Hirnforschung

Emmi lässt die Chefs ins Hirn blicken

Die Milchverarbeiterin Emmi hat zusammen mit dem 
IAP ein umfassendes Führungsentwicklungsprogramm auf Stufe eines CAS entwickelt. Über 470 Chefs werden darin weitergebildet, den Menschen und seine Emotionen und Handlungen besser zu verstehen. Das Konzept basiert auf Erkenntnissen der Neurobiologie.

Das Modell zeigt ein Herz, einen Smiley und drei Wolken mit den Namen «Ich-Welt», «Körper-Welt» und «Um-Welt». Die Symbolik ist einfach, was sie ausdrückt aber, ist hochkomplex: die Grundprozesse des Wahrnehmens, Denkens, Fühlens und Handelns (siehe Grafik oben: Neuropsychologische Sichtweise des Menschen).

Diese Grundprozesse sollen alle Führungskräfte von Emmi verstehen lernen. Bei der grössten Milchverarbeiterin der Schweiz mit rund 5000 Mitarbeitenden ist man überzeugt, dass erfolgreicher führt, wer den Menschen besser versteht. Erstens. Zweitens gelte es zu lernen, Gefühle oder «Marker», wie Emmi-Personalleiterin Natalie Rüedi sagt, ansprechen zu können, also zum Beispiel ein ungutes Gefühl im Magen. Indem Führungskräfte emotionale Signale bei sich und ihren Mitarbeitern wahrnehmen und richtig darauf reagieren, können sie ihre Kollegen richtig begleiten und fördern, die Unternehmenskultur vermitteln und festigen und so mit ihrem Team zum Erfolg des Konzerns beitragen.

Mit diesem Ziel hat Emmi zusammen mit dem Institut für Angewandte Psychologie (IAP) der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) vor rund zweieinhalb Jahren ein umfassendes neues Führungsentwicklungsprogramm lanciert. Grundlage mussten Erkenntnisse aus der Hirnforschung sein. Das war für Natalie Rüedi klar: «Wir wollten unseren Führungskräften nicht nur Methoden über Leadership mitgeben, sondern ein Grundverständnis. Wenn es um die Funktionalität geht, liefert die Hirnforschung dafür eine sehr gute Basis.»

Emmi ist mit klaren Vorstellungen an Christoph Hoffmann gelangt, der das Projekt auf Seiten des IAP führt. «Emmi war wichtig, dass die Lerninhalte und die Methodik sehr praxis- und prozessorientiert sind», erklärt Hoffmann. «In einem Vorprojekt hat Emmi darum die konkreten Arbeitssituationen und Führungsherausforderungen erfasst und die anstehenden, relevanten Führungsthemen ermittelt. Das waren wichtige Grundlagen für uns.» Es lag dann am IAP, ein Konzept zu erarbeiten, wie die Weiterbildung konkret umgesetzt werden kann.

Christoph Hoffmann und sein Team haben als Arbeitsinstrument für die Schulung das Modell der «neuropsychologischen Sichtweise des Menschen» mit den drei Welten entwickelt. «Sein grösster Vorteil ist, dass es die Komplexität aller Schulungs- und Führungsthemen auf eine einfach verständliche grafische Darstellung reduziert. Wir können dieses Modell sowohl bei Teamleitern aus der Produktion wie auch beim höheren Kader einsetzen, weil man damit beliebig in die Tiefe gehen kann», beschreibt Hoffmann.

Das Modell ist aus drei Welten aufgebaut. Die «Um-Welt» ist der Bereich ausserhalb unseres Körpers. Die «Körper-Welt» umfasst unsere Sinne, die uns die Um-Welt erschliessen und uns zum Handeln veranlassen. Die «Ich-Welt» hingegen steht für die höchst individuelle Verarbeitung dieser Informationen durch unser Gehirn. Bevor die Informationen Verhalten auslösen und abgespeichert werden, werden sie bewertet in «gut» oder «schlecht». «Gut» löst positive Gefühle aus und aktiviert das Belohnungszentrum des Gehirns, «schlecht» entsprechend negative. Es liegt in der Natur des Menschen, negative Gefühle zu vermeiden und Situationen, die solche Gefühle auslösen, aus dem Weg zu gehen (Vermeidungsstrategie). Wenn etwas jedoch positiv erlebt wird, wollen wir mehr davon und überlegen uns, wie wir positiv dazu beitragen können (Annäherungsstrategie).

Raus aus der Vermeidungsstrategie

Ziel von Führungskräften sollte es also sein, ihre Mitarbeiter aus Vermeidungsstrategien herauszuführen und Annäherungsstrategien bei ihnen auszulösen. Hilfe bietet dabei die Kenntnis von sogenannten «somatischen Markern». Werden solche körperlichen Reaktionen in bestimmten Situationen bewusst wahrgenommen und gedeutet, können kontrolliert Annäherungsziele formuliert und verfolgt werden. Wenn ein Chef erkennt, welche Emotionen eine neue Situation bei seinem Mitarbeiter auslöst und welche bevorzugte Strategie er zur Verarbeitung wählt, kann er gezielt auf den Mitarbeiter eingehen und Einfluss nehmen.

«Der Weg, das alles zu verstehen, führt in den Seminaren über die Führungspersonen selbst. Wir lassen sie über Situationen sprechen, die sie persönlich im Emmi-Alltag erlebt haben, und analysieren dann mithilfe des Modells ihre Emotionen und Empfindungen sowie das ausgelöste Verhalten», erklärt Christoph Hoffmann, der die Schulungen für Emmi leitet. Der neuropsychologische Ansatz wirke dabei wie ein Türöffner: «Der wissenschaftliche Hintergrund und das Modell vereinfachen den Zugang und bauen Berührungsängste mit der Psychologie ab. Die neuropsychologischen Überlegungen eignen sich hervorragend dafür, Emotionen und Verhalten zu erklären und zu verstehen.»

Das von Emmi und dem IAP erarbeitete Führungsentwicklungsprogramm umfasst ein Grundlagenmodul von vier Tagen, bis zu sechs Aufbaumodule von je zwei Tagen sowie drei Vertiefungsmodule von je zwei Tagen. Damit erfüllt es die Bedingungen eines CAS in Leadership. Für einen nachhaltigen Lernerfolg werden Vor- und Nachbereitungsaufgaben aus dem Berufsalltag gelöst und dokumentiert.

Auf längere Sicht ist die Weiterbildung bei Emmi für alle Führungskräfte obligatorisch. Natalie Rüedi geht von rund 250 Teamleitenden, rund 150 Fach- und Abteilungsleitenden und rund 70 Kaderpersonen aus, die das Seminar durchlaufen werden. «Rund drei Viertel der Führungskräfte haben das Grundlagen-Modul bereits besucht», sagt sie.

Christoph Hoffmann wertet den bisherigen Verlauf als Erfolg: «Es hat sich bewährt, dass sowohl die Einführung von Instrumenten wie auch die Lernangebote zuerst in Pilotgruppen getestet wurden. Wir haben die ersten Seminare und die didaktische Herangehensweise danach nochmals verfeinert.» Auch habe sich gezeigt, dass es hilfreich ist, den Umsetzungsprozess im Führungsalltag zusätzlich zu begleiten. In «Führungszirkeln», bei denen auch das HR anwesend ist, werden Herausforderungen besprochen und das Gelernte aus der Ausbildung umgesetzt.

Provokante Post

Auch Natalie Rüedi ist zufrieden mit dem Start. «Wir haben mehrheitlich positive Rückmeldungen. Aber natürlich gab es, wie bei jedem Projekt, von Anfang an auch kritische Stimmen.» Für Kontroversen gesorgt hätten zum Beispiel Postkarten, die zu Beginn des Programms an alle Führungskräfte verschickt worden seien. Darauf war ein Gehirn abgebildet mit dem Satz «Führen Sie noch oder wirken Sie schon?». «Das war provokant. Es hat aber dazu geführt, dass über das Thema gesprochen wurde», resümiert Rüedi. Ergänzend hat ein kurzer Werbefilm das Programm im Unternehmen bekannt gemacht.

Heute würden die meisten im Unternehmen das Modell kennen und verstehen und es entstehe langsam eine gemeinsame Sprache. «Es gibt bereits einige Bereiche in der Firma, wo die Mitarbeitenden Probleme mit der neu gelernten Systematik angehen», freut sich Rüedi. «Aber es braucht Kontinuität und Durchhaltewillen, bis das Konzept wirklich verankert ist.»

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