Hirnforschung

«Die Neurobiologie bestätigt, 
was viele von uns intuitiv wissen»

Der Führungskräftecoach Sebastian Purps bringt Managern Erkenntnisse aus der Neurobiologie näher, um Teams kreativer und leistungsfähiger zu machen. Der erste Schritt: die Persönlichkeitsschulung der Chefs.

Herr Purps, der Hirnforscher Gerald Hüther sagt, wir seien alle nur eine Kümmerversion dessen, was wir sein könnten. Sind wir lauter unentdeckte Talente, oder was meint er damit?

Sebastian Purps: Es steckt sicher nicht in jedem von uns ein grandioses Genie. Was Herr Hüther beschreibt, betrifft unsere Potenziale im täglichen Miteinander. Es schlummern viele Fähigkeiten in uns, die wir mehr entfalten könnten. Die Hirnforschung beweist: In uns steckt viel mehr, als wir zeigen – der Mensch und sein Hirn brauchen nur die richtigen Rahmenbedingungen.

Wo liegt denn Potenzial brach?

Im beruflichen Kontext beispielsweise in den Bereichen Kreativität, Empathie, vorausschauende Handlungsplanung, im Setzen von Prioritäten und in der Impulskontrolle. Stellen Sie sich mal vor, was in einem Unternehmen möglich wäre, dessen Mitarbeiter mehr dieser Eigenschaften hätten.

Wie kann die Neurobiologie helfen, diese Fähigkeiten zu fördern?

Zuallererst hilft die Neurobiologie, indem sie die gute Botschaft vermittelt: Veränderung ist möglich – selbst im hohen Alter. Das ermutigt viele Menschen, sich wieder auf den Weg zu machen. Zudem zeigt uns die Wissenschaft, wo genau all unsere Potenziale im Hirn versteckt sind. Es ist der Bereich direkt hinter der Stirn – der präfrontale Kortex –, der die neuronalen Netzwerke beherbergt, die aktiv werden, wenn wir kreativ sind, etwas Neues lernen, neue Lösungen finden. Je besser dort die Kommunikation zwischen den Nervenzellen funktioniert, je mehr neue Verbindungen geknüpft werden, desto mehr wächst ein Mensch über sich hinaus.

Zur Person

Sebastian Purps (37) studierte einige 
Jahre Medizin, machte dann aber den Sprung in die Wirtschaft. Während seiner Arbeit in Schweizer und internationalen Konzernen begann er sich immer mehr für die versteckten Muster und das Gelingen von zwischenmenschlichen Beziehungen zu interessieren. 2008 machte er sich als Führungskräftecoach selbständig und vermittelt seither die Erkenntnisse der Hirnforschung im Zusammenhang mit der Potenzialentfaltung an Unternehmen. Zudem tritt er als Referent auf, wie kürzlich am Berner HR- und Wirtschaftsforum.

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Wie kann dieser Prozess angekurbelt werden?

Biologisch sind dafür sogenannte neuroplastische Botenstoffe zuständig. Diese werden ausgeschüttet, wenn zuvor die emotionalen Zentren des Gehirns aktiv werden. Das Hirn eines sich begeisternden Kindes wird beispielsweise täglich viele Male mit diesen Botenstoffen durchflutet. Als Resultat davon wird der präfrontale Kortex aktiv und bildet neue neuronale Netzwerke aus – das Kind lernt viel und schnell. Bei Erwachsenen funktioniert das oft nicht mehr ganz so gut – biologisch ginge es noch, doch dazu müssten die emotionalen Zentren im Gehirn wieder aktiver werden.

Können HR-Leiter oder Chefs darauf Einfluss nehmen?

Ja, indem sie die richtigen Rahmenbedingungen schaffen. Was Menschen zum Lernen brauchen, sind Erfahrungen, die sie berühren, die sie begeistern und die ihnen unter die Haut gehen. Zudem zeigt uns die Forschung, dass es zwei tiefe Grundbedürfnisse gibt, die grossen Einfluss darauf haben, ob wir unsere Potenziale entfalten.

Nämlich?

Das eine ist die Verbundenheit. Wenn sich jemand in einer Firma ausgeschlossen fühlt oder starkes Silodenken die Atmosphäre bestimmt, entfalten sich Menschen weniger. Das Zweite heisst Selbstwirksamkeit oder auch Gestaltbarkeit. Wenn diese beiden Faktoren erfüllt sind und ein Mensch zudem günstige innere Bilder in sich trägt, steigt sein Zugriff auf den präfrontalen Kortex signifikant. Ich arbeite manchmal zwölf Monate und länger mit Führungsteams, damit sich diese drei Aspekte nachhaltig verändern können.

Was verstehen Sie unter «inneren Bildern»?

Pro Sekunde strömen bis zu zwölf Millionen Impulse auf das Gehirn ein. Um diese Flut zu verarbeiten, muss es filtern. Die Impulse, die diese Filter passieren, sind entscheidend für das, was eine Person als innere Bilder – sozusagen als Modell von der Aussenwelt – aufbaut. Konkret heisst das: Wenn jemand einen Chef hat, der nur die Fehler aufzeigt, entwickelt dieser Mensch schlimmstenfalls das innere Bild von sich, er sei nicht gut genug. Wenn jemand das innere Bild in sich trägt, dass er der Firma nichts nützt, handelt er auch danach. Diese inneren Bilder bestimmen unser Handeln. Man nennt das Kohärenz: Das Hirn versucht meist unbewusst, die Innenwelt mit der Aussenwelt in Einklang zu bringen. Das Handeln folgt den inneren Bildern. Starke innere Bilder führen zu besserer Leistung.

