Individuelle Talentförderung

Die Durchschnittsfalle – Warum Gleichmacherei auch im Personalwesen schädlich ist

Das Buch «Die Durschschnittsfalle» des österreichischen Genetikers Markus Hengstschläger verkauft sich in der Schweiz ausgezeichnet. Ausgerechnet hier, wo das Abweichen vom Durchschnitt nicht sehr gern gesehen wird – schon gar nicht in Schule und Ausbildung. Im Gespräch mit HR Today ist er auch nicht verlegen, den HR-Teams hiesiger Firmen auf die Finger zu klopfen – auch sie seien Teil einer Talent-Verhinderungs-Maschinerie.
 

Im unterhaltsam getexteten Buch geht der Autor hart ins Gericht mit Gleichmacherei und Talentverhinderung. Die veralteten Denkmuster von Gesellschaft und Pädagogik setzten die Vormachtstellung Europas in Wirtschaft und Forschung aufs Spiel. «Wenn ein Kind in drei Fächern mässige oder schlechte Noten heimbringt, in einem Fach aber eine sehr gute, dann wird es in Mitteleuropa dort gefördert wo es schlecht ist und nicht etwa dort, wo es offensichtlich Talent hat. Das ist grundfalsch,» sagt der österreichische Genetiker Markus Hengstschläger. Besser wäre, so seine Vorstellung, wenn Kinder dort intensiv gefördert und geschult würden, wo sie gut sind, eben wo sie Talent haben. Es sei sinnlos, dass alle auch dort pauken müssen, wo sie schlecht sind und bestenfalls am Ende der Grundausbildung auf Durchschnittsniveau seien.

Hengstschlägers Buch «Die Durchschnittsfalle» ist unlängst in die TopTen-Verkaufshitparade der Wirtschaftsbücher des «Tages-Anzeiger» vorgestossen. Beliebt scheint Hengstschlägers unterhaltsame, sehr bildhafte Sprache, mit denen er die «systematischen Talentvernichtung» anprangert. Seine Thesen bieten Gesprächsstoff.

Europa produziert nur noch Durchschnitt

Durch die jahrhundertelang betriebene Gleichmacherei in Schule, Ausbildung oder Universitäten würden nunmehr mehrheitlich zwar viele gute, aber meist eben nur durchschnittliche Menschen ausgebildet. Toptalente, wie sie in Forschung und Wirtschaft bitter benötigt würden, würden in Europa und dort besonders in den deutschsprachigen Ländern nicht nur nicht gefördert, sondern richtiggehend klein gehalten. Man müsse sich nicht wundern, dass die hiesige Wirtschaft und Forschung Kader und Spezialisten aus Ländern anwerben müsse, wo eben Talente und nicht die Durschnittlichkeit gefördert würden. «Hier bei uns lernen wir von Kindsbeinen an, dass man bloss nicht auffallen soll, nicht anecken und immer schön mit der Masse schwimmen soll.» In den USA etwa würden seit jeher Eigenständigkeit und eben Talente gefördert und weitergebildet. «Deshalb sind solche Staaten mehr und mehr Innovationsleader, während die europäischen Ländern, also Deutschland, die Schweiz und Österreich, rasch und sicher Innovationsfollower werden – aus Mangel an Talenten, die diesen Prozess verhindern könnten.»

Natürlich gehe in Forschung und Wirtschaft «nicht schon morgen das Licht aus» auf dem Kontinent. Er könne sich aber vorstellen, dass bei gleichbleibender Gleichmacherei in 50 bis 60 Jahren in den Wirtschaftsmotoren Europas keine bahnbrechenden Errungenschaften mehr vollbracht würden – sei es in Forschung oder in der Wirtschaft. Der Arbeitsmarkt würde dannzumal vollkommen verändert sein. Spezialisierte Tätigkeiten und Produktion würden dorthin abgewandert sein, wo Spezialisten vorhanden sind. «Wir müssen nun Individualität fördern – nicht mehr den Durchschnitt. Wenn wir das tun, können wir sicher sein, dass wir auch in der Zukunft auf Fragen, die wir heute noch nicht kennen, Talente haben, die Antworten und Lösungen finden werden.»

