Diskriminierung im Bewerbungsprozess
Diskriminierung im Bewerbungsprozess ist trotz zunehmender Sensibilisierung nach wie vor ein hartnäckiges Problem. Welche Formen von Diskriminierung existieren, welche Auswirkungen sie haben und wie Unternehmen gegensteuern können, beleuchtet dieser Beitrag anhand der neuesten Erkenntnisse aus dem Greenhouse Candidate Experience Report 2024.
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Mit Blick auf den Fachkräftemangel sind Unternehmen aufgefordert, ihre Bewerbungsverfahren fair und transparent für beide Seiten zu gestalten. Trotzdem gibt es immer noch zahlreiche Beispiele, bei denen Bewerbungsprozesse aus Sicht der Bewerbende frustrierend und ineffizient sind.
Frustrationsfalle Bewerbungsprozess
Die drei grössten Herausforderungen für Arbeitssuchende im DACH-Raum sind, laut dem Greenhouse Candidate Experience Report, aktuell Vergütungsangebote, die unter den Erwartungen liegen bzw. nicht den suggerierten Verdienstmöglichkeiten entsprechen (35 %), unklare Stellenbeschreibungen (34 %) und mangelnde Kommunikation von Unternehmen und Personalvermittlern während des Einstellungsprozesses (32 %).
Darüber hinaus zeigt die Befragung, dass Bewerbende auch heute noch Diskriminierung im Bewerbungsprozess erleben, was ebenfalls Frust auslöst. Diese kann in vielen Formen auftreten, schrecken qualifizierte Kandidatinnen und Kandidaten ab und schädigen die Arbeitgebermarke nachhaltig.
Ethnische Diskriminierung ist eine der häufigsten und am stärksten verbreiteten Formen der Diskriminierung im Bewerbungsprozess. Studien zeigen, dass Bewerbende mit ausländisch klingenden Namen seltener zu Vorstellungsgesprächen eingeladen werden als ihre Pendants mit typisch einheimischen Namen, selbst wenn ihre Qualifikationen identisch sind. Diese Praxis führt dazu, dass talentierte Individuen aufgrund ihrer ethnischen Herkunft von vornherein ausgeschlossen werden und ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt erheblich eingeschränkt sind.
Potenzielle Kandidatinnen und Kandidaten erleben im Bewerbungsprozess häufig Diskriminierung in Form von unangemessenen Fragen zu ihrem Familienstand, ihrer Kinderplanung oder ihrer Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Insgesamt ist die Wahrscheinlichkeit, dass Frauen bei Vorstellungsgesprächen diskriminierende Erfahrungen machen, um 16 % höher als bei Männern. Solche Fragen sind nicht nur unzulässig, sondern auch entmutigend und können qualifizierte Kandidatinnen davon abhalten, sich auf bestimmte Positionen zu bewerben.
Zudem kann es zu Diskriminierung aufgrund des Alters – zu jung oder zu alt – kommen, ebenso wie zu Diskriminierung aufgrund von Behinderungen. Eine allgemeine Unwissenheit über ihre Bedürfnisse führen dazu, dass sie im Bewerbungsprozess benachteiligt werden. Diese Diskriminierung verhindert nicht nur, dass talentierte und fähige Individuen eine Anstellung finden, sondern schadet auch der Vielfalt und Inklusion am Arbeitsplatz.
Lösungen und Best Practices
Um Diskriminierung im Bewerbungsprozess zu bekämpfen, müssen Unternehmen gezielte Massnahmen ergreifen und eine Kultur der Inklusion fördern. Eine positive Unternehmenskultur und ein starkes DE&I-Konzept sind entscheidend für die Gewinnung und Bindung von Talenten. Besonders die jüngere Generation legt grossen Wert auf Diversität und Inklusion.
Laut dem Greenhouse Candidate Report sagen drei Viertel der Bewerbenden in den USA (76 %) und der DACH-Region (74 %), dass die Unternehmenskultur und -reputation ihre Entscheidung, sich auf eine Stelle zu bewerben, beeinflussen. Bewerbende suchen zunehmend nach Arbeitgebern, die ihre Werte teilen und sich für Vielfalt und Inklusion einsetzen.
Einige bewährte Praktiken, die helfen können, den Rekrutierungsprozess fairer und inklusiver zu gestalten:
Strukturierte Bewerbungsverfahren und Interviews
Um Diskriminierung bereits im Vorfeld zu vermeiden, ist es entscheidend, dass potenzielle Stellen im Rahmen einer vorausgehenden, umfassenden Analyse ausgeschrieben werden. Dieser Prozess beginnt mit einer Kick-off-Besprechung, um die Erwartungen und Bedürfnisse des Unternehmens für die Rolle zu klären. Auch sollte die Stellenanzeige gut durchdacht sein und ohne geschlechtsspezifische Sprache formuliert werden, um eine breite und diverse Gruppe von Bewerbende anzusprechen.
