Personalrisikomanagement

Erfolgsfaktor Gleichstellung

Von der politischen Agenda zur wirtschaftlichen Notwendigkeit oder warum das Thema Gleichstellung nicht alleine eine Frage des Lohnes ist.

Traditionellerweise wird mit dem Thema Gleichstellung die Frage nach dem gleichen Lohn für gleiche oder gleichwertige Arbeit assoziiert. In den letzten Jahren stand die Einhaltung dieses verfassungsmässig verankerten und gesetzlich konkretisierten Grundsatzes vermehrt im Fokus und wurde teilweise mit grossem Aufwand und spezifischen Controllingmassnahmen sichergestellt. Trotzdem zeigt sich in den aktuellen Statistiken des Bundes, dass die Lohndifferenz zwischen den Geschlechtern nicht im gewünschten Mass abgebaut wurde.

Das unbefriedigende Resultat ist weitgehend unbestritten, bei den Erklärungen zu den Ursachen herrscht jedoch grosse Meinungsvielfalt. Die Erfahrungen zeigen, dass viele Unternehmen einerseits den hohen Aufwand bei der Ermittlung der Lohndifferenzen scheuen und andererseits begegnen sie den oftmals stark politisch geprägten Instrumenten wie beispielsweise dem Lohngleichheitsdialog mit grosser Skepsis. Bei vielen Unternehmen enden die Bemühungen in letztlich isolierten „Rechenübungen“ mit dem Ziel, unter die ominöse Fünf-Prozent-Hürde zu gelangen. Vielleicht ist die isolierte Fokussierung auf die Lohnfrage sogar eine mögliche Ursache für das fehlende Verständnis hinsichtlich der Wichtigkeit der Gleichstellung in einem Unternehmen.

Aus unserer Sicht muss vielmehr die Frage gestellt werden, inwieweit die Vernachlässigung der Gleichstellung für die Unternehmen neben der Tatsache der Nichteinhaltung des Gleichstellungsgrundsatzes zusätzliche Risiken birgt, welche einen direkten Einfluss auf das Leistungspotenzial des Unternehmens haben. Für die Unternehmen geht es aufgrund der demografischen Entwicklung unserer Gesellschaft (Stichwort: Fachkräftemangel) sowie der aktuellen politischen Rahmenbedingungen bezüglich Einschränkung der Personenfreizügigkeit nicht mehr nur um einen fairen Lohn, sondern vielmehr um die nachhaltige Sicherstellung des in Qualität und Quantität zukünftig erforderlichen Humankapitals bei absehbarer Knappheit. Die Vernachlässigung einer Gruppe von potenziellen Mitarbeitenden, nämlich der heute mindestens ebenso gut ausgebildeten weiblichen Fach- und Führungskräfte, kann sich ein strategisch denkendes HRM nicht erlauben, will es sich nicht einem veritablen Risiko aussetzen.

Die konkreten Risiken, welche bei der Vernachlässigung der Gleichstellung in einem Unternehmen entstehen, sind vielfältig und komplex. Sie betreffen beinahe jede Disziplin im HRM, angefangen bei der Rekrutierung von geeigneten Personalressourcen über die Ausgestaltung des Vergütungssystems, der Entwicklung der benötigten Fach- und Linienkader bis hin zur Gestaltung der Arbeitsbedingungen. Darüber hinaus gilt es zu berücksichtigen, dass die unterschiedlichen Bereiche miteinander in Wechselwirkung treten. Isolierte Massnahmen wie beispielsweise eine Rekrutierungsoffensive bei weiblichen Absolventinnen von Fachhochschulen und Universitäten werden nicht nachhaltig erfolgreich sein, wenn gleichzeitig die im Betrieb herrschende Arbeitszeitgestaltung den Interessen dieser Gruppe zuwiderläuft. Eine sinnvolle Einschätzung der Risiken muss deshalb immer anhand der gesamtunternehmerischen Personalrisiken in einem grösseren Kontext erfolgen. Will ein Unternehmen die Gleichstellungsthematik proaktiv angehen, sind folgende Risiken von vordergründiger Bedeutung:

Langfristige Personalplanung als Mittel gegen Engpassrisiken:

Erst wenn aus der strategischen Personalplanung der Zugang zum bislang (zu) wenig genutzten Potenzial von weiblichen Fachkräften und Kadermitarbeitenden für die Unternehmung als Erfolgsfaktor statt als Quote wahrgenommen wird, werden auch die entsprechenden Massnahmen tatsächlich danach ausgerichtet. So bleibt die Vereinbarkeit von Familie und Arbeit nicht länger bloss eine Worthülse, sondern wird zum gelebten Konzept, weil die damit zusammenhängenden Bedürfnisse mit der betroffenen Zielgruppe nun auch effektiv abgestimmt werden. Für das Unternehmen stellt sich nämlich genau in diesem Punkt die Frage, inwiefern die Strategie bezüglich Personalmarketing und Employer Branding überhaupt zu den aktuellen Verhältnissen passt. Die für die Erschliessung neuer weiblicher Ressourcen eingesetzte Kommunikation wird sich ja zum Ziel setzen, genau die spezifischen Bedürfnisse dieser Zielgruppe abzuholen. Eine Dissonanz zwischen Versprechen und gelebter Realität wird das Arbeitgeberimage und damit die Chancen auf dem Arbeitsmarkt jedoch kaum verbessern.

Die angesprochene Dissonanz erhöht das Reputationsrisiko:

Eine bewusste oder unbewusste Ungleichbehandlung der Geschlechter wird heutzutage in zunehmenden Masse sowohl in den Unternehmen wie auch ausserhalb registriert. Die Mitarbeitenden sind heute besser über die Arbeitsbedingungen und das Image des Unternehmens informiert. Dieses Wissen erlangen sie via Unternehmensbewertungen über neue Medien wie Jobbörsen, Internetplattformen wie Kununu, Blogs, etc.

Wird Gleichstellung nicht ernst genommen, so erhöhen sich die Potenzial-  resp. Austrittsrisiken:

Ungenutztes Potenzial - unabhängig vom Geschlecht – beeinträchtigt ohne Frage die Leistungsfähigkeit jedes Unternehmens. Die Vernachlässigung leistungsbereiter Mitarbeitender führt nicht selten zu deren Austritt. Erhöhte Fluktuation und damit zusätzliche Kosten für die Beschaffung von neuen, externen Ressourcen sind die Folge. Die Unternehmung muss also der Frage nachgehen, ob sie das Potenzial aller Mitarbeitenden systematisch erfasst und die Potenzialträger gleichberechtigt identifiziert und gefördert werden. Dies gilt in Bezug auf die Gleichstellung auch gerade für Teilzeit-Arbeitsverhältnisse. Ein besonderes Augenmerk ist dabei auf die Förderung der Vorgesetzten zu legen, welche losgelöst von geschlechtsspezifischen Stereotypen die Leistung und Eignung der Person in den Vordergrund stellen sollten.

Vorgesetzte tragen massgeblich zur Vermeidung von Kultur- und Führungsrisiken bei:

Die Vermeidung der oben genannten Risiken bedingt auch eine entsprechende Kultur. Erfolgreichen Unternehmen gelingt es besser, die „weichen“ Faktoren wie Werte, Unternehmenskultur und interne Spannungsfelder offen zu thematisieren und weiterzuentwickeln. Die Förderung von Zusammenarbeit, offener Kommunikation und Mitsprache gilt dabei quasi als Selbstverständlichkeit. Analoges zeigt sich bei der Führungskultur. Diese müsste es ermöglichen, dass sich auch vornehmlich weibliche Persönlichkeitsfaktoren wie z.B. Nachhaltigkeit, Empathie, Takt, etc. entwickeln können und entsprechende Führungsqualitäten auch aufrichtig wertgeschätzt und gefördert werden. Die Grundhaltung respektive die Kultur trägt einen entscheidenden Teil zur Vermeidung des Motivationsrisikos bei. Dazu gehört die Durchführung von wertschätzenden Feedback- und Leistungsbeurteilungsgesprächen bei allen Mitarbeitenden sowie die Erhebung und/oder Beobachtung von Arbeitszufriedenheit und Motivation zur aktiven Veränderung respektive Beseitigung belastender Themen.

Fazit

Ein proaktiver Umgang mit der Thematik Gleichstellung eröffnet dem Unternehmen eine klare Profilierungs-/Differenzierungsmöglichkeit gegenüber den Mitbewerbern. Dies ermöglicht dadurch die Erschliessung weiblicher Fachkräfte und damit die Entschärfung des Fachkräftemangels. Dies bedingt eine ganzheitliche und langfristige Betrachtung des Themas Gleichstellung anstatt eines Giesskannenprinzips. Die Einbettung in ein umfassendes Personalrisikomanagement dient nicht nur der nachhaltigen Bewirtschaftung der einschlägigen Risiken, sondern erhöht zugleich die Sensibilität in der Gleichstellungsthematik. Letztlich bewirkt eine vertiefende Auseinandersetzung mit den strategischen Personalrisiken eine „konstruktive“ Abkehr von der einseitigen Fokussierung auf die Lohnfrage und fördert ein neues, integrales Verständnis für die Wichtigkeit des Themas Gleichstellung.

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Thomas Heer, lic. iur., lic. oec. HSG, ist Vorsitzender der Geschäftsleitung der GFO Unternehmensberatung AG, Spezialist in der Gestaltung und Umsetzung von integrierten Führungs- und Honorierungskonzepten sowie nachhaltiges Human Capital Management.

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Yves Gianella, lic. rer. pol., ist Senior Consultant der GFO Unternehmensberatung AG, Spezialist in der Gestaltung und Umsetzung von integrierten Führungs- und Honorierungskonzepten sowie Gleichstellungs-Audits im Rahmen von Human Capital Management.

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