Im Gespräch

Er kam, sah und signierte

Sein Bestseller «Emotionale Intelligenz» hat auch im HRM 
Spuren hinterlassen. Nun hat Daniel Goleman an der Wirtschaftshochschule IMD Lausanne sein neustes Werk vorgestellt: 
«Focus – The Hidden Driver of Excellence». HR Today traf den Autor sowie seinen Kollegen und Gastgeber, IMD-Professor George Kohlrieser, am Rande der Veranstaltung zum Gespräch.

Sie haben 1995 Ihren Weltbestseller «Emotionale Intelligenz» herausgebracht, der sich fünf Millionen Mal verkaufte. Denken Sie, die Führungskräfte sind heute emotional intelligenter?

Daniel Goleman: Keine Ahnung. Sie sind sicher mehr am Thema interessiert. Aber das muss nicht heissen, dass sie emotional intelligenter sind (lacht).

George Kohlrieser: Ich würde sagen ja. Dein Buch hatte einen gewaltigen Einfluss auf die Denkweise. Das gilt sicher nicht für alle Führungskräfte, wie kürzlich in der Schweiz die beiden schrecklichen Suizide von Topmanagern gezeigt haben. Aber mehrheitlich hat sich der Begriff der emotionalen Intelligenz in der DNA von Managern eingebaut.

Goleman: Es gibt durchaus Unternehmen, die ihr HR rund um den Begriff der emotionalen Intelligenz aufgebaut haben. Eines davon ist Southwest Airlines, die profitabelste Fluggesellschaft der USA. Ein anderes Beispiel ist Enterprise Rent-A-Car, ein sehr profitabler Autoverleiher, der bei der Rekrutierung explizit emotionale Intelligenz einfordert.

Kohlrieser: Dan war an einem 360°-Feedback-Konzept in der Führungskräfteentwicklung beteiligt, welches die Faktoren der emotionalen Intelligenz und der Selbstwahrnehmung von Führungskräften stark betont. Es ist wohl eines der populärsten 360°-Instrumente, die in Europa verfügbar sind.

Goleman: Ich habe dieses Modell gemeinsam mit Professor Richard Boyatzis und der Hay Group entwickelt.

Apropos Suizide: Carsten Schloter war als begnadeter und durchaus emotionaler Kommunikator bekannt.

Goleman: Das ist traurig. Aber er war wohl von seinem Boss unter Druck gesetzt worden, richtig?

Kohlrieser: Es waren drei Faktoren: Er wurde von seinem Boss unter Druck gesetzt, er ging mit seiner eigenen Zeit zu wenig haushälterisch um, indem er übererreichbar war, und drittens litt er privat sehr unter den Folgen einer Scheidung. Er war zwar ein sehr umgänglicher und sozialer Mensch, verfügte aber über ein schwach ausgebildetes Ichbewusstsein (self-awareness). Er hatte innerlich eine Mauer aufgebaut. Menschen um ihn herum haben wahrgenommen, dass etwas nicht stimmt. Er hat es aber nicht geschafft, über den Schmerz zu sprechen, der sich in ihm offensichtlich aufgebaut hatte. Er war unfähig, Hilfe zu holen. Das zeigt mir, dass seine Selbsteinschätzung (self-awareness) eher schwach ausgebildet war. Das ist vor allem ein Problem von männlichen Führungskräften, die sich in einer Mauer einschliessen. Dieses Phänomen ist bei weiblichen Führungskräften weniger verbreitet.

Sie haben in Ihrem Referat erwähnt, dass Frauen im Durchschnitt emotional intelligenter seien als Männer. Warum stagniert die Zahl von Frauen in Topmanagement-positionen trotzdem?

Goleman: Das zeigt, dass Anstellungs- und Beförderungsentscheidungen immer noch von vielen anderen Faktoren abhängig gemacht werden als von der emotionalen Intelligenz. Seilschaften und gewisse Berufserfahrungen werden wohl höher gewichtet als die Fähigkeit, mit Menschen intelligent umzugehen. In der besten aller denkbaren Welten würde soziale Intelligenz höher gewichtet werden (lacht).

Kohlrieser: In den USA haben viele Frauen den Durchbruch geschafft. IBM ist nur ein Beispiel dafür. Das ist weniger eine Folge von gelungenem Diversity Management, sondern hat vielmehr damit zu tun, dass heute eine der gefragtesten Führungsfähigkeiten darin besteht, Beziehungen und Kooperationen aufzubauen. Darin sind Frauen nachgewiesenermassen im Durchschnitt einfach besser.

Im Publikum sassen fast 400 Topmanager und HR-Verantwortliche, die Ihnen gebannt an den Lippen hingen und frenetisch applaudierten. Dabei sind Ihre Botschaften meist verblüffend einfach. Wie erklären Sie sich eigentlich Ihren Erfolg?

Goleman: Auch wenn viele Zuhörer mit meinen Botschaften einverstanden sind, so basieren die Atmosphäre und das Klima in den meisten Unternehmen noch lange nicht auf emotionaler Intelligenz. Obwohl emotionale Intelligenz das Erreichen der Unternehmensziele fördert. Dennoch pflegen die wenigsten Organisationen eine Kultur der emotionalen Intelligenz. Wie wenig die Konzepte der emotionalen Intelligenz in der Realität gelebt werden, zeigte sich eben gerade auch in der Schweiz mit den eingangs erwähnten Suiziden im Topmanagement.

Kohlrieser: Die CEOs und Topleader erkennen allmählich, dass es so nicht weitergehen kann. Studien zum Employee Engagement zeigen, dass Mitarbeiter zu wenig engagiert sind.

Wagen wir einen Blick in die Zukunft: Was sind Ihre Prognosen betreffend die heranwachsenden Generationen in Bezug auf die emotionale Intelligenz und die Fähigkeit, die Aufmerksamkeit auf das Wesentliche fokussieren zu können?

Goleman: Ich bin sehr besorgt, was die Aufmerksamkeitsfähigkeit der heranwachsenden Kids betrifft. Denn sie wachsen heute in einer Atmosphäre konstanter Zerstreuung auf. Gerade Heranwachsende brauchen für eine gesunde Hirnentwicklung unbedingt Erfahrungen im ununterbrochenen Fokussieren. Was die emotionale Intelligenz betrifft, glaube ich, dass zumindest in den USA die Schulen viel leisten in diesem Bereich, wobei bei der Vermittlung emotionaler Intelligenz natürlich die Eltern die wichtigste Rolle spielen.

Worin sehen Sie den Zusammenhang zwischen emotionaler Intelligenz und Ihrem neuen Thema der Fokussierung?

Goleman: Fokussierung und Aufmerksamkeit gehen mit emotionaler Intelligenz einher. Ich habe das erst begriffen, als ich mich mit der wissenschaftlichen Literatur zur Aufmerksamkeitsthematik zu beschäftigen begann. Der Kreislauf des Fokussierens bringt den Geist zurück, wenn er abgelenkt wird. Gleich verhält es sich mit dem emotionalen Selbstmanagement. Insofern ist die Fähigkeit, die Aufmerksamkeit zu fokussieren, Teil der emotionalen Intelligenz.

Zu den Personen

Der amerikanische Psychologe Daniel Goleman (67) wurde als Herausgeber der Zeitschrift «Psychology Today» und Wissenschaftsjournalist der «New York Times» bekannt. 1995 erschien sein Buch «Emotionale Intelligenz», das sich in 40 Sprachen übersetzt weltweit über fünf Millionen Mal verkaufte. Sein neustes Buch «Focus – The Hidden Driver of Excellence» beschäftigt sich mit der Fähigkeit, seine Aufmerksamkeit zu fokussieren. Sein Kollege, Professor George Kohlrieser, ist Wirtschaftspsychologe und Professor für Leadership and Organizational Behaviour am International Institute for Management Development (IMD) in Lausanne.

Was können HR-Verantwortliche von Ihrem neuen Buch lernen?

Goleman: Ich würde ihnen empfehlen, bei der Rekrutierung, Beförderung und Entwicklung von Führungskräften nicht nur auf die Fähigkeiten im Bereich der emotionalen Intelligenz zu achten, sondern auch auf die Fähigkeiten, die Aufmerksamkeit auf das Wesentliche fokussieren zu können.

Wie lässt sich bei Kandidaten die Fähigkeit des Fokussierens identifizieren?

Goleman: Ein höherer Schulabschluss ist sicher schon mal ein guter Indikator dafür, dass sich jemand grundsätzlich konzentrieren kann. Es gibt auch Konzentrationstests, etwa die sogenannten «Flanker»-Tests, die ich auch im Buch erwähne. Dabei wird den Kandidaten eine schnell wechselnde Bilderserie von jeweils fünf Pfeilen gezeigt, deren Ausrichtung sich ständig ändern. Der Kandidat hat die Aufgabe, sich zu erinnern, in welche Richtung der mittlere Pfeil jeweils gezeigt hat. Solche Konzentrationstests gibt es viele. Mir geht es aber vielmehr um die Fähigkeit von Führungskräften, auf den Dreiklang bestehend aus Eigenwahrnehmung, Fremdwahrnehmung und Organisationswahrnehmung zu fokussieren. Dafür sind mir bisher keine Tests bekannt. Das wäre vielleicht eine Marktlücke (lacht).

Sie forderten in Ihrem Referat, dass Unternehmen ihren Mitarbeitern mehr Aufmerksamkeitstrainings anbieten sollten, da dadurch die Produktivität gesteigert werden kann. Wie soll diese Forderung konkret umgesetzt werden, ohne dass das Ganze zu einer aufgesetzten Alibiübung verkommt?

Goleman: Es darf natürlich nicht als Zwang verstanden werden, sondern als Angebot, das freiwillig in Anspruch genommen werden kann oder auch nicht.

Welche Botschaft haben Sie für die HR-Verantwortlichen bereit?

Goleman: Schenken Sie dem Aufmerksamkeitsfaktor mehr Aufmerksamkeit!  

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Ehemaliger Chefredaktor HR Today.

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