Im Gespräch

«Die Erfahrung der Führungskräfte 
darf nicht totalitär verwendet werden»

Unternehmen sind immer auf der Suche nach Innovationen. Doch die Unternehmenskultur erschwert diese öfter, 
als dass sie sie ermöglicht. Professor Michael Dick weiss, warum dies so ist und was es braucht, damit eine offene 
Unternehmenskultur sich tatsächlich in Innovationen auszahlt.

Herr Dick, warum scheuen wir uns vor Kontroversen und Konflikten?

Michael Dick: Einen Konflikt einzugestehen, bedeutet immer, sich selbst zu öffnen, sich zu zeigen und die eigene Position zu explizieren. Das ist oft schwierig, denn wer selbst nicht weiterweiss, hält sich lieber zurück. Manchmal ist es auch taktisch nicht sinnvoll. Zum Zweiten, und das ist vielleicht noch entscheidender, sind wir häufig unter Zeitdruck. Wenn dann noch ein Konflikt oder eine Kontroverse auftaucht, versuchen wir diese zu vermeiden. Denn eine Kontroverse kostet mich persönliche Ressourcen und bedeutet einen Umweg.

Kostet es im Umkehrschluss nicht das Unternehmen Ressourcen, wenn sich Mitarbeitende aus Konflikten raushalten?

Nicht immer, aber sicher oft. Als einzelner Mitarbeitender kann ich nicht gegen die Interessen meiner Kunden, meines Teams oder meiner Abteilung handeln, bloss weil dies dem Unternehmen vermeintlich am bes-ten dient. Sofern ich dies überhaupt erkenne. Versuchen Sie einmal, in einem Projektmeeting eine ethische Position hochzuhalten, nur weil diese im Leitbild des Unternehmens steht. Andererseits hat jeder Mitarbeiter ein paar Freiheitsgrade und kann selbst entscheiden, was die Konsequenzen seines Verhaltens sind. Das ist die Dialektik zwischen Unternehmen und Person.

Machen Sie ein Beispiel.

Herr X kann sich entscheiden zwischen Verhalten A, bei dem er den Konflikt umgeht und das Projekt pünktlich und ohne zusätzliche Ressourcen zu Ende bringt und vielleicht auch noch ein Lob von der  Chefin erhält. Alternativ würde er sich in Szenario B des Konflikts annehmen, eine Extrarunde drehen, später fertig werden und vielleicht mehr Ressourcen verbrauchen. Dann müsste er seiner Abteilungsleiterin erklären, warum es dazu gekommen ist, und widerspricht vielleicht auch noch deren persönlichen Interessen. Das ist eine schwierige Aufgabe. Und oft resultiert die Lösung für den Einzelnen darin, etwas zu entscheiden, was ihm selbst guttut, vielleicht aber dem Unternehmen schadet. Denken Sie nur an das Beispiel einer Investmentbank. Wenn sich niemand exponiert, können sich schlechte Praktiken ganz schön lange halten.

Also ist Angst die Bremse ...

Absolut. Angst, als Aussenseiter dazustehen. Aber wer würde in einer Organisation offen mit seiner Angst umgehen? Wenn das Umfeld eine Lösung erwartet, ich aber der Meinung bin, für die Gesamtorganisation wäre es besser, die Erwartung zu enttäuschen, begebe ich mich in eine Minderheitenposition. Innovationen kommen allerdings häufig aus solchen Minderheitenpositionen, denn wenn sie schon früh mehrheitsfähig wären, wären sie ja nicht neu.

Was heisst das konkret für Unternehmen, die auf Innovationen angewiesen sind?

Momentan sind die Mechanismen in 
vielen Unternehmen so angelegt, dass Innovationen eher unwahrscheinlich sind. Die 
Diskrepanz liegt darin, dass auf der einen 
Seite Arbeitsteilung, Strukturen und Prozesse funktionieren müssen. Auf der anderen Seite gibt es aber den Veränderungs- und Innovationsdruck. Ein grosses Dilemma zwischen Standardisierung und Offenheit.

Wie kommt man da raus?

Es wird immer wieder darauf hingewiesen, dass die Unternehmenskultur entscheidend sei. Das stimmt zwar, allerdings ist der Begriff unscharf und wird in der Regel verwendet, um Diskussionen zu beenden, nicht um sie zu beginnen. Für mich sind drei grundlegende Dinge entscheidend: Diversität, Fehlerfreundlichkeit und Räume für Kontroversen. Mit diesen dreien stehen die Chancen gut, dass Innovationen gelingen können.

Warum gerade diese drei?

Diversität bringt Perspektivenvielfalt und Offenheit. Ohne die gibt es ohnehin keine Innovation. Also rein mit den Psychologen, Künstlern oder Naturwissenschaftlern in die technischen Entwicklungsprojekte! Fehlerfreundlichkeit ist deswegen entscheidend, weil rund 80 Prozent aller Innovationsprojekte scheitern. Das ist auch überhaupt nicht ungewöhnlich, denn eine Innovation lebt ja davon, dass sie neu ist. Keiner kann je vorhersehen, ob und wie eine Innovation einschlägt, und jedes Unternehmen muss sich darauf einstellen, mit einer Neuerung zu scheitern – und muss das auch ertragen können. Und als letzte Voraussetzung braucht es Raum für Kontroversen und Partizipationsmöglichkeiten. Denn nur so können sich Ideen auch durchsetzen. Wenn Sie nur debattieren, aber nicht zu einem Ergebnis kommen oder dieses Ergebnis nicht umgesetzt wird, dann nützt die offenste Unternehmenskultur nichts.

