Serie Lügen: Teil 1

Die Psychologie der Lüge

Im Schnitt lügen wir 200 Mal pro Tag. Die Mehrheit sind Höflichkeits- oder Notlügen. In einer mehrwöchigen Online-Coaching-Serie erläutert Tatjana Strobel die Psychologie der Lüge, die verräterischen Anzeichen in Mimik, Körpersprache, Stimme und Sprache, die Dramaturgie von wahren Geschichten, sowie Methoden, um der Wahrheitsfindung auf die Spur zu kommen.

»Ein Jedermann lügt – an jedem Tag, zu jeder Stunde, wach und im Schlaf, in seinen Träumen, in Freude und in Trauer; und wenn er seine Zunge still hält, werden seine Hände und Zehen, seine Augen und seine Haltung eine Täuschung vermitteln.« Mark Twain (1835–1910) 

Wann ist Ihnen zuletzt eine Lüge über die Lippen gegangen? Gestern, vor einer Stunde, gerade eben? Dann geht es Ihnen wie mir, meine letzte ist nicht einmal zwei Minuten alt. Ein Kollege bat per Mail um ein Telefonat, für das ich im Moment weder Lust, noch Energie verspürte, also schob ich meine Arbeit vor und bat das Telefonat auf unbestimmte Zeit zu verschieben. Mit der sogenannten Notlüge befinde ich mich in bester Gesellschaft, denn die meisten Menschen lügen, täuschen oder schwindeln, um unangenehmen Dingen aus dem Weg zu gehen. Wie auch um Konflikte zu vermeiden, die unweigerlich entstehen würden, wenn man immer die Wahrheit sagen würde. 

Pro Tag lügt jeder im Schnitt 200 Mal. Die Mehrheit dieser Lügen sind sogenannte Höflichkeitslügen oder Notlügen, beispielsweise Phrasen wie «Du siehst aber gut aus!», «Tolle neue Jacke!», oder «Sorry für die Verspätung, der Verkehr war heute die Hölle!» Im Grunde ist diese Art der Lügen nicht wirklich schädlich. Man äussert sie, um das Gespräch am Laufen zu halten, eine gemeinsame Basis herzustellen oder die eigene Verlegenheit bzw. den eigenen Fauxpas zu überspielen.

Schwerer hingegen wiegen die geschätzt etwa zehn gefährlichen Lügen, mit denen wir pro Tag konfrontiert werden, da sie unsere Entscheidungen im Privat- oder Geschäftsleben massiv beeinflussen können. In Kenntnis der Wahrheit würde die eine oder andere Entscheidung anders ausfallen. 

Die Psychologie der Lüge

Solange man in der Geschichte des Menschen zurückgehen kann, findet man Indizien, dass es Lügen bzw. Täuschungen seit Bestehen der Menschheit gegeben hat. Die Lüge soll laut wissenschaftlichen Erkenntnissen sogar für die Weiterentwicklung des Gehirns mit verantwortlich sein. In 650 Millionen Jahren entwickelte sich das Leben von der Qualle zum Menschen weiter. Das Gehirnvolumen des Menschen erhöhte sich um ein Vierfaches. Übrigens kann man bezüglich Tieren und dem Gehirn eine ganz klare Regel aufstellen. Je sozialer eine Tierart ist, umso grösser ist das Gehirnvolumen, im Vergleich zu seinem Körpergewicht.

Grundsätzlich regelte die Lüge das soziale Miteinander und sicherte das Überleben des jeweiligen Stammes. Eine Funktion, die sie auch heute noch einnimmt. Hinweise wie und warum getäuscht wurde findet man in Geschichtsbüchern, Höhlenmalereien und der Bibel. Stammesführer horteten Vorräte für ihre Familie, um diese vor Hungersnotzeiten zu retten. Darauf angesprochen verheimlichten sie die Vorräte und gaben auch in schwierigen Zeiten nichts davon ab. In der Bibel, Buch Genesis, wurde Kain aus Eifersucht zum Mörder seines Bruders Abel. Auf Nachfrage von Gott, wo sich Abel befinde, lügt Kain den allwissenden Gott an.

Das trojanische Pferd wurde genutzt, um griechische Krieger in seinem Bauch zu verstecken und damit Einzug nach Troja zu erhalten. Der Plan ging auf! Troja fiel, die Griechen siegten mit dieser List. Wenn wir uns weitere Weltlügen anschauen würden, würden wir feststellen, dass immer der Wunsch, den anderen zu täuschen, Dinge zu vertuschen, schlauer und cleverer zu sein oder sich selbst und seine Sippschaft zu retten, dahinter steckt. Auch heute sind das noch Motive der Lüge.

Doch wird heute mehr gelogen als früher?