Peaks und Freaks fördern – bunte Hunde, nicht graue Mäuse

«Wer auch in Zukunft neue Wege gehen will, muss schon heute alte, ausgetrampelte Pfade verlassen», so Hengstschläger. Dabei ziele er nicht nur auf die reine Bildungspolitik ab, sondern auf die gesellschaftliche Grundhaltung. Einzigartigkeit müsse akzeptiert werden und so auch eine Talentförderung möglich werden. Hengstschläger untermauert seine Forderung und seinen Appell in seinem Buch mit mannigfachen Beispielen. «Sehen Sie sich doch einfach die Geschichte an. Meist haben Menschen die grossen, innovativen Schritte für Europa vollbracht, die als Aussenseiter galten und von deren Erfindungen man sich nicht vorstellen konnte, dass man es jemals benötigen könnte.» Nicht selten wurden aber besonders erfolgreiche Talente - heute Freaks, Peaks und bunte Hunde genannt - von der hiesigen Gesellschaft dazu gebracht, auszuwandern. Innovation, so Hengstschläger, entstehe eben durch querdenkende, nicht durchschnittliche Menschen, aus Humankapital, dem einzigen Kapital, dass der Kontinent vorzuweisen habe. «Es braucht Menschen die bereit sind, neue Wege zu gehen. Im Denken wie im Handeln».

Appell an die HR-Verantwortlichen in den Unternehmen

Hengstschläger ortet auch bei HR-Teams hiesiger Firmen festgefahrene Denkmuster, die in letzter Konsequenz den wirtschaftlichen Erfolg der Unternehmen gefährdeten. Der Personalabteilungen seien Abnehmer und Verwalter von durchschnittlich Ausgebildeten und durchschnittlich Erfahrenen. «Schauen Sie sich nur die Stelleninserate an. Es wird bis ins Detail erklärt, wie der Bewerber qualifiziert sein muss, was er für Erfahrungen hat, wie er sich zu benehmen hat.» Firmen kennen ihr künftiges Personal also schon im Voraus – «denn sie kennen den Durchschnitt». Bewerber müssten immer in eine klar definierte Schablone passen. Wer von der Norm abweiche, solle vom Einstellungsprozess ausgeschlossen werden. «Nun werden sich auf so ein Inserat und bei so einem HR auch wirklich nur durchschnittliche Menschen und eben keine Querdenker, Individualisten und Toptalente bewerben. Für den Standort Mitteleuropa, für die Wirtschaft in der Schweiz, Österreich und Deutschland ist das der Anfang vom Ende».

Markus Hengstschläger und «Die Durchschnittsfalle»

Der gebürtige Oberösterreicher promovierte im Alter von 24 Jahren zum Doktor der Genetik. Er forschte unter anderem in Yale, in den USA. Hengstschläger hat eine abgeschlossene Ausbildung zum Fachhumangenetiker und ist unterdessen  Universitätsprofessor für Medizinische Genetik an der Medizinischen Universität Wien. Er ist zahlreicher Publikationen in verschiedenen, internationalen Journalen. Er ist darüber hinaus stv. Vorsitzender der Bioethikkommission des österreichischen Bundeskanzlers, wissenschaftlicher Leiter des Think Tanks Academia Superior, Mitglied der österreichischen Gentechnikkommission, des Wiener Beirats für Bioethik, des Beirats des Instituts für Ethik und Recht der Universität Wien, des österreichischen Rats für Forschung und Technologieentwicklung und war auch Gründungsmitglied des Hochschulrats der Pädagogischen Hochschule Wien und Mitglied der Päpstlichen Akademie für das Leben im Vatikan. Sein Bestseller «Die Macht der Gene» wurde mit dem «Goldenen Buch» ausgezeichnet. Sein weiterer Bestseller «Endlich unendlich» wurde auch mit einem Buchliebling-Preis ausgezeichnet. Einer breiten Öffentlichkeit in Österreich ist Hengstschläger ausserdem bekannt als Moderator der ORF-Ö1-Wissenschaftssendung «Radiodoktor – Gesundheit und Medizin».

Das Buch «Die Durschnittsfalle» (ISBN978-3-7110-0022-4, 188 Seiten, gebunden, 31.50 Franken) ist im Ecovin-Verlag erschienen. (pd)

 

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