Die Ökonomen Thomas Straubhaar und Heinz Werner bezeichnen die schweizerische Arbeitsmarktlage als «beneidenswert» und den Schweizer Arbeitsmarkt als «Erfolgsmodell».(1) In der Tat weist die Schweiz die höchste Beschäftigungsquote aller OECD-Länder auf. Die Arbeitslosenquote ist eine der tiefsten im internationalen Vergleich. Das Zusammenspiel verschiedener Systemelemente und mutiger Reformen sei dafür verantwortlich, dass der Arbeitsmarkt in der Schweiz viel eher ein Markt sei als in anderen Ländern. Hauptverantwortlich für die günstige Arbeitsmarktlage ist laut Straubhaar/Werner die dezentral organisierte Entscheidungsfindung und Problemlösung oder, anders gesagt, der Bottom-up-Ansatz, der sich wie ein roter Faden durch Politik (direkte Demokratie), Gesellschaft (Föderalismus) und Wirtschaft (dezentrale Lohnaushandlung) ziehe.
Anders als beispielsweise in Deutschland bedeute Lohnautonomie in der Schweiz nicht nur, dass sich der Staat aus der Lohnfindung heraushalte und dies den organisierten Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden überlasse. Vielmehr heisse Lohnautonomie in der Schweiz, dass die einzelnen Unternehmen frei sind, nach ihren betrieblichen Voraussetzungen die jeweils nur für ihre Firma geltenden Löhne mit ihrer eigenen Belegschaft auszuhandeln.
Diese Art der Entscheidungs- bzw. Lohnfindung lässt viel Raum für pragmatische, der Situation angepasste Lösungen. Sie gibt den einzelnen Unternehmen die Möglichkeit, die Personalkosten auch kurzfristig zu beeinflussen. Zwar gibt es in der Schweiz gesamtarbeitsvertraglich definierte Mindestlöhne. Diese seien aber vergleichsweise niedrig und dienten vor allem dazu, ein von den Gewerkschaften befürchtetes Lohndumping durch ausländische Arbeitskräfte zu verhindern. Zur dezentralen Entscheidungsfindung gehöre schliesslich auch das Verständnis, dass Arbeitskonflikte zuallererst innerhalb des Unternehmens geregelt und Streiks als Ultima Ratio verstanden werden. OECD-weit habe die Schweiz die geringste Streikquote.
Für die «erstaunliche» Anpassungsfähigkeit des schweizerischen Arbeitsmarkts sind laut Straubhaar/Werner weitere Faktoren mit verantwortlich: erstens die Reform der Arbeitslosenversicherung und die Ausgestaltung der arbeitsmarktlichen Massnahmen, welche auf das Prinzip der Aktivierung setzen, die Stellensuchenden gleichzeitig fordern und fördern und damit wesentlich auf die Reintegration in den Arbeitsprozess hinwirken. Zweitens die kurzen Kündigungsfristen, welche die Einstellungsbereitschaft der Unternehmen fördern und einer Verfestigung der Arbeitslosigkeit entgegenwirken. Der Arbeitgeber braucht in der Regel keine Begründung bei Entlassungen anzugeben. Langwierige Arbeitsgerichtsprozesse, wie es sie in anderen Ländern gibt, oder teure Abfindungen entfallen normalerweise. Drittens die im internationalen Vergleich niedrigen Lohnnebenkosten, welche die Einstellungsbereitschaft ebenfalls fördern. Die Kosten der Arbeitslosenversicherung werden dadurch niedrig gehalten, dass die Lohnersatzleistungen nur für relativ kurze Zeit bezahlt werden. Bei der Altersvorsorge wird über die umverteilende AHV nur eine relativ bescheidene Grundsicherung gewährleistet und auch damit werden hohe Lohnnebenkosten gespart.
Drohen die Besonderheiten strapaziert zu werden?
Insgesamt stärkt ein liberaler Arbeitsmarkt also die Beschäftigungssicherheit, indem er tiefe Arbeitslosen- und hohe Beschäftigungsquoten hervorbringt. Die Gewerkschaft Unia will allerdings gegen die Flexibilisierung der Arbeit vorgehen. Im Januar dieses Jahres startete sie eine Kampagne, um die negativen Auswirkungen des flexiblen Arbeitsmarkts zu beseitigen. Arbeitsverhältnisse auf Stundenlohnbasis ohne Mindestarbeitszeit und Garantie auf regelmässiges Gehalt sind der Unia ein Dorn im Auge. Die Unia fordert, dass jeder Arbeitsvertrag eine bestimmte Anzahl wöchentlicher oder zumindest monatlicher Arbeitsstunden enthält, um für die Arbeitnehmenden eine gewisse Sicherheit zu schaffen.
Bei allem Verständnis für die Vorzüge eines berechenbaren und regelmässigen Arbeitslebens muss dennoch festgestellt werden, dass ein liberaler und flexibler Arbeitsmarkt die Beschäftigungsquote insgesamt steigert. Eine zu starke Regulierung senkt die Einstellungsbereitschaft der Arbeitgeber und wirkt insofern gegen die Arbeitnehmerwünsche, nämlich beschäftigungssenkend. Eine spezifische Form flexibler Arbeit ist die Temporärarbeit. Auch sie trägt zur Sicherung einer hohen Beschäftigungsquote bei, wie ein kürzlich erschienenes Gutachten der DIS AG zeigt.(2) Einerseits trage sie wesentlich dazu bei, dass Unternehmen flexibler auf die Herausforderungen der Globalisierung reagieren können.
Bleibt den Firmen diese Flexibilität verwehrt, drohen sie im globalen Wettbewerb unterzugehen, womit Arbeitsplätze verloren gingen. Andererseits erleichtere die Temporärarbeit den Übergang von der Industrie- zur Wissensgesellschaft. Erstens könnten Arbeitskräfte, die aufgrund dieses Übergangs ihre Arbeitsplätze verlieren, temporär weiter beschäftigt werden. Zweitens könnten hoch qualifizierte und spezialisierte Knowhow-Träger, deren feste Anstellung viele Unternehmen zu teuer zu stehen käme, auf temporärer Basis bereitgestellt werden.
- (1) Straubhaar, Thomas/Werner, Heinz (2003). Arbeitsmarkt Schweiz – ein Erfolgsmodell? In: Mitteilungen aus der Arbeitsmarkt- und Berufsforschung. Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung IAB.
- (2) Miegel, Meinhard/Wahl, Stefanie/Schulte, Martin (2007). Die Rolle der Zeitarbeit in einem sich ändernden Arbeitsmarkt. Gutachten gefördert durch die DIS AG. Institut für Wirtschaft und Gesellschaft Bonn e.V.