«Die sozialpartnerschaftliche Lösung kommt Klein- und Grossbetrieben gleichermassen zu Gute»
Gesamtarbeitsvertrag für die Temporärbranche
Ein Gesamtarbeitsvertrag für die Temporärbranche ist «ein juristisches Monster», ein Unternehmenskiller, den es mit allen Mitteln zu verhindern gilt, so die Gegner aus dem Lager der Laisser-faire-Vertreter, der Rechtsideologen, der Unzufriedenen, der Besserwisser und derjenigen, die aus Prinzip gegen alles sind.Ein Gesamtarbeitsvertrag für die Temporärbranche ist eine Zustimmung zur schlimmsten Ausbeutung menschlicher Arbeit, zur Institutionalisierung der prekären Arbeit, so die Gegner aus dem Lager der Trotzkisten, der Linksideologen und der puristischen Etatisten.
Spannungsfeld mit langer Vorgeschichte
Das Spannungsfeld um die Ausgestaltung der Arbeitsvermittlung und des Personalverleihs ist bei weitem nicht neu. Das Prinzip, dass Arbeit keine Ware, kein Handelsartikel sein dürfe, wurde schon 1919 im Vertrag von Versailles festgehalten. Erst 1997 hat sich international die Erkenntnis durchgesetzt, dass zur Sicherstellung einer akzeptablen Beschäftigungslage und eines funktionierenden Arbeitsmarkts private Arbeitsvermittler und -verleiher unabdingbar sind.
Die Schweiz hat sich nie ins Lager der Staatsmonopolisten geschlagen. Wir haben aber dem zunehmenden Druck, vor allem den Personalverleih zu regulieren, nachgegeben und 1991 das Arbeitsvermittlungsgesetz in Kraft gesetzt. In der Folge wurden zwei Entwicklungen bei den Arbeitsmarktspezialisten, den Gewerkschaften und der Politik zum kontroversen Dauerthema. Erstens die rasant wachsende Zahl der Bewilligungsträger für den Personalverleih: 1969 waren es noch 50, heute sind es rund 2000 an der Zahl. Zweitens die steigenden Raten der auf Vollzeitäquivalente hochgerechnete Zahl der beschäftigten Mitarbeiter, welche sich in derselben Periode mehr als verhundertfacht hat.
Die kaum existierenden Eintrittsbarrieren, der Vollzugsföderalismus, die ausgezeichnete konjunkturelle Grundstimmung, der Wegfall des Saisonnierstatuts und die Personenfreizügigkeit führten zu einer Goldgräberstimmung. Dies rief die Gewerkschaften auf den Plan. Nirgendwo etablierte sich die Temporärarbeit so schnell wie in den klassischen Berufen mit traditionell hohem gewerkschaftlichem Organisationsgrad. In der Bauwirtschaft und in gewissen Industriezweigen, wo jeder dritte Beschäftigte ein Temporärer ist, führte dies zu engagierten Auseinandersetzungen. Ängste um sinkende Organisationsgrade, schwindenden Einfluss und knappere finanzielle Möglichkeiten bestimmten die Agenden. Befürchtete komparative Nachteile der Festangestellten gegenüber den Temporären – wie geringere Flexibilität oder höherer Kündigungsschutz – führten dazu, dass in exponierten Branchen ein Verbot der temporären Arbeit gefordert wurde. Mindestens aber forderten die Gewerkschaften gleiche Bezahlung, gleiche Versicherungs deckung und Gleichbehandlung.
Die Diskussion um die Personenfreizügigkeit war die geeignete Plattform, um daraus resultierenden Forderungen zum Durchbruch zu verhelfen. Unsere Branche wurde gewissermassen zum Opfer der Konkordanzdemokratie. Ein Ende dieser Entwicklung war und ist ohne Sozialpartnerschaft nicht abzusehen. Die Lust der politischen Profiteure aus allen Lagern, unsere Branche immer dann zu disziplinieren, wenn damit eigene Bestände gesichert werden können, hat Auftrieb erhalten. Der Prozess der Integration der Schweiz in die europäische Staatengemeinschaft bot und bietet Durchsetzungschancen.
GAV als rationale Reaktion auf wirtschaftliche Entwicklungen
In dieser Situation war es ein rationaler Beschluss des führenden Branchenverbandes swissstaffing, nach Handlungsalternativen zu suchen, aus einer reaktiven in eine proaktive Rolle zu finden und unsere Branche politisch breiter abzustützen. Ausdruck dieser Haltung ist der nun vorliegende Gesamtarbeitsvertrag, der in erster Linie mehr Mitbestimmung ermöglicht, einen einheitlichen Vollzug sicherstellt, kostengünstigere Abrechnungsverfahren und transparente Kontrollen bringt.
swissstaffing ist stolz darauf, nach drei Jahren intensiver Arbeit einen Gesamtarbeitsvertrag vorstellen zu können, der Vertrauen verdient. Allen Unkenrufen zum Trotz ist es kein Gesamtarbeitsvertrag von den Grossen für die Grossen. Die Vor- und Nachteile betreffen alle gleichermassen. Die Vorteile überwiegen auch für den Kleinbetrieb die Nachteile bei Weitem.
Der Gesamtarbeitsvertrag eröffnet engagierten Mitgliedern auch Möglichkeiten der aktiven Beteiligung an der Verbandsführung. Gerade in einem Verband gilt das berühmte Kennedy-Wort: «Frage dich nicht, was der Staat für dich tun kann, frage dich, was du für den Staat tun kannst.» In diesem Sinne: willkommen bei swissstaffing!
Antworten auf die wichtigsten Fragen:
Wer sind die Vertragspartner?