Was heisst Raum in diesem Kontext?

Ich denke, es geht vor allem um Zeit, also die Legitimation, Missverständnissen nachzugehen, Fragen zu stellen, Verständigung zu ermöglichen und so Vielfalt zu nutzen. Diversität gibt es bereits in einer Vielzahl von Unternehmen. Aber Vielfalt allein bedeutet erst einmal viel Chaos. Daneben braucht es Mechanismen, um aus diesem Chaos eine Lösung zu entwickeln, Mechanismen, die Kommunikation strukturieren. Andernfalls ist sie einfach nur anstrengend. Und es geht auch um die Möglichkeit, teilzuhaben. Das Konzept der konstruktiven Kontroverse kann hier viel helfen.

Michael Dick

ist Professor an der Hochschule für Angewandte Psychologie, FHNW in Olten. Seine Forschungsschwerpunkte sind unter anderem Wissens- und Erfahrungstransfer, Lernen im Arbeitsprozess und organisationales Lernen. Michael Dick hat an der Universität Hamburg mit dem Schwerpunkt Arbeits-, Betriebs- und Umweltpsychologie studiert und 2001 an der Technischen Universität Hamburg-Harburg promoviert. Er ist Studiengangleiter des MAS Business Psychology an der FHNW.

 

Wie genau funktioniert das?

Die konstruktive Kontroverse soll die Entscheidungsfindung im Innovationsprozess über einen festen Ablauf verschiedener 
Schritte unterstützen und funktioniert immer dann, wenn sich verschiedene Parteien mit unterschiedlichen Alternativen gegenüberstehen. Sie eignet sich weniger zur Konfliktbewältigung auf der persönlichen Ebene. Es geht strikt um die Sache, das Ziel ist die Entscheidung.

Klingt einfach. Ist das denn normalerweise ein Problem?

Eigentlich nicht. Aber Unternehmen tun sich relativ schwer, Entscheidungen transparent zu machen. Stellen Sie sich ein Projektteam vor, das einen Vorschlag erarbeitet, am Ende entscheidet dann aber doch der Abteilungsleiter oder der Geschäftsleiter. Das ist extrem demotivierend. In den Unternehmen, in denen wir im Rahmen unseres Forschungsprojekts zur konstruktiven Kontroverse gearbeitet haben, gab es Szenarien, bei denen die Teams dieses Instrument gar nicht ausprobieren wollten. Sie meinten: «Warum sollen wir uns die Mühe machen, wenn das sowieso woanders entschieden wird?» Hätte man alle beteiligt, wären sie sofort dabei gewesen, die konstruktive Kontroverse auszuprobieren. Wir können das auch empirisch gut zeigen: Eine hohe Bindung an eine Entscheidung entsteht dann, wenn alle gemeinsam zu einem Ergebnis gekommen sind. Auch bei denen übrigens, die ursprünglich anderer Meinung waren.

Es kann aber nicht jeder alles mitentscheiden.

Natürlich nicht. Eine Führungskraft sollte ja auch bewiesen haben, dass sie schnell entscheiden kann und über das richtige Bauchgefühl verfügt. Aber auch eine Führungskraft, die intuitiv immer die richtigen Entscheidungen trifft, muss ihre Leute mitnehmen. Sie muss in der Lage sein, ihre Entscheidung auch zu begründen. Wer aber hat Zeit und Lust, eine bereits getroffene Entscheidung im Nachhinein zu begründen – das Rad dreht sich weiter. Es braucht also die Erfahrung der Führungskräfte, aber sie darf nicht totalitär verwendet werden. Unternehmen müssen also immer wieder eine Balance finden zwischen Führungsanspruch und schnellen Entscheidungen auf der einen und Beteiligung der Mitarbeitenden auf der anderen Seite.

Woran erkenne ich, ob es Beteiligung braucht?

Das muss ausgehandelt werden. Ideal ist es, wenn die Geführten ihre Vorgesetzten gut einschätzen können und wissen, bei welchen Entscheidungen sie richtigliegen und wo sie besser nachfragen sollten. Aber natürlich ist das nicht gegeben, wenn alle 18 Monate neue Führungskräfte eingesetzt werden.

Innovation und Unternehmenskultur – der Beitrag der Psychologie

Die Fähigkeit zur erfolgreichen Innovation stellt eine Schlüsselressource für die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen dar. Ihren Marktanteil können Unternehmen auf Dauer nur durch Innovation erhalten und erhöhen. Dennoch beschäftigen sich bisher nur wenige Unternehmen gezielt mit der Frage, wie sie eine innovationsförderliche Unternehmenskultur entwickeln und etablieren können oder wie sich die kreativen Potenziale ihrer Mitarbeitenden in einem von Termin- und Erfolgsdruck geprägten Arbeitsumfeld gezielt aktivieren lassen. Zu welchen Ergebnissen gelangt hier die Forschung? Welche Rahmenbedingungen erachtet die 
Praxis als erfolgsrelevant? Diese und weitere spannende Fragen greifen am 8. November 2012 im Stadttheater Olten renommierte Vertreter der Wissenschaft sowie Expertinnen und Experten aus der Praxis im Rahmen einer offenen Podiumsdiskussion auf.

 

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