«Eine Krise ist nichts anderes als der Zwang, sich zu verändern»
Er studierte Sportwissenschaften und war selbst Spitzensportler. Dann brach sich Boris Grundl im Alter von 25 Jahren bei einem Klippensprung den siebten Halswirbel und verlor zunächst alles. Bis er sich auf seine Stärken besann. Heute ist Boris Grundl ein gefragter Management-Coach und Experte in Sachen Selbstführung. HR Today erzählt er, was Führungskräfte, insbesondere in Krisenzeiten, von ihm lernen können.
Boris Grundl: «Die Frage ist nicht, ob eine
Krise zur Chance wird,
sondern wann eine Krise zur Chance wird.»
(Foto: Wolfgang List)
Herr Grundl, Sie bauen wirkungsvolle Führung auf drei Säulen: wie ich mich selbst führe, wie ich mich führen lasse und wie ich andere führe. Warum ist es so wichtig, als Führungskraft auch die anderen Blickwinkel zu kennen?
Boris Grundl: Eine Führungskraft lässt sich leiten – vom Unternehmen, von gewissen Werten, von Atmosphärischem. Und natürlich von den Empfindungen und Resonanzen der Mitarbeiter. Diesen Umstand muss man sich als Führungskraft bewusst machen, um nicht in die Rolle des «süssen Onkels» zu verfallen. Ich bin als Manager nicht dafür zuständig, dass es meinen Mitarbeitern gut geht. Die wichtigste Aufgabe ist, die Mitarbeiter so zu behandeln, dass sie sich entwickeln. Dafür muss ich mitunter etwas kerniger auftreten, auch auf die Gefahr hin, dass das Leiden verursacht. Wenn jemand durch einen Entwicklungsprozess geht und kurz vor einem Sprung nach vorne steht, hat das immer mit Angst und Widerstand zu tun. In dem Moment kann ich nicht nett sein, sondern muss den Mitarbeiter fordern: «Du musst jetzt trotzdem da durch!» Ich habe als Führungskraft mein starkes Ego zurückzunehmen, um das Team und den Einzelnen zu entwickeln. Das ist die Basis der Selbstführung.
Wie führe ich andere? Das einfachste Modell ist das, wo einer was sagt und die anderen machen. Das ist der pure Gehorsam. Die Mitarbeiter richten sich an dem einen Kopf aus. Solch eine Kultur verhindert, dass sich unterschiedliche Gehirne in ihrer Kreativität zusammenschliessen und die kollektive Intelligenz nutzen. Es ist doch meist so: Wenn ich den Zugang zu einem Menschen suche und merke, dass es nicht funktioniert, stelle ich in der Regel den anderen in Frage. Besser ist es aber, sich selbst in Frage zu stellen und den eigenen Zugang zum anderen zu überdenken. Dadurch erreiche ich mehr Menschen und agiere nicht mehr rein nach dem Machtprinzip. Konflikte laufen nach ähnlichem Muster ab. Wenn es mir gelingt, einfach mal anders zu handeln als bisher, bekomme ich sofort auch andere Ergebnisse. Wenn ich an der ersten Säule «Wie führe ich mich selbst?» konsequent arbeite, wird meine Fähigkeit, zu kommunizieren, zu delegieren, Menschen zu gewinnen, auch über Hindernisse zu führen, dramatisch zunehmen.
Ihr letztes Buch «Steh auf!» handelt von der Fähigkeit und dem Willen, sich selbst zu führen. Warum ist das so wichtig?
Wenn ich in die Runde frage: «Wer will denn im nächsten Jahr an Erfüllung und Erfolg drauflegen?», gehen alle Hände hoch. Dann frage ich: «Wer von Ihnen weiss ganz genau, was er ändern muss, damit überhaupt die Chance besteht?» Wenn zwischen fünf und zehn Prozent die Hand heben, ist es viel. Das bedeutet, die Erwartung ist da, dass ein Plus kommt. Doch dann wird so weitergemacht wie bisher. Das ist Dummheit. Das, was Sie heute hierhergebracht hat, bringt Sie nicht dorthin, wo Sie hinwollen. Das impliziert eine Veränderung. Es gibt zwar Dinge, die ich nicht direkt beeinflussen kann, aber eines kann ich beeinflussen: den klaren Blick auf mich selber.
Sie sagen, Sie wollen nicht motivieren, sondern Führungskräfte dazu inspirieren, sich selbst und andere auf höchstem Niveau zu führen. Wie funktioniert das?
Mein erster Satz im Vortrag ist immer: Wer motiviert werden will, tut mir leid. Motivieren heisst ja, ich möchte den Menschen etwas geben, was sie nicht haben. Das ist Arroganz. Aber ich kann den Menschen Werkzeuge in die Hand geben, mit denen sie ein bisschen tiefer in sich hineinschauen können. Mehr geht nicht.
Welche Werkzeuge sind das?
Selbsterkenntnis. Indem ich die Menschen nicht direkt anspreche, sondern parallel eine Geschichte erzähle, in der sie sich wiederfinden, können sie selbst zugreifen. Sie schauen immer tiefer in sich hinein und bekommen so immer mehr Lust, zu handeln, sich der Welt zu zeigen, zuzupacken, zu sagen: Guck mal, das bin ich. Je tiefer ich in mir drin bin, desto mehr kann ich rausholen.
Wenn etwas nicht so läuft wie geplant, schieben viele Manager die Schuld auf die Umstände. Geht es nicht eher um das eigene mentale Programm?
Schuld abschieben bedeutet, selber gut dastehen zu wollen. Es ist etwas anderes, wenn ich von Verantwortung spreche. Dann sind die Mitarbeitenden auch eher bereit, ihre Einflussnahme zu ändern. Es hilft nicht, irgendwelche Szenarios zu erfinden, nur Nachdenken hilft. Ich muss fragen: Wo kann ich diesen Einflussbereich verändern? Was muss passieren, dass jemand seiner Verantwortung gerecht wird? Was ist mein Teil der Verantwortung, was ist dein Teil der Verantwortung? Dann sind wir im Gespräch.
In einem Interview sagten Sie kürzlich, das intellektuelle Gequatsche würde überinterpretiert. Beachten Führungskräfte zu wenig ihren gesunden Menschenverstand?
Genau das versuche ich den Menschen beizubringen: ihren gesunden Menschenverstand zu nutzen. Es werden immer wieder neue Führungsmodelle erfunden, und jedes ist das Beste. Die ganzen Modelle entstehen, damit gelangweilte Manager wieder etwas Neues haben, in das sie sich verlieben können. So werden Millionen verpulvert. Das ist schon fast kultiviert. Aber es geht doch darum, unnötige Psychologisierungen und Verkomplizierungen aus den Köpfen herauszubringen. Wir müssen ausbrechen aus dem ständigen Wettkampf: Wer weiss was? Viel wissen ist nicht gleich viel können. Wenn wir die Grösse ansprechen, die in jedem Menschen ist, dann passiert etwas. Durchschnittliches Denken bringt nur durchschnittliche Ergebnisse.
Sie raten unter anderem: Denken Sie gross und lassen Sie sich nicht von Kleinigkeiten irritieren. Ist die derzeitige Krise nicht das Ergebnis einer solchen Haltung?
Hier geht es vor allem um die Qualität des Denkens. Wir versuchen stets, mehr vorzugeben als wir sind. Ich kaufe mir ein Auto, das ich mir nicht leisten kann, ich will eine Visitenkarte, die mir Respekt und Status verschafft, ich will ein Haus, obwohl ich kein Geld habe. Ich bin auf jeden Fall für grösser, schneller, weiter – aber mit Substanz. Das ist auch eine Charakterfrage.
Wie steht es um den Charakter einiger Führungskräfte in der Krise?
Es fehlt vor allem, dass die Verantwortlichen einen klaren Standpunkt einnehmen und nicht die anderen verurteilen. Womit wir wieder bei der Selbstverantwortung sind.
In jeder Krise steckt auch eine Chance. Diese Phrase klingt zwar etwas abgedroschen. Ihr Weg belegt jedoch eindrücklich den Wahrheitsgehalt. Wer hat damals eigentlich noch an Sie geglaubt?
Nur ich habe zunächst an mich selbst geglaubt. Anerkennen, was ist, da kann Ihnen niemand helfen. Dann kommen Leute, die Ihnen beim Aufrichten helfen. Ich habe mir Vorbilder gesucht und immer versucht, von den Stärken der Besten zu lernen. Die Frage ist nicht, ob eine Krise zur Chance wird, sondern wann eine Krise zur Chance wird. Eine Krise zwingt uns, hinzuschauen, wo wir nicht hinschauen wollen. Und der Gang nach Canossa ist der erste Schritt. Alles muss auf den Tisch. Das tut immer weh. Doch erst von dem Punkt an kann ich mich wieder aufrichten und Schritt für Schritt mein Selbstvertrauen aufbauen. Dann merkt man, wie das Selbstvertrauen stärker wird und wie ganze Teams sich nach vorne entwickeln. Eine Krise ist nichts anderes als der Zwang, sich zu verändern.
Sie haben Ihr Buch «Steh auf!» Ihrem Freund und Lebensretter gewidmet. Vergessen Führungskräfte von heute, dass sie auch mal einen Freund brauchen?
Jeder Mensch braucht jemanden, der ihm hilft. Wenn Sie nur mit dem ganzen Karrierewahn beschäftigt sind, sind Sie eine arme Sau. Sie müssen konsequent hart arbeiten, Spitzenergebnisse liefern – und dann müssen Sie irgendwohin gehen und sich aufladen.
Kann man Sie als modernen Menschenentwickler bezeichnen?
Was ich mache, ist im Grunde sehr konservativ. Was Unternehmen lernen müssen, ist, dass HR keine Abteilung ist, die Seminarchen verteilt und ein bisschen die Seele streichelt. Menschenentwicklung ist etwas sehr Ernsthaftes. Es ist die Aufgabe, die fantastischen Ideen der Menschen in den Griff zu bekommen. Die Konsequenz im Umgang mit der Menschenentwicklung vermisse ich.
Wie kann Ihr Credo «Negatives in Positives umwandeln» von den geschlagenen Hunden wie Führungskräften einfach so umgedreht werden, wenn sie selbst doch die Mitverantwortlichen der Krise waren?
Sie können sicher nicht die Verantwortung für die ganze Krise übernehmen. Aber ihr eigenes Veränderungspotenzial, ihren Teil der Verantwortung erkennen. Vielleicht erreichen sie dann den nächsten. Es geht nicht darum, wer am Ende die richtige Antwort hat. Wir sind kollektiv verpflichtet, jetzt im Bewusstsein zu wachsen. Einstein hat es wunderschön gesagt: Auf der Ebene, auf der die Probleme entstehen, können sie nicht gelöst werden.
Als Klippenspringer haben Sie mit dem Feuer gespielt und kamen dabei fast um. Zwischen Selbstmitleid und Selbstvorwurf haben Sie das Erfolgsgeheimnis der Selbstführung entdeckt und zu einem selbstbestimmten Leben gefunden. Wie können Manager ihre derzeitige Krise sinnvoll nutzen?
Sie sollten sich fragen: Was ist die Botschaft für mich in der Krise, was verändere ich nur für mich? Und: Wie kann ich andere mit ins Boot ziehen, so dass sie sich ihrer eigenen Verantwortung bewusst werden? Konzentriere dich auf das, was da ist, und mache daraus mehr! In diesem Rahmen kommen dann auch andere Antworten.
Boris Grundl
Nach seinem Unfall musste Boris Grundl seine Lebensplanung grundlegend ändern und sich unter anderem von einer Laufbahn als Profitennisspieler verabschieden. Er ging mit sich selbst hart ins Gericht und arbeitete daran, dass ihm sein Geist «nicht abhaut», wie er sagt, sondern konzentrierte sich auf das, was da war: zehn Prozent seiner Muskelkraft und ein klarer, wacher Geist. Er kämpfte sich vom Sozialhilfeempfänger zum erfolgreichen Unternehmer durch. Mit seiner Leadership-Akademie spielt er heute in der oberen Liga der Management-Trainer im deutschsprachigen Raum.