Die Lüge ist in jeder Zeitepoche zu finden. Die Bedingungen haben sich in der globalen, heutigen Welt, für die Lüge verbessert! Früher konnte man nur via Brief und dem direkten Vier-Augen-Gespräch kommunizieren. Das barg ein grosses Risiko, beim Lügen ertappt zu werden, denn jeder Lügner sendet verdächtige Signale über seine Mimik, Köpersprache und Stimme ab. Auch ein Brief, ein schriftliches Bekenntnis einer Lüge, eignete sich nicht besonders gut, um Lügen zu transportieren.

Heute gibt es unglaublich viele Spielarten der Kommunikation. Kommuniziert wird via Website, Telefon, Skype, E-Mails, SMS, MMS, WhatsApp, oder soziale Netzwerke wie Facebook und Co, über Artikel und Blogs. Im Internet werden pro Tag mehr als 900'000 Artikel gepostet, die gespickt sind mit Informationen und Halbwahrheiten. Diese neuen Kommunikationsmethoden haben Lügen aller Art Tür und Tor geöffnet, da der persönliche Vier-Augen-Kontakt einfach nicht mehr da ist. Und kaum ein Mensch liest sich die seitenlangen und in Hieroglyphen verfassten Geschäftsbedingungen durch.

Ein wissenschaftliches Team unter der Leitung von Jeffrey Hancock stellte sich die Frage, in welchem Kommunikationsweg am meisten gelogen wird. An dieser Untersuchung nahmen 30 Studenten teil, die eine Woche lang ihr gesamtes Kommunikationsverhalten dokumentierten. Ihre Erkenntnisse waren vielversprechend und logisch: Gelogen wurde in

  • 37 Prozent aller Telefonanrufe
  • 27 Prozent der Gespräche unter vier Augen
  • 21 Prozent der SMS/MMS/WhatsApp-Nachrichten
  • 14 Prozent der E-Mails  

E-Mails, ähnlich wie Briefe und Kurznachrichten, hinterlassen einen schriftlichen Beleg, weshalb sie ungern fürs Lügen genutzt werden.

Doch was ist eigentlich eine Lüge? Als vor Jahren Professor Mecke von der Universität Regensburg die tägliche Lügendosis der Menschen auf 200 Mal definierte, ging ein Raunen durch die Menge. Doch wenn wir alle Facetten der Lüge einmal genauer betrachten, so kommen wir schnell auf eine beträchtliche Summe an kleineren und grösseren Schummeleien.

Laut Definition ist eine Lüge dann eine Unwahrheit, wenn

  • sie eine falsche Behauptung enthält oder einen falschen Eindruck vermittelt.
  • sie an ein Gegenüber gerichtet ist, ansonsten handelt es sich um Selbsttäuschung. 
  • sie die Absicht zu täuschen hat, ansonsten handelt es sich um einen ehrlichen Fehler

Eine Lüge ist gemäss Pamela Meyer «eine irreführende Botschaft, die vorsätzlich einer anderen Person übermittelt wird – in der Absicht falsche Vorstellungen oder Schlussfolgerungen zu erzeugen, ohne dass vorher eine Übereinkunft über den Zweck dieser Unwahrheit getroffen wurde.»

Vorneweg, mein Fazit nach einigen Selbsttests: Die Lüge gehört zu unserem Leben, sie ist täglicher Bestandteil unseres Denkens und das Schmiermittel für unsere sozialen Beziehungen.

Nun sind Sie dran, Ihr eigenes Schwindelverhalten zu analysieren.

Aufgabe 1:  Was glauben Sie sind die Motive, warum wir Menschen lügen? Laut wissenschaftlichen Erkenntnissen gliedern sich die Motive in offensive und defensive Motive, neun an der Zahl. Welche kennen Sie?

Aufgabe 2: Was sind Ihre persönlichen Motive? Welche Lügenmuster können Sie bei sich erkennen?

Aufgabe 3: Versuchen Sie diese Woche, Ihr Lügenverhalten ganz stark unter die Lupe zu nehmen.  Beobachten Sie dabei:

  • Ihre Motivation zu lügen
  • Ihre Körpersprache
  • Ihre Stimme
  • Ihre Wortwahl
  • weitere verdächtige Körperzeichen

Unten finden Sie zudem ein Quiz zum Thema Lügen.

Nächste Woche gehen wir den Motiven hinter der Lüge auf die Spur, es gibt einen Psychotest und eine Checkliste, um Ihren eigenen Mustern auf die Schliche zu kommen.

Ich wünsche Ihnen eine spannende Selbstbeobachtungswoche!

Herzlichst Ihre

Tatjana Strobel

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Tatjana Strobel ist Expertin für Körpersprache, Physiognomie und Menschenkenntnis, Bestsellerautorin und Gründerin des Unternehmens «TS HeadWorx». www.tatjanastrobel.ch, www.mesmerize-it.ch

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