Video-Porträt: Esther Lattmann

Die Ehrgeizige

Ob als Ironman-Teilnehmerin oder HR-Verantwortliche: Was die selbständige HR-Leiterin Esther Lattmann anpackt, zieht sie durch. Zum Beispiel die Digitalisierung des HR bei verschiedenen Auftraggebenden. So auch bei Chopfab Boxer.

Schwarze Chopfab Harassen, wohin das Auge reicht: Die innovative Brauerei Werkstatt in Winterthur ist bekannt für ihre Bier-Vielfalt. Rund 27 Sorten der Marken «Chopfab» oder «Boxer» können Bierenthusiasten an der Rampe im Industrieviertel kaufen. Weit abseits des Standards finden sich hier Spezialsorten in begrenzter Auflage mit abenteuerlichen Geschmacksnoten wie «Juicy Mango IPA» oder «Fresh Hop Bock». Vom Schroten, Maischen, Läutern, Sieden, Kühlen, Gären, Filtern, Abfüllen bis hin zum Etikettieren, Verpacken, Lagern und Versenden wird der gesamte Prozess von rund hundert Mitarbeitenden an zwei Standorten abgewickelt. 2012 gegründet, befindet sich die Brauerei seither auf stetigem Wachstumskurs, der 2017 im Zusammenschluss mit der in Yverdon-les-Bains ansässigen Brauerei «Bière de Boxer» sowie der Erweiterung der Brauerei-Anlagen an beiden Standorten gipfelte.

Geschäftsleitungsmitglied mit Mini-Pensum

Seit rund zwei Jahren ist HR-Leiterin Esther Lattmann Teil des wachsenden «Chopfab Boxer»-Teams. Allerdings nur in Teilzeit und als freie Mitarbeiterin mit eigenem Unternehmen im aargauischen Bremgarten. Was als unbezahlte Urlaubvertretung begann, entwickelte sich zum Dauer-Arrangement. «Seit heute arbeite ich zwei Tage in Winterthur», sagt die 48-Jährige, als wir uns am 11. Januar 2023 in Winterthur treffen. «Davor war ich nur einen Tag hier.» Zusammen mit einer Payroll-Verantwortlichen und einer teilzeitarbeitenden HR-Spezialistin aus der Westschweiz erledigt sie alle HR-Aufgaben. Dass sie trotz kleinem Arbeitspensum und als Freelancerin Einsitz in der Geschäftsleitung hat, ist für sie «ein grosser Vertrauensbeweis». Auch zu den Mitarbeitenden hat sie einen guten Draht: «Vor Ort höre ich oft, schön, dass du da bist.»

Aktuell beschäftigt sie das kontinuierliche Wachstum des Unternehmens und die damit einhergehenden organisatorischen Veränderungen. Dafür brauche es «mehr Struktur». Etwa indem sie alle HR-Prozesse vom Ein- bis zum Austritt eines Mitarbeitenden durchgängig gestaltet. Um diesem Ziel näher zu kommen, digitalisierten Lattmann und ihr kleines HR-Team bereits alle Mitarbeitenden-Dossiers. Perfekt ist das System in ihren Augen jedoch noch nicht: «Mittlerweile haben wir zwar ein Bewerbungsmanagement-Tool, doch dieses hat keine Schnittstelle zum Enterprise Ressource Planning Tool (ERP). Deshalb müssen wir Daten immer noch doppelt erfassen.» Als «Digitalisierungs-Fan» liebt Lattmann solche Aufgaben und geht den Sachen dabei auf den Grund. «Ich will verstehen, was im Hintergrund einer Software abläuft und welche Auswirkungen es hat, wenn ich etwas anpasse.»

 

HR-Leiterin mit eigenem Unternehmen

Lattmann kümmert sich nicht nur um zeitaufwändige Projekte wie die Evaluation und Einführung eines integrativen IT-Systems, sie wickelt auch operative HR-Aufgaben ab. Beispielsweise die Punkte aus der letztjährigen Great-Place-to-Work Mitarbeiterbefragung. Derzeit liest sie sich zudem in das neue Datenschutzgesetz ein, das in der Schweiz im September in Kraft tritt. Doch wie bringt man so unterschiedliche Aufgaben mit einem Mini-Pensum unter einen Hut? «Indem ich effizient arbeite», lacht sie. Eine Eigenschaft, die ihr als Unternehmerin und Inhaberin der Lattmann Consulting GmbH zugutekommt, unter deren Namen sie seit 2017 unterschiedlichste operative oder strategische Aufträge erledigt. Dazu zählen Interim-Einsätze, HR-IT-Projektleitungen ebenso wie das Erstellen oder Überarbeiten der Personalreglemente, der Arbeitsverträge sowie das Niederschreiben von HR-Prozessen. Letzteres bei «einer vor der Pensionierung stehenden HR-Leiterin, die diese Abläufe nur im Kopf hatte». Operative Aufgaben erledigt Lattmann gleich gern wie strategische: «Mich auf Projektarbeit zu konzentrieren, wäre mir zu eintönig.» Am liebsten sind ihr Kundinnen und Kunden, die ihr auf Augenhöhe begegnen

