Im Gespräch

«Es geht darum, den Kulturen 
gleichermassen Respekt zu erweisen»

Die Versicherungsgruppe Zurich lancierte vor zwei Jahren ein neues Programm: «The Zurich Way». Es wurde weltweit 
eingeführt, um einheitliche Unternehmenswerte in den zahlreichen lokalen Geschäftsbereichen zu verbreiten – was aber nicht heisst, dass allen Gesellschaften die Unternehmenskultur einfach übergestülpt wird. Ein Interview mit Inga Beale, Head of M&A and Organizational Transformation bei Zurich.

Was ist die Idee hinter «The Zurich Way»?

Inga Beale: «The Zurich Way» ist unser Programm zur laufenden Optimierung der operativen Kernprozesse. Dazu gehören versicherungsspezifische Bereiche wie Underwriting und Schadenbearbeitung, aber auch allgemeine wie Vertrieb oder HR. Es geht um die Verbreitung der Werte, für die Zurich Financial Services steht, und darum, für Prozesse so genannte Best Practices zu erarbeiten und 
diese dann gruppenweit einzuführen. In den lokalen Geschäftsbereichen wurde früher zum Teil abweichend von den Werten der Zentrale in Zürich entschieden, Prozesse waren nicht immer vereinheitlicht, sodass Zurich bei den Kunden weltweit zum Teil nicht als eine Firma wahrgenommen wurde. Kurz: Die Vorteile eines Konzerns wurden nicht zu hundert Prozent wahrgenommen. Wenn wir «The Zurich Way» neu auf einen Bereich anwenden, beginnt das typischerweise damit, dass unsere Fachleute aus verschiedenen Ländern sich für eine Woche zusammensetzen und darauf einigen, wie die einheitlichen Prozesse für ihren Bereich aussehen sollen. Daraus werden die Best Practices abgeleitet, die wir weltweit einführen. Das hilft uns, noch besser für unsere Kunden da zu sein und auch beträchtliche Kostenersparnisse zu realisieren.

Was halten Sie von der Praxis, den lokalen Geschäften mehr individuelle Entscheidungsmacht zu geben?

Im Versicherungsgeschäft macht es durchaus Sinn, die HR-, Finanz- und Risiko- Management-Prozesse als Basis aller Geschäfte zu harmonisieren, weil diese immer auf den gleichen Prinzipien fussen. Auf der unternehmerischen Seite hingegen müssen die Filialen selbständig und lokal angepasst agieren.

Wie begegnen Sie selber Situationen, die Ihre Arbeitsweisen verändern?

Ich erinnere mich an meine Anfangszeit bei GE Insurance in London. Als dort die Prozesse vereinheitlicht wurden, dachte ich zuerst, dass man mir meine Verantwortungsbereiche wegnehme und dadurch mein Job in Gefahr sei. Dem war nicht so. Ich blieb aber eine ganze Weile skeptisch gegenüber diesen Veränderungen.

Welche Verhaltensweisen hatten die GE-Kollegen aus den USA damals, die Sie zur Kooperation überzeugten?

Sie hörten meinen Bedenken zu, obwohl sie Führungskräfte waren. Wir tendieren in den oberen Chefetagen dazu, mehr selber zu reden als zuzuhören, aber diese Kollegen machten eine Ausnahme. Sie haben vielleicht genau das durchgezogen, was sie schon vorher in der Planung hatten, aber sie vermittelten zumindest den Eindruck, dass ich als Mitarbeiterin auch meine Meinung zur Umstrukturierung einbringen kann.

Haben Sie dieses Prinzip selber angewendet?

Es geht vor allem darum, den ehrlichen, echten Willen zu haben, anderen und vor allem Andersdenkenden zuzuhören und auf sie einzugehen. Sehr oft kann eine sehr ruhige, introvertierte Person die tollsten Ideen haben, die er oder sie sich aber nicht traut, laut auszusprechen. Man braucht sehr viel Zeit, Geduld und ein hohes Mass an Toleranz, das Beste aus diesen Leuten herauszuholen. Ich versuche immer wieder ganz bewusst, diese Geduld aufzubringen, obwohl ich eher ein ungeduldiger Mensch bin. Es ist aber äusserst wichtig, diese Toleranz im eigenen Verhalten strikt zu leben.

