«Eine wichtige Aufgabe der Forschung ist die Sensibilisierung der HR-Leute»
Für Professor Michael Beckmann steht fest: Die HR-Forschung sollte vermehrt darauf hinweisen, dass Mitarbeiter mit unterschiedlichen Instrumenten geführt werden müssen. Mit den gegenwärtigen Entwicklungen werde die Berücksichtigung der Mitarbeiterbedürfnisse gar zu einem wirtschaftlichen Schlüsselfaktor für die Arbeitgeber.
Michael Beckmann. (Bild: Dominik Labhardt)
Das Personalwesen kümmert sich um Menschen und deren Bedürfnisse. Welche Rolle spielt hier die HR-Forschung?D
Michael Beckmann: Es wäre schön, wenn das Personalwesen tatsächlich immer die Bedürfnisse der Mitarbeiter im Fokus hätte. Wenn ich beispielsweise an Personalmassnahmen denke, die vor allem den Wettbewerb unter Mitarbeitern sowie den Leistungsdruck immer weiter forcieren, dann steht hier eine Bedürfnisbefriedigung sicherlich nicht an erster Stelle.
Was meinen Sie damit?
Manche Firmen scheinen eher die Ansicht zu vertreten, dass man bei der Mitarbeiterführung vor allem Kontrollsysteme auffahren und Drohkulissen inszenieren sollte, um eine gewünschte Mitarbeiterleistung zu erreichen. Daran ist die HR-Forschung nicht ganz unschuldig, wenn ich nur an die Beiträge zur Vorteilhaftigkeit leistungsabhängiger Lohnsysteme denke. Hieraus könnte man als Unternehmenspraktiker ableiten, dass Leistungslöhne universell einsetzbar sind und unabhängig vom Aufgabenniveau oder von den Mitarbeitercharakteristika funktionieren.
Wo sehen Sie denn die Rolle der HR-Forschung?
Ich denke, die HR-Forschung muss heute wieder vermehrt darauf hinweisen, dass Mitarbeiter mit ganz unterschiedlichen Instrumenten zu führen sind und die Berücksichtigung individueller Mitarbeiterbedürfnisse somit im unmittelbaren Unternehmensinteresse ist. Dann erlangen beliebte Praktikeraussagen, wie zum Beispiel «Die Mitarbeiter sind unsere wichtigste Ressource» auch wieder mehr Glaubwürdigkeit.
Sie sind selber als Forscher tätig. Welche Forschungsmethoden bevorzugen Sie, und wie schaffen Sie damit den Link in den lebendigen HR-Alltag?
Von meiner wissenschaftlichen Ausrichtung her würden mich viele vermutlich nicht der traditionellen BWL zuordnen. Das liegt daran, dass mein wissenschaftliches Weltbild eher mikroökonomisch geprägt und weniger managementorientiert ist.
Mein Fachgebiet ist am zutreffendsten mit der Bezeichnung Personal- und Organisationsökonomie umschrieben. Methodisch liegt mein Schwerpunkt ganz eindeutig im quantitativ-empirischen Bereich, das heisst, ich werte für meine Forschungsfragen grosse Firmen- oder Individualdatensätze aus und wende dabei statistische und ökonometrische Methoden an. Das ist für mich der ideale Weg, um Wissenschaft mit Unternehmenspraxis zu verbinden. Wissenschaftliche Erkenntnisse sollten ja eigentlich auch für die Praxis einen unmittelbaren Nutzen haben. Diesbezüglich hat es die empirische Forschung sicher leichter als eine rein theoretisch motivierte Forschung.
Wie können Personalverantwortliche Forschungsergebnisse für den Arbeitsalltag verwenden respektive was bringt die HR-Forschung den Personalverantwortlichen für den Alltag?
Ich will doch hoffen, dass das eine ganze Menge ist! Nehmen wir als Beispiel den seit einiger Zeit sehr erfolgreichen Ansatz der Verhaltensökonomie; eine Disziplin, die Ökonomie und Psychologie verbindet und damit für die HR-Forschung hochinteressant ist. Die Verhaltensökonomie kann unter anderem zeigen, dass für die Arbeitsmoral von Mitarbeitern eine faire Behandlung durch den Arbeitgeber von entscheidender Bedeutung ist. Mitarbeiter sehen nicht nur ihre eigene Situation, sondern stellen soziale Vergleiche mit einer Referenzgruppe an. Fühlt man sich ungerecht behandelt, leidet die Arbeitsmoral, was in günstigeren Fällen durch «Dienst nach Vorschrift» oder eine «innere Kündigung» zum Ausdruck kommt. Es sind aber auch Mobbing- und Sabotageaktivitäten denkbar. Die negativen Folgen für ein Unternehmen können also gravierend sein.
Ich sehe eine wichtige Aufgabe der HR-Forschung daher gerade auch in der Sensibilisierung von Personalverantwortlichen im Hinblick auf bestimmte Mitarbeiterbelange, wie zum Beispiel die angesprochenen Fairnessaspekte.
Sind die Unternehmen eigentlich an der Forschung interessiert?
Eine Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Unternehmen wird eigentlich von allen Seiten begrüsst, solange eher abstrakt und unverbindlich darüber gesprochen wird. Wenn es dann aber konkret werden soll, bleibt gerade auf Unternehmensseite von der anfänglichen Euphorie oft nicht mehr allzu viel übrig. Ich habe in der Vergangenheit bisweilen vergeblich versucht, mit Unternehmen in Kontakt zu treten, um Fallstudien durchzuführen, beispielsweise zu den Themen Leistungsbeurteilung von Mitarbeitern oder Lohntransparenz.
Warum kamen die Studien dann nicht zu Stande?
Mein Gefühl ist, dass die Unternehmen sensible Themen lieber intern klären möchten, und vermutlich wollen sie sich am Ende von einem Wissenschaftler auch nicht sagen lassen, dass Teile ihrer Personalpolitik vielleicht überdenkenswert sind.
Gibt es denn gar keine positiven Beispiele?
Aber natürlich gibt es auch positive Gegenbeispiele. Bei diesen ist die Initiative aber nicht von mir, sondern von der Praxisseite ausgegangen. So arbeiten wir in meiner Abteilung aktuell an einem Projekt zum Thema der Auswirkungen von Vertrauensarbeitszeit auf Unternehmen und Beschäftigte. Dieses Projekt ist auf das Engagement des Arbeitgeberverbands der Banken in der Schweiz zurückzuführen.
Welches war Ihr bis anhin wichtigstes Forschungsprojekt?
Als bislang wichtigstes Forschungsprojekt würde ich eine Arbeit bezeichnen, die ich mit einem befreundeten Kollegen von der Universität Bonn durchgeführt habe. In dieser ging es um die Frage nach der optimalen Betriebsgrösse vor dem Hintergrund von allfälligen Umverteilungsinteressen der Arbeitnehmer und den Einfluss von Arbeitnehmervertretungen (Betriebsräten).
Theoretisch können hier zwei gegenläufige Effekte auftreten. Zum einen könnten mit zunehmender Betriebsgrösse die Umverteilungseffekte gravierender werden, so dass der Arbeitgeber ein Interesse an einer Reduktion der Anzahl der internen Umverteiler (also der Arbeitnehmer) hat. Zum anderen könnten die Umverteilungseffekte mit zunehmender Betriebsgrösse aber auch abnehmen, weil die Umverteilungsbemühungen eines einzelnen Arbeitnehmers immer mehr an Bedeutung einbüssen. Wenn nun eine Arbeitnehmervertretung ins Spiel kommt, übernimmt diese die Umverteilungsaktivitäten. Somit ist die Anzahl der Arbeitnehmer dafür dann nicht mehr entscheidend.
Empirisch konnten wir zeigen, dass in Firmen ohne Betriebsrat tatsächlich der zweite Effekt zu beobachten ist, das heisst, die Umverteilungsbemühungen der Mitarbeiter nehmen mit der Betriebsgrösse ab. Das gilt aber nicht mehr in Firmen mit einem Betriebsrat. Ich bezeichne diese Arbeit als besonders wichtig, weil sie kürzlich in einer sehr renommierten Fachzeitschrift publiziert wurde.
Gab es bereits Resonanz auf diese Ergebnisse?
Der eben genannte Beitrag ist noch nicht lange publiziert, sodass ich über die Resonanz noch nicht allzu viel sagen kann.
Die bisher grösste Resonanz habe ich auf einen Beitrag erhalten, der vor zwei Jahren in einer eher praxisorientierten Fachzeitschrift erschienen ist. Hier ging es um mögliche Fehlanreize beim Einsatz von leistungsabhängigen Lohnsystemen, wie beispielsweise das Täuschen von Kunden, die Manipulation von Leistungsindikatoren oder ein übertriebenes Risikoverhalten. Sämtliche dieser Verhaltensweisen sind zumeist nicht auf schlechte Charaktereigenschaften von Mitarbeitern zurückzuführen, sondern auf schlecht austarierte leistungsabhängige Lohnsysteme. Aus diesem Beitrag ist eine sehr fruchtbare Zusammenarbeit zwischen mir und einer Beratungsfirma hervorgegangen.
Löhne sind ein beliebtes Thema. Gibt es noch weitere Trendthemen in der HR-Forschung?
Ich mag den Begriff Trend nicht so gerne, weil er leicht zu verwechseln ist mit einer reinen Modeerscheinung und dann ein eher transitorisches Phänomen darstellt. Besonders wichtig scheinen mir für die HR-Forschung ebenso wie für die betriebliche Personalpolitik aber vor allem langfristige Entwicklungen zu sein.
Was meinen Sie mit langfristigen Entwicklungen?
Eine grosse Herausforderung wird sicher der demographische Wandel sein, der sich natürlich auch in den Belegschaftsstrukturen bemerkbar macht. Die Belegschaften werden im Schnitt immer älter werden. Bisweilen habe ich den Eindruck, dass manche Unternehmen diesen Umstand nicht so recht ernst nehmen beziehungsweise die Konsequenzen unterschätzen. Nicht wenige Unternehmen fahren auch heute noch eine sehr jugendzentrierte Personalpolitik und setzen keine Massnahmen zur Förderung der Beschäftigung älterer Mitarbeiter ein. Studien zeigen aber, dass technologische und organisatorische Innovationen in den Betrieben zulasten älterer Mitarbeiter gehen. Man muss also als Unternehmen schon etwas tun, um Innovationsfähigkeit und ältere Belegschaftsstrukturen unter einen Hut zu bringen.
Als weiteres gravierendes HR-Thema sehe ich das Thema Arbeitsplatz und Gesundheit. In vielen industrialisierten Ländern nehmen vor allem psychische Erkrankungen stark zu. In den Firmen zeigt sich das dann am zunehmenden Anteil psychischer Erkrankungen an allen Fehlzeiten. Es wäre wohl einigermassen naiv, anzunehmen, dass diese Entwicklung nichts mit der heutigen Situation am Arbeitsplatz zu tun hat.
Was heisst das nun für Sie als Forscher?
Für uns als Forscher ist es interessant, zu untersuchen, ob und inwiefern bestimmte Personalinstrumente psychische Beschwerden bei den Mitarbeitern fördern. Ich denke hier insbesondere an Instrumente, die Unternehmen mit dem schön klingenden Ziel der «Förderung einer Leistungskultur» einsetzen, die letztendlich aber den Bogen überspannen und den Leistungsdruck und Konkurrenzkampf in Unternehmen übertreiben.
Michael Beckmann
ist Professor für Personal und Organisation an der Universität Basel und beschäftigt sich mit Fragen der Personal- und Organisationsökonomie. Aktuelle Forschungsschwerpunkte liegen unter anderem in den Bereichen Temporärbeschäftigung, Arbeitsplatz und Gesundheit, Job-Design und Arbeitszufriedenheit oder Arbeitnehmervertretungen.