Zur eigenen Firma kommt Lattmann nach fast zehnjähriger Tätigkeit als HR-Leiterin bei der Schulthess Klinik: «Damals war ich vierzig Jahre alt und wollte noch etwas anderes machen. Der Drang nach der Selbständigkeit wurde immer grösser». Anfang 2017 ist es so weit: Lattmann kündigt ihre HR-Kaderstelle. Vom «inneren Kritiker» lässt sie sich von ihrem Vorhaben nicht abbringen. «Im schlimmsten Fall hätte ich mich wieder anstellen lassen.» Stattdessen erstellt sie im Rekordtempo eine Website und informiert ihr Netzwerk über ihr Vorhaben. Der Erfolg zeigt sich bald: «Es lief vom ersten Tag an, ich musste mir bis heute keine Aufträge suchen.» Braucht sie Inspiration, findet sie diese im Netzwerk «HR4HR». Falsche Bescheidenheit sei dort nicht angebracht. «Wer sich selbstständig macht, muss auf Leute zugehen und Hilfe einfordern können.» Einen Grund für eine Wiedereinstellung gibt es für sie nicht: «Mir gefällt die Flexibilität, so zu arbeiten, wie ich will und Einblick in unterschiedlichste Betriebe zu erhalten.»

Kurz und bündig

Esther LattmannVorbild?
Meine Eltern, sie haben uns viel beigebracht und vieles auf den Weg gegeben. Ansonsten wäre ich heute nicht hier, wo ich jetzt bin. Dafür danke ich ihnen.

Pop oder Klassik?
Ganz klar Pop, da steckt für mich der Rhythmus drin, den ich brauche.

Winter oder Sommer?
Je älter ich werde, desto mehr liebe ich den Sommer. Ich mag die Hitze, zudem sind die Menschen motivierter und es ist gemütlicher, draussen zu sitzen und einen Apéro zu nehmen.

National oder International?
Ich liebe die Schweiz und fühle mich hier zu Hause und geborgen. In den Ferien gehe ich auch gerne ins Ausland, um andere Kulturen und Landschaften zu sehen und kennenzulernen.

Büro oder Homeoffice?
Beides. Zuhause kann ich in Ruhe arbeiten, aber im Büro bei den Kunden geniesse ich die Nähe der Mitarbeitenden und die Zusammenarbeit mit ihnen.

Junge HR-Führungskraft

Der Einstieg ins HR gelingt Esther Lattmann 1999 bei der UBS nach ersten Berufserfahrungen als Betreibungs- und Zivilstandsbeamtin und Mitarbeiterin bei der Neuen Aargauer Bank am Kundenschalter. Als Teamassistentin dreier HR-Business Partner führt sie bei der UBS einfache Rückkehr-Gespräche, verfasst Zwischen- und Schlusszeugnisse, betreut befristet angestellte Mitarbeitende und erstellt Reports. Die «Einstiegsstelle» bei der Bank entpuppt sich als Glücksfall. Lattmann wird nach knapp einem Jahr zur Personalverantwortlichen für den Nachwuchs befördert und somit Vorgesetzte der Lernenden.

Sechs Jahre ist sie dort, bevor sie im Frühjahr 2004 zu Ticketcorner wechselte. «Ich wollte zu einer kleineren Firma, in der ich für alle Mitarbeitenden zuständig war, nicht nur für die Lernenden.» Zunächst als HR-Assistentin angestellt, tritt sie nach zwei Jahren die Nachfolge der abtretenden HR-Leiterin an und ist damit auf einen Schlag für 120 Angestellte verantwortlich. Ein Sprung ins nicht ganz kalte Wasser: «Ich hatte mit meiner Vorgängerin ja noch jemanden, der mich einarbeitete. Zudem kannte ich die Firma schon aus meiner bisherigen Tätigkeit.» Mit der Beförderung ändert sich jedoch ihre Haltung zu Distanz und Nähe des HR gegenüber den Mitarbeitenden: «In einer kleinen Firma kennt man sich und ist miteinander per Du. Als HR-Führungskraft muss man jedoch seinen Job erledigen.» Das heisst für die Aargauerin, sich «arbeitgeberorientiert» zu verhalten, «auch wenn HR ein Ansprechpartner für die Mitarbeitenden ist».

