«Ein in sich ruhender Chef trägt viel zu einer Zufriedenheitskultur bei»
Mehr Macht + mehr Geld = mehr Glück? Diese Formel stimmt für Johannes Czwalina ganz und gar nicht. Dass das eigene Wohlbefinden der wahre Erfolg im Leben ist, vermittelt der Managementcoach und Autor Kaderleuten aus ganz Europa, die trotz Geld und Macht unglücklich und ausgebrannt sind.
Johannes Czwalina: «Chefs, die sich für Zuwendungsfähigkeit entscheiden, haben sehr grossen Einfluss auf das Lebensglück ihrer Mitarbeiter.» (Foto: zVg)
Herr Czwalina, warum sind so viele Menschen mit ihrer Arbeit unglücklich?
Johannes Czwalina: Ich begegne immer wieder Menschen, die keinen Sinn in ihrer Arbeit sehen und keinerlei Wertschätzung erleben. Diese Gruppe von Unglücklichen neigt dazu, zu viel Verantwortung für ihr Glück beim Arbeitgeber zu deponieren und zu wenig ihren eigenen Anteil an Eigenverantwortung für ihr Arbeitsglück zu erkennen. Auch bei einem neuen Arbeitsplatz stellt sich das Glück dann nicht wie erhofft ein. Diese Menschen haben das «Babylon» des Unternehmens nicht wirklich verlassen, sondern nur ummöbliert. Sie treffen am neuen Ort wieder ähnliche Typen an, unter denen sie wie vorher leiden. Die Lösung für Glück liegt also nur zum Teil an der Veränderung des Arbeitsplatzes und der Umstände.
Worin liegt die Lösung?
Nicht im idealen Arbeitsplatz, sondern in erster Linie in uns selbst, im Wissen um unsere eigene Verantwortung für unser Wohlergehen und Arbeitszufriedenheit, in unserer eigenen «inneren Ordnung». Das ist auch der Grund dafür, warum wir selbst bei idealen Arbeitsbedingungen oft unglückliche und unzufriedene Menschen und andererseits bei den unvorteilhaftesten Arbeitsplätzen auch fröhliche und zufriedene Menschen finden.
Wie hängen Arbeit und Glück denn nun zusammen?
Beim Einkaufen in meinem Wohnort Riehen gibt es eine ältere Frau an der Kasse, die jedem Kunden mit einem wertschätzenden Blick und einem freundlichen Gruss begegnet, und das acht Stunden am Tag. Dieser Frau sollten wir diese Frage stellen.
Vielleicht hat sie einen kompetenten Chef und nette Kollegen?
Ein in sich ruhender Chef kann zweifelsfrei extrem viel zu einer Zufriedenheitskultur beitragen. Der ideale Chef versteht sich in erster Linie als Leader, der seine primäre Aufgabe darin sieht, Potenziale seiner Mitarbeiter durch Ermutigung zu entfalten. Er versteht sich erst in zweiter Linie als Manager. Würden mehr Chefs ihre Verantwortung den Menschen gegenüber und nicht nur den Zahlen gegenüber wahrnehmen, könnte viel Gefühl von Unglück abgebaut werden.
Der Chef hat also enormen Einfluss auf das Wohlergehen und Glück seiner Mitarbeiter?
Chefs, die sich für Zuwendungsfähigkeit entscheiden, die mit Menschen gerne zusammenarbeiten, die Signale der Wertschätzung setzen, haben sehr grossen Einfluss auf das Lebensglück ihrer Mitarbeiter. Solche Chefs werden dringend gebraucht. Neben den vielen Managern, die nur die Gewinnmaximierung im Blick haben, gibt es Gott sei Dank auch Führungskräfte, die andere Werte in den Vordergrund stellen, die auf Nachhaltigkeit setzen und menschlich führen. Und das finanzielle Resultat, das diese Leute durch diese Grundhaltung für ihr Unternehmen erreichen, ist schlussendlich sogar höher als jenes durch blosses Anwenden von Managementinstrumenten. Die Marktwirtschaft sollte im Bilde gesprochen der Bock sein, der dem Gärtner bei der Gartenarbeit hilft. Heute haben wir es mit erschöpften Gärtnern zu tun, die sich vom Bock durch den Garten jagen lassen. Der Druck und die Hektik werden dann nach unten weitergeleitet. Die vordergründig gesuchten Supermanager können kurzfristig eine Firma weiterbringen, langfristig zerstören sie aber mehr als sie aufbauen, denn sie handeln wider die menschliche Natur.
