Zeigt das Beispiel nicht, dass sich Wirtschaft und Ethik oft gegenüberstehen?
Nein, gerade nicht! Wirtschaften ist vielmehr selbst ein ethischer Wert. Die Wirtschaft stellt Güter und Dienstleistungen für Menschen her, verschafft den Menschen die Einkommen, um Güter und Dienstleistungen zu erwerben, und generiert zudem Steuern, mit denen der Staat dann etwa unsere Infrastruktur finanziert. Natürlich gibt es Konflikte zwischen Ethik und Wirtschaft, wenn beispielsweise in Wertschöpfungsketten Menschenrechte verletzt werden. Aber diese Konflikte sind nicht der Regelfall. Und dann gibt es auch Fälle, bei denen gar nicht so klar ist, was die Ethik sagen kann. Zum Beispiel stellt sich die Frage, wann ein Lohn wirklich fair ist.
Wann ist er denn aus ethischer Sicht fair?
Was ein faires Gehalt ist, muss primär im Dialog der Betroffenen definiert werden. Es gibt keine allgemein anerkannten ethischen Kriterien, die es erlauben, etwa eine generelle Lohnobergrenze zu definieren. Insofern macht eine gesetzlich festgelegte, für alle Branchen geltende Lohnobergrenze keinen Sinn. Unternehmen müssen aber über Fragen der Löhne einen offenen Diskurs führen, auch gegen aussen und mit Einbezug aller Stakeholder. Im Zusammenhang mit der so genannten Abzocker-Initiative könnte man etwa fragen, warum nur die Aktionäre über die Löhne der Führungsverantwortlichen mitreden sollen. Warum nicht auch eine Vertretung der Mitarbeitenden?
Wer ist in einem Unternehmen verantwortlich für ethisches Handeln?
Primär die Eigentümer, der Verwaltungsrat und das Topmanagement. Hier gibt es allerdings Konfliktpotenzial aufgrund der Veränderungen der Eigentümerstrukturen in den vergangenen Jahrzehnten. Shareholder und Investoren sind heute oft auf den kurzfristigen Gewinn fixiert. Der Einfluss von Patrons im klassischen Sinn, die nachhaltig dachten und sich mit dem Unternehmen identifizierten, hat abgenommen. Aus ethischer Sicht ist das nicht unproblematisch.
Hat eine Einzelperson, ein Patron, ein grösseres Verantwortungsgefühl?
Für eine Studie über Ethical Leadership haben wir Führungsverantwortliche gesucht, die als ethische Leader wahrgenommen werden. Auffallend war, dass von 17, mit denen wir schliesslich gesprochen haben, nur einer ein börsenkotiertes Unternehmen führte. Zudem waren alle diese Leader entweder selber Inhaber oder standen dem Eigentümer sehr nahe. Zwei Dinge hatten sie alle gemeinsam: Erstens riskieren alle, für ethisch richtiges Verhalten weniger Gewinn einzufahren. Zweitens sind viele bereit, auch persönlich mit einem kleineren Salär vorliebzunehmen, als es ihre Position im Vergleich mit anderen erlauben würde.
Kann man ethisches Verhalten lernen?
In unserer Studie hat sich gezeigt, dass Rollenmodelle für alle Ethical Leaders sehr wichtig sind. Das heisst, sie wollen Vorbild sein und haben auch selbst Vorbilder. Das lässt darauf schliessen, dass man Ethical Leadership nicht abstrakt lernen kann. Entsprechende Lernprozesse finden aber vor allem in jungen Jahren statt. Wer mal ein «Halunke» ist, aus dem wird nur schwer ein ethisch guter Leader. Gewisse Tugenden wie Transparenz, Loyalität und Ehrlichkeit muss man also in ein Unternehmen mitbringen. Was man aber auch in späteren Jahren lernen kann, ist der Umgang mit einem ethischen Problem, es als solches zu erkennen und ethisch zu argumentieren. Die dazu nötigen fachlichen Kompetenzen kann man erlernen (siehe Buchtipp, Anm. d. Red.).
Welche Rolle spielt das HR für ethisches Verhalten in einem Unternehmen?
Es ist wichtig, dass bei der Personalauswahl auch die ethische Kompetenz eines zukünftigen Mitarbeiters geprüft wird. Vor allem bei der Selektion von CEOs bin ich nicht sicher, wie stark bisher auf moralische Integrität geachtet wurde. Aber ich glaube, es findet ein Umdenken statt. Die Forschung arbeitet zudem daran, Assessment-Instrumente zu entwickeln, um auch die ethischen Werte und Tugenden einer Person zu messen.
Buchtipp
Barbara Bleisch, Markus Huppenbauer: Ethische Entscheidungsfindung, Ein Handbuch für die Praxis. Versus Verlag, 2011, 224 Seiten, CHF 39.–