Lattmann wird die Ticketcorner-Welt allmählich zu klein. Sie sieht sich nach einer neuen Stelle um und findet 2007 eine HR-Leitungs-Stelle bei der Schulthess Klinik, die sie nach mehreren Assessments erhält. Der Start ist nicht leicht, denn durch das rasche Wachstum der Klinik kann das HR wegen fehlender Ressourcen nicht mithalten. Deshalb optimiert Lattmann mit ihrem Team zuerst einen HR-Prozess nach dem anderen und arbeitet liegengebliebene Pendenzen auf. «Wir mussten Ordnung schaffen. Das war der Grundstein, um das HR aufzubauen.» Als die Basis gelegt ist, tut Lattmann das, was sie am liebsten mag: Sie treibt die Digitalisierung in der Klinik voran und führt verschiedene Programme ein. Etwa ein Lohnsystem-, ein Vertrags-, ein Bewerber- sowie ein Zeugnis-Management-Tool.

Image
Esther Lattmann

«Wer sich selbstständig macht, muss auf Leute zugehen und Hilfe einfordern können»: Ehrliche Selbsteinschätzung und gute Kommunikation machen die vielfältigen Tätigkeiten von Esther Lattmann möglich. (Bild: Aniela Lea Schafroth)

Als sie das Unternehmen 2017 verlässt, ist das HR «professionalisiert» und der administrativen Anlaufstelle entwachsen. Auch das HR-Team steht an einem anderen Punkt: «Anfangs hatten wir 2,3 Stellenprozente bei 800 Mitarbeitenden. Als ich ging, waren es 7,8 bei 1200 Mitarbeitenden.» Eine arbeitsreiche Zeit: «Manchmal war es so hektisch, dass es bei uns im Büro wie am Hauptbahnhof zuging.» Trotz aller Geschäftigkeit bremst Lattmann ihre Mitarbeitenden von Zeit zu Zeit, um sie nicht zu überfordern: «Ich musste sie teilweise bitten, abends nach Hause zu gehen oder am Morgen später zu kommen.» Ging es gar arg her, war sich Lattmann nicht zu schade, als Vorgesetzte Gipfeli zum Frühstück zu holen und die Lohnausweise mit ihren Teammitgliedern zu verpacken. Ihr Fazit? «Was ich in zehn Jahren bei der Schulthess Klinik gelernt habe, hätte mir keine Schule beibringen können.»

Wie im Beruf, so im Privaten

Zielstrebigkeit und Ehrgeiz sind für Lattmann auch im Privaten keine Unbekannten. Was sie tut, macht die ehemalige Ironman-Teilnehmerin richtig. Doch für vieles fehlt es oft an Zeit: So auch für die Verbesserung ihres Golf-Handicaps. «Nebenberuflich konzentriere ich mich daher auf meine Vereinsaktivitäten an meinem Wohnort in Bremgarten.» Eine davon? Lattmann organisiert seit 2018 jährlich einen Schlager-Event mit dem «Who’s who» der Schweizerischen und Deutschen Szene. Als Event-Organisatorin kümmert sie sich zudem um den jährlich in Bremgarten stattfindenden Jass-Cup, an dem Menschen der umliegenden Gemeinden teilnehmen. Langweilig wird es ihr bestimmt nicht.

Chopfab Boxer

2012 von Philip Bucher und Jörg Schönberg als Doppelleu Brauwerkstatt AG gegründet, und 2013 eröffnet, ist das Brauereiunternehmen seither mit seinen Biermarken «Chopfab», «Cosmos» und «Bière de Boxer» auf stetigem Expansionskurs. So wurde der Standort Winterthur 2015/2016 weiter ausgebaut. 2017 folgte der Zusammenschluss mit der Bière de Boxer SA. Heute beschäftigt die Doppelleu Boxer AG in Winterthur und Yverdon-les-Bains rund hundert Mitarbeitende. chopfabboxer.ch

Kommentieren 0 Kommentare HR Cosmos

Chefredaktorin, HR Today. cp@hrtoday.ch

Weitere Artikel von Corinne Päper

Das könnte Sie auch interessieren