Web 2.0 / HR 2.0

Fairness ist der beste Schutz gegen 
«Undercover-Trolle»

Blogs: kleiner Aufwand – grosse Wirkung. Interna sind im Internet schnell ausgeplaudert. Deshalb zählen besonders 
auch Ex-Mitarbeitende zum Reputationskapital. Beste Prävention schlechter Nachrede ist eine vernünftige Fairness- 
und Konfliktkultur. Eine neue Herausforderung für das HRM und die Kommunikationsverantwortlichen.

Im Internet lässt sich gut schimpfen, kritisieren, auf Missstände aufmerksam machen – aus der sicheren Deckung der Anonymität heraus. Wenn sich Mitarbeitende in Blogs und Foren allzu offenherzig über ihren Arbeitgeber äussern, kann das für diesen heikel sein. Themen wie Lohnsysteme, Boni oder Führungsprobleme möchte schliesslich kein Unternehmen in der Öffentlichkeit ausgebreitet sehen.

Seit rund fünf Jahren etwa bloggt ein ehemaliger Angestellter des Migros-Genossenschafts-Bunds beharrlich gegen seinen früheren Arbeitgeber. In seinem Webtagebuch listet er minutiös die Verfehlungen auf, die sich die Migros seiner Ansicht nach zuschulden lassen kommt – manchmal kommentiert von Gesinnungsgenossen, meist ganz für sich alleine. In der Blogosphäre angegriffen wurden auch schon Nestlé, Swisscom oder Microsoft.

Über kurz oder lang würden alle grösseren Unternehmen von bloggenden Mitarbeitenden betroffen sein, wurde noch vor zwei Jahren in den Medien gewarnt. Geschürt wurde die Angst nicht selten zusätzlich von Dienstleistern wie Detektivbüros oder Versicherungen, die natürlich prompt mit entsprechenden Produkten zur Stelle waren. Werden Arbeitskonflikte aber tatsächlich zunehmend ins Internet getragen oder über Blogs ausgefochten? Jürg Stuker, CEO des St. Galler Internetdienstleisters namics und Experte in Sachen Blogs, gibt Entwarnung: «Die Situation ist nicht so dramatisch wie damals vorausgesagt.»

Risiko für Produkte grösser

Weitaus grössere Sorgen als die Tagebücher frustrierter (Ex-)Mitarbeitender mache den Unternehmen der Einfluss der Online-Medien auf das Kaufverhalten der Menschen, erklärt Stuker. «Aussagen über Produkte, Ratings usw. werden im Internet aufmerksam verfolgt. Selbst die Meinung von Einzelpersonen kann da grosse Wirkung entfalten.» Die Branche bemühe sich deshalb, Instrumente zum effizienten Monitoring zu entwickeln, die Antwort, geben auf Fragen wie «Wie wird über meine Produkte im Internet gesprochen? Wer äussert sich dazu? Was denken bestehende Kunden, wie denken Frauen, wie Männer darüber?» Als Beweis für den Einfluss solcher Bewertungen könne die Tatsache gelten, dass bei einer Google-Anfrage im Zusammenhang mit einem Produkt nicht zwingend der Hersteller zuoberst aufgelistet werde, sondern diejenigen Sites, auf denen die meisten Bewertungen zum Produkt zu finden seien.

Betroffen – und jetzt?

Eine ähnliche Gesetzmässigkeit zeige sich allerdings im Zusammenhang mit Blogs: «Die Veröffentlichung im Internet alleine bewirkt kaum etwas.» Zwar seien Publikation und Verbreitung von irgendwelchen Informationen technisch sehr einfach und nahezu kostenlos, zu Medienereignissen würden sie aber nur, wenn sie von den auflagenstarken Medien aufgegriffen oder in reichweitenstarken Suchmaschinen hoch rangiert würden. Deshalb genüge es nicht zu wissen, wer was wo schreibe, erklärt Stuker. Erheblich wichtiger sei die Frage, ob andere Quellen diesen Weblog aufnehmen: «Wer verlinkt den Blog? Findet er gar seinen Weg in die auflagenstarken Medien?» Eine solche Verlinkung lasse sich heute durch Suchmaschinen wie www.technorati.com einfach nachweisen.

Grossfirmen betreiben ein solches Monitoring längst systematisch. Auch die Migros beobachtet zwar durchaus, wer sich in welcher Form zum Unternehmen äussert – allerdings mit einer gesunden Portion Gelassenheit, wie Urs Peter Näf, Pressesprecher der Migros, erklärt: «Blogs von Ex-Mitarbeitenden erachten wir nicht als besonders schädlich, da die Absicht der Absender ja deutlich erkennbar ist.» Gelassenheit – kann sie als Rezept empfohlen werden?

Eskalation vermeiden …

«In einem anonymen Medium ist die Eskalation vorhersehbar», stellt Stuker klar. Das erste Ziel für ein Unternehmen müsse deshalb sein, eine solche zu verhindern. Die Haltung vieler Unternehmen, auf anonyme Anwürfe nicht zu reagieren, sei grundsätzlich richtig. Schliesslich werde oft durch einen erbosten Schlagabtausch das Interesse der Medien erst geweckt – womit die Angreifer ihr erklärtes Ziel erreichten: Öffentlichkeit. Stuker rät seinen Kunden, die Angelegenheit nicht primär im gleichen Medium – und damit auf die gleiche Weise wie die Blogger – zu adressieren. Viel eher seien zusätzliche Wege zu suchen, im Idealfall das persönliche Gespräch: «Meist sind solche Konflikte ja nicht unkorrigierbar.» Um sie zu entschärfen, sind also viel weniger technische Kenntnisse als menschliche Stärken und gegebenenfalls der Mut zu einer Entschuldigung gefragt. Vorsicht sei allerdings bei schriftlichen Stellungnahmen oder Freundschaftsangeboten angebracht: «Zur Blogger-Mentalität gehört, solche Schriften sofort 1:1 zu veröffentlichen.» Dann ist der Imageschaden komplett.

… oder: vorbeugen

Richtlinien darüber, wie mit sensiblen oder unternehmensinternen Daten umzugehen ist, kennen die meisten Unternehmen. Explizit mit dem Thema Blog haben sich allerdings manche noch nicht auseinandergesetzt. Auch die Migros kennt keine speziellen Blog-Verhaltensregeln für Mitarbeitende: «Das war bis jetzt auch nicht wirklich ein brisantes Thema», erklärt Näf. Offenbar solle es im Rahmen des IT-Sicherheitsausschusses aber nächstens als Anregung eingebracht werden. Die Migros – genau wie viele andere Unternehmen – setzt aber zur Vermeidung von Reputationsschäden primär bei der Trennungskultur an und bietet die Gelegenheit zu Austrittsgesprächen. «Im persönlichen Gespräch können wir viel Frust abfangen», erklärt Näf. Laut interner Statistik sind es neun von zehn Austretenden, die der Einladung folgen.

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