«Die Hälfte der Bevölkerung ist männlich, da sollte auch die Hälfte der Pflegefachleute männlich sein»
In der Pflege zu arbeiten, ist sinnstiftend und niemals langweilig, bestätigen die porträtierten Pflegefachmänner im Buch von Sabine Meisel und Edita Truninger. Dennoch sind Männer in Pflegeberufen Mangelware. Woran das liegt und warum sich das ändern muss.
«Fürsorge gilt immer noch als weibliches Attribut»: Das muss sich ändern, sagt Autorin Edita Truninger. (Bild: Pearlie Frisch)
Weshalb ein Buch über Pflegefachmänner und nicht beispielsweise über Kindergärtner?
Edita Truninger: Berufsbiografien haben mich schon immer interessiert. Zuerst dachte ich tatsächlich an Männer in Kindertagesstätten oder Kindergärten. Doch durch die Pandemie rückte die Pflege in den Fokus. Als ich Sabine Meisel im Frühling 2020 zufällig traf, sagte sie: «Wenn ich im Moment ein Buch über Männer schreiben würde, dann über Pflegefachmänner!» Das überzeugte mich und so wurde daraus unser gemeinsames Buchprojekt.
Sie führten etliche Gespräche. Eine überraschende Erkenntnis?
Durch unsere zahlreichen Interviews bestätigte sich, was auch viele Studien belegen: Männer, die den Pflegeberuf ergreifen, haben alle einen persönlichen Bezug zur Pflege – entweder durch pflegende Familienmitglieder, durch ein Zivildienstpraktikum im Spital oder durch eine eigene Erkrankung oder einen Unfall mit Spitalaufenthalt. Für mich persönlich war es ausserdem bereichernd zu erfahren, wie vielseitig der Beruf und die Settings sind.
Wie sind Sie zu den Pflegefachmännern gekommen?
Vorwiegend durch unser persönliches Netzwerk. Meine Mitherausgeberin Sabine Meisel war selbst über zwanzig Jahre im Beruf tätig und engagiert sich immer noch in der Ausbildung von Pflegefachpersonen. Zudem unterstützte die Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW Gesundheit) unser Projekt. Dafür sind wir sehr dankbar.
In der Pflege herrscht ein Fachkräftemangel. Es ist ausserordentlich schwierig, Männer für diesen Beruf zu begeistern. Weshalb?
Fürsorge gilt immer noch als weibliches Attribut, und Soft-Skills werden bei Männern immer noch oft in die Nähe der Homosexualität gerückt. So einem Verdacht möchten sich viele nicht aussetzen. An den Gymnasien thematisiert man zudem nur die klassischen Studienfächer Medizin, Wirtschaft oder Jura. Vorbilder in der Pflege fehlen. Das wollen wir mit unserem Buch ändern.
Welche Rolle spielen das Image, die (niedrige) Entlöhnung und fehlende Aufstiegsmöglichkeiten?
Es ist schlichtweg falsch, dass es wenig Aufstiegsmöglichkeiten gibt. Wir interviewten für unser Buch Spitalmanager, Dozenten, Erwachsenenpädagogen oder Schulleitungsmitglieder. Sie alle haben einmal am Krankenbett angefangen und sich entsprechend weitergebildet. Die im Branchenvergleich eher tiefe Entlöhnung war für unsere Interviewpartner durchs Band kein wesentlicher Faktor. Ein Grund dafür dürfte darin liegen, dass die Pflege Menschen anzieht, die eher intrinsisch motiviert sind.
Braucht es mehr Männer in der Pflege?
Generell braucht es mehr Menschen in der Pflege. Die Zahl der unbesetzten Stellen ist prekär. Zudem: Die Hälfte der Bevölkerung ist männlich, da sollte auch die Hälfte der Pflegefachleute männlich sein. Das ist für die Patienten gut, da männliche Patienten gewisse pflegerische Interventionen lieber von männlichen Pflegefachkräften ausführen lassen, aber auch für die Dynamik in den Teams. Zudem haben Pflegefachleute nach dem Studium eine hundertprozentige Jobgarantie. Wo gibt es das sonst?
Muss der Pflegeberuf aufgewertet werden?
Ja, durch mehr Öffentlichkeits- und Aufklärungsarbeit, damit sich das Image wandelt. Die Pflege ist sinnstiftend, niemals langweilig und nicht durch künstliche Intelligenz ersetzbar. Darüber hinaus: Neu können Medizin- und Pflegestudierende durch interdisziplinäre Module in der Ausbildung gemeinsam an simulierten Fallbeispielen lernen. Solche Massnahmen steigern den gegenseitigen Respekt.
Buchtipp
Edita Truninger, Sabine Meisel (von links): Auf weiblichem Terrain, Hogrefe AG, 2022, 136 Seiten.