Die Wertelandschaft der Arbeitswelt von morgen
Wie sieht die zukünftige Arbeitswelt aus? Agieren darin vor allem karriereorientierte Arbeitskräfte nach dem Motto «No risk, no fun»? Oder wählen die Berufstätigen bewusst lange Arbeitsbeziehungen und pflegen ihre Life-Domain-Balance? Vier Szenarien für das strategische Personalmanagement 2030.
Ein Blick zurück zeigt, dass sich das Verhältnis zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeberin in den letzten 20 Jahren fundamental verändert hat: Während früher die Arbeitsplatzsicherheit seitens Unternehmen und Loyalität der Arbeitnehmenden im Vordergrund standen, sind heute die Arbeitsmarktfähigkeit der Angestellten und die Rentabilität der Unternehmen in den Fokus getreten. Die gegenseitigen Erwartungen und Wertvorstellungen haben sich dahingehend gewandelt, dass die Arbeitgeberin Leistungsbereitschaft, Eigenverantwortung und Flexibilität fordert. Die Arbeitnehmer suchen spannende Aufgaben, Entwicklungsmöglichkeiten und vermehrt die Möglichkeit, Freizeit, Familie und Beruf in Einklang zu bringen.
Wie werden die Werte in der Arbeitswelt von morgen aussehen? Welchem Werte-Kanon folgen Führungskräfte und Mitarbeitende in Zukunft? Welche Rolle spielt das HRM in der neuen Wertelandschaft?
Ein heterogen zusammengesetztes Team aus HRM- und Linien-Verantwortlichen sowie Beratenden unterschiedlicher Branchen und Unternehmensgrössen hat sich einen Tag zusammengesetzt und auf der Basis von vier Szenarien des Forschungsteams Swissfuture eine zukünftige Wertelandschaft der Arbeitswelt von morgen skizziert. Logik, Intuition und die Fähigkeit, über den eigenen Tellerrand hinauszusehen, waren dabei von den Experten gleichermassen gefordert.
Die Grundannahmen hinter den vier Szenarien
Bekannte Trends, die unsere Arbeitswelt bereits heute prägen, sind:
- Der demografische Wandel (sinkender Anteil der Jugend und Alterung der Erwerbsbevölkerung)
- Technologischer und wirtschaftlicher Wandel (Flexibilisierung von Arbeitszeiten und Arbeitsformen, Globalisierung)
- Steigendes Bildungs- und Qualifikationsniveau (Tertialisierung der Bildung)
- Migration (Zunahme an qualifizierten Arbeitskräften)
- Verstärkte Präsenz von Frauen in Wirtschaft und Politik
Neben diesen Trends wurden unterschiedliche ökonomische und politische Grundannahmen getroffen, welche Ausgangspunkt für die Wertediskussion in der Arbeitswelt von morgen bildeten.
Das EGO-Szenario (siehe Kasten oben) geht davon aus, dass die Schweiz über die nächsten Jahre einen weiteren Wohlstandszuwachs ausweisen wird. Die Schweiz steht als Nicht-Mitglied der EU mit den alten und neuen Wirtschaftsmächten auf gutem Fuss. Wettbewerb, Globalisierung und extensive Nutzung von Informations- und Kommunikationstechnologien prägen dieses Szenario.
Im CLASH-Szenario ist der Wohlstand deutlich gesunken. Der EU-Beitritt konnte den ökonomischen Niedergang nicht aufhalten. Erhöhte Arbeitslosigkeit und wenig erfolgreiche Integration der Zuwanderer zeigen sich. Ideologisch aufgeheizte Konflikte schlagen tiefe Gräben ins Zusammenleben unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen.
Das BALANCE-Szenario geht von einer wirtschaftlich positiven Entwicklung aus. Als EU-Mitglied ist es der Schweiz gelungen, Forschungs- und Innovationszentrum von Europa zu werden. Die Sozialwerke wurden der demografischen Entwicklung angepasst, die Vereinbarkeit von Beruf und Familie verbessert und das Thema Nachhaltigkeit konsequent verfolgt.
Im BIO-CONTROL-Szenario wird von einem Wohlstandsverlust ausgegangen. Die Schweiz ist politisch und wirtschaftlich vom Rest der Welt isoliert. Während der Staat im CLASH-Szenario in der Krise kapituliert, versucht er hier, die gesellschaftlichen Probleme präventiv bis repressiv in den Griff zu bekommen.
Die vier Werteszenarien führen zu unterschiedlichen Unternehmenskulturen, Führungsstilen und Selbstverständnissen des HRM (siehe Kasten).
Arbeitswerte in den Szenarien: hohe Dynamik im EGO-Szenario
In EGO sind Firmen fluide Netzwerke. Die Firmen arbeiten projektbezogen, managen externe Wissensträger und stehen vor komplexen Koordinationsaufgaben. Die Arbeitskräfte in EGO sind ausgesprochen karriereorientiert und verkaufen sich selbstbewusst mitunter auch über ihrem Wert. «No risk no fun», Scheitern und Reset gehören zu ihrem Lebenskonzept. Sie treten in diesem Fachkräftemarkt narzisstisch auf und verhalten sich gegenüber ihren Arbeitgebern illoyal; die Fluktuationsrate ist entsprechend hoch.
Führungsverantwortliche sind Winner-Typen, die es schaffen, externe Fachkräfte projektbezogen zu motivieren. Firmen haben weniger eine Kultur, sondern vertreten vielmehr eine Stilrichtung; sie gleichen einer Jam-Session im Jazz, bei der verschiedene Musiker sequenziell mitwirken – und nach dem Gig weiterziehen. In HR-Abteilungen in EGO geht es höchst dynamisch zu: Wie auf einer Börse wird international mit Talenten gehandelt. Wie Makler müssen HR-Manager ihre «Märkte» bestens kennen und nach Talenten Ausschau halten.
Längerfristige, sorgfältig gewählte Bindungen im BALANCE-Szenario
Während die Menschen in EGO von ihren individuellen Karrierevorstellungen angetrieben werden, gehen sie in BALANCE längerfristige Bindungen mit ihren Arbeitgeberinnen ein. Sie wählen in diesem ausgetrockneten Arbeitsmarkt ihre Arbeitgeberin entsprechend sorgfältig aus. In BALANCE steht nicht allein die Karriere im Zentrum, sondern die Gestaltung einer Work-Life-Balance respektive neu Life-Domain-Balance. Das Miteinander hat mehr Gewicht als das übertriebene Selfmarketing der Arbeitskräfte in EGO.
Innerhalb von Firmen gilt Partizipation als hoher Wert. Letztendlich fördert das die Identifikation der Mitarbeitenden mit ihrem Unternehmen. Die Unternehmen in BALANCE sind gewillt und bereit, in die nachhaltige Entwicklung und Weiterbildung ihrer Arbeitskräfte zu investieren und auf längerfristige Arbeitsverhältnisse mit ihren Mitarbeitenden zu setzen. Firmen gelten als Lebenspartner, die einen durch verschiedene Lebensphasen begleiten. Die sieben Jahre Auszeit für soziale Dienste oder Familie erhöhen diese Loyalität. Manche Krise zwischen Firma und Mitarbeitenden ist durch eine solche Auszeit überwunden worden, während sie in anderen Szenarien – etwa in EGO – zur sofortigen Trennung geführt hätte.
Solidarität in sozialen Mikrokosmen im CLASH-Szenario
Der starke Staat, der in CLASH gefordert wäre, um die wirtschaftliche Krise zu meistern, ist nicht vorhanden. Weil das Vertrauen in den Staat fehlt, rücken Arbeitskräfte zusammen und suchen die Nähe ihresgleichen; seien es ideologische, ethnische oder religiöse Gruppen. In sozialen Mikrokosmen wird Solidarität gelebt – auch innerhalb von Firmen wird Zugehörigkeit vermittelt. Die Führung in CLASH tritt charismatisch auf. Sie muss die Mitarbeitenden zu einer verschworenen Gemeinschaft zusammenschweissen. Es entstehen starke soziale Bindungen und Loyalitäten – nicht immer aus innerer Überzeugung, sondern auch aus der Not. Gemeinsam ist man stärker. Der Einzelne würde in dieser Gesellschaft zum Desperado. In CLASH gerät das HRM mitten in die Kampfzone: Es muss Entlassungen durchführen und zwischen Firmenführung, Gewerkschaften, Personalverbänden und Arbeitskräften vermitteln. Die Rolle ist also Adlatus der Geschäftsführung, der aber zugleich unter einem hohen Druck der Selbstlegitimation steht.
Kollektive Regulierung im BIO-CONTROL-Szenario
Andere Umstände, allen voran die lang andauernde ökonomische Krise, lassen aus dem Partizipations-ideal von BALANCE in BIO CONTROL eine kollektive, überbordende Regulierung und Planung werden: die Insel der Rechtschaffenen. Das Unternehmen wird in BIO CONTROL als lebender «Organismus» verstanden. Ein Organismus allerdings, der nicht einfach als natürlich hingenommen, sondern der nach wissenschaftlichen Erkenntnissen optimiert wird. Die staatlichen Regulierungen und die von den Firmen selbst auferlegten Standards und Quoten umfassen diverse Massnahmen der Biokontrolle. Klar definierte Prozesse (z.B. Total Quality Mind) erlauben es, die psychische wie physische Gesundheit der Arbeitskräfte sicherzustellen. Traditionelle Tugenden wie Ordentlichkeit, Pflicht und Präzision werden wertgeschätzt.
Das HRM hat in BIO CONTROL die Aufgabe, Prozessanwendungen zu überwachen. Eine seiner Hauptaufgaben besteht darin, die Daten von Bewerbenden genau zu überprüfen; nicht nur die beruflichen Qualifikationen, sondern auch deren Gesundheitszustand.
Schlussfolgerung
Die vier Grund-Szenarien der Studie beschreiben zwar extreme – aber in sich konsistente und plausible – Zukunftsbilder der Arbeitswerte unter verschiedenen Grundannahmen. Einige der darin genannten Tendenzen lassen sich bereits heute im Alltag beobachten wie das anspruchsvolle Alters- und Generationenmanagement oder die verbesserte Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Die Zukunft wird sich – je nach der gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Entwicklung – vermutlich aus einem Konglomerat der unterschiedlich beschriebenen Wertelandschaften zusammensetzen.
Die Studie
Die Haupt-Studie «Wertewandel in der Schweiz 2030» kann unter future@swissfuture.ch bezogen werden und kostet 50 Franken (inklusive Vertiefungsstudie «Die Werte in der Arbeitswelt von morgen»). Die Schlussfolgerungen geben Auskunft über Alters- und Generationenmanagement; ausländische Arbeitskräfte; Frauen, Beruf und Familie; Employer Branding und Loyalitätsmanagement; HR-Management und Wertewandel.
Bücher zum Thema
- Achim Feige. Good Business. Murmann Verlag, 2010. 200 Seiten, gebunden. CHF 37.90
- Gerd Köster. Kurskorrekturen. Bertelsmann Verlag, 2010. 330 Seiten, gebunden. CHF 65.90