Eine der effektivsten Methoden, um Diskriminierung zu vermeiden, ist die Implementierung standardisierter Interviewfragen. Strukturierte Interviews, bei denen allen Bewerbende die gleichen Fragen gestellt werden, helfen, subjektive Bewertungen zu minimieren und die Objektivität zu erhöhen. Diese Vorgehensweise stellt sicher, dass Entscheidungen auf der Grundlage von Qualifikationen und Fähigkeiten getroffen werden und nicht von persönlichen Vorurteilen beeinflusst werden.
Bewusstseinsschulungen
Regelmässige Schulungen für an Einstellungsprozessen beteiligte Mitarbeitende zu den Themen Diversität und unbewusste Vorurteile sind unerlässlich. Solche Schulungen helfen den Mitarbeitenden, ihre eigenen Vorurteile zu erkennen und zu verstehen, wie diese ihre Entscheidungen beeinflussen können. Durch die Sensibilisierung für diese Themen können Unternehmen eine inklusivere Kultur fördern und Diskriminierung im Bewerbungsprozess reduzieren.
Vielfältige Rekrutierungsteams können zudem besser einschätzen, welche Massnahmen notwendig sind, um eine inklusive Arbeitsumgebung zu schaffen und sicherzustellen, dass alle Bewerbende fair behandelt werden.
Transparente Kommunikation
Eine kontinuierliche und transparente Kommunikation mit Bewerbenden ist entscheidend, um Vertrauen aufzubauen und Missverständnisse zu vermeiden. So erlebten gut 36 Prozent der DACH-Befragten schon einmal eine Kürzung des ausgeschriebenen Gehalts nach einem Vorstellungsgespräch – eine Praktik, die umgangssprachlich als Bait-and-Switch bekannt ist. Unternehmen sollten klare Informationen über den Bewerbungsprozess, die Anforderungen und die Entscheidungskriterien bereitstellen. Transparente Kommunikation zeigt den Bewerbenden, dass ihre Zeit und Mühe geschätzt werden und trägt zu einer positiven Candidate Experience bei.
Anonyme Bewerbungsverfahren
Ein weiterer Ansatz zur Vermeidung von Diskriminierung ist die Einführung anonymisierter Bewerbungsverfahren. Durch das Entfernen von Informationen wie Namen, Geschlecht, Alter und Herkunft aus den Bewerbungsunterlagen können Unternehmen sicherstellen, dass die Auswahl ausschliesslich auf der Grundlage der Qualifikationen und Fähigkeiten der Bewerbende erfolgt. Diese Praxis hat sich in einigen Ländern und Unternehmen bereits bewährt und trägt dazu bei, unbewusste Vorurteile zu reduzieren.
Nutzung von Technologie
Es ist keine Überraschung, dass ein weiterer Trend, der in den kommenden Jahren zunehmen wird, der Einsatz von künstlicher Intelligenz (KI) in Einstellungsprozessen ist. So haben Bewerber in der DACH-Region bereits heute während des Bewerbungsprozesses genauso viel Kontakt mit KI-Anwendungen wie mit Menschen. Das ist eines der Ergebnisse des letzten EMEA HR Manager AI & Bias Pulse Reports von Greenhouse. KI-gestützte Tools sollen unter anderem helfen, Bewerbungen effizienter zu prüfen und unbewusste Vorurteile zu minimieren.
Allerdings ist es wichtig, sicherzustellen, dass die verwendeten Algorithmen auf Vorurteile überwacht und regelmäßig überprüft werden, um Diskriminierung zu vermeiden. So hatte ein Drittel der DACH-Befragten den Eindruck, ihre Bewerbung sei schon einmal aufgrund von vorurteilsbehafteten KI-Tools oder fehlenden Qualifikationen von Anfang aus dem Verfahren ausgeschlossen worden, ohne dass sie Gelegenheit hatten, die HR-Manager persönlich von sich zu überzeugen.
Umgekehrt gaben gut 30 Prozent der befragten Beschäftigten an, KI würde Bewerbungsprozesse erleichtern. Sie verwendeten entsprechende Tools besonders häufig, um relevante Stellenangebote zu finden, sich auf Vorstellungsgespräche vorzubereiten und Bewerbungsunterlagen zu erstellen.
Fazit
Trotz der Herausforderungen im Bewerbungsprozess blickt laut der Studie die Mehrheit (69 Prozent) der Befragten aus dem DACH-Raum positiv in ihre berufliche Zukunft. Zudem ist der Arbeitsmarkt von einer hohen Wechselbereitschaft geprägt: 81 Prozent der Arbeitnehmenden erwägen einen Jobwechsel innerhalb der nächsten sechs Monate.
Um diese Chance im Recruiting zu nutzen und Ernüchterung und Frustration zu vermeiden, sollten Unternehmen ihre Einstellungspraktiken modernisieren und fairer gestalten. Durch strukturierte Bewerbungsprozesse, Bewusstseinsschulungen und transparente Kommunikation können Arbeitgeber eine faire, inklusive Rekrutierungsstrategie entwickeln und eine positive Candidate Experience schaffen.