swissstaffing-News

Ein liberaler Arbeitsmarkt – das beste Rezept

Ein liberaler Arbeitsmarkt ist der beste Garant für Beschäftigungssicherheit und hohe Löhne. Diese Feststellung verdient zwar keinen Nobelpreis, ist sie doch hinlänglich bekannt. Doch der positive Zusammenhang zwischen einem freien Arbeitsmarkt und einer hohen Beschäftigungsquote droht immer wieder in Vergessenheit zu geraten. Gerade eben durchleben wir wieder Zeiten, in denen die Flexibilität des Arbeitsmarktes – und dies nicht nur in der Schweiz – angegriffen wird. Die Mindestlohninitiative des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes ist nur ein Beispiel. Ein anderes sind Forderungen der Linken in Deutschland (aber auch in der Schweiz) nach einer Beschränkung der Temporärarbeit. Doch werfen wir zunächst einen Blick in die Statistik und vergewissern wir uns ein weiteres Mal, wie gut die Liberalität dem Schweizer Arbeitsmarkt bekommt.

Das Erfolgsmodell Schweiz

Es gibt Wissenschaftler, die nennen den Schweizer Arbeitsmarkt ein «Erfolgsmodell» – so zum Beispiel Professor Thomas Straubhaar von der Universität Hamburg. Der Vergleich der Erwerbslosenquoten in Europa ist tatsächlich bestechend: Nur 4,1 Prozent der 15- bis 64-Jährigen in der Schweiz sind ohne Arbeit. Der EU-Schnitt beläuft sich auf mehr als das Doppelte (8,7 Prozent). Doch das ist nur eine Facette des Erfolges. Bemerkenswert gut schneidet der Schweizer Arbeitsmarkt auch hinsichtlich der Löhne ab (Grafik 1). Diese liegen praktisch nirgendwo in der EU über dem Schweizer Niveau.

Die Beschäftigten in der Schweiz profitieren aber nicht nur von hohen (Brutto-)Löhnen. Auch die Besteuerung ist im europäischen Vergleich äusserst niedrig. Schweizer Arbeitnehmende müssen (im Durchschnitt) 22 Prozent ihres Lohnes in Form von Sozialbeiträgen und Steuern abliefern. In den meisten EU-Ländern liegt dieser Wert zwischen 25 Prozent und fast doppelt so hohen 40 Prozent (Grafik 2). Und damit wären wir auch schon bei den Gründen für das gute Abschneiden des Schweizer Arbeitsmarktes. Denn tiefe Steuern und Sozialabgaben wirken aufs Individuum motivierender, einer Arbeit nachzugehen, als ein System, in dem fast die Hälfte des Verdienten wieder abgegeben werden muss. Eine niedrige Besteuerung der Unternehmen fördert ausserdem deren Bereitschaft, Personal einzustellen beziehungsweise Jobs zu schaffen. Bezüglich der Lohnnebenkosten für die Arbeitgeber gehört die Schweiz wiederum zu den Spitzenreitern Europas. Die durchschnittlichen Lohnnebenkosten für ein Schweizer Unternehmen betragen 11 Prozent. Die Mehrheit der EU-Länder kennt dagegen Abgaben, die doppelt bis dreimal so hoch sind (Grafik 3). Zudem geht die Schweizer Politik eben nicht nur in finanzieller, sondern auch in regulativer Hinsicht schonend mit dem heimischen Arbeitsmarkt um. Die gesetzlichen Regelungen der Arbeit sind relativ schlank. Ein gutes Beispiel dafür ist der Kündigungsschutz, der den Unternehmen viel Handlungsspielraum lässt und im europäischen Vergleich seinesgleichen sucht.

Weiterreichende Vorschriften finden sich dagegen in dezentral organisierten Gesamtarbeitsverträgen. Diese sind der spezifischen Situation (Branche, Beruf, Region) angepasst und werden durch die direkt Betroffenen – Arbeitgeber und Arbeitnehmende einer Firma beziehungsweise Branche – etabliert. Dass dabei intelligente und effiziente Regeln entstehen, ist logisch: Erstens legiferieren Menschen, die genau wissen, wovon sie reden. Zweitens kommt es nur zu einer Regel, wenn sich beide Seiten – Beschäftigte und Unternehmen – einig sind. Das Resultat ist ein liberales und flexibles System.

Die Angst vor der Flexibilisierung

Doch die Freiheiten am Arbeitsmarkt – gepaart mit volkswirtschaftlichen Entwicklungen wie Globalisierung, Technologisierung und Wandel zur Wissensgesellschaft – lösen auch Ängste aus. Das veranlasst Linke und Gewerkschaften, rhetorisch und politisch dagegen anzukämpfen. Dabei gerät auch die Temporärarbeit (wieder) in den Fokus der Gewerkschaften. Der Schweizerische Gewerkschaftsbund hat hierbei kürzlich kühne Berechnungen angestellt, um zu «beweisen», dass die Temporärarbeit Dauerstellen verdrängt. Diese Berechnungen sind statistisch gesehen abenteuerlich, weil die Datenlage in der Schweiz einen entsprechenden Schluss gar nicht zulässt.

Aber auch – und vor allem – aus ökonomischer Sicht ist die Verdrängungsthese nicht haltbar. Der Wettbewerbs- und damit Überlebenskampf erfordert von den Unternehmen mehr Agilität denn je. Im Global Village gibt es mehr Konkurrenten als früher. Deshalb gehen die Unternehmen dazu über, just in time, das heisst auf Bedarf hin, zu produzieren und die Fixkosten zu minimieren. Die Temporärarbeit bildet dabei eine passende Antwort auf die gewandelten Unternehmensbedürfnisse. Deshalb ist sie in den letzten Jahren stark gewachsen. Das Volumen der von temporär Arbeitenden geleisteten Einsatzstunden hat in den letzten zehn Jahren um knapp 70% zugenommen. Den krisenbedingten, deutlichen Einbruch im Jahr 2009 hat die Temporärarbeitsbranche gemäss ersten Wachstumsschätzungen im vergangenen Jahr bereits fast wieder kompensiert.

Es gibt also einen Trend bei den Unternehmen, ihre Belegschaft zu flexibilisieren – und das heisst manchmal auch, feste Stellen in flexible Jobs umzuwandeln. So weit mag die gewerkschaftliche Verdrängungsthese ein Korn Wahrheit beinhalten. Doch die entscheidende Frage ist: Was wäre mit diesen Jobs passiert, wenn es keine Temporärarbeit gäbe? Da die Unternehmen ihre Fixkosten reduzieren wollen beziehungsweise müssen, liegt die Vermutung nahe, dass diese Jobs nicht einfach als Dauerstellen beibehalten worden wären. Fixkosten kann man nämlich auch mit Auslagerungen oder Technologisierung senken. Von der Tatsache ganz zu schweigen, dass gewisse Unternehmen ohne die Möglichkeit, ihre Kostenstruktur anzupassen, eingehen würden. Die Alternative zu den Temporärjobs wären somit viel wahrscheinlicher gar keine Jobs.

Dafür spricht auch eine Studie des europäischen Personaldienstleisterverbandes Eurociett. Er wollte wissen, zu welchem Instrument die Unternehmen gegriffen hätten, wenn ihnen die Temporärarbeit nicht zur Verfügung gestanden hätte. Das Resultat ist eindeutig: Nur gerade 15% der von temporär Arbeitenden erbrachten Arbeit hätten die Unternehmen stattdessen mit der Einstellung von Festpersonal durchgeführt. 60% der Arbeit hätten die bereits im Betrieb beschäftigten Festangestellten mit Überzeit erbringen müssen, ohne dass also zusätzliche Jobs entstanden wären. Die restlichen 25% wären über Outsourcing-Lösungen abgedeckt oder schlichtweg nicht erledigt worden. Dank der Temporärarbeit werden also vor allem neue Stellen geschaffen und keine bestehenden verdrängt. Das beweist auch der Fakt, dass die Arbeitslosigkeit in der Schweiz seit dem Gipfel der Finanz- und Wirtschaftskrise bereits wieder deutlich gesunken ist. Hätte, wie von den Gewerkschaften befürchtet, auf breiter Front eine Verschiebung von Dauerstellen zu flexiblen Jobs stattgefunden, wäre die Arbeitslosenquote unverändert geblieben.

Erfolgsrezept nicht gefährden

Auf einem zunehmend flexiblen Arbeitsmarkt sorgen just die Temporärfirmen für Beschäftigungssicherheit. Sie wissen, wo gerade weniger produziert wird und wo die Produktion dagegen heraufgefahren wird. Dementsprechend können sie vermitteln und die Stellensuchenden da einsetzen, wo Bedarf besteht. Für die Arbeitnehmenden (und Unternehmen) bedeutet das zwar mehr Wechsel, aber im Grundsatz eben trotzdem Beschäftigungssicherheit. Gleichwohl sind wir heute (noch) nicht an einem Punkt angelangt, wo viele Menschen über Jahre hinweg von Einsatzbetrieb zu Einsatzbetrieb wechseln. Die allermeisten temporär Arbeitenden bleiben nur ein paar Monate bei dieser Arbeitsform. Für viele unter ihnen bildet der Temporärjob nämlich ein Sprungbrett in eine Dauerstelle. Andere – häufig junge – temporär Arbeitende rücken dann nach.

Deshalb ist es riskant, wenn versucht wird, die Flexibilität am Arbeitsmarkt mit einem Top-down-Ansatz zu beschneiden – zum Beispiel durch eine gesetzliche Beschränkung der Temporärarbeit, wie es die Sozialdemokraten in Deutschland fordern. Auch die in der EU geführte Equal-Pay-Debatte ist eine schwierige. Denn es ist komplex zu definieren, wann eine Dauerstelle und ein Temporärjob vergleichbar sind. Häufig verrichten temporär Beschäftigte andere – zum Beispiel repetitive oder einfachere – Arbeiten. Zudem bleiben sie meist nur für kurze Zeit angestellt. Sie verfügen deshalb über weniger Betriebserfahrung beziehungsweise häufig generell über weniger Berufserfahrung.

Ausserdem erfordert eine Equal-Pay-Regelung auf Seiten der Personaldienstleister unglaublich grosses Wissen über die unterschiedlichsten Branchenlöhne und sonstigen -regelungen. Was die Schweizer Personaldienstleister im Bereich von allgemeinverbindlichen Gesamtarbeitsverträgen mit Bürokratieaufwand in Millionenhöhe heute schon bewerkstelligen müssen, schätzen deren Kollegen aus Deutschland als «administratives Harakiri» ein. Die Deutschen kennen heute stattdessen einen Zeitarbeits-Mindestlohn. Deshalb erscheint auch im Falle der Schweiz der anvisierte, auf dem Bottom-up-Weg von temporär Arbeitenden und Personaldienstleistern ausgehandelte Branchen-GAV als die viel zielführendere und geeignetere Lösung.

Kommentieren 0 Kommentare HR Cosmos
Myra Fischer Rosinger

Myra Fischer-Rosinger ist Direktorin von swissstaffing, dem Branchenverband der Personaldienstleister. Die Politologin und Volkswirtschaftlerin prägt die Entwicklung von swissstaffing seit 2006. Massgeblich beteiligt war sie an der Einführung des Gesamtarbeitsvertrags Personalverleih, der seit 2012 in Kraft ist. Im Branchenverband swissstaffing sind 300 schweizerische Personaldienstleister organisiert. Der Arbeitgeberverband ist Kompetenz- und Servicezentrum für die Temporärbranche und vertritt die Anliegen seiner Mitglieder gegenüber Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. www.swissstaffing.ch

Weitere Artikel von Myra Fischer-Rosinger