Seitens der Arbeitgeber ist es swissstaffing, seitens der Arbeitnehmer sind es die Gewerkschaften «Angestellte Schweiz», «Schweizerischer Kaufmännischer Verband», «Syna» und «Unia».
Wer ist dem Vertrag unterstellt?
- Personalverleiher, deren Lohnsumme aus den Jahren 2002–2007 mindestens 6 Mio. Franken ausmacht.
- swissstaffing-Mitglieder der Sektion Personalverleih – unabhängig von der versicherten Lohnsumme durch die suva.
Was gilt für mich, wenn die Lohnsumme meines Betriebes gemäss Unterstellungskriterien zu klein ist?
Es bleibt alles beim Alten: Ablieferung der Lohn- und Weiterbildungsbeiträge, Krankentaggeld-Beteiligung, Verpflichtung zur Einhaltung aller allgemein verbindlich erklärten (ave) GAV-Parameter, keinen Einfluss auf die Verwendung von Vollzugs- und Weiterbildungsbeiträgen.
Was sind die Vorteile für unterstellte Betriebe?
- Stark vereinfachtes Abrechnungsverfahren für die Vollzugs- und Weiterbildungsbei träge (einheitlicher Satz: 0,3 Prozent LS Arbeitgeber; 0,7 Prozent LS Arbeitnehmer) mit enormem administrativem Einsparungspotenzial,
- einheitliche Beteiligung des Arbeitgebers an der Krankentaggeldversicherung (50 Prozent),
- freiwillige, sozialpartnerschaftlich subventionierte Krankentaggeld-Kollektivversicherung,
- breites Weiterbildungsangebot für die Mitarbeiter; kostenfreies swisstempdata,
- bis zu 80 Prozent Rückerstattung der Mitgliederbeiträge (swissstaffing),
- Internetübersicht über angekündigte und erfolgte Kontrollen,
- Rekursmöglichkeiten an eine paritätische Kommission bei GAV-Auseinandersetzungen
- Möglichkeit der direkten Beteiligung am sozialpartnerschaftlichen Dialog über Einsitz in die Kommissionen Vollzug und Weiterbildung,
- verbesserte Überstundenentschädigungsregelung; verbesserte Regelung der Ferienlohnauszahlung.
Was sind die Nachteile für unterstellte Betriebe?
- Erweiterung der Beachtung von Lohn- und Arbeitszeitbestimmungen von ausgewählten, nicht allgemein verbindlich erklärten GAV gemäss Gratisdatenbank swisstempdata,
- Beachtung von Mindestlöhnen in nicht durch zu beachtende GAV abgedeckten Bereichen,
- das Zusammenzählen von Einsätzen innerhalb Jahresfrist unabhängig von der Dauer eines Unterbruchs zur Festlegung der Sozialleistungen,
- BVG-Pflicht für Unterstützungspflichtige ab 1. Tag,
- 720 Tage Krankentaggeld-Deckung für alle Mitarbeiter ab dem 3. Beschäftigungsmonat.
Wie hoch sind die Mindestlöhne?
Der Bruttolohn/Stunde bewegt sich – je nach Lohngebiet – zwischen 17.86 und 21.16 Franken für Ungelernte und 23.81 und 28.44 Franken für Gelernte (bis 50 Jahre; Geltung nur für die rund 60 Prozent TT-Verhältnisse, die keinem GAV unterstellt sind).
Müssen wir wegen des «Günstigkeitsprinzips» unter Umständen höhere Mindestlöhne beachten als die der Branchen-Gesamtarbeitsverträge?
Nein, die Formulierung des Gesamtarbeitsvertrages schliesst dies ausdrücklich aus für alle ave GAV und die nach Liste zu beachtenden nicht ave GAV.
Was kostet der GAV den Personalverleiher?
Wir rechnen mit Zusatzkosten pro Tarifstunde zwischen zehn und vierzig Rappen.
Was sind die Vorteile für unsere Mitarbeiter?
- Anspruch auf bezahlte Weiterbildung nach dreiwöchigem Einsatz,
- verbesserter Krankentaggeld-Schutz,
- verbesserter Schutz bei Invalidität,
- verbesserte Altersvorsorge,
- Rechtsschutz über die paritätischen Vollzugsorgane.
Wo erhalte ich Informationen zum Gesamtarbeitsvertrag TT?
Der Gesuchtstext wird gegen Ende Oktober 2007 im Schweizerischen Handelsamtsblatt publiziert und auf www.swisstaffing.ch in den drei Landessprachen zugänglich sein.
Wie geht es jetzt weiter?
Am 10. Oktober reicht swissstaffing den Gesamtarbeitsvertrag beim seco ein mit dem
Gesuch um Allgemeinverbindlichkeitser
klärung. Das seco prüft diese auf Gesetzes
konformität und publiziert das Gesuch nach einem allfälligen Bereinigungsverfahren unter Nennung der Einsprachefrist. Allfällige Einsprachen leitet das seco an die Vertragsparteien zur Stellungnahme. Aufgrund der Faktenlage erstattet das seco dem Bundesrat im zustimmenden Fall Antrag. Der Bundesrat spricht aufgrund des Antrages die Allgemeinverbindlichkeit aus, publiziert den Entscheid, welcher nach einer angemessenen Periode in Rechtskraft erwächst.
Wann ist die Inkraftsetzung zu erwarten?
swissstaffing rechnet mit einer frühesten Allgemeinverbindlichkeitserklärung im ersten Halbjahr 2009, wir planen einen Inkraftsetzungsvorlauf auf ein Quartalsultimo. Mögliche Termine sind demzufolge der 1. April oder der 1. Juli 2009.