Erfolgsmodell duales Bildungssystem
Für HR-Verantwortliche ist es nicht immer einfach, in der Bildungslangschaft stets über neue Abschlüsse und Weiterbildungsmöglichkeiten Bescheid zu wissen. Im Vorfeld der diesjährigen OBA Ostschweizer Bildungs-Ausstellung erläutern die Studien- und Laufbahnberaterin Anja Rigamonti und der Berufs- und Laufbahnberater Michael Koch ihre Sicht der Dinge.
Der Arbeitsmarkt braucht Absolventen aus beiden Bildungswegen, Lehre und Studium. (Bild: iStockphoto)
Nach der Ausbildung steigen Absolventen einer Lehre sowie Absolventen von Hochschulen in den Arbeitsmarkt ein. Wie gestaltet sich zurzeit das prozentuale Verhältnis?
Michael Koch: Unterschiede bestehen eher nach Kantonen und ländlicher oder städtischer Lebensumgebung. Im Kanton St.Gallen beispielsweise haben wir eine relativ tiefe gymnasiale Maturitätsquote, was folglich bedeutet, dass die Berufsbildung mit dem Weg über eine Berufslehre stärker vertreten ist. Die Berufsbildung ist überhaupt in der Ostschweiz stark ausgeprägt.
Gibt es in den beiden möglichen Bildungsarten Unterschiede, die nicht auf den ersten Blick offensichtlich sind?
Anja Rigamonti: Wichtiger, als auf die Unterschiede zu fokussieren, ist es, das Bewusstsein zu schaffen, dass beide Bildungswege – derjenige über die Grundbildung wie auch der über eine Mittel- oder Hochschule – ihre Berechtigung haben. Der Arbeitsmarkt braucht Absolventen aus beiden Bildungswegen.
Zur Person
Anja Rigamonti und Michael Koch sind Berufs-, Studien- und Laufbahnberater bei der Berufs-, Studien- und Laufbahnberatung St.Gallen. Sie arbeiten täglich mit Jugendlichen und Erwachsenen zusammen, welche die beruflichen Weichen neu stellen möchten.
Werden die beiden möglichen Ausbildungswege aus Ihrer Sicht von HR-Verantwortlichen unterschiedlich bewertet?
Koch: Aus meiner Sicht wissen HR-Verantwortliche in der Schweiz sehr wohl um den Vorteil bzw. die Stärken, die uns das duale Bildungssystem bietet. Dadurch kann ich auch keinen Unterschied erkennen, den HR-Verantwortliche machen.
Rigamonti: Vielleicht gibt es Unterschiede bei der Besetzung unterschiedlicher Berufsgruppen innerhalb einer Unternehmung. Bei einigen Berufen liegt es auf der Hand, dass die Bewerberin oder der Bewerber eine gewisse akademische Qualifikation mitbringen muss. Diese akademische Ausbildung ist allerdings im Umkehrsinn absolut nicht für jede Art von Beruf geeignet. In der Regel sind HR-Verantwortliche ja auch für ganze Unternehmungen verantwortlich und daher nicht auf eine bestimmte Berufsgruppe fixiert – was erfordert, dass sie die Vor- und Nachteile der beiden Bildungswege kennen, diese aber nicht gegeneinander ausspielen.
Kennen Sie Erfahrungen und Meinungen von HR-Verantwortlichen zu den beiden unterschiedlichen Gruppen an Absolventen?
Koch: Die einzige Erfahrung, die ich diesbezüglich hie und da mache, ist die, dass bei Personen aus dem HR, welche nicht seit jeher mit dem Schweizer Arbeitsmarkt vertraut waren, Aufklärungsarbeit geleistet werden muss. HR-Verantwortliche, die schon immer im Schweizer Arbeitsmarkt tätig waren, kennen diesen Markt bestens. Bei HR-Personen mit einer nicht schweizerischen Ausbildung muss allenfalls das duale Bildungssystem bekannt oder zumindest bekannter gemacht werden, da es dieses in dieser Form im Ausland einfach nicht gibt. Ihr HR-Handwerk verstehen sie aber natürlich ohnehin.
Fachhochschule oder Uni: Gibt es spezifische Branchen, die bevorzugt Absolventen der einen oder anderen Hochschule einstellen?
Rigamonti: Ja, gewisse Unterschiede sind auszumachen. Allerdings liegen diese in der Natur der Sache. So sind in Branchen, in denen intensiv geforscht wird, eher Absolventen von Universitäten gesucht. Dies aus dem Grund, weil der Schwerpunkt auf Grundlagenforschung an universitären Hochschulen und Anwendung und stärkerer Praxisbezug an Fachhochschulen gelegt wird. Ganz spezifische Branchen gibt es aber kaum. Eine Ausnahme ist das Spital, hier stellt man fest, dass sämtliche Ärzte zwingend ein universitäres Studium absolviert haben, während das Gros des Pflegepersonals aus der beruflichen Bildung kommt, also eine Berufslehre und/oder eine höhere Fachschule absolviert hat.
Gibt es in der Schweiz einen Trend zur Akademisierung oder behält die Berufslehre ihren Stellenwert nach wie vor?
Koch: Man kann zwar ausmachen, dass mehr Leute einen Hochschulabschluss anstreben als vor einigen Jahren. Allerdings ist genauso auszumachen, dass sich immer mehr Personen im beruflichen Umfeld weiterbilden und höhere Fachschulen absolvieren. Somit steigt die Zahl der Personen, die sich weiterbilden.
Können Sie uns etwas über die Anerkennung ausländischer Abschlüsse in Bezug auf eine Anstellung in der Schweiz sagen?
Koch: Grundsätzlich empfehlen wir jeder Person mit einem ausländischen Berufs- oder Studienabschluss Kontakt mit dem SBFI – dem Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation – aufzunehmen. In einigen Bereichen gibt es auch internationale Abkommen, auf die sich die offizielle Anerkennung ausländischer Diplome stützt. Ansonsten werden sich wahrscheinlich die Erfolgsaussichten von Bewerbenden erhöhen, je näher sie geografisch an der Schweiz ein Studium absolviert haben oder je bekannter ihre internationalen Abschlüsse in der Schweiz sind.
Rigamonti: Anerkennungsempfehlungen, die unbekannte Hochschulabschlüsse mit hiesigen Abschlüssen vergleichen, können hierbei Abhilfe schaffen. HR-Verantwortliche können so ihnen unbekannte Studienabschlüsse mit jenen aus der Schweiz vergleichen.
Haben Arbeitnehmer in der Schweiz zu Recht Angst vor der Konkurrenz aus dem Ausland?
Koch: Gegenfrage: Müssen sie denn Angst haben? Aus meiner Sicht ist eine Angst nicht begründet. Denn der Schweizer Arbeitsmarkt mit seinen gut qualifizierten Arbeitnehmern muss sich nicht verstecken. Genau mit dem dualen Bildungssystem in der Schweiz erlangte unser Arbeitsmarkt bisher eine sehr hohe Qualität.
Rigamonti: Eine solche Angst ist auch aus meiner Sicht unbegründet. Zudem bestehen in gewissen Branchen ohnehin Hürden, die Bewerbern aus dem Ausland eine Bewerbung in der Schweiz erschweren. So kann eine Absolventin der Rechtswissenschaften aus Deutschland nicht einfach in der Schweiz zu arbeiten beginnen, da ihr ganzes Fachwissen auf völlig anderen Grundlagen basiert.
Haben Sie Tipps für HR-Verantwortliche für die Auswahl an geeigneten Mitarbeitenden?
Koch: Der einzige Tipp, den ich so geben kann, ist, dass HR-Verantwortliche stets am Ball bleiben und immer möglichst bemüht sind, die Veränderungen und Neuerungen im Bildungs-, Weiterbildungs- und Arbeitsmarkt mit zu verfolgen.
Rigamonti: Nicht direkt für die Auswahl von Personal, aber es erscheint mir sehr wichtig, dass sich HR-Verantwortliche bewusst sind, welches Erfolgsmodell wir hier überhaupt pflegen. Denn jede Ausbildung hat in der Schweiz ihre Berechtigung, ganz egal ob Grundbildung, höhere Berufsbildung, Mittel- und Hochschule, Nachdiplomstudium oder Doktorat. Die Tatsache, dass jeder und jede die eigenen Stärken nutzen und zum Beruf machen kann, macht unser Erfolgsmodell des dualen Bildungssystems überhaupt möglich.
Update Bildungswege Schweiz für Personalverantwortliche
Das Bildungswesen Schweiz ist vielfältig und bietet zahlreiche Möglichkeiten für den persönlichen Bildungsweg. Personalverantwortliche stehen vor der Herausforderung, stets den Überblick über Abschlüsse und Neuerungen zu haben, um Bewerberqualifikationen einzuschätzen und Personalentwicklungsmassnahmen zu planen.
An einem speziellen Anlass im Rahmen der OBA erhalten Personal- und Weiterbildungsverantwortliche in Unternehmen und Verbänden von Experten ein kompaktes Update über die zahlreichen Bildungswege und -abschlüsse in der Schweiz.
Veranstaltung: Update Bildungswege Schweiz für Personalverantwortliche
Wann: Freitag, 29. August 2014, 13.30 bis 15.00 Uhr
Wo: Olma Messen St.Gallen, Forum 3.1, Halle 3.1 Erwachsenenbildung
Anmeldung hier
Informationen: www.oba.sg