Wie bringen Sie das den Chefs in Ihren Führungskräftecoachings bei?

In diesen Coachings geht es während der Hälfte der Zeit um die eigene Persönlichkeitsentwicklung und die innere Haltung der Chefs selber. Meiner Meinung nach sind Führungskräftetrainings nicht mehr primär dafür da, um Methoden zu vermitteln, sondern um die Vorgesetzten bei einem persönlichen inneren Prozess zu begleiten. Die Erfahrung zeigt, dass es einen Chef braucht, der persönlich wächst, damit die Mitarbeiter ihm folgen wollen.

Das klingt etwas esoterisch. Wie wird Ihr Ansatz von den Managern aufgenommen?

Wenn sie auf wissenschaftlicher, neurobiologischer Ebene verstehen, wie sie selbst und ihre Mitarbeiter ticken, lassen sie sich auf die persönlichen Prozesse des Coachings oder Trainings vorbehaltloser ein. Durch die wissenschaftlichen Erkenntnisse untermauert, trauen sich die Chefs, intensivere Beziehungen zu ihren Teamkollegen oder Mitarbeitern aufzubauen. Ich erinnere mich gerne an eine Gruppe testosterongeladener Alphatiere aus der Finanzbranche, die am Ende eines Moduls sagten, sie würden sich jetzt deutlich verbundener fühlen und mehr Vertrauen zueinander aufgebaut haben – das hätte sich von ihnen vor dem Führungstraining sicherlich keiner vorstellen können. Manager lernen in meiner Arbeit, dass sie den Schlüssel für den Zugriff auf das kreative Potenzial ihrer Mitarbeiter haben.

Zugriff auf den präfrontalen Kortex der Mitarbeiter haben – das klingt nach Manipulation.

Wenn Ihr Partner zu Hause auf Sie wartet und Sie bringen Blumen mit, manipulieren Sie. Wir nehmen immer Einfluss auf andere. Die Frage ist, ob das bewusst oder unbewusst passiert und mit welcher inneren Haltung Sie das tun. Das ist der Grund, warum die persönliche Entwicklung der Führungskräfte so wichtig ist: damit günstige – idealerweise wohlwollende – innere Haltungen entstehen.

Die Bad News aus der Hirnforschung

Die neusten Erkenntnisse aus der Hirnforschung belegen, dass Dauerstress den Hippocampus schädigt. Der Hippocampus ist der einzige Bereich im Hirn, der lebenslang neue Nervenzellen produziert und für die Speicherung von Information zuständig ist. Die körperlichen Symptome von Dauerstress können bereits bei permanenter Erreichbarkeit auftreten: Wer ständig angepiepst wird, ist dauernd in einem leichten Alarmzustand, das bedeutet Stress. Ein beschädigter Hippocampus kann sich erholen, ab einer bestimmten Degeneration braucht es aber medikamentöse Unterstützung.

Ebenfalls schlecht für Hirn und Leistung ist Multitasking. Es reduziert die kognitiven Fähigkeiten markant. Denn für jede Tätigkeit, die wir verrichten, greifen wir auf ein anderes neuronales Netzwerk zurück. Ständig zwischen Netzwerken hin und her 
zu wechseln, braucht sehr viel Energie.

Können Sie ein paar konkrete Beispiele für 
den oben erwähnten «richtigen Umgang» nennen?

Wir haben ganz viele solcher Beispiele in unserer Initiative «Kulturwandel in Unternehmen und Organisationen» (www.kulturwandel.org) kostenlos verfügbar gemacht. Nehmen wir das Modell «Upstalsboom» – eine Hotelkette aus dem Norden Deutschlands. Dem Inhaber Bodo Janssen ist es innerhalb von nur drei Jahren gelungen, die Mitarbeiterzufriedenheit zu verdoppeln, indem er seiner Belegschaft half, die eigenen inneren Bilder positiv zu verändern. Als netter Nebeneffekt erhöhte sich der Umsatz des Unternehmens ebenfalls um 50 Prozent.

Wie steht es mit Belohnung? Wirkt die nicht auch förderlich für gute Leistung?

Wenn Belohnung bedeutet, einen hohen Bonus zu zahlen: nein. Studien des Massachusetts Institute of Technology zeigen, dass die Aussicht auf hohe finanzielle Belohnungen die kognitiven Fähigkeiten verringert. Das Denken wird reduziert, die Person fällt in eine neuronale Übererregung. Anerkennung und Wertschätzung hingegen erhöhen die Bereitschaft, die Extrameile zu gehen, viel mehr.

Anerkennung und Wertschätzung sind alte Tugenden und nicht wirklich neue Erkenntnisse, oder?

Sie sind nicht grundlegend neu, das stimmt. Und genau das ist das Wunderbare daran: Die Neurobiologie bestätigt uns Dinge, die viele von uns intuitiv wissen. Altes Wissen, das wir bereits in uns tragen. Mich persönlich macht es glücklich zu sehen, dass wir nicht die neusten, abgefahrensten Dinge benötigen, um bessere Leistung zu bringen, sondern dass es zurück zu den Wurzeln geht. Während uns neue Technologien oftmals immer mehr entpersonalisieren, hilft die moderne Hirnforschung zu verstehen, dass wir das Echte, den Kontakt, brauchen.

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