Die Unternehmenskultur als Börsenfaktor?
Nichtfinanzielle Kriterien gewinnen bei Investitionsentscheiden zunehmend an Bedeutung. Das wirkt sich auch auf die Unternehmensführung und damit auf die HR-Strategie aus.
Immer mehr Anlegerinnen und Anleger sind davon überzeugt, dass bei der Ermittlung des langfristigen Unternehmenswerts neben finanziellen auch nichtfinanzielle Faktoren zu beachten sind, beispielsweise der Umgang mit den Bereichen Umwelt, Soziales und Unternehmensführung (ESG).
Zahlreiche Studien haben gezeigt, dass die Renditen der ESG-Fonds mehr oder weniger denjenigen herkömmlicher Fonds entsprechen, sich in Zeiten hoher Volatilität aber als stabiler erweisen. Zudem rückten durch die Corona-Pandemie nicht nur Themen wie die Gesundheit am Arbeitsplatz oder die Ungleichstellung der Geschlechter in den Fokus, sondern auch die Krisenfestigkeit von Unternehmen. Gut geführte sowie weniger konjunkturabhängige Firmen bewiesen während des Börseneinbruchs ihre Widerstandsfähigkeit.
Risiko durchleuchten
Nachhaltiges Investieren ist mehr als klimabewusstes Anlegen: Soziale und Governance-Kriterien spielen bei der Gesamtbeurteilung eines Unternehmens eine ebenso grosse Rolle. Um Investitionsrisiken zu erkennen, ist jedoch ein vollständiges Bild eines Unternehmens notwendig. Ein Korruptionsskandal kann beispielsweise mit einer kurzsichtigen Vergütungspolitik zusammenhängen. Die Tatsache, dass eine Firma Talente anzieht und ihre Innovationsfähigkeit bewahrt, könnte wiederum an ihrem Ruf als attraktive Arbeitgeberin liegen.
Ein weiteres Beispiel: Kurz nach der Fusion von Lafarge und Holcim stieg die Zahl fataler Unfälle im Konzern, was eines von mehreren Zeichen dafür war, dass die Zusammenführung der beiden Unternehmenskulturen schwierig, der Kostendruck hoch und die Governance-Probleme bedeutend waren. Eine Erholung des Aktienkurses fiel mit einer Stabilisierung der Geschäftsführung und einer Verbesserung der sozialen Indikatoren zusammen, wie zum Beispiel der Häufigkeitsrate von Arbeitsunfällen mit Ausfalltagen, die von 0,9 pro Million Arbeitsstunden im Jahr 2018 auf 0,58 im Jahr 2020 sank.
Ungenügende Datenbasis
In der Schweiz fehlen oft die nötigen Daten für empirische Studien, welche den finanziellen Wert einer guten Unternehmensführung, der Geschlechtervielfalt im Unternehmen – und zwar nicht nur auf Führungsebene –, einer angemessenen Entlohnung sowie einer geringen Personalfluktuation aufzeigen. Die von den Unternehmen publizierten Daten erlauben keine präzise Messung der nicht finanziellen Faktoren. So bleibt die ESG-Bewertung manchmal zwangsläufig auf die Analyse der Transparenz beschränkt.
Um diese in einem Unternehmen zu erhöhen, erweist sich das aktive Aktionariat als besonders wirksam. Bis der Rechtsrahmen unter dem Einfluss der Abstimmung über die Konzernverantwortungsinitiative angepasst wird, ist das Aktionärsengagement jedoch die einzige Möglichkeit der Interaktion mit den Unternehmen. Führt ein Dialog nicht zum erhofften Ergebnis, können Aktionäre an der Generalversammlung intervenieren oder einen Aktionärsantrag einreichen.
Der Einfluss eines aktiven Aktionariats zeigte sich beispielsweise an der letzte Nestlé-GV: Nachdem Ethos den Konzern aufgefordert hatte, seine Klimastrategie freiwillig zur Abstimmung vorzulegen, reichten Ethos und sieben Pensionskassen einen entsprechenden Aktionärsantrag ein. Das Ergebnis anschliessender Gespräche? Der Klima-Aktionsplan wurde an der Generalversammlung zur Konsultativabstimmung vorgelegt. Dieser wurde von den Aktionären gebilligt.
Aktionärsgruppierungen nehmen stärkeren Einfluss
Wahrnehmung des Stimmrechts und Dialog gehen bei aktiven Aktionären Hand in Hand. Damit ihre Botschaft ankommt, brauchen sie jedoch die Unterstützung weiterer Aktionäre. Folglich wächst auch die Zahl von Aktionärsgruppierungen. Die auf soziale und Governance-Kriterien spezialisierte Workforce Disclosure Initiative ist eine davon. Seit 2016 vereint sie verschiedene Investoren mit verwalteten Vermögen von über sieben Billionen US-Dollar.
Um mehr Transparenz zu schaffen, möchte sie Unternehmen dazu bewegen, standardisierte und damit besser vergleichbare und leichter auswertbare Angaben zu Sozialthemen zu veröffentlichen. 2020 beantworteten 19 Prozent der kontaktierten Unternehmen einen Fragebogen zu 13 Themen wie Unternehmensführung, Diversität und Inklusion, Lohnniveau und -gefälle, Aus- und Weiterbildung, Gesundheit, Mitsprache der Mitarbeitenden oder auch Arbeitsbedingungen in der gesamten Lieferkette.
Die Investoren haben also die Wahl: Verstösst ein Unternehmen mit seiner Tätigkeit gegen ihre Prinzipien oder entspricht dessen ESG-Rating nicht ihren Erwartungen, können sie das Unternehmen meiden oder dessen Aktien bewusst kaufen, um einen positiven Einfluss auf dessen Strategie auszuüben. Das wird unterschiedliche Auswirkungen auf das Unternehmen haben.
Die auf Socially Responsible Investment (SRI) spezialisierte Stiftung Ethos und die BCV, die fünftgrösste Schweizer Universalbank, kooperieren im Bereich nachhaltige Anlagen. Ethos ist für die Umwelt-, Sozial- und Governance-Analyse (ESG-Analyse) der Unternehmen, die Stimmrechtsausübung und den Aktionärsdialog zuständig, während das Asset-Management der BCV sein Fachwissen in den Bereichen Finanzanalyse und Portfolioverwaltung einbringt. Ethos und die BCV verwalten sechs Anlagefonds gemeinsam.