Einsatz von Generativer KI in People Analytics: praktische Anwendungsbeispiele
In vielen Schweizer Unternehmen ist People Analytics nach wie vor ein unerforschtes Gebiet – eine Black Box, an die man sich nur zögerlich heranwagt. Tatsächlich ist der Einstieg unkompliziert. Bereits mit geringem Aufwand lassen sich aus Personaldaten wertvolle Erkenntnisse gewinnen, indem man generative künstliche Intelligenz nutzt, um die Zugangsschwelle zu senken.
KI kann bei der Auswertung von Daten im HR helfen. (Bild: iStock)
Dieser Artikel beleuchtet die Chancen und Herausforderungen, die sich aus der Kombination von People Analytics und künstlicher Intelligenz (KI resp. engl. AI) ergeben. Er zeigt auf, inwiefern und unter welchen Umständen KI nicht nur eine technologische Ergänzung, sondern eine strategische Bereicherung für das moderne Personalmanagement darstellt und den Umgang mit Daten und Zahlen im Kontext von People Analytics erleichtert. Um das Feld zu strukturieren, beziehen wir uns auf das Maturitätsstufen-Modell aus dem Buch «Personalpsychologie für das Human Resource Management» (siehe Quelle).
Die zweihändige Säge: generative KI als Partner
KI ist nicht gleich KI. Während es deskriptive KI seit den 1960er-Jahren gibt und sich Deep Learning in den 2000er-Jahren etabliert hat, ist generative KI eine junge Zeitgenossin in Forschung und Schlagzeilen. Deskriptive KI zeichnet sich dadurch aus, dass sie auf spezifische, schmale Fragestellungen angewendet wird und nur mit Methodenwissen angewendet werden kann. Generative KI hingegen, die zum Teil auf Deep-Learning-Algorithmen beruht, ist sehr breit anwendbar und deutlich einfacher zu bedienen, da sie sich einer universellen Schnittstelle bedient: der natürlichen Sprache. Anstatt nur Muster in Daten zu erkennen, kann generative KI diese Muster auch reproduzieren und neue Daten generieren.
Die generative KI ersetzt die deskriptive KI nicht: Als Verstärkerin von menschlichem Wissen und Können erleichtert sie deskriptive KI in ihrer Anwendung. Dabei kann man sich generative KI wie eine Partnerin vorstellen, die zusammen mit Menschen eine zweihändige Säge bedient: Beide arbeiten Hand-in-Hand in einer oszillierenden Bewegung und tragen ihren Teil zur Lösung bei.
Angewendet auf das Maturitätsmodell kann generative KI in jeder der vier Stufen Aufgaben übernehmen. Die generative KI schlüpft dabei je nach Aufgabenstellung in verschiedene Rollen:
- Als Assistentin, die mühsame Aufgaben übernimmt und Prozesse beschleunigt.
- Als Beraterin, die Erkenntnisse bietet, beurteilt und die Qualität erhöht.
- Als Coach, die reflektiert sowie Feedback und Struktur für persönliches Lernen generiert.
Wir werden diese Unterstützung auf den vier Stufen des Maturitätsmodells illustrieren.
Wichtig dabei ist die Datenqualität: Ohne zuverlässige Datenquellen kann auch generative KI nur spekulieren. Ausserdem muss die eingesetzte generative KI in der Lage sein, die Daten zu verarbeiten – wir verwenden in den Beispielen ChatGPT mit Code-Interpreter.
Kurzanleitung für die Prompt-Beispiele
Um den Beispielen zu folgen, benötigen Sie ein kostenpflichtiges ChatGPT Pro-Konto, da nur dieses das benötigte Code Interpreter-Modul enthält:
- Öffnen Sie ChatGPT unter chat.openai.com.
- Erstellen Sie ein Gratis-Konto für ChatGPT oder loggen Sie sich ein.
- Klicken Sie auf «Upgrade Plan» (unten links).
- Wählen Sie «Upgrade to Plus» und folgen Sie den Anweisungen zum Upgrade. Das Code Interpreter-Modul ist automatisch aktiviert, wenn Sie ChatGPT Pro nutzen. Andere KI-Modelle (zum Beispiel Claude, Gemini) können aktuell zwar Code vorschlagen, aber nicht selbständig ausführen.
Stufe «Descriptive Analytics»
In der deskriptiven Analyse werden HR-Kennzahlen und historische Daten analysiert, um Trends zu erkennen. Generative KI kann hier beispielsweise bei der Übersetzung von unstrukturierten in strukturierte Daten, bei der Mustererkennung und in der Programmierung von Dashboards unterstützen.
Beispiel
Ein Unternehmen erfasst die Austrittsinterviews mit einem einheitlichen Fragebogen, der verschiedene Skalen enthält. Die generative KI erhält den Auftrag, diese sinnvoll zu strukturieren.
Prompt (GPT-4 mit Code Interpreter):
«Du bist Experte für Datenvisualisierung im HR-Bereich. Du hilfst einer HR Business Partnerin, Daten aus Austrittsinterviews auszuwerten. Die Daten enthalten folgende Informationen:
[kurze Beschreibung der Spalten in den Rohdaten, zum Beispiel Spalte «DA»: Dienstalter in Monaten]
Führe eine deskriptive Analyse dieser Daten durch und visualisiere sie.
[Daten als Attachment anhängen, zum Beispiel im CSV-Format]»
Dieser Prompt führt dazu, dass ChatGPT ein Programm für ein Visualisierungsskript schreibt, das die Daten zusammenfassend beschreibt und grafisch aufbereitet (Beraterin, Assistentin).
Stufe «Diagnostic Analytics»
Bei der diagnostischen Analyse geht es darum, die Ursachen für Muster und Trends in HR-Daten zu beschreiben und zu erklären. Generative KI kann die dazu notwendigen Daten aufbereiten, diagnostische Methoden anwenden und deren Inhalt deuten.
Beispiel
Die Austrittsinterviews enthalten zusätzlich Kommentare der ausgetretenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Die generative KI erhält den Auftrag, die einzelnen Kommentare zu segmentieren und interpretieren, um diese auswerten zu können.
Prompt (GPT-4 mit Code Interpreter):
«Du bist Experte für Inhaltsanalyse im HR-Bereich. Du hilfst einer HR Business Partnerin, Kommentare aus Austrittsinterviews auszuwerten. Die Daten wurden in folgendem Kontext erfasst:
[kurze Beschreibung, wie die Daten erfasst wurden, zum Beispiel in Interviews oder Online-Umfragen.]
Lies die Kommentare durch und erstelle ein Kategoriensystem mit Austrittsgründen. Interpretiere, was die wichtigsten Hauptgründe für die Austritte sind (max. 3, mit Prozentangaben) und gib jeweils ein prägnantes Zitat aus den Kommentaren. [Daten als Attachment anfügen]»
Mit diesem Prompt strukturiert ChatGPT die Kommentare in Kategorien zu Austrittsgründen, wertet sie in ihrer Anzahl aus und illustriert sie mit Zitaten.
Stufe «Predictive Analytics»
Mit prädiktiven Analysen werden Vorhersagen und Prognosen für zukünftige Ereignisse erstellt. Dazu müssen Daten mit zeitlichem Verlauf vorliegen, mit welchen generative KI beispielsweise Personalengpässe oder Fluktuation vorhersagen und verargumentieren kann.
Beispiel
Die Austrittsinterviews wurden über die letzten vier Jahre geführt und systematisch als Daten erfasst. Die generative KI erhält die monatlichen Werte und soll eine Voraussage für den Trend über das nächste Jahr machen.
Prompt (GPT-4 mit Code Interpreter):
«Du bist Experte für prädiktive Analysen im HR-Bereich. Du hilfst einer HR Business Partnerin, Langzeitdaten aus Austrittsinterviews zu interpretieren.
Die Daten wurden in folgendem Kontext erfasst: [kurze Beschreibung, wie die Daten erfasst wurden, zum Beispiel in Interviews oder Online-Umfragen.]
Die Daten sind wie folgt strukturiert: [kurze Beschreibung, wie die Daten aufgebaut sind, falls nicht offensichtlich aus den Spaltenbezeichnungen]
Analysiere die Langzeitbewegungen dieser Daten. Triff eine Vorhersage, wie sich die Werte über die nächsten sechs Monate verändern werden. Begründe deine Vorhersage. [Daten als Attachment anhängen]»
ChatGPT erstellt dabei eine Auswertung über die Trends in den Daten und liefert eine begründete Prognose.
Stufe «Prescriptive Analytics»
Präskriptive Analyse liefert Handlungsempfehlungen aus Situationsbeschreibungen und Prognosen, damit gezielt auf Herausforderungen reagiert und strategische Entscheidungen getroffen werden können. Generative KI kann hier bei Entscheidungen bezüglich Kandidateneignung oder als adaptives Strategieberatungssystem agieren.
Beispiel
Generative KI erhält die Aufgabe, aus den prognostizierten Daten und den ermittelten Austrittsgründen konkrete Massnahmen zur Verbesserung der Mitarbeitendenzufriedenheit und -bindung vorzuschlagen.
Prompt (GPT-4 mit Code Interpreter):
«Du bist Experte für strategisches HR-Management und nutzt präskriptive Analyse, um proaktive Lösungen zu entwickeln. Basierend auf den Erkenntnissen aus den Austrittsinterviews und den prognostizierten Trends, sollst du spezifische Handlungsempfehlungen für das kommende Jahr entwickeln.
Die Daten zeigen folgende Hauptgründe für Mitarbeitendenaustritte: [3 Hauptgründe aus der diagnostischen Analyse]
Der zeitliche Verlauf zeigt folgende Trends: [Beschreibung der Trends und Prognosen]
Entwickle basierend auf diesen Erkenntnissen Massnahmen, die die Mitarbeitendenbindung erhöhen. Beschreibe die vorgeschlagenen Massnahmen und deren erwarteten Effekt auf die Mitarbeitendenzufriedenheit und -bindung.»
ChatGPT interpretiert die vorliegenden Daten und liefert Vorschläge für das weitere Vorgehen.
Fazit
Generative KI ist ein mächtiges Werkzeug, um People Analytics breiter zugänglich zu machen – gerade für KMU ohne dezidierte Expertise. Sie ist jedoch kein Selbstläufer, sondern eine Mensch-Maschine-Partnerschaft, die Fachkenntnisse über Unternehmenszusammenhänge, Strategie und People Analytics voraussetzt.
Der Einsatz von KI ist zudem kein rechtsfreier Raum: Bei sensiblen Personaldaten sind klare Governance-Regeln zu Datenschutz, Ethik und Kontrolle zwingend. Letztlich muss der Mensch, nicht die Maschine, bei kritischen Entscheidungen am Ruder bleiben.
Generative KI hat das Potenzial, zu einer Schlüsseltechnologie für HR zu avancieren – mit allen Chancen und Herausforderungen, die revolutionäre Neuerungen mit sich bringen. Es liegt an uns, die Möglichkeiten zu ergreifen und aus Fehlern zu lernen.-
Quelle: Werkmann-Karcher, B.; Müller, A. & Zbinden, T. (2023): Personalpsychologie für das Human Resource Management. Springer.