genau durchschlagen. Es gibt aber klare Indizien, dass die Voraussagen nicht falsch sind. Zur Telearbeit: Bereits jetzt lassen über 40 Prozent der global tätigen Unternehmen partiell Heimarbeit zu oder wünschen sie sogar, indem sie die Möglichkeiten dazu geschaffen haben. Da sind wir wesentlich weiter als noch vor fünf Jahren.

Tatsache ist, dass die Work-Life Balance oder das Unter-einen-Hut-Bringen von Familie und Arbeitswelt für die meisten an Bedeutung gewinnt. Frauen werden sich eher Verbesserungen ihrer Arbeitssituation erstreiten. Davon werden auch Männer profitieren. Die Emanzipation des Mannes hat hier ja bislang nicht stattgefunden. Das wird aber in den nächsten zwanzig Jahren geschehen.

Durch die demografische Alterung werden wir einen Arbeitskräftemangel haben. Wie können wir diesen kompensieren?

Teilweise durch Migration, doch das wird nicht reichen. Die demografische Entwicklung verläuft ja in ganz Europa ähnlich. Auch Deutschland oder Frankreich stehen vor den gleichen Herausforderungen. Deswegen ist es für uns so wichtig, als Arbeitsstandort attraktiv zu bleiben. Zentral für die Zukunft ist aber die bessere Integration der Frauen in die Arbeitswelt. Hier liegt das grösste Potenzial.

Gemäss Ihren Erwartungen leben in der Schweiz bis in zwanzig Jahren 500 000 über 65-Jährige mehr als heute. Welche Konsequenzen hat das für den Arbeitsmarkt?

In zwanzig Jahren haben Pensionierte vermehrt auch Einzelfirmen, bieten Dienstleistungen an oder übernehmen Beratungsmandate für ihre ehemaligen Arbeitgeber, so wie das in Grossunternehmen wie ABB schon heute in Ansätzen geschieht. Ich machte auch schon Bankenvertreter darauf aufmerksam, dass sie sich vermehrt auf frisch Pensionierte mit Start-up-Finanzierungsbegehren vorbereiten können. Diese Menschen haben häufig noch zehn Jahre vor sich, während denen sie bei bester Gesundheit ihre Beziehungen und Fähigkeiten nutzen möchten.

Die demografische Alterung wird also auch für die HR-Abteilungen zur riesigen Herausforderung …

Sie besteht darin, «Employer of Choice» zu bleiben, um die besten Leute anzuziehen. Da das Segment der 20- bis 65-Jährigen in den nächsten 25 Jahren abnimmt, werden sie immer umworbener. Die zweite grosse Herausforderung ist der «Brain Drain». Es gilt, ein Wissensmanagement zu installieren, das verhindert, innerhalb der nächsten zwanzig Jahre mit dem Hauptharst der Mitarbeiter auch den Grossteil des Wissens zu verlieren.

Das allgemeine Bedürfnis, das Leben zu intensivieren, steigt. Was heisst das für die Firmen?

Sie müssen Organisationsformen kreieren, in denen individualisierte Lebens- und Berufsverläufe besser Platz finden. Es wird nicht mehr jeder Mitarbeiter bereit sein, jedes Jahr gleich viel zu leisten für die Unternehmung. Jemand sagt vielleicht, während zwei, drei Jahren ist es mir egal, wie viel Überzeit ich mache. Dann kommt aber ein Jahr, in dem ich mehr Ferien möchte, mehr Zeit für die Vereinsarbeit oder was auch immer. Wem es gelingt, dies zu moderieren und zu organisieren, der hat schon viel gewonnen.

In Zukunft verlangen Mitarbeitende mehr Macht und unternehmerische Kompetenzen, schreiben Sie in einer Ihrer Studien. Wie kommen Sie darauf?

Weil wir annehmen, dass Arbeitnehmer sehr viel mehr eigene Werte durchsetzen können, weil sie vermehrt eine gesuchte Ressource sind. Das betrifft vor 
allem die gut Gebildeten, die aber mengenmässig stetig zunehmen. Die suchen verstärkt Entwicklungs- und Gestaltungsmöglichkeiten. Geld als alleiniger Anreiz reicht nicht, es geht um Sinnhaftigkeit. Das kann durchaus im Sinn der Unternehmen sein, denn in Zukunft werden sehr viel mehr Prozesse kollaborativ gestaltet werden müssen – zunehmend mit Hilfe von Kompetenzen von ausserhalb der Firmen.

Was heisst das für die Führungskräfte und was müssen diese in 25 Jahren vor allem mitbringen?

Die zentrale Kompetenz wird eine soziale sein. Es geht um die Fähigkeiten, diese kollaborativen Prozesse zu managen. Führungsleute müssen noch viel häufiger mit ständig wechselnden internen wie externen Teams die unternehmerischen Ziele erreichen. Darüber hinaus müssen sie «Meister in der Bewältigung der Beschleunigung» sein. Sie müssen Entscheide fällen, obwohl der Boden unter ihren Füssen dauernd und immer schneller in Bewegung ist. Viel wichtiger wird auch der Aspekt der Gesundheit in der Führung. Beispielsweise können stressbedingte Erkrankungen plötzlich zum Haftungsfall werden, wie schon jetzt erste Gerichtsentscheide auch in der Schweiz zeigen.

Gehören übermässig lange Arbeitszeiten von 80 Stunden und mehr dann also der Vergangenheit an?

Schwer zu sagen. Je mehr sich jemand in einem kreativen und offenen Prozess befindet, desto mehr schwindet auch die Grenze zwischen Arbeit und Freizeit, sodass gar nicht mehr so klar angegeben werden kann, wie viel jemand arbeitet.

Weitere Informationen unter www.kultinno.ch, www.european-futurists.org

Der Gesprächspartner

Georges T. Roos ist Zukunftsberater und Gründer von ROOS Büro für kulturelle Innovationen in Luzern. Er initiierte die European Futurists Conference Lucerne, die wichtigste Konferenz europäischer Zukunftsexperten, deren Direktor er bis heute ist. Roos studierte an der Universität Zürich und war von 1997 bis 2000 Mitglied der Geschäftsleitung des Gottlieb Duttweiler Instituts (GDI) in Rüschlikon.

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