Sie treffen immer wieder auf Führungskräfte, die ja selbst – trotz Geld und Macht – unglücklich und ausgebrannt sind …
Viele Trends versuchen uns einzureden: mehr Macht + mehr Geld = mehr Glück. Ich habe in 30 Jahren Berufserfahrung festgestellt, dass diese Formel nicht stimmt. Erfolg ist Glück und Wohlergehen. Macht und Wohlstand ohne Wohlgefühl ist doch Misserfolg und nicht Erfolg. Das müssen auch immer mehr Führungskräfte erkennen.
Warum trägt die gute Position nicht zum Wohlbefinden bei?
Das Problem ist, dass viele Menschen überhaupt nicht mehr über das Thema der Erfüllung durch Arbeit nachdenken, sondern nur über den finanziellen Aspekt. Arbeit ist aber als eigenständiger Wert wichtig und nicht nur als Mittel zum Geldverdienen. So wird Arbeit von denen, die sie suchen, und von denen, die sie geben, zu einseitig von der finanziellen Ausbeute her betrachtet. Es geht um Profit statt um Lebensqualität. Fällt der Profit weg, fallen wir in ein tiefes Loch. Wir müssen wieder verstehen, dass Arbeit als solche zur Würde des Menschen gehört, unabhängig von der materiellen Ausbeute.
Welche Signale sollten aus der Personalpolitik kommen?
Die Personalpolitik muss dem Einzelnen vermitteln können, dass er keine Nummer ist, sondern mit seiner ganzen Persönlichkeit einen unverzichtbaren Faktor für den Unternehmenserfolg darstellt. Die Personalpolitik muss in erster Linie die Faktoren Wertschätzung, Motivation, Zielsetzung und Leadership vermitteln. Die Personaladministration selbst muss dabei immer nur professionelles Mittel sein, aber darf nicht zum Ziel degenerieren. Personalpolitik muss sich auf die Persönlichkeit des Einzelnen einstellen können und in diesem Sinne den Teil der persönlichen Begleitung als Feld zurückgewinnen, den einzelne Führungskräfte heute nicht mehr vollständig wahrnehmen können. Ein bis zwei persönliche Sätze pro Monat, die Anerkennung vermitteln, bewirken im Allgemeinen mehr als Grünpflanzen, Tapetenfarbe, Ruheräume und grosszügige Dienstfahrzeugregelung. Das HR muss sich bei den einzelnen Geschäftsführern diese eigentliche Beauftragung selbstbewusst zurückerobern.
Sie sagen, der Mensch braucht Arbeit wie Luft, Nahrung und Liebe … Was muss sich verändern, um dieser Sichtweise Rechnung zu tragen?
Arbeit gehörte von jeher zur Ehre und Würde des Menschen – unabhängig von der materiellen Ausbeute. Die Schlüsselworte, von denen aus wir einen neuen Weg finden, lauten: Sinn, Integrität, Zivilcourage – nicht als Anhängsel oder als Mittel zum Zweck, sondern als selbststeuerndes Prinzip, unabhängig von jeder Kosten-Nutzen-Rechnung. Die nächste Generation wird nicht mit Zukunftshoffnung leben können, wenn sie nicht auf Vorbilder mit mutigem Charakter zurückgreifen kann. Ich wünsche mir viele Menschen, die querdenken und die sich gegen die zunehmende Fremdbestimmung wehren.
Johannes Czwalina
studierte Archäologie in Jerusalem und Theologie in Basel. Seit 1973 lebt er in der Schweiz. Zehn Jahre arbeitete er als Pfarrer in Basel. Seit 1993 leitet er in Riehen das Institut Czwalina Consulting AG und berät Führungskräfte in ganz Europa. Neben seiner Tätigkeit als Managementcoach tritt Johannes Czwalina regelmässig als Referent auf und ist Autor verschiedener
Bücher. Er ist zudem Gründer beziehungsweise Mitbegründer zahlreicher sozialer Einrichtungen wie der gemeinnützigen Gesellschaft zur Beratung von Führungskräften in schwierigen
Phasen, eines Jugendzentrums und sozialer Werkstätten in Basel und einer Gedenkstätte für jüdische Flüchtlinge in Riehen.
www.czwalinaconsulting.com
Buchtipp
Johannes Czwalina, Clemens Brandstetter: Vom Glück zu arbeiten. Warum eine würdevolle Arbeit so wichtig ist. Frankfurter Allgemeine Buch, 2010. 200 Seiten, gebunden CHF 43.50