Gestaltung effizienter Teams

«Die Teamleistung beim Fliegen stützt sich auf bedingungsloses Vertrauen»

Wenn die sechs Piloten der Patrouille Suisse ihre kunstvollen Figuren in den Himmel schreiben, gibt es für den Teamchef Daniel Siegenthaler nur eines: Autorität. Kompromisslos befiehlt der Leader in der Luft, denn bei 1000 Stundenkilometern gibt es keinen Millimeter Raum für Diskussion. Am Boden hingegen pflegt er einen kooperativen Führungsstil.

Herr Siegenthaler, welche Anforderungen stellen Sie an Ihr Team?

Daniel Siegenthaler: Ich erwarte ein klares Commitment und die Bereitschaft, die Verantwortung für das Team und das gemeinsame Ziel wahrzunehmen. Einfach nur dabei sein reicht nicht.

In der Wirtschaft werden die Mitarbeiter an Zahlen und am Unternehmenserfolg gemessen. An welchen Kriterien messen Sie die Leistung Ihres Teams?

Es gibt keine Wettkämpfe oder Ranglisten. Unser Ziel ist es, präzise und sicher zu fliegen. Das kann man nicht in Zahlen ausdrücken. Wir analysieren unsere Leistung nach jedem Flug mithilfe einer Videoaufnahme.

Ihnen als Team fehlt also das direkte Feedback des Kunden …

Das Videoband ist die Sicht des Publikums, unsere «customer’s voice». Die Nachbesprechung hat für uns daher einen hohen Stellenwert. Diese Gelegenheit, aus Fehlern zu lernen, verpassen viele Teams.

Was bedeutet für Sie Leadership?

Dem Team eine Plattform für Spitzenleistungen zu schaffen. Als Leader bin ich dafür verantwortlich, dass die Voraussetzungen stimmen. Es ist ein Wechselspiel zwischen Fördern und Fordern, zwischen Coachen und Kontrollieren. Wir müssen offen miteinander sprechen können, wir müssen uns vertrauen können. Auch zwischenmenschlich muss bei uns alles stimmen.

Und wenn es mal nicht stimmt, dann kann es in der Luft gefährlich werden?

Ich muss vorher intervenieren. Es kann nicht sein, dass jemand aufgeregt und mit Fäusten in den Taschen fliegt. Das hat Einfluss auf die Performance und stellt ein grosses Risiko dar.

Wie können Sie feststellen, wann ein Risiko durch Unstimmigkeiten im Team vorliegt?

Aus meiner Fliegererfahrung weiss ich, welche Emotionen die Leistung beeinträchtigen können.

Gibt es eine Art mentales Training?

Jeder muss «fit to fly» sein. Ein Schnupfen beeinträchtigt die Flugtauglichkeit genauso wie ein Todesfall in der Familie. Jeder ist verpflichtet, solche Dinge zu melden. Ich entscheide von Fall zu Fall individuell. So sind wir unter Umständen auch nur zu fünft.

Es gibt keine zweite Besetzung?

Das können wir uns nicht leisten. Wer ausfällt, fällt aus. Wenn der Leader ausfällt, bleibt das Team am Boden.

In der Luft gilt der Befehl des Chefs, am Boden werden Entscheidungen gemeinsam getroffen. Wie geht das Team damit um?

Wer in der Luftwaffe aufwächst und Berufspilot ist, weiss, dass in der Luft nicht diskutiert wird. Da gehorcht man, das ist normal. Autoritär zu sein, musste ich persönlich erst lernen. Ich erwarte aber auch, dass das Team mich korrigiert, wenn ich einen Fehler mache. Die Entscheidung, was dann zu tun ist, bleibt jedoch bei mir.

Das funktioniert immer?

Nein, es gab einen Fall, der mich geärgert hat. Als ich einmal vor Jahren den Benzinverbrauch falsch berechnet habe und es einen kritischen Engpass gab, sagte jemand aus meinem Team: Das habe ich mir doch gleich gedacht.

Und was war die Konsequenz?

Ich habe im Team geklärt: Wenn jemand merkt, dass ich einen Fehler mache, ist er verpflichtet, das zu kommunizieren. Aber ich habe mich auch selbst gefragt: Wie führe ich meine Leute, dass sie mir so etwas Wichtiges nicht sagen?

Wie finde ich den richtigen Führungsstil für mein Team?

Es gibt meines Erachtens nicht nur einen richtigen Führungsstil für ein und dasselbe Team. Wenn es darum geht, kreativ zu sein, Lösungen zu generieren, dann sollte das Team involviert sein. Wenn es aber in die Phase der Ausführung geht, wie bei uns in der Luft, darf der Führungsstil wechseln.

Wie sieht ein typischer Ablauf vor einem Flug aus?

Trainingsflug 10 Uhr Zürichsee. Ich weiss, wir müssen um 9.50 Uhr starten und steigen um 9.30 Uhr ein. Wir treffen uns um 8.30 Uhr. Die einen lesen noch Zeitung, die anderen nehmen ihren Kaffee. Dann verteile ich Aufgaben: Von dir möchte ich die Wetterinformationen, bitte rufe du noch bei den Behörden an und melde, dass wir kommen. Ich selbst studiere mit den Solisten die Karte, um Hindernisse wie Hochspannungsleitungen oder 
andere Risiken zu benennen. Wenn alle Informationen da sind, beginnt das Flug-Briefing. Dann gehen wir Punkt für Punkt alles Wesentliche durch, jeder hat denselben Wissensstand, jeder kennt seinen Beitrag, jeder weiss, was er von seinem Kollegen erwarten kann. Anschliessend fliegt jeder für sich in Gedanken das Programm ab. Dann steigen wir ins Flugzeug, geben auch keine Interviews mehr.

Und was passiert in der Luft?

Ich fliege voran, die anderen orientieren sich ausschliesslich an meiner Flügelspitze. Bei 1000 Stundenkilometern und Abständen von drei Metern ist es unmöglich, die Flug-höhe, die Geschwindigkeit und den Flugweg selber zu kontrollieren.

Und Sie befehlen?

Es ist wie in einem Orchester. Jeder kennt das Musikstück und die einzelnen Elemente. Jeder weiss, dass jetzt «Delta» kommt, aber nicht wann. Als Dirigent gebe ich den Einsatzbefehl: «Formation Delta go.» Und dann wechseln wir in die Formation. Ich erfinde in der Luft nichts, was die anderen nicht kennen.

Kann es bei solch riskanten Manövern überhaupt einen Plan B geben?

Nicht wirklich. Es ist ein kalkuliertes Risiko. Wenn die Wetterlage unsicher ist, versuche ich, mögliche Improvisationen schon am Boden vorzubereiten. Was machen wir, wenn die Sicht schlecht ist, wenn die Wolken tief sind, wie reagieren wir bei technischen Problemen? In der Luft kann ich dann auf die vorbereiteten Entscheide zurückgreifen. Eine andere Massnahme ist Training, schnelle Reaktionen üben und Worst-Case-Szenarien ansprechen, zum Beispiel einen Triebwerksausfall. In dem Fall wird ein Funkspruch ausgesendet, die anderen fliegen auf Abstand, geben Platz.

Auf was stützt sich Ihre Teamleistung insbesondere?

Bedingungsloses Vertrauen.

Vertrauen kann man aber vorher nicht testen. Woher wissen Sie, wem Sie vertrauen können und wem nicht?

Die Auswahl des Piloten ist reines Bauchgefühl. Die nötige Qualifikation dürfen wir voraussetzen, wir haben noch nie einen Testflug gemacht. Wir bauen nicht auf der Fachkompetenz auf, sondern auf der Persönlichkeit und der Sozialkompetenz.

Für die Patrouille Suisse kann man sich nicht bewerben. Wenn wir einen neuen Piloten brauchen, setzen wir uns zusammen und treffen aus einer Auswahl geeigneter Piloten der Luftwaffe unsere Entscheidung. 
Diese muss immer einstimmig sein.

Die Patrouille Suisse

ist der offizielle Jetvorführverband der Schweizer Luftwaffe. Zum Team gehören fünf Piloten und ihr Leader, dessen Vorgesetzter am Boden, der Kommandant und pro Einsatz 10 bis 12 Mechaniker. Die Piloten sind zu 30 Prozent bei der Patrouille Suisse tätig, die restlichen 70 Prozent arbeiten sie als Berufspiloten bei der Luftwaffe. Jedes Jahr nach Ostern beginnt die Saison mit regelmässigen Trainingseinheiten. Zwei Wochen lang wird drei Mal pro Tag geflogen, werden neue Programmteile geübt, Formationen einstudiert. Danach wird jeden Montag ein Trainingsflug absolviert. Die nächste öffentliche Vorführung ist am 
24. April 2010 in Verbier (VS). www.patrouille-suisse.chm.

Teamwork ist keine Zauberformel, so Ihre Devise. Wie meinen Sie das?

Überall gibt es Teams für irgendetwas –Teamwork kann man nicht einer Gruppe als Etikett anheften.

Was braucht es Ihrer Meinung nach, um ein Topteam zu kreieren?

Dazu gehören absolute Teamplayer mit der Bereitschaft zu lernen. Die besten Fussballer in einer Mannschaft werden keinen Erfolg haben, wenn sie nicht zusammenspielen. Auch die Kommunikation spielt eine grosse Rolle. Bei uns darf niemand nichts sagen, jeder muss sich beteiligen an der Kommunikation. Die Art und Weise ist da sekundär. Ich muss einfach sagen können: «Das fand ich schlecht», ohne irgendwelche Feedbackregeln einzuhalten. Es darf durchaus auch emotional sein.

Sie geben Ihre Teamerfahrungen in der Patrouille Suisse in Seminaren weiter. Was raten Sie ganz «normalen» Leadern?

Menschen, die im Team arbeiten, ganz egal wo, müssen eine gemeinsame Herausforderung haben. Wir sehen in den Unternehmen oft das Problem, dass Teammitglieder einzeln für sich ganz unterschiedliche Ziele definieren. Wer nicht weiss, wohin es gehen soll, kann nicht erfolgreich zusammenarbeiten. Es ist wichtig, im Team die gegenseitigen Erwartungen zu klären. Ich bin überzeugt, dass man weiterkommt, wenn man menschlich ist. Manchmal braucht es auch Mut zu sagen: Wir sind zwar kein Team, aber eine gut strukturierte Arbeitsgruppe. Dann muss man aber auch nicht gemeinsam Teamevents durchführen, um besser zusammenarbeiten zu können.

Ab der kommenden Saison leitet Ihr Nachfolger die Piloten der Patrouille Suisse.  Was bedeutet Ihnen die Zeit als Leader eines solchen speziellen Teams?

Die Patrouille Suisse wird mir fehlen. Dieses Teamerlebnis ist einzigartig und wird es für mich so sicher nicht mehr geben.

Daniel Siegenthaler

ist seit 1997 Mitglied der Patrouille Suisse. Er flog zunächst an Position drei und fünf, 2005 übernahm er die Leader-Position. Seit 2009 ist er Teilprojektleiter und Chef Fachdienst Flight Safety Investigation bei der Luftwaffe und seit 2010 stellvertretender Kommandant des Fliegergeschwaders 13 in Meiringen. Siegenthaler ist Jahrgang 1971. Nach der Matura 1990 besuchte er die Piloten-Rekruten-, Unteroffiziers- und Offiziersschule. Ab 1993 war er Berufsmilitärpilot und Fluglehrer im Berufsfliegerkorps und wurde in die Fliegerstaffel in Meiringen eingeteilt. Von 2002 bis 2005 absolvierte er eine Ausbildung zum Team- und Einzelcoach sowie an der Universität Linköping in Schweden ein Nachdiplomstudium «Human Factors». Von 2006 bis 2007 absolvierte er die Kaderführungsausbildung bei der Luftwaffe. Bis 2009 war er Chef Crew Resource Management der Luftwaffe. Bisher absolvierte er rund 3000 Flugstunden auf F/A-18 Hornet, F-5 Tiger, Hawk und PC-7. Siegenthaler ist verheiratet und Vater eines Sohnes. Die Familie lebt in Sarnen OW.

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