Digitale Barrierefreiheit: 5 Berufsbilder mit wachsender Bedeutung
Seit Juni 2025 ist digitale Barrierefreiheit keine Kür mehr – sondern gesetzliche Pflicht. Der European Accessibility Act (EAA) verändert, wie digitale Produkte entwickelt werden. Und er schafft neue Berufsbilder, die über den klassischen IT-Bereich hinausgehen.

Neue Berufsfelder werden digitale Barrieren abbauen. (Bild: ChatGPT)
Mit dem European Accessibility Act, der am 28. Juni 2025 in der EU in Kraft tritt, hat sich der Rahmen für digitale Angebote deutlich verändert. Organisationen stehen vor neuen Herausforderungen, die zugleich eine umfassende Weiterentwicklung der Berufsfelder rund um digitale Barrierefreiheit nach sich ziehen. Das betrifft auch Schweizer Unternehmen.
Gesetzliche Vorgaben als Impulsgeber
Die gesetzlichen Bestimmungen fordern eine barrierefreie Gestaltung digitaler Angebote nach den Web-Content Accessibility Guidelines (WCAG) und dem europäischen Standard EN 301 549. Anforderungen umfassen die vollständige Bedienbarkeit per Tastatur, optimale Farbgestaltung, klar verständliche Inhalte sowie die Kompatibilität mit unterstützenden Technologien wie Screenreadern.
Obwohl der EAA ein Gesetz der Europäischen Union ist und somit für die Schweiz nicht direkt verbindlich ist, betrifft er dennoch indirekt viele Schweizer Unternehmen. Vor allem jene Firmen, die digitale Produkte und Dienstleistungen in EU-Ländern anbieten, müssen die EAA-Standards erfüllen, um auf diesen Märkten tätig sein zu dürfen. In der Schweiz existiert zudem das Behindertengleichstellungsgesetz (BehiG), das öffentliche Institutionen verpflichtet, digitale Angebote nach WCAG 2.1 AA und dem eCH-0059 Accessibility Standard barrierefrei zu gestalten.
Selbst wenn Unternehmen rechtlich nicht dazu verpflichtet sind, profitieren sie wirtschaftlich und gesellschaftlich erheblich von der freiwilligen Umsetzung dieser Standards, da sie sich eine breitere Zielgruppe erschliessen und ihr Markenimage verbessern.
Wirtschaftliches und gesellschaftliches Potenzial
Weltweit leben über eine Milliarde Menschen mit Behinderungen. Das bedeutet ein enormes, bisher oft unterschätztes wirtschaftliches Potenzial. Apps, Websites und andere digitale Erlebnisse so zu gestalten, dass sie für alle Nutzenden optimal funktionieren, erschliesst neue Kundengruppen und erweitert Märkte.
Darüber hinaus zeigt die gezielte Förderung digitaler Barrierefreiheit, dass Unternehmen ihre soziale Verantwortung ernst nehmen und erlaubt Ihnen, diese auch glaubwürdig nach aussen zu kommunizieren.
Fünf zentrale Berufsprofile im Bereich digitale Barrierefreiheit
Die Anforderungen des neuen Gesetzes bringen insbesondere fünf Berufsfeldern eine noch grössere Bedeutung:
- Beratung für digitale Barrierefreiheit: Fachkräfte in diesem Bereich unterstützen Organisationen aktiv dabei, gesetzliche Anforderungen zu verstehen und nachhaltig umzusetzen. Sie fungieren als Bindeglied zwischen technischen Vorgaben und deren praktischer Anwendung in digitalen Projekten.
- Fachkräfte für inklusives digitales Produktdesign: Diese Spezialist:innen entwickeln digitale Angebote, die von vornherein barrierefrei konzipiert werden. Sie verbinden kreative Kompetenz mit technischer Expertise, um innovative und zugleich inklusive Lösungen zu gestalten. Beispiele hierfür sind: intelligente Sprachsteuerungen, die Nutzer:innen mit motorischen Einschränkungen eine einfache Bedienung ermöglichen, oder spezielle KI-gestützte Übersetzungssysteme, die automatisch Inhalte in leichter Sprache generieren, um kognitive Barrieren abzubauen. Auch neuartige Apps, welche mittels haptischer und auditiver Feedback-Systeme blinden oder sehbehinderten Menschen den Zugang zu komplexen Anwendungen erleichtern, zählen dazu.
- Projektmanagement für Barrierefreiheit: Die Planung und Steuerung barrierefreier digitaler Projekte gehört zu den zentralen Aufgaben dieser Rolle. Projektmanager:innen koordinieren Testverfahren, Ressourcenmanagement und stellen sicher, dass die Barrierefreiheit dokumentiert und strategisch verankert wird.
- Forschung zur Nutzererfahrung im Kontext Barrierefreiheit: Forschende analysieren die Nutzung digitaler Produkte durch Menschen mit Behinderungen. Durch methodische und qualitative Untersuchungen liefern sie wertvolle Erkenntnisse, welche in die Produktentwicklung einfliessen und zu besseren Ergebnissen führen.
- Testpersonen mit spezifischen Nutzungserfahrungen: Die konkrete Überprüfung digitaler Angebote durch Menschen mit Behinderungen ist unverzichtbar für die Identifikation bestehender Barrieren. Ihre praktische Expertise liefert entscheidende Impulse für konkrete Optimierungen der digitalen Produkte.
- Verankerung von Inklusion in der Unternehmenskultur: Die Einführung digitaler Barrierefreiheit ist ein langfristiger Prozess, der über technische Anpassungen hinausgeht. Nachhaltiger Erfolg hängt wesentlich von der Unternehmenskultur ab. Inklusive Strukturen und gelebte Vielfalt bilden die Grundlage dafür, dass Barrierefreiheit nicht nur umgesetzt, sondern kontinuierlich verbessert wird.
Strategische Handlungsempfehlungen
- Aufbau und Pflege interner Kompetenzen im Bereich Barrierefreiheit.
- Integration inklusiver Designprinzipien in den gesamten Entwicklungsprozess.
- Konsequente Nutzung von Feedback durch Nutzer:innen mit Behinderungen.
- Systematische Schulung und Sensibilisierung aller Beteiligten innerhalb der Organisation.
Organisationen, die diesen Weg frühzeitig einschlagen, profitieren langfristig sowohl wirtschaftlich als auch hinsichtlich ihrer gesellschaftlichen Wirkung.