Wie verhalten Sie sich, wenn Sie sich in Geduld üben?

Ein Beispiel aus meiner Zeit in Paris: Meine Kollegen hielten gerne stundenlange Sitzungen, die erst ganz am Ende zu einem Resultat führten. Ich sagte ihnen ganz offen und sachlich, dass ich für solch lange Sitzungen keine Geduld habe, darum den Raum verlasse und wieder rein komme, wenn die Gespräche einem Resultat nahe seien. Ich sagte ihnen auch, dass sie sich die Zeit lassen sollten, die sie brauchten. Mit dieser Offenheit haben Leute normalerweise kein Problem, vorausgesetzt, Sie äussern Ihre eigenen Vorlieben nicht positiv wertend und werten die Wege, die andere wählen, nicht ab.

Haben Ihnen das die Franzosen übel genommen?

Nein, weil ich offen war und es wäre zudem schlimmer für alle gewesen, wenn ich in der Sitzung nervös geworden wäre und die anderen das hätte spüren lassen. Mit offenem Umgang mit den eigenen Schwächen wie Ungeduld können Sie nichts verlieren. Im Gegenteil, Sie gewinnen sogar noch an Authen
tizität.

Würden Sie in der gleichen Offenheit auf chinesische Kollegen zugehen?

Im Prinzip wahrscheinlich schon, aber ich müsste mich auf den chinesischen Kulturkreis sehr sorgfältig vorbereiten. Ich lache ganz gerne, es gehört zu meinem Naturell, das Leben mit Humor zu nehmen. Ich weiss aber sehr genau, dass Lachen im Geschäftsbereich beispielsweise von Japanern als beleidigend empfunden wird. Deshalb passe ich mein Verhalten ihnen gegenüber entsprechend an.

Inwieweit erwarten Sie von anderen Kulturen, dass sie sich an Ihre Kultur oder an die Kultur der Unternehmenszentrale anpassen?

In Russland beispielsweise steht Zurich als Schweizer Unternehmen für Solidität, 
Zuverlässigkeit und Vertrauenswürdigkeit. Diese Werte sind ein echtes «Asset». Aber die in der Schweiz ansässigen Vertreter müssen umgekehrt genauso die Werte, die in Russland als positiv gelten, wertschätzen. Es geht darum, die Balance zwischen diesen zwei Wertesystemen zu halten und beiden Kulturen gleichermassen Respekt zu erweisen. Ein Konzern sollte auf keinen Fall seine Unternehmenskultur einer neu erworbenen Gesellschaft in einem anderen Land hemmungslos überstülpen. Der jeweilige Nationalstolz würde damit verletzt werden, was wiederum negative Gefühle gegenüber dem Konzern zur Folge hätte.

Haben Ihre Kolleginnen und Kollegen im Topmanagement die gleiche Sensibilisierung wie Sie?

Bei einer grossen Firma, in der ich früher tätig war, schlug im Verhalten mancher Manager immer wieder eine gewisse Arroganz durch. Die Macht des Konzerns überwältigte denn auch einige Mitarbeitende, weil sie ihre eigene Kultur nicht richtig leben konnten. Das schlug auf die Stimmung.

Fühlen Sie sich in der Schweiz assimiliert?

Ich lebe nun seit zwei Jahren hier und bezeichne die Schweiz als mein Zuhause. Ich liebe es, hier zu leben. Als assimiliert fühle ich mich jedoch nicht. Ich habe zwar Schweizer Freunde, aber ich werde meinen individuellen Lebensstil behalten. Egal wohin ich ziehe – ich werde mich nicht fundamental ändern. Das wiederum erfordert von mir einen möglichst neutralen Umgang mit meinem jeweiligen Umfeld, beruflich wie privat.

Mit welchem Mass an Neutralität konnten Sie der deutschen und der französischen Gesellschaft begegnen?

In Deutschland und Frankreich hatte ich keine Probleme mit der gegenseitigen Verständigung. In den USA hingegen stand ich allein deswegen für längere Zeit unter Kulturschock, weil es mein erstes berufliches Assignment war, das ich interkulturell gesehen unterschätzt hatte. Das resultierte in einer etwas kritischen – und damit wertenden – Einstellung gegenüber amerikanischen Verhaltens- und Handlungsweisen. Wäre ich der amerikanischen Gesellschaft mit mehr Neutralität begegnet, hätte ich mich auch weniger über Dinge geärgert. Es ist sehr zermürbend, wenn man ständig das kritisiert, was den eigenen Werten nicht entspricht, denn es ändert die Situation nicht, es macht sie eher komplizierter und Diskurse schwerfälliger.

Würden Sie sich als typisch britisch bezeichnen?

Ich bezeichne mich selber nicht als typisch britisch, aber meine Freunde nehmen mich als sehr britisch wahr. (lacht)

Warum empfinden Ihre Freunde Sie als 
britisch?

Es liegt wohl an meinem Sinn für Humor, ich pflege meine tägliche Tasse Tee am Nachmittag, meine eher lockere Umgangsart... Ich erinnere mich an eine Situation mit einem deutschen Kollegen, mit dem ich einen Termin bei einem Lord in London wahrnahm. Dieser Lord begrüsste uns mit «Hi, I am John», was meinen Kollegen positiv schockierte. Er hatte nicht damit gerechnet, ihn beim Vornamen ansprechen zu dürfen. Das ist eben Teil der lockeren englischen Art, die ich durch und durch lebe.  
Meine Mutter ist im Übrigen Norwegerin, ich wuchs nicht mit der klassisch britischen Tradition auf, das klassische englische «Sunday roast» eingeschlossen oder «Fish and Chips». Wir fuhren im Urlaub regelmässig nach Norwegen. Somit war ich vielleicht mehr als andere Menschen sensibilisiert auf Kulturunterschiede.

Haben Sie sich selbst irgendwann gefragt, ob Sie sich eher norwegisch oder englisch fühlen?

Nein, eigentlich nicht. Wenn aber England gegen Norwegen Fussball spielt, dann springe ich beim Tor für Norwegen auf. Norwegen war für mich immer ein besonderer Ort, in dem wir unsere Ferien verbrachten, dadurch habe ich nur positive Verbindungen mit diesem Kulturkreis. Diese multikulturelle Eigenschaft in mir liess mich von Kind an glauben, dass ich jemand Spezielles sei. Zudem kannte ich niemanden mit meinem Vornamen. Und damit kommen wir zum Aspekt des individuellen Leadership, denn jeder Mensch ist «special».

Mein Vater war Lehrer und nebenberuflich auch verantwortlich für die Schulbibliothek. Wann immer ein Schüler sich als eine Art Aussenseiter entpuppte, versuchte er, diesen Schüler zu integrieren. Er fragte ihn, ob er vielleicht Lust hätte, in der Bibliothek auszuhelfen. Er fand immer einen Weg, diesen Aussenseitern das Gefühl zu geben, für etwas wichtig zu sein. Er involvierte Menschen und das hat auch mein Verhalten beeinflusst. So bin auch ich der Überzeugung, dass jeder Mensch irgendeine Sache extrem gut beherrscht, und mir geht es deshalb auch darum, diese besondere Stärke zu finden.

Sollte es ein universelles Wertesystem 
geben?

Wäre es nicht toll, wenn es das geben könnte? Es würde auf dem gleichen Prinzip beruhen, wie eine bestimmte Vision, die ein Unternehmen weltweit lebt. Wenn alle Gesellschaften ein Wertesystem teilen würden, gäbe es dauerhaften Frieden. Aber das ist leider nicht realistisch.

Zudem würde es dem individualistischen Ansatz widersprechen. Menschen könnten sich aber zum Ziel setzen, wenigstens einen gemeinsamen Nenner zu finden, den sie alle teilen würden.

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Connie Voigt ist 
Executive Coach bei der Firma «Inside Out» sowie Gründerin der Netzwerkorganisation «Interculturalcenter.com GmbH». Zudem ist sie Dozentin für Organizational Behavior an der Edinburgh Business School, FHNW Basel und FU Berlin.

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