«Die Personalentwicklung ist mir ein persönliches Anliegen»
Beat Henzirohs, HR-Leiter des Opernhauses Zürich, vereint Leidenschaft für Menschen mit einer methodischen HR-Strategie für kulturellen Wandel.
«Wir nehmen hier eine Scharnierfunktion ein und müssen immer wieder Lösungen finden – das gleicht manchmal einem spannenden Rätsel»: berichtet Beat Henzirohs über seine Tätigkeit als HR-Leiter des Opernhaus Zürich. (Bild: Aniela Lea Schafroth)
Das Büro von Beat Henzirohs, gelegen in der administrativen Dependance des Opernhauses Zürich an der Kreuzstrasse, strahlt eine spartanische Eleganz aus, die so gar nicht zum prunkvollen Bild passt, das man üblicherweise mit dem wohl bedeutendsten kulturellen Leuchtturm der Schweiz verbinden würde. Anstelle von Bildern findet sich an der Wand nur ein auffälliges Vision Board, dicht besiedelt mit einer Vielzahl an Post-It-Zetteln. Auf jedem ist eine Facette der HR-Strategie festgehalten, die Beat Henzirohs für das Opernhaus entwirft und verfeinert. Diese visuelle Darstellung ist jedoch mehr als nur Dekoration; sie ist ein Symbol für seine methodische Herangehensweise und seinen Fokus auf Zukunft und Entwicklung. «Spartanisch eingerichtet – das höre ich oft», sagt er, und anspielend auf den schlanken Tulpenstrauss auf dem kleinen Sitzungstisch mit zwei Stühlen, den er für die Eins-zu-Eins-Gespräche nutzt: «Immerhin gibt es bunte Blumen und einen hübschen Balkon». Er könnte nun philosophisch ausholen und sagen, ihm sei der Mensch wichtig und nicht das kosmetische Ringsherum. «Das würde sogar halb stimmen, aber die Dekoration ist mir einfach zu wenig wichtig – für mich haben die Gespräche und deren Inhalt tatsächlich die viel höhere Priorität».
HR-Alltag sei «geprägt von Begegnungen»
Wie die Unterhaltung mit «HR Today» zeigt, ist Beat Henzirohs’ Auffassung von HR tief in seiner Überzeugung verwurzelt, dass der Mensch in all seinen Facetten im Zentrum jeder Entscheidung stehen muss. Diese Philosophie spiegelt sich in seinem Arbeitsalltag deutlich wider, der, wie er selbst sagt, «geprägt von Begegnungen» sei, die meist angenehm, teilweise aber auch schwierig seien, beispielsweise wenn es um Konfliktlösungen oder Disziplinarmassnahmen gehe. «Und von Konzeptionierungen, weil mir die Personalentwicklung ein persönliches Anliegen ist». Er freue sich sehr, dass er im vergangenen Herbst eine Personalentwicklerin einstellen konnte – das sei keine Selbstverständlichkeit, zumal die finanziellen Möglichkeiten des subventionierten Opernhauses nicht gross seien.
Aussergewöhnlicher Werdegang
HR-Leiter des Opernhauses Zürich ist Beat Henzirohs seit Frühjahr 2022. Er hat eine ungewöhnliche Laufbahn hinter sich. Aufgewachsen als Bauernsohn mit sieben Geschwistern in einem katholischen Haushalt in Niederbuchsiten im Kanton Solothurn, absolvierte er zuerst die KV-Lehre bei der Raiffeisenbank in Kappel SO, gefolgt von der eidgenössischen Matura an der AKAD. Doch anstatt sich auf eine Bankkarriere zu konzentrieren, zog es Henzirohs in ganz andere Gefilde: er studierte im Hauptfach Politikwissenschaft an den Universitäten Bern und Bordeaux und im Nebenfach Theologie an der Universität Fribourg. «Ich interessierte mich schon immer für Politik, gesellschaftliche Zusammenhänge und das innere Wesen von freiheitlich-demokratischen Gemeinschaften. Gleichzeitig sind mir der Glaube und Fragen der Selbstüberschreitung sehr wichtig – im Unterschied zur Selbstoptimierung, der ich wenig abgewinnen kann», erklärt Henzirohs seine Studienwahl. Es sei ihm bewusst gewesen, dass diese Kombination normalerweise ein brotloser «Karrierekiller» wäre. «Aber das war mir relativ egal – ich arbeitete neben dem Studium auf der Bank weiter und besass sogar die Handlungsvollmacht», erklärt er. «Dass ich jederzeit hätte vollkommen zurückkehren können, verschaffte mir viel Spielraum». Eine akademische Karriere sei für ihn aber nicht infrage gekommen, da er sich eher als «Macher» verstehe. «Auch wenn es eine grosse Faszination auf mich ausübt, nach den grösseren Zusammenhängen zu suchen, packe ich gerne etwas an».
In Afrika den Blick auf die Welt erweitert
Nach seinem Studium arbeitete er fürs Bundesamt für Sozialversicherungen und fürs Bundesamt für Statistik, bevor er sich 2010 eine dreimonatige Auszeit nahm, um im karitativen Arts Performance Centre (APC) in Namibia zu arbeiten. «Die Zeit dort war wahnsinnig lehrreich», resümiert er. «Ich hatte viele unvergessliche Begegnungen mit wunderbaren Menschen voller Geschichten.» Er erstellte Infomappen fürs Fundraising, erledigte Sekretariatsarbeiten, setzte eine neue Buchhaltung auf, konnte da und dort mit anpacken. «Dieser und meine vielen weiteren Aufenthalte in Namibia haben mich geprägt und meinen Blick auf die Welt beinah explosiv erweitert», sagt er rückblickend.
Noch in Afrika bewarb sich Beat Henzirohs als HR-Leiter an der Universität Fribourg. Für’s Vorstellungsgespräch flog er in die Schweiz zurück. «Und plötzlich hatte ich die Stelle, obwohl ich ein Quereinsteiger war», erinnerte er sich. «Da ich den Posten nicht sofort antreten musste, konnte ich nochmals für drei Monate nach Namibia zurückkehren.» In seiner neuen Funktion machte er Weiterbildungen zum HR-Leiter und das CAS Mediation. Nach fünf Jahren hatte er die Möglichkeit, ein dreimonatiges Sabbatical zu beziehen, das er wieder für eine ehrenamtliche Tätigkeit nutzte, diesmal in einem Waisenhaus in Namibia. Insgesamt blieb Beat Henzirohs fast neun Jahre lang an der Uni Fribourg, bevor er kurz vor Ausbruch der Corona-Pandemie ins Blaue kündigte. «Während der ganzen Corona-Zeit arbeitete ich nicht», erzählt er. «Dafür absolvierte ich eine kirchenmusikalische Ausbildung – ich spiele heute noch regelmässig Kirchenorgel in Niederbuchsiten und leite unseren Pfarreichor –, zudem betreute und pflegte ich meine Eltern, stand häufiger fürs Care Team des Kantons Bern im Einsatz, und auch nach Namibia reiste ich wieder mehrmals.»
Kürz und bündig
Ballett oder Oper?
Ballett – ich finde die Hingabe, die Sinnlichkeit, die Ausdrucksstärke und die Bedingungslosigkeit der Tänzerinnen und Tänzer einfach grossartig.
Jazz oder klassische Musik?
Mein Herz schlägt für die klassische Musik, insbesondere die Barockmusik.
Einzelgänger oder Teamwork?
Ich bin ein grosser Fan von Teamwork. Unterschiedliche Personen mit verschiedenen Stärken entwickeln oft bessere und innovativere Lösungen.
Klavier oder Kirchenorgel?
Ganz klar die Kirchenorgel – ich spiele sie selbst, auch zwei- bis dreimal pro Monat im Gottesdienst. Sie ist die Königin der Instrumente und mein Instrument.
Soziale Medien oder persönliche Netzwerke?
Sicher nicht soziale Medien. Aber statt persönliche Netzwerke würde ich eher den Begriff «Beziehungen» wählen. Beziehungen sind Ziel und Voraussetzung von allem Gelingen.
Internationale Rekrutierung oder lokale Talente?
Das Opernhaus kann sich nicht nur auf lokale Talente stützen, sondern rekrutiert international. Mir gefällt das Internationale – je bunter, je weltoffener, desto lieber ist es mir.
Menschen stehen im Mittelpunkt
Schliesslich wurde er darauf aufmerksam gemacht, dass das Opernhaus Zürich einen neuen HR-Leiter sucht. «Eigentlich wollte ich noch nicht wieder arbeiten, aber ich hatte das Gefühl, dass das eine einmalige Chance ist». Er bewarb sich und kriegte die Stelle. «Heute könnte ich mir keinen besseren Job vorstellen», sagt er. Die vielen Begegnungen mit Menschen so unterschiedlicher Couleur, die nur das Beste auf die Bühne bringen wollen, seien grossartig: «Die Leidenschaft ist in diesem Haus buchstäblich mit Händen zu greifen.» Der Drang nach Exzellenz und Perfektion sei so gross, wie er das noch nie zuvor erlebt habe. Es gebe weder müde Leute noch Gärtchendenken oder Milieuverhalten: «Alle Mitarbeitenden sind hoch motiviert, vom Dienstältesten bis zur 17-jährigen Lernenden».
Am Opernhaus arbeiten rund 800 Personen mit rund 50 Nationalitäten in 146 verschiedenen Berufen. «Dementsprechend habe ich mit ganz unterschiedlichen Typen zu tun mit individuellen Betreuungsbedürfnissen», erklärt Beat Henzirohs. «Damit umzugehen ist nicht immer einfach, aber gerade das gefällt mir super. Diese Buntheit macht meinen Job unglaublich reichhaltig.» Auch finde er es sehr schön und wichtig, dass es im Haus keine Bankrotterklärung bedeute, wenn jemand zugebe, Hilfe oder Unterstützung zu benötigen. Solche zu organisieren, gehöre zu den Hauptaufgaben seines Teams, das neben ihm aus zwei HR-Bereichsverantwortlichen, einer Personalentwicklerin und einer Lernenden besteht. Die HR-Abteilung habe eine Dachfunktion über das ganze Opernhaus inne, inklusive Bernhard Theater und Gastrobetrieb. Ein Teil der administrativen Personalarbeit werde jedoch autonom von den sogenannten «Büros» der künstlerischen Kollektive Ballett, Chor und Orchester erledigt. «Da wir aber die einzigen im Haus mit fachlicher HR-Expertise sind, kümmern wir uns beispielsweise um Aus- und Weiterbildungen, Mutterschaft, Krankheiten/Unfälle oder Konflikte des gesamten Personals», sagt der HR-Leiter. «Da wir dem kaufmännischen Direktor unterstellt sind, können wir effizient und agil handeln, was sehr wertvoll für unsere Arbeit ist und den Mitarbeitenden zugutekommt.»
Beat Henzirohs sieht die HR-Abteilung denn auch weniger als eine Verwaltungseinheit, sondern vielmehr als ein zentrales Element in der Gestaltung einer positiven und produktiven Arbeitskultur. «Wir verstehen uns als HR-Dienstleistungs- und HR-Kompetenzzentrum», betont er. «Deshalb räumen wir den Gesprächen mit den Mitarbeitenden und der Personalentwicklung höchstes Gewicht ein». Aufgrund der grossen Heterogenität und den stark unterschiedlichen Funktionen im Haus gelte es oft, divergierende Interessen unter einen Hut zu bringen: «Wir nehmen hier eine Scharnierfunktion ein und müssen immer wieder Lösungen finden – das gleicht manchmal einem spannenden Rätsel».
Dialogkultur stärken
Diese Herausforderung wurde durch den «Masterplan Kulturwandel» bewältigt, der vor ein paar Jahren ins Leben gerufen wurde, nachdem es zu einem übergriffigen Ereignis kam, das publik wurde. «Der Masterplan erlaubt es der HR, mit verschiedenen Projekten und Initiativen einzuhaken und so die Kultur zu prägen», erklärt Beat Henzirohs. «Für mich bedeutet das vor allem, die Dialogkultur zu stärken.» Es gehe dabei weniger um die Schaffung einer globalen Harmonie, dies sei im hochemotionalen Bühnenbusiness weder möglich noch gewünscht, sondern um eine Stärkung der Konfliktkompetenz. «Da lange die Tools dafür fehlten, verfügen wir hier sicher über viel Verbesserungspotenzial.» Als eines der Werkzeuge dafür hat er das Weiterbildungskonzept «Kontext» aufgegleist, das beispielsweise Leadership-Ausbildungen oder Coachingangebote für Mitarbeitende in schwierigen Situationen beinhalte. «Wir sind noch im Aufbau von ‹Kontext› – da befindet sich einiges in der Pipeline», so der HR-Leiter.
Den direkten Austausch mit der Belegschaft pflegt Beat Henzirohs über eine Politik der offenen Tür beim HR. «Zudem war eine meiner ersten Massnahmen, dialogbasierte Mitarbeitergespräche (MAG) einzuführen – das gab es davor nicht, nur Lohn-/Quali-Gespräche», erklärt er. «Das wird von der Belegschaft sehr geschätzt. Das HR wird mehr und mehr als ein diskreter und kompetenter Gesprächspartner, statt als Verwalter, wahrgenommen.» Für die künstlerischen Kollektive musste aufgrund deren Grösse jedoch ein anderes Dialoginstrument gefunden werden: «Generalmusikdirektor Gianandrea Noseda kann natürlich nicht MAG mit 120 Musikerinnen und Musikern führen. Wir führen deshalb Fokusgruppengespräche durch». Dabei handle es sich um jährliche strukturierte Gespräche in Gruppen, die von einer Mediatorin und Expertin in Gruppen-Moderation geleitet werden. Wer trotzdem ein individuelles MAG möchte, kriege dieses natürlich.
«Das Streben nach Perfektion ist stark im Gen-Code unseres Personals verankert»: Beat Henzirohs, HR-Leiter des Opernhaus Zürich. (Bild: Aniela Lea Schafroth)
Ein Haus für alle sein
Ein zentrales Anliegen ist Beat Henzirohs auch die Förderung von Diversität und Inklusion nicht nur auf, sondern auch hinter der Bühne. «Ich meine damit ausdrücklich auch Profildiversität», sagt er und unterstreicht die Wichtigkeit, neben Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen auch solche mit Handicap oder Brüchen im Lebenslauf einzubeziehen, da diese oftmals neue Impulse setzen würden. «Wir suchen jetzt gerade die Zusammenarbeit mit einem externen Partner, mit dem wir ganz konkret hinschauen wollen, wo wir in diesem Bereich stehen und wo es noch Potenzial gibt», erklärt er den proaktiven Ansatz. «Zwar ist das Opernhaus Zürich schon sehr heterogen aufgestellt und äusserst offen», sagt er. Trotzdem könne es noch blinde Flecken geben, die es zu erkennen und anzugehen gelte.
Eine weitere Herausforderung, der sich Beat Henzirohs und sein Team stellen, ist die digitale Transformation im HR-Bereich: «Dort haben wir noch riesiges Potenzial». Bereits dematerialisiert wurden die Personaldossiers, auch gebe es dank der Kommunikationsabteilung das neue Intranet mit App «Backstage», über das sich die Mitarbeitenden auf dem Laufenden halten und sich einfacher für Kurse und Weiterbildungen anmelden können.
HR hat Leuchtturmfunktion inne
In der Konzeption und Umsetzung seiner HR-Strategie legt Beat Henzirohs grossen Wert auf Vorausdenken und Skalierbarkeit. «Mein Ziel ist es, dass das, was wir als HR des Opernhauses tun, generell in die Schweizer Bühnenkunstszene skalieren kann. Wir organisieren deshalb gemeinsam mit dem Bühnenverband zum ersten Mal einen HR-Fachkongress, wozu Personalverantwortliche der Schweizer Bühnen eingeladen sein werden», erklärt er. «Bisher hatten wir nur wenig Kontakt, sodass ein solcher Austausch sicherlich sehr fruchtbar ist». Als der kulturelle Leuchtturm der Schweiz stehe das Opernhaus Zürich schliesslich in der Verpflichtung, auch in anderen Häusern gewisse Feuer zu entfachen und branchenweite Standards zu setzen.
Trotz der Herausforderungen und des ständigen Wandels bleibt Beat Henzirohs optimistisch und zukunftsorientiert. Seine Vision für das HR im Opernhaus Zürich und darüber hinaus ist geprägt von der Überzeugung, dass durch kontinuierliche Entwicklung, Offenheit für Neues und den Mut, bestehende Pfade zu verlassen, ein echter Fortschritt möglich ist. «Das Streben nach Perfektion ist stark im Gen-Code unseres Personals verankert», sagt er. Für ihn sei es gerade das innige Engagement aller – sowohl auf der Bühne als auch hinter den Kulissen –, welches das Opernhaus Zürich zu einem der aussergewöhnlichsten und vielleicht schönsten Arbeitsorte der Schweiz macht.
Opernhaus Zürich
Das Opernhaus Zürich, eröffnet 1833 (1891 Neubezug nach Brand), ist die grösste Kulturinstitution der Schweiz. Seine Strahlkraft reicht weit über die Landesgrenze hinaus. Es begrüsste 2023 in 326 Vorstellungen knapp eine Viertelmillion Besucherinnen und Besucher und erzielte Einnahmen von 35 Millionen Franken. Mit einer Gesamtauslastung der Hauptbühne von 89,3 Prozent steht das Opernhaus Zürich im internationalen Vergleich sehr gut da. Das Opernhaus Zürich, zu dem auch das Bernhard Theater und ein Gastronomiebetrieb gehören, beschäftigte im vergangenen Jahr rund 800 ständige Mitarbeitende, der grösste Teil arbeitet in den Bereichen Kunst (unter anderem Orchester, Chor, Ballet) und der Technik sowie den Werkstätten. Hinzu kommen zahlreiche Personen mit Stückverträgen. www.